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Achtundvierzigstes Kapitel.
Das entwendete Concept


Wer nur von einem kleinen Theile der Nadelstiche Kenntniß hatte, mit denen der Rechtsconsulent Doktor Plager von seiner Frau Schwiegermutter, häufig auch sogar von seiner Schwägerin bedacht wurde, der hätte glauben müssen, der. arme Geplagte schleiche nur trübselig durch das Leben dahin mit gebogenem Rücken, tiefgesenktem Kopfe, die Steine betrachtend, hier und da in gänzlicher Selbstvergessenheit stolpernd und dann tief aufseufzend, um mit einem schüchternen Blicke gen Himmel weiter zu schreiten. Das war aber nicht der Fall, und glücklicher Weise war Doktor Plager eines von jenen elastischen Wesen, die sich momentan leicht in eine andere Form drücken lassen, um aber, sobald der Druck, der auf sie ausgeübt wird, aufhört, gleich wieder die alte Gestalt anzunehmen. Sein Gesicht war wie das jener kleinen Gummielasticum-Männer die durch Auseinanderziehen unkenntlich gemacht werden, im nächsten Augenblicke aber das alte gemüthliche Antlitz wieder zeigen, das bekannte harmlose Lächeln, die vergnügt glänzenden Aeuglein.

Der Rechtsconsulent hatte ein glattes Gemüth, er konnte Zorn und Gram davon abschütteln, wie der Hund den Regen von seinem Felle; ja wenn er mit bebenden Lippen und krampfhaft zuckenden Fingern das Zimmer der geliebten Schwiegermutter verließ, so trennte ihn kaum die zufallende Thür von deren nicht immer sehr angenehmen Gesicht, und er that alsbald einen tiefen Athemzug, und während er langsam die Treppe hinabstieg, klärten sich seine Züge auf, und die Lippen, die auf der obersten Stufe noch fest und stramm auf einander gepreßt waren, kräuselten sich auf der untersten schon zu einem freundlichen Lächeln. Wohl warf er dann, vor dem Hause angekommen, noch einen zweifelhaften Blick nach seiner Wohnung empor, aber in diesem Blicke war deutlich zu lesen: ich bin euch glücklich entronnen, jetzt plagt, wen ihr wollt; ich werde mich den Henker drum scheeren.

Merkwürdiger Weise aber waren in den letzten Tagen der Zeit, worin unsere Geschichte spielt, weit weniger Nadelstiche von dem weiblichen Theile des Platzer'schen Hauses, Babette einbegriffen, dem Dulder ertheilt worden, als dies früher wohl der Fall war. Madame Weibel befand sich in einer rosenfarbenen Laune, sie zankte wenig mit ihrem Schwiegersohn, sie war sehr friedfertig gestimmt und behauptete nur höchst seltene daß ein runder Tisch vier Ecken habe. Die Rechtsconsulentin war sogar sanft geworden und so entgegenkommend, daß sie ihrem Manne gestand, man müsse Babette in der That zu etwas mehr Ordnung anhalten, und es könne Manches noch anders gehen, als es bisher gegangen; ja, sie that das Uebermenschliche und gab zu, daß die Erziehung von Fritzchen und Louise allerdings noch eines weiteren Schliffes bedürfe, um vorzüglich genannt werden zu können.

Was nun Clementine Weibel anbelangt, so war sie weich und sentimental geworden; sie hatte seit einiger Zeit einen etwas blassen Teint; ihre Augen hatten einen Ausdruck, den man im gewöhnlichen Leben himmelnd zu nennen pflegt; sie seufzte zuweilen und liebte es, wenn sie allein war, allerlei schöne Lieder schwärmerischer deutscher Dichter vor sich hin zu declamiren. Sie war es zumeist, die ihr Betragen gegen den Schwager vollkommen geändert hatte, sie nahm sich, nach allenfalls noch vorkommenden kleinen häuslichen Scenen, sogar seiner an, sie hatte in letzter Zeit ein Cigarren-Etui für ihn gestickt, sie war weich und nachgiebig bei Meinungs-Verschiedenheiten, kurz, sie war mit Einem Worte ein Engel, wie ihre würdige Mutter in gerührten Augenblicken zu sagen pflegte, ein Seraph – das war bei ihr das Engelische noch in höherer Potenz – der Stolz der Familie, die künftige Trägerin einer Grafenkrone.

Von den, neun Zacken dieser verheißenen Grafenkrone strahlte denn auch all das gute Wetter aus, welches den Rechtsconsulenten zu Hause beglückte. Wir müssen dabei gestehen, daß er der lebendigen Ursache dieses heiteren Himmels durchaus nicht mehr abhold war, ja, daß es Augenblicke gab, wo er, die Hände reibend, schmunzelte und zu sich selber und auch wohl zu anderen Leuten sprach: »Mein künftiger Schwager, der Graf.«

Mochte aber auch Czrabowski sein, wie er wollte, das mußte man ihm lassen, Stolz und Hochmuth gegen seine künftigen Verwandten kannte er nicht, und nachdem diese von des Grafen naher Verwandtschaft mit dem Fürsten Poniatowski erfahren, von den ungeheuren Gütern bei Lublin, vom Stammschlosse Rachow mit seinen reichen Waldungen und Bärenjagden, waren sie in der That tief gerührt von der ungekünstelten Herablassung ihres künftigen Familien-Angehörigen. Czrabowski war wie zu Hause bei Plagers und ebenso bei dem Banquier Springer, er genirte sich durchaus nicht, des Letzteren Kasse in Anspruch zu nehmen – natürlicher Weise die Kasse des Geschäfts – wo er sich durch sein leutseliges Wesen sogar die Gunst des alten, mürrischen Kassirers erworben hatte; er dinirte mit der Familie; er war so freundlich gewesen, dem Schneider des Banquiers seine Kundschaft zuzuwenden; er verschmähte nicht die Cigarren des Herrn Springer; er hatte diesen sogar veranlaßt, ein Reitpferd zu kaufen, welches nun der Graf zuritt; er fuhr mit Madame Springer und Clementinen in der Equipage des Banquierhauses spazieren, zum kolossalen Aerger eines Dutzends Regierungs-, Hof-, Kanzlei- und Steuer-Räthinnen mit wenigstens zwei Dutzend unversorgten Töchtern, nicht zu erwähnen der blassen Kaufmanns-Wittwe, dem Plager'schen Hause gegenüber, die zuweilen tief aufseufzend empor blickte und sprach: »Wenn der Himmel in den Hochmuth kein Einsehen hat, so gibt es keine Gerechtigkeit mehr auf Erden.«

Arme unversorgte Töchter verschiedener Räthinnen! unglückliche Kaufmanns-Wittwe! ihr hattet wohl Ursache, tief ergriffen zu sein, waren doch viele, von euch an jenem Abend zugegen; hätte doch Jede statt Clementinens den polnischen Punsch mit helfen brauen können; und Jede würde das gern gethan haben, – ein zündendes Wort, etwas mehr süße Augen – ihr habt den Augenblick des Glücks verpaßt.

Der Rechtsconsulent hatte Kaffee getrunken, wie er jeden Morgen zu thun pflegte, und Alles war nett und eben vorübergegangen. Die gute Schwiegermutter hatte sich so geändert, daß sie es sogar über sich vermocht, von Herrn Larioz zu reden, und hatte gesagt, sie sehe wohl ein, wie schwer es für diesen armen Teufel sein müsse, ein ebenso gutes Brod wieder zu finden, wie er bis jetzt auf dem Bureau des Rechtsconsulenten genossen, und es sei fern von ihr, Jemand plötzlich auf die Straße werfen zu wollen. Daß es für die Dauer mit dem Schreiber nicht gehen würde, verstände sich freilich von selbst; denn ihr Schwiegersohn, der Graf, würde bei aller Großmuth doch wohl nicht im Stande sein, die ihm angethane Beleidigung zu vergessen und das Gesicht eines Menschen wieder zu sehen, der sich so gröblich gegen ihn vergangen.

»Was mich betrifft,« setzte sie hinzu, »so könnte ich ihm Alles verzeihen, wogegen es mir aber immer verdächtig bleiben wird, was Ihr Schreiber, Herr Sohn, spät am Abend allein auf Ihrem Bureau zu schaffen hatte. Man sieht so etwas nicht gern. – Aber das sind ja Ihre Sachen, die mich eigentlich durchaus nichts angehen. – Wir meinen nur so, nicht wahr, Emilie?« hatte sie mit einem Blick auf ihre Tochter hinzugesetzt, die mit einem Kopfnicken zustimmend versetzte: – »Verdächtig bleibt das immer.« –

Madame Weibel hatte dies alles in einem so sanften Tone gesagt, daß es dem Rechtsconsulenten augenblicklich zu Herzen ging und er sich einredete, diesmal habe die Schwiegermutter in der That nicht so ganz Unrecht, und man könnte es dem guten Czrabowski nicht verargen, wenn er grollend an den langen Spanier dächte.

Mit diesen Gefühlen hatte Doktor Plager sein Frühstück beendigt und stieg die Treppe seiner Wohnung hinunter und dann dem Bureau zu, wobei er im Geiste die guten Eigenschaften seines Schreibers gegen dessen unangenehme Seiten, namentlich gegen dessen oft sehr schroffe und einseitige Ansichten abwog, und darauf kam er zu dem Resultate, daß man ja einen Diener doch nicht ewig behalten könne, und daß, wenn Larioz nun einmal fest entschlossen sei, das Bureau zu verlassen, er ihn am Ende nicht lange überreden wolle, dazubleiben.

So betrat der Rechtsconsulent seine Schreibstube, und als er einen Blick in das Nebenzimmer warf, sah er den kleinen Gottschalk an seinem Pulte sitzen; der erste Schreiber aber war nicht da.

»Ist Herr Larioz vielleicht auf sein Zimmer gegangen?« fragte der Prinzipal, und er wiederholte diese Frage, als Gottschalk weder von seiner Arbeit aufblickte, noch eine Antwort gab.

»Herr Larioz?« sagte der junge Mensch alsdann, als der Rechtsconsulent zum zweiten Male mit sehr lauter Stimme sprach. »Ja, er wird wohl auf seine Stube gegangen sein.«

»Ich möchte eine bestimmte Antwort darüber haben. Hat er etwas gesagt, als er ging?«

»Nein, gesagt hat er eigentlich nichts.«

»Aber Sie haben ihn doch eben gesehen?«

»Hier auf dem Bureau?« fragte Gottschalk – »Herr Doktor meinen, ob ich ihn hier auf dem Bureau gesehen habe?« Er sprach das sehr langsam, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, denn er wußte in Wahrheit nicht, was er eigentlich antworten sollte; hatte er doch Larioz weder gestern Abend noch heute früh gesehen, da derselbe, wie wir aus dem vorigen Kapitel wissen, nicht nach Hause gekommen war. Da aber Gottschalk einigermaßen verlegen aussah, so blickte der Principal, dem dies nicht entging, aus das leere Pult seines ersten Schreibers und bemerkte, daß dort noch Alles stand und lag, wie er es am vergangenen Samstag verlassen. Er griff an sein Kinn, schüttelte mit dem Kopfe und zog die Halsbinde etwas in die Höhe, worauf er sagte: »Nach alle dem scheint mir, Herr Larioz ist heute Morgens noch gar nicht da gewesen. Suchen Sie ihn auf seinem Zimmer.«

Gottschalk spritzte bedächtig seine Feder aus, erhob sich zögernd und ging mit großer Langsamkeit nach der Thür.

»Ist Herr Larioz vielleicht krank geworden?« fragte der Rechtsconsulent. »In dem Falle lassen Sie ihn ruhig droben. – Ist er krank geworden?« wiederholte er und legte auf das ist einen solchen Nachdruck, daß der junge Mensch unschlüssig an der Thür stehen blieb und, ohne eine Antwort zu geben, seine Fingerspitzen betrachtete. – »Was soll das alles bedeuten?« sagte der Prinzipal nach einer Pause. »Sie scheinen mir da etwas zu wissen und nicht mit der Sprache heraus zu wollen. Glauben Sie wohl, junger Mensch, daß ich das vollkommenste Recht habe, mich nach dem Thun und Lassen meiner Leute zu erkundigen? – Wo ist Herr Larioz?«

»Ich weiß es nicht.«

»So! haben Sie ihn heute Morgen noch nicht gesehen?«

»Nicht, daß ich wüßte. Es könnte aber auch sein, daß er da gewesen wäre und ich ihn übersehen hätte. Ich war sehr fleißig, Herr Doktor. – Wenn Sie vielleicht meine Arbeit anschauen wollten.«

Damit schritt er eiliger, als er fortgegangen war, wieder seinem Schreibtische zu.

»Mit Ihrem Uebersehen!« sagte fast ärgerlich der Rechtsconsulent. »Bleiben Sie bei dem, was ich frage. Sie schlafen ja in demselben Zimmer mit Herrn Larioz.«

»Das thue ich allerdings gewöhnlich.«

»Nun, da müssen Sie ihn auch heute Morgen gesehen haben.«

Der junge Mensch schüttelte mit dem Kopfe und sprach kleinlaut: »Heute Morgen habe ich ihn nicht gesehen; er ist vielleicht aufgestanden, als ich noch schlief.«

»Und gestern Abend hörten Sie ihn nach Hause kommen?«

»Ich habe wohl ein Geräusch vernommen, aber ich weiß nicht genau, ob es Herr Larioz war, denn ich bin gleich darauf eingeschlafen.«

»So, so, es ist schon gut,« entgegnete der Prinzipal, wobei er den Mund spitzte, die Augenbrauen hoch empor zog und eine große Ruhe annahm. »Gehen Sie hinauf, sehen Sie, ob Herr Larioz da ist, und sagen Sie mir dann die Antwort geradezu ohne viele Weitläufigkeiten – verstanden? – den Teufel auch!«

Damit warf der Rechtsconsulent die Hände heftig auf den Rücken zusammen, wie er nur zu thun pflegte, wenn er in Zorn gerieth, und schritt hastig auf und ab.

Gottschalk schielte nach ihm hinüber, ehe er zur Thür hinaus ging, und sprach, während er sich am Kopfe kratzte, leise vor sich hin: »Die Woche fängt gut an, sagte der arme Sünder, als er Montags zum Galgen geführt wurde.«

Doktor Plager blieb noch einige Augenblicke in der großen Schreibstube, trat dann in sein Zimmer und sprach zu sich: »Bah, was ist's weiter? unser Schreiber wird gestern Abend ein wenig länger aufgeblieben sein und heute desto später aufstehen. Es ist eigen, wie man dazu gebracht werden kann, seine Ansicht über einen Menschen zu ändern. Ich würde das früher gar nicht beachtet haben. Aber diese Weiber geben keine Ruhe und flößen uns das Gift des Mißtrauens gegen Jemand, den sie nicht leiden können, tropfenweise, aber sicher ein.«. –

Er setzte sich vor sein Pult. – »Was habe ich doch heute nicht vergessen wollen?« fuhr er nach einem längeren Nachdenken fort, während dessen er an die Decke des Zimmers gesehen. »Da auf meinem Notizbogen steht ein Notabene mit einem H. Was kann das sein? – Ja so,« sprach er endlich mit dem Ausdruck der Befriedigung auf seinem Gesichte, den man annimmt, wenn man sich einer Sache wieder erinnert, die man vergessen zu haben glaubte. – »So ist es: H – Helfenberg. Graf Helfenberg. Die Vernichtung des Testaments-Entwurfs, den ich in meine Mappe gelegt. Wir wollen aber jetzt Helfenberg ausschreiben und ein T. dazu machen, daß uns die Sache nicht wieder entfällt. Oder besser, zerreißen wir das fragliche Papier sogleich.«

Der Rechtsconsulent nahm eine Mappe zur Hand, die auf der rechten Seite seines Pultes lag und mit einem Stück Marmor beschwert war; er schlug diese Mappe auf und wandte die ersten Blätter in derselben mit der größten Gleichgültigkeit um. Als er aber über die Hälfte der vorhandenen Papiere durchgesehen, zogen sich seine Augenbrauen langsam zusammen, seine Blicke drückten Erstaunen aus, und als er nun mit der Durchsicht der ganzen Mappe zu Ende war, ohne das gefunden zu haben, was er suchte, sank seine Unterlippe schlaff herab, und er starrte vor sich hin wie Jemand, der erschreckt ist und zu gleicher Zeit eifrig über etwas nachgrübelt. Das dauerte ein paar Sekunden, dann schlug er die Blätter eifrig von hinten nach vom um, nahm jedes einzeln heraus, betrachtete es von allen Seiten, und während er immer und immer vergeblich suchte, fing er an, sehr unruhig auf seinem Stuhle hin und her zu rücken.

»Das ist doch sonderbar!« murmelte er; »ich bin sicher, das Concept da hinein gelegt zu haben; ja, ich erinnere mich ganz genau, Larioz stand neben mir, und ich sprach noch einige Worte mit ihm darüber. Wenn er nur käme! Er muß sich dessen genau erinnern.«

Herr Doktor Plager blickte unruhig nach der Thür, wo sich aber nicht das Geringste sehen ließ.

»Hm, hm!« machte er nach einem abermaligen vergeblichen Versuche, in der Mappe das Gewünschte zu finden; »in das Bureau habe ich es doch auf alle Fälle gebracht; hier kommt ja niemand Fremdes herein, und wenn auch – wen könnte es interessiren, Einsicht in das Papier zu erhalten? das heißt – Leute interessiren, denen es allenfalls möglich wäre, hieher zu gelangen? – Bah! Vielleicht habe ich es in die große Brieftasche gelegt.«

Nach diesem Selbstgespräch wurde die große Brieftasche, die im Pulte lag, hervorgeholt, und ebenso genau mit dem gleichen Resultate untersucht, wie vorhin die Mappe. Jetzt richtete sich Herr Plager in die Höhe, ließ die Hände auf seinen Beinen ruhen und blickte gedankenvoll zum Fenster hinaus.

In diesem Augenblicke vernahm man auch Tritte unter der Thür der äußeren Schreibstube, und der Rechtsconsulent sprang lebhaft in die Höhe, um nach dem Eintretenden zu sehen.

Es war Don Larioz, der von seiner Stube kam und sich nun den mit Recht erstaunten Blicken seines Chefs präsentirte. Waren auch Kleidung, Haar und Bart des langen Mannes wieder in Ordnung gebracht, so hatte er doch von seinem Gesichte die Spuren des gestern Erlebten unmöglich verwischen können, und diese Spuren waren, wie der geneigte Leser bereits weiß, gräulich genug anzuschauen.

Herr Doktor Plager trat, bei diesem Anblicke die Hände vor großer Verwunderung zusammen schlagend, einen Schritt zurück und rief aus: »Aber sagen Sie mir um Gottes willen, in welche Mörderhände sind Sie gefallen? Oder haben Sie Händel im Wirthshause gehabt?«

Der lange Schreiber zuckte mit den Achseln und erwiderte mit seiner gewöhnlichen Ruhe: »Das zu erzählen, würde etwas umständlich sein. Es ist allerdings wahr, ich sehe heute Morgen nicht besonders vortheilhaft aus, doch kann von Händeln im Wirthshaus bei mir keine Rede sein; ich glaube, der Herr Doktor kennen in dieser Richtung meinen Charakter vollkommen.«

Der Rechtsconsulent hob die Nase in die Höhe, und mochte ihm der kalte Ton nicht gefallen, mit dem sein Schreiber zu ihm sprach, dachte er vielleicht an die Worte von Frau und Schwiegermutter, oder an das verlorene Concept, – genug, er legte die Hände auf den Rücken, streckte sich so stark als möglich und sagte mit scharfer Stimme, wie er zu thun pflegte, wenn er auf seinem Bureau Verweise ertheilte:

»Sie werden mir aber erlauben, Herr Larioz, daß ich als Ihr Chef wohl fragen darf, in welchem Wein- oder Biergefecht Sie so zugerichtet worden sind, wie Sie sich mir darstellen, wie Sie auf das Bureau kommen, und zwar gegen halb elf Uhr, trotzdem, daß die Kanzleistunden um acht Uhr anzufangen pflegen!«

»Ich bin nicht in der Stellung, Herr Doktor Plager,« antwortete der Spanier, ohne eine Miene seines Gesichts zu verziehen, »Ihnen als meinem Chef überhaupt etwas erlauben zu dürfen. Mir aber werden Sie vielleicht dagegen erlauben, über Ereignisse zu schweigen, die – das kann ich Sie versichern – weder Sie noch die Schreibstube betreffen, und die meinem Gesichte einen Anstrich verleihen, der Ihrer Ansicht nach aus einem Wein- oder Biergefecht herrühren muß, was übrigens durchaus nicht der Fall ist. Im Gegentheil, Sie dürfen mir glauben, daß ich mich meiner Verletzung durchaus nicht zu schämen habe.«

»Ich muß gestehen,« rief der Rechtsconsulent aus, indem er mit affektirtem Erstaunen die Hände zusammenschlug, »Sie führen mit mir eine ganz eigene Sprache, die ich als Prinzipal –«

»Nur so lange zu hören brauchen,«, unterbrach ihn der Spanier sehr kaltblütig, »wie Sie es für gut finden. Erinnern Sie sich vielleicht meines Schreibens vor weniger Zeit, in welchem ich einen Wunsch aussprach, den Sie zu bewilligen bis jetzt nicht für nothwendig gefunden? Sie werden mich mit allem einverstanden sehen, was Sie beschließen mögen.«

Wenn auch Doktor Plager von Natur aus nicht besonders mißtrauisch war, so hatten doch die ewigen Anspielungen über die Bosheit und Schlechtigkeit der Menschen, die er zu Hause tagtäglich verschlucken mußte, sein Vertrauen im Allgemeinen sehr wankend gemacht, und er war endlich dahin gekommen, den Thaten seiner Nebenmenschen gern zweideutige Motive unterzulegen. So fiel es ihm auch jetzt durchaus nicht ein, zu glauben, daß der Schreiber der unwürdigen Behandlung wegen, die ihm zu Theil geworden, seine gute Stellung im Bureau aufgeben würde, und da dieser doch zuletzt so entschlossen schien, so mußte ihn ein anderer, gewiß unlauterer Beweggrund dazu treiben. Ihm fiel das fehlende Testaments-Concept ein, er fragte sich mit den Worten der Schwiegermutter, was Larioz an jenem Abend allein hier zu schaffen gehabt, und darauf war er der festen Ansicht, derselbe müsse aus irgend einer Ursache wünschen, baldigst die Schreibstube zu verlassen.

Der Prinzipal tauchte so tief als möglich in die Halsbinde hinein, zog die Augenbrauen zusammen und sagte, da er nun die Gedanken seines Schreibers vollkommen zu verstehen glaubte, mit einem sarkastisch sein sollenden Lächeln: »Es werden sich dem Herrn Larioz wahrscheinlich glänzende Aussichten eröffnet haben, und es sei fern von mir, diesen entgegen treten zu wollen, weßhalb ich denn auch gegen eine Trennung nichts weiter einwenden werde, begreiflicher Weise, nachdem die laufenden Geschäfte unter Ihren Händen abgewickelt sind. Sollte übrigens,« setzte er nach einer Pause hinzu, während welcher er das Gesicht des Anderen aufmerksam betrachtete, »Ihr körperlicher Zustand es Ihnen nicht gestatten, mit frischem Geiste an die Arbeit zu gehen, so habe ich nichts dagegen, wenn Sie sich für heute auf Ihr Zimmer zurückziehen, was vielleicht sogar wünschenswerth wäre, da unsere Clienten bei Ihrem Anblicke wohl auf die Vermuthung kämen, als habe es hier in meinem Bureau unterschiedliche und sehr starke Prügel gesetzt.«

Der lange Schreiber machte stillschweigend eine Verbeugung und wollte sich aus dem Zimmer entfernen.

»Ehe Sie gehen, noch Eins,« sagte der Rechtsconsulent, indem er den Kopf abermals und sehr affektirt in die Höhe warf und mit der Hand nach seinem Privatzimmer zeigte. »Bitte, einen Augenblick einzutreten.«

Er ging voraus, der Schreiber folgte.

Der Prinzipal ließ sich vor seinem Pulte nieder, zog die bewußte Mappe vor sich hin, öffnete sie, und während er mit zwei Fingern der rechten Hand auf die Papiere patschte, sagte er in anscheinend sehr ruhigem Tone: »Erinnern Sie sich vielleicht noch, daß ich mit Ihnen vor einiger Zeit über das Testament Seiner Erlaucht des Herrn Grafen Helfenberg sprach?«

»Sehr genau,« entgegnete Don Larioz mit fester Stimme. »Es war an dem und dem Tage, ich werde ihn nicht vergessen. Sie sandten mich zu Seiner Erlaucht, um ihm anzuzeigen, daß Sie ihn Abends um sieben Uhr besuchen würden.«

Doktor Plager nickte mit dem Kopfe.

»So ist es,« sagte er. »Und vielleicht erinnern Sie sich ebenso genau, daß ich Ihnen den Tag darauf ein Concept zeigte, oder vielmehr mit Ihnen über ein Concept zu jenem Testamente sprach, das ich etwas früher bei Seiner Erlaucht entworfen?«

Larioz dachte einen Augenblick nach, dann gab er zur Antwort: »Es ist so, ich besinne mich darauf. Sie zeigten mir ein Papier und sagten, es sei das Concept zu einem Theile des Helfenberg'schen Testamentes. Von dem Inhalte desselben, welcher mich ja auch nicht interessiren konnte, theilten Sie mir jedoch nur Weniges mit.«

»Richtig, ich theilte Ihnen nur Weniges davon mit,«, versetzte der Prinzipal mit einem eigenthümlichen Lächeln. »Es konnte Sie allerdings nicht interessiren. Nun aber sahen Sie wohl, daß ich jenes Papier hier in diese Mappe legte, wo mehr dergleichen zu finden ist. – Sahen Sie nicht, wie ich es hinein legte?«

»Ich glaube mich dessen zu erinnern.

»O, es ist sicher, ich irre mich nicht! Ich könnte beschwören, daß ich es in der Mappe oben auf legte. – Und jenes Papier – ich suche es vergebens.«

»Wenn Sie es hinein legten,« entgegnete der Schreiber mit seiner gewöhnlichen Ruhe, »so muß es zu finden sein. Es hat sich vielleicht zwischen anderen Papieren, verschoben.«

»So sehen Sie selbst nach,« sagte Doktor Plager mit großer Befriedigung. »Sehen Sie genau nach; es sollte mir äußerst lieb sein, wenn Sie das Concept fänden.«

Er erhob sich von seinem Stuhle, und wenn er auch anscheinend in tiefen Gedanken im Zimmer auf und ab schritt, so schielte er doch bei jeder Wendung nach dem Schreiber hin, der Blatt für Blatt des Inhaltes der Mappe umwandte, ohne das Gewünschte zu finden.

»Es ist nicht da,« sagte Larioz; »vielleicht aber liegt es bei den Helfenberg'schen Papieren.«

Der Andere zuckte mit den Achseln und bemerkte ungläubig lächelnd: »So sehen Sie nach; es wird aber auch dort nicht sein.«

Und daß es Larioz trotz emsigen Suchens auch dort nicht fand, brauchen wir dem geneigten Leser wohl nicht zu sagen.

»Sie sehen,« sprach der Rechtsconsulent, als ihn der Schreiber fragend ansah, »das Concept ist verschwunden.«

»Und wo könnte es sein, wenn Sie es in der That dort hineingelegt haben?«

»Darauf könnte ich einen körperlichen Eid ablegen; hier in dieser Mappe« – Doktor Plager schlug mit der Hand darauf – »hatte ich es aufbewahrt. Wo es sein kann? – Verschwunden – entwendet –«

»O, aus dem Bureau?« entgegnete Larioz mit einem ungläubigen Lächeln. »Wer würde ein Interesse daran haben, gerade jenes Papier zu entwenden?«

»Wer?« rief der Prinzipal, indem er seinem Schreiber näher trat. »Nur Jemand, Herr Larioz, der vom Geschäfte ist, der den Werth dieses Papieres kennt, der zu berechnen versteht, was es ihm eintragen müßte, wenn er Personen in Kenntniß setzen könnte, daß sie nach dem Ableben Seiner Erlaucht mit diesem und jenem Legate bedacht sind.«

»Das ist allerdings richtig; aber Jemand, der es unternähme, das Papier auf die Seite zu bringen, müßte doch von dem Inhalte desselben Kenntniß haben. Und das haben meines Erachtens nur –«

»Sie und ich,« unterbrach ihn Doktor Plager, indem er sich in die Brust warf.

»Ganz richtig,« fuhr der Schreiber treuherzig fort. »Und darin liegt ja nach meinem Dafürhalten der beste Beweis dafür, daß das Papier nicht von Jemand auf die Seite gebracht wurde.«

»Von mir allerdings nicht,« sprach der Rechtsconsulent. Doch bereute er vielleicht dieses rasche Wort, als er sah, wie bei demselben ein finsterer, drohender Schatten über die Züge des Spaniers flog. – »Ich will damit auch nicht gesagt haben,« setzte er einlenkend hinzu, »daß Sie – Gott bewahre! – aber –«

»Dieses Aber ist mir genug,« erwiderte Larioz wie immer mit großer Ruhe, aber mit seltsam gepreßter Stimme. – »Ich kann mir nach Ihren Reden bei meinem Eintritt wohl denken,« sprach er nach einer kleinen Pause weiter, während welcher er seinen Prinzipal scharf betrachtete, »daß Sie eine Ursache suchen, um sich das Scheiden von einem Manne, der Ihnen Jahre lang treu gedient, leicht zu machen. Aber erlauben Sie mir, zu bemerken, daß diese Ursache so schlecht wie möglich gewählt, ja, an den Haaren herbeigezogen ist, und daß ich vor allen Dingen dieses Motiv durchaus nicht werde gelten lassen.«

»Sie sind Rechtskundiger genug,« gab Doktor Plager zur Antwort, indem er durch eine anscheinend ganz zwanglose Bewegung hinter das Pult getreten war, »um zu wissen, daß, um eine Beschuldigung aufrecht zu erhalten, Beweise nothwendig sind, und begreife ich deßhalb vollkommen, daß Sie in solch hohem Tone zu mir reden. Kann aber das Factum geläugnet werden? Sie geben zu: Das Concept war vorhanden und wurde in diese Mappe gelegt. Niemand betritt diese Zimmer, der den Werth eines solchen Papiers kennt, als Sie und ich. Oder,« setzte er mit einer verächtlichen Miene hinzu, »würden Sie vielleicht auf den kleinen Gottschalk oder die alte Magd Verdacht haben?«

»Auf Keins von Beiden,« erwiderte der Schreiber, der sich unterdessen wieder vollkommen gesammelt hatte. »Was sollte dem armen Knaben oder jener alten Person, überhaupt irgend Jemand, an dem Besitze des an sich werthlosen Papieres liegen? – Das war mein erster Gedanke, als Sie mir sagten, das Concept sei nicht mehr zu finden. Wenn Sie aber,« fuhr er mit festerem Tone fort, »so scharf hervorheben, daß nur Sie und ich in diese Zimmer kommen, so muß ich Ihnen dagegen ins Gedächtniß zurückrufen, daß, so lange ich krank in meinem Zimmer war, der sogenannte Herr Graf v. Czrabowski, sowie Ihre Fräulein Schwägerin hier an verschiedenen Abenden ihre Zusammenkünfte hatten. – Ich hätte dieser Geschichte nicht erwähnt, wenn Sie mich nicht durch Ihre unverblümte Beschuldigung dazu gezwungen hätten.«

Doktor Plager fuhr empor; er wollte heftig, ja, drohend antworten, doch besann er sich eines Anderen und brach in ein lautes, etwas erkünsteltes Lachen aus.

»O, ich kenne diese Geschichte!« rief er; »Sie hätten wahrlich nicht Ursache, mich daran zu erinnern. Nehmen Sie mir nicht übel, gerade die Begebenheit jenes Abends ist es, die meinen Verdacht gegen Sie begründet. Ich hätte das in meinem ganzen Leben nicht von Ihnen erwartet. Wer war an jenem Abend allein hier im Bureau? – Sie! – ja, Sie, Herr! Und was Sie damals hier machten, darüber hätte ich wohl das Recht, eine Erklärung zu fordern.«

Der Spanier blickte lächelnd auf den Rechtsconsulenten, welcher mit der Wuth eines gereizten Hahnes in possirlich en Sprüngen hinter dem Tische herum hüpfte.

»Verlangen Sie darüber eine Erklärung von den werthen Ihrigen; ich habe mich damals schon brieflich ausgesprochen und halte es unter meiner Würde, die Erzählungen Ihrer Verwandten zu berichtigen. Was Ihr verloren gegangenes Concept betrifft, so sammeln Sie Beweise gegen mich und treten dann auf, wo und wie Sie wollen; ich werde auch nicht müßig sein, denn Ihre Worte, daß Jemand durch den Besitz desselben irgend etwas gewinnen könne, haben einen seltsamen Verdacht in mein Herz geworfen. Wahrhaftig, Sie können Recht haben. Das Papier muß entwendet worden sein. Geben wir uns beiderseitig Mühe, Herr Doktor Plager, den Thäter ausfindig zu machen und, wenn wir ihn gefunden, ihn ohne Schonung zu nennen.«

»Ohne Schonung – ja, ohne Schonung, ohne jede Schonung!« schrie der Rechtsconsulent mit kreischender Stimme, aufgestachelt durch die unerschütterliche Ruhe seines Gegenübers.

»So sei es,« bekräftigte der Spanier mit einem wahrhaft großartigen Anstande in Wort und Haltung. – »Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«

Larioz machte seinem bisherigen Prinzipal eine tiefe Verbeugung und verließ dann mit hoch erhobenem Kopfe das Zimmer. In der anderen Schreibstube angekommen, klopfte er dem kleinen Gottschalk, der wie betäubt da saß, da ihm begreiflicher Weise von der Scene in der Nebenstube nicht ein Wort entgangen war, sanft auf den Kopf und sagte ihm: »Nach beendigter Arbeitsstunde kommst du zu mir, ich habe alsdann mit dir zu reden.«

Hierauf trat der lange Mann in den Gang hinaus und schritt festen Fußes und ohne die geringste Bewegung auf seinem kalten Gesichte zu zeigen, die Treppen hinauf bei seiner eigenen Wohnung vorbei nach der seines Freundes des Doktor Flecker. Er klopfte an, und es war ihm hierauf ein angenehmes Gefühl, die bekannte Stimme: Herein! rufen zu hören.

Der Armenarzt hatte seinen rothcarrirten Schlafrock an, rauchte wie gewöhnlich aus einer langen Pfeife und stand in der Mitte des Zimmers, seine Peitsche gegen die kleinen Hunde schüttelnd, die sich wahrscheinlich eines Verbrechens schuldig gemacht hatten. Sie saßen neben einander unter des Doktors Bettstelle und blickten mit den klugen Augen unverwandt auf ihren Herrn hin; man hätte sie für leblos halten können, so ruhig hielten sie sich, wenn man nicht von Zeit zu Zeit, wo gerade die Peitsche minder heftig geschüttelt wurde, ein leises Anklopfen ihrer wedelnden Schweife an das Holz der Bettlade gehört hätte.

»Item!« rief der Doktor, nachdem er den Eintretenden freundlich begrüßt, »ihr müßt mir zugeben, ihr Rackers, daß ich von jeher bei euch auf Ordnung gehalten habe, und könnt mir nicht vorwerfen, ich habe eure Erziehung vernachläßigt. Jeder hat seine Stunde, wo er zur Thür hinaus gelassen wird, und wer sich danach nicht richtet, ist ein unordentlicher Kerl oder, in höherer Potenz, ein Schweinemichel. Du, Nero, hast deine Prügel verdient, und daß deine Strafe die Anderen mit erschreckt hat, ist heilsam für eure Erziehung. – Sie werden mir zugeben, lieber Freund,« wandte er sich an den Spanier, »daß ich nicht zu streng bin, denn ich habe diesen jungen Leuten da unten eine vortreffliche Erziehung gegeben, bin demnach berechtigt, etwas von ihnen zu verlangen. Und Ordnung muß sein. – Freue mich recht sehr,« unterbrach er freundlich den strengen Ton, mit dem er eben gesprochen, »Sie bei mir zu sehen.«

Damit warf er die Peitsche auf das Sopha, setzte sich auf die Lehne desselben und bat den langen Schreiber, den ihm wohlbekannten Armsessel einzunehmen.

Don Larioz that also, doch statt ein Gespräch zu eröffnen faltete er die Hände zusammen und blickte gedankenvoll vor sich nieder.

Der Armenarzt, nachdem er den Andern eine Zeit lang betrachtet, schüttelte lachend mit dem Kopfe und sagte alsdann:

»Sie müssen die Vorfälle des gestrigen Abends nicht so schwer nehmen. Zum Henker! es kann jedem ehrlichen Manne passiren, daß er einmal eine Nacht auf der Polizei eingesperrt wird. Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß auch ich ein Lied davon zu singen vermag, und Sie werden mir zugeben, daß ich darum nicht besser noch schlechter geworden bin. Item: den Kopf in die Höhe, und wenn Sie was zu beichten haben, frisch weg gebeichtet! – Schön zugerichtet sind Sie,« fuhr er nach einer Pause fort, da Larioz die Achseln zuckte und schwieg. »Aber das hat nichts auf sich. Haut und Fleisch erhält man umsonst wieder, sagte jener Raufbold, und daß Sie Ihr Blut wie ein biderber alter Ritter für irgend eine außergewöhnliche Unschuld vergossen haben, davon bin ich überzeugt. Aber wie zum Henker geriethen Sie denn nach Numero vier der Entenpforte?«

»Das ist eine lange Geschichte, lieber Doktor, und ich bin jetzt nicht in der Verfassung, sie Ihnen genau zu erzählen. Glauben Sie mir aber, daß ich treu dem alten bekannten Spruche blieb: Arm und Herz der Dame!«

»Ja, aber diese Dame!« lachte der Arzt; »es geht Ihnen wie in dem neuen, aber ebenso bekannten Liede:

Die Dame, die ich liebe, nenn' ich nicht.

Und Sie mögen wohl Ihre Ursache haben, sie nicht zu nennen. Freund! Freund! nehmen Sie mir es nicht übel, aber die sämmtlichen Geschichten der letzten Zeit, die Sie mir brockenweise mitgetheilt, der Bund zum Dolche Rubens, die geheimnißvolle Schöne, jetzt Entenpforte Numero vier, das alles kommt mir einigermaßen verdächtig vor, und wenn Sie auch mit gutem Glauben da hinein gehen, so fürchte ich doch, Sie sind in das Netz falscher Menschen gerathen, die Ihren, ich möchte fast sagen: kindlichen Sinn, Ihren Edelmuth mißbrauchen, wo sie können.«

»Es gibt allerdings in dieser Welt falsche und treulose Menschen genug,« gab Don Larioz nach einem tiefen Seufzer zur Antwort. »Doch glauben Sie mir, Doktor, ich halte die Augen offen, habe aber in der letzten Zeit nur einiges Unglück gehabt.« – Er faltete abermals seine Hände und ließ den Kopf auf die Brust herabsinken, während er mit leiser Stimme wiederholte: »Ja, recht viel Unglück gehabt.«

Der Armenarzt betrachtete seinen Freund mit einem fast sorgenvollen Blicke, doch klärte sich sein Gesicht zu einem Lächeln auf, als er mit Beziehung sagte: »So gewiß Sie aber der unglücklichste Ritter sind, so gewiß ist Dulcinea das schönste Weib auf Erden.«

»Das ist sie, Doktor! bei Gott, das ist sie!« gab der Spanier zur Antwort, indem er den Kopf erhob und sein trübes Auge aufflammte. »Sie ist das schönste, aber auch das jammervollste Weib auf Erden, wenn sie auch nicht gerade Dulcinea heißt.«

Als er das Letztere sprach, spielte ein unendlich glücklicher Zug um seinen Mund. Darauf fuhr er mit der Hand über die Stirn, strich sein struppiges Haar in die Höhe und sagte dann mit hellerem Tone: »Aber lassen wir das jetzt gut sein, mein lieber Freund! Es sind nicht die Vorfälle des gestrigen Abends, welche mich hieher geführt und die mir Kummer verursachen; es sind vielmehr die Vorfälle des heutigen Morgens.«

Doktor Flecker blickte den langen Schreiber erstaunt und fragend an.

»Ich erzählte Ihnen,« fuhr dieser mit seiner gewöhnlichen Ruhe fort, »von dem Briefe, den ich mich veranlaßt sah, vor einiger Zeit an meinen bisherigen Prinzipal zu schreiben; er wollte indessen meine Entlassung nicht annehmen, und so blieb ich denn in seinen Diensten bis vor einer halben Stunde.«

»Und jetzt haben Sie Ihre Schreibstube wirklich verlassen?« fragte der Armenarzt mit ernstem Blicke.

»Für immer, – nachdem ich aufs gröblichste beleidigt worden; – nachdem man mich wie einen Buben behandelt, nachdem man eine entsetzliche Beschuldigung gegen mich ausgesprochen.« – Bei diesen letzten Worten zitterte seine Stimme, und er drückte mit den Händen fast die Lehnen des Armsessels zusammen, auf welchem er saß. »Eine Beschuldigung gegen mich – Don Larioz, gegen einen Spanier von edler Familie, gegen einen Mann, der – ich kann es mit gerechtem Stolze sagen – die Treue selbst war, der seinem Herrn gedient mit besten Kräften, mit redlichem Willen, freilich nur mit der Feder, aber ohne Furcht und Tadel.«

Der Doktor ließ sich langsam von der Lehne des Sopha's auf den Sitz hinab gleiten; ja er stellte seine Pfeife in die Ecke, ehe er sagte: »Sie sehen mich aufs höchste überrascht, erstaunt. Ich verstehe in der That nicht, von welcher Art von Beschuldigung Sie eigentlich reden.«

»Mein ehemaliger Prinzipal, Doktor Plager,« versetzte der Spanier sehr gemessen und langsam, »vermißt ein Papier, das allerdings auf unerklärliche Weise verschwunden ist, ein Papier, in gewissen Händen von Wichtigkeit, mit Einem Worte: das Concept zum Testament des Grafen von Helfenberg.«

»Ah!« machte der Armenarzt.

»Was könnte mir an diesem Concepte liegen?« fuhr Don Larioz fast heftig fort. »Und doch beschuldigte er mich mit einfachen Worten, von dem Verschwinden dieses Papieres Kenntniß zu haben. Ist das nicht unerhört?«

»Das ist allerdings unerklärlich und tief verletzend für Sie. Aber Sie werden ihn mißverstanden haben; er sprach wohl im Eifer Dies und Das, und Sie, aufgeregt, wie Sie nun einmal waren, entnahmen aus seinen Worten das Schlimmste für sich.«

»Seine Worte waren klar und deutlich,« sprach Larioz, indem er die Augenbrauen finster zusammen zog; »so deutlich, daß, wenn er bei jener Scene nicht noch mein Prinzipal gewesen wäre, der überhaupt nur die Feder zu führen versteht, ich auf anderem Wege Rechenschaft und Genugthuung von ihm verlangt hätte. – Doch davon später. Glauben Sie mir, lieber Freund, ich war weder aufgeregt noch unaufmerksam. Er beschuldigte mich mit deutlichen Worten; in seinen Augen bin ich ein gewöhnlicher, ganz gemeiner Dieb.«

Der Spanier sprang so hastig in die Höhe, daß die kleinen Hunde, welche schmeichelnd näher geschlichen waren, voll Schreck unter das Bett zurückfuhren und von dort her ihren Unmuth durch lautes Gebell kund gaben; dann trat er ans Fenster, legte die Stirn an die Scheiben und blickte in den sonnigen Tag hinaus.

»Wollt ihr schweigen, verdammte Bestien!« rief der Armenarzt, der innerlich froh über diese kleine Unterbrechung war, den Thieren zu. »Wollt ihr euer Gekläffe lassen, ungeregeltes Volk! – Ja, das ist allerdings über alle Beschreibung,« wandte er sich hierauf an den langen Mann. »Da kann ich Ihnen nicht übel nehmen, wenn Sie die Schreibstube augenblicklich verließen. Aber was denken Sie von der ganzen Geschichte? Sollte das Papier in der That nicht verlegt worden sein?«

»Das ist unwahrscheinlich; wir haben auch alle Orte, wo es sein könnte, aufs Genaueste untersucht. – Daß er es in jene Mappe gelegt, und sogar in meinem Beisein, das muß ich zugeben.«

»Und kannten Sie den Inhalt des Conceptes?«

»Er theilte mir Einiges daraus mit, was aber für mich ohne alles Interesse war.«

»Waren es Legate?«

»Ich glaube so.«

»Nannte er Namen?«

»Wenn ich nicht irre, ja. Da jedoch, wie schon bemerkt, die ganze Sache für mich ohne alles Interesse war, so achtete ich nicht darauf und habe die Namen, die er mir genannt, völlig vergessen.«

Der Doktor war dicht vor seinen Freund hingetreten, hatte einen der Knöpfe von dessen Rock gefaßt und drehte ihn zwischen den Fingern, wie er zu thun pflegte, wenn er etwas sprach, wofür er große Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen wollte.

»Wenn das verlorene Concept,« sagte er, »wie Sie vorhin bemerkten, für Jemand von Interesse sein kann, so ist es nur für eine Person, die in dem Testamente bedacht war, und deßhalb wäre es von großer Wichtigkeit, wenn Sie im Stande wären, sich des Namens einer solchen Person zu entsinnen. Strengen Sie Ihr Gedächtniß an und erinnern Sie sich irgend einiger Worte des Advokaten, mit denen er Ihnen von dem Concepte redete.«

Don Larioz legte nachsinnend die Hand an die Stirn, während ihm der Doktor mit gespannter Aufmerksamkeit zuschaute und dabei sagte: »Sprach er vielleicht von lachenden Erben, von einem entfernten Verwandten oder so etwas? Besinnen Sie sich, es ist viel daran gelegen.«

»Das Einzige, was mir erinnerlich,« versetzte der Schreiber nach längerem Nachdenken, »ist, daß er von Freunden des Grafen sprach, namentlich von einem, bei dem das ausgesetzte Legat wie ein Tropfen Wasser auf den heißen Stein seiner Schulden fallen werde. – Ja, das waren seine Worte. Auch meinte er, die Legatarien würden viel darum geben, wenn sie von den Legaten Kenntniß erhalten könnten.«

»Nannte er die Namen Fremont oder Tondern?« fragte hastig der Armenarzt.

»Ich glaube wahrhaftig, das waren die beiden Namen, die er genannt,« gab der Andere eifrig zur Antwort.

»Oh, oh,« rief der Doktor, indem er den Knopf seines Freundes losließ, hastig im Zimmer auf und ab schritt und mit den Händen gestikulirte wie Jemand, der seine Augen zu Hülfe nimmt, um sich eine Sache, über welche er nachdenkt, zurecht zu legen und klar zu machen. »Ja, ja, Tondern und Fremont,« murmelte er; »die Beiden waren an jenem Abende auch da; ich sah wohl ihre seltsamen Gesichter, als sich das Testament als ein mystisches erwies. – Dieser Tondern, ein lockerer Geselle, ein anrüchiger Charakter, das weiß Niemand besser als ich. Wo habe ich ihn doch neulich gesehen? – Richtig! bei einem Polen, zu dem man mich rief. Ja, bei jenem Polen, der ein ebenso verdächtiger Kerl ist wie der Herr von Tondern. – Gleich und gleich gesellt sich gern; das kann mir Niemand abstreiten. – Apropos,« wandte er sich an Don Larioz, indem er plötzlich vor demselben stehen blieb, »Sie haben doch gewiß von einem Grafen Czrabowski gehört?«

»Ob ich von ihm gehört habe!« antwortete lächelnd der Spanier.

»Dieser sogenannte Graf ist ein Bekannter des Herrn von Tondern und soll ja, wie man hört, die Schwägerin Ihres früheren Prinzipals heirathen. Sie werden mir zugeben, lieber Freund, daß das ein kleiner Lichtstrahl ist.«

»Eine ganze Illumination,« sagte feierlich der lange Schreiber, während er seine Hand gewichtig auf den Arm des kleinen Arztes legte. »Dieser Czrabowski ist es, auf den mein Verdacht fiel, ehe ich noch wußte, daß er mit Leuten wie Herr von Tondern, die im Testamente bedacht sind, in Verbindung stehe. Sie wissen, unsere Bureaux sind gut verschlossen, ein Einbruch hätte bemerkt werden müssen, und was soll auch ein gewöhnlicher Dieb mit den Papieren machen? Dieser Czrabowski aber,« sagte er in sehr langsamem und gewichtigem Tone, »war an mehreren Abenden in der Schreibstube des Doktor Plager unter Umständen, welche ihm gestatteten, ein ganzes Dutzend Concepte mit gehöriger Ruhe auszusuchen und zu sich zu stecken.«

»Der Teufel!« sagte erstaunt der Armenarzt. »Woher wissen Sie das?«

»Ich weiß es und kann es nöthigenfalls beweisen,« erwiderte Larioz mit einem Ausdrucke, der dem Anderen deutlich sagte, er könne oder wolle sich jetzt nicht näher erklären.

»Sie werden mir zugeben, lieber Freund!« rief der Doktor händereibend aus, »daß uns das in diesem Labyrinthe vor uns einen festen Faden in die Hand gibt. Lassen Sie mich ihn ergreifen, und ich getraue mir fast einen Ausweg zu finden. Nicht wahr, Sie wollen mich gewähren lassen?«

Der Spanier nickte mit dem Kopfe.

»Was Ihre anderen Sachen anbelangt,« fuhr der kleine Doktor launig fort, »so folgen Sie meinem Rath und bemühen sich, die Dinge um sich her mit nüchternen Blicken zu betrachten. Ihr Streben, den Unglücklichen zu helfen, den Bedrängten beizustehen, ist jedenfalls sehr lobenswerth; doch beherzigen Sie die alten vortrefflichen Sprichwörter: Was dich nicht brennt, das blase nicht – kehre vor deiner eigenen Thür, und wo es dich nicht juckt, da kratze auch nicht. Es gibt viele Menschen, die wollen gar nicht, daß man ihnen hilft; auch ist die Zeit vorüber, wo Sie auf das Geschrei einer Jungfrau, die eingeschlossen in ihrem Kämmerlein sitzt, mit Schild und Schwert herbeieilen können, um ihre Verfolger zu Boden zu werfen. Leider gibt es in unseren verderbten Tagen bedrängte Damen genug, denen es gar nicht lieb ist, wenn man sie aus ihrer Bedrängniß errettet, und die dem Helfer des Teufels Dank dafür wissen. Geben Sie mir zu, daß ich in diesen Punkten Recht habe, und lassen Sie sich auch nicht so tief mit jener Rotte Korah ein, die im Reibstein ihr Wesen treibt.«

Don Larioz schaute mit einem schwärmerischen Blicke zum Fenster hinaus, und ein mitleidiges Lächeln spielte über seine Lippen, als der Andere so sprach. – »Sie sind eine andere Natur, lieber Doktor,« gab er alsdann zur Antwort, »und verstehen den Drang nicht, der in der Brust eines ritterlichen Mannes liegt, den Bedrängten und Hülflosen beizustehen, wo es möglich ist – oder, um mich anders auszudrücken, Sie verstehen diesen Drang wohl, wenden ihn aber auf Ihre eigene Art an. Auch Sie suchen ja Nothleidende und Kranke auf, pflegen sie, lindern ihre Leiden und thun dasselbe, was auch ich mir zum Lebensziel vorgesteckt, nur mit andern Mitteln. Sie heilen mit zarten Salben und milden Latwergen, Sie bekümmern sich um die Wirkungen – ich habe es mit den niederträchtigen Ursachen zu thun; Sie spenden den Bedrängten Trost, ich suche den Bedränger selbst zu vernichten, und dabei ist Ihr Streben gewiß nicht minder groß und edel als das meinige. Ich habe schon oft gedacht,« setzte er mit einem Seufzer hinzu, »ob es nicht bester wäre, in Ihre Fußstapfen zu treten und, über Ihr Wirken noch hinaus gehend, mich als büßender Bruder und Krankenwärter in irgend ein Lazareth aufnehmen zu lassen. Auch das wäre eine herrliche Bestimmung, ein schöner Beruf, in dem man viel Gutes stiften könnte.« –

Als der Spanier so sprach, blitzte sein Auge, und er blickte mit einem unbeschreiblich gutmüthigen Ausdrucke über Dächer und Schornsteine hinweg in die weite blaue Ferne, wobei er dann nicht bemerkte, daß ihn der Doktor fast wehmüthig ansah und mitleidig den Kopf schüttelte. – »Leider kann ich ja nicht zu Pferde,« fuhr er fort, »wie ich wohl möchte, mit Schild und Lanze, tapfer zerhauen all die Ketten und Bande, womit ein Mensch den anderen zu knechten sucht.«

»Das können Sie in der That nicht,« entgegnete der Armenarzt. »Darum ist es vor der Hand besser, Alles beim Alten zu lassen, und wenn Sie mir wohl erlauben, zu bemerken, daß es überhaupt thunlich ist, die Träumereien zu lassen und uns mit der reellen Gegenwart zu beschäftigen, so werden Sie mir auch Recht geben, wenn ich Ihnen als Arzt sage, daß es nicht übel wäre, Ihr zerschundenes Gesicht hier und da mit Bleiwasser anzufeuchten. Auch wird ein fleischfarbenes englisches Pflaster auf Ihrer bläulichen Nase von sehr gutem Effekt sein. Was die Geschichte mit dem verlorenen Concept anbelangt, so macht es mir Freude, dieselbe in die Hand zu nehmen; es ist mir gerade, als kämen wir da an ein ganzes Nest von Schlechtigkeiten. Ich will es aufsuchen und, wenn ich es gefunden, Sie zur Bestrafung der Schuldigen herbeirufen.«

»Ohne Schonung!« murmelte der Spanier, und darauf biß er die Zähne fest auf einander.

»Wer weiß,« sagte der Doktor, »ob Sie im Verlaufe dieser Geschichte nicht sogar Ihren langen Stoßdegen gebrauchen können!«

»Das bewillige mir Gott und San Jago!«

Beide schüttelten sich die Hände und Don Larioz verließ das Zimmer.


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