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Der Spanier hatte sich wieder auf seinen Stuhl niedergelassen, und Kathinka Schneller, die timt zurückkam, setzte sich auf das Sopha ziemlich nahe an seine Seite. Sie hatte die Guitarre neben sich gelegt, so daß sie mit den Fingern die Saiten erreichen konnte.
»Sie werden mir verzeihen, mein verehrtes Fräulein,« sagte Don Larioz nach einer Pause, »daß ich es gewagt habe, Sie in Ihrem Hause aufzusuchen; aber es geschah das nur auf Veranlassung einiger freundlichen Zeilen, die ich von lieber Hand erhalten.«
»Ach ja! von der armen Dolores,« erwiderte das Mädchen mit einem Seufzer, wobei sie den Kopf auf die Seite neigte und ihren Nachbar schmachtend ansah. – »Die arme Dolores!«
»Dolores,« sprach der lange Mann mit großem Ernste, »ist ein sehr unglückliches Wesen, oder alle Zeichen müßten mich trügen. Ja, so unglücklich, daß, wenn sie auch nicht Ihre Freundin wäre, doch in Ihrer Brust, mein Fräulein, das regste Mitgefühl für dieselbe auftauchen müßte.«
Kathinka wollte antworten, doch berührte der Spanier mit den Fingerspitzen leicht und respektvoll ihren Arm und fuhr fort: »Verzeihen Sie, mein Fräulein! Ehe Sie mir Ihre schätzbaren Mittheilungen machen, werden Sie mir ein paar Fragen erlauben. – Ist es schon lange her, daß Sie Dolores kennen?«
»So lange sie dort ist.«
»Bei diesen Gebrüdern Breiberg?«
Sie nicke mit dem Kopfe.
»Und auf welche Weise kam die unglückliche Spanierin ins Haus?«
Das junge Mädchen blicke ihn verwundert an.
»Die unglückliche Spanierin!« wiederholte er; »sie ist doch eine Spanierin?«
»Ganz genau kann ich das nicht sagen,« erwiderte Kathinka nach einigem Besinnen. »Ich habe Dolores immer für eine Französin gehalten; daß sie wenigstens von Paris hieher kam, weiß ich ganz genau.
Und sie wurde sehr heimlich ins Haus der Gebrüder Breiberg gebracht? Wenigstens scheint das so der Fall zu sein, denn es hat sie wohl Niemand ankommen sehen; auch würde sie sich wohl nicht so in ihr hartes Schicksal gefügt haben, wenn sie Gelegenheit gehabt hättet die Hülfe guter Menschen anzusprechen.
»Ja, jetzt fällt es mir ein,« versetzte Kathinka mit einem leichten Lächeln auf ihren Zügen; »Sie – haben vollkommen Recht, sie wurde aufs allerheimlichste ins Haus gebracht, es sah Niemand auch nur ihre Nasenspitze; ich glaube, man brachte sie in so einer Art von Kasten.«.
»In einem Kasten!« rief Don Larioz. mit Entrüstung, wobei sich seine Augenbrauen hoch empor hoben. »Sie meinen vielleicht in einer Sänfte?«
»Ja, es wird wohl eine Sänfte gewesen sein; aber ich weiß das nicht so genau, da ja Niemand außer den Gebrüdern Breiberg bei ihrer Ankunft zugegen war.
»Dieses scheue Wesen sieht den Menschen ähnlich. Und wann sahen Sie dieselbe zum ersten Male?«
»Lassen Sie mich nachrechnen,« entgegnete Kathinka, die auf so detaillirte Fragen nicht gefaßt schien. – »Richtig, es kann jetzt ein halbes Jahr sein, da kam ich ins Atelier und blickte neugierig hinter die spanische Wand –«
»Gerade wie ich!« seufzte der Spanier.
»Und sah etwas mit einem grauen Schleier umhüllt. Auf meine Frage an Herrn Jean Baptist Breiberg, was das sei, gab er mir in seiner groben Manier zur Antwort, – das sei ein neumodischer Kleiderständer. Ich glaubte ihm aber nicht, denn es war mir, als habe ich etwas unter dem grauen Schleier sich bewegen sehen. Nun war, wie. Sie sich wohl denken können, meine Neugierde rege, und als. ich eines Tages allein im Atelier war, schlich ich mich hinter die spanische Wand und sah zu meiner größten Ueberraschung –«
»Die unglückliche Dolores!« rief Don Larioz schmerzlich aus. »Gerade so ist es mir ergangen. – Im reichen spanischen Costüm, den stammenden Blick auf Sie gerichtet –«
»Ja, es war so, ihr Costüm war sehr schön.«
»Das hat Sie am meisten interessirt?« sprach der lange Spanier, mit einem schmerzlichen Lächeln. »Ich sah nur das glänzende Auge und das wunderbar schwarze Haar. O Dolores! Du trägst deinen Namen nicht mit Unrecht, armes, isoliertes Mädchen-! – Doch! Weiter!« fuhr er nach einem augenblicklichen Hinbrüten fort, indem er sich männlich wieder zusammenraffte. »Und darauf sprach sie mit Ihnen?«
»Wenig, so gut wie gar nichts Sie mußte mich für eine Freundin der Breibergs halten und war längere Zeit vollkommen stumm. – Namentlich,« setzte das schlaue Mädchen hinzu, alle weiteren Fragen darüber abzubrechen, was ihre Herkunft und ihre früheren Schicksale anbelangt.«
»Und war sie sehr traurig?«
Natürlich, und nicht ohne Ursache So immer eingesperrt zu sein, Niemand zu sehen als diese Breibergs, und – ich kann es Ihnen wohl gestehen – Mißhandlungen aller Art standhaft zu ertragen –!«
Die Augen des Spaniers funkelten.
»Ja, standhaft, denn Dolores ist das bravste und rechtschaffenste Geschöpf, welches ich je in meinem Leben gesehen. Weder Drohungen noch Bitten, weder Mißhandlungen noch Versprechen vermochten sie bis jetzt zu erschüttern. Das weiß ich ganz genau. Ihr Herz ist rein wie das eines Engels; und welches Herz das sein muß, welche Standhaftigkeit sie besitzt, können Sie sich selbst denken. So ein armes, wehrloses Geschöpf, von zwei gewaltthätigen Brüdern gefangen gehalten, und doch nicht nachgeben, dazu gehört mehr, als jede Andere zu leisten Im Stande wäre.«
Fräulein Schneller schaute Don Larioz abermals mit einem schmachtenden Blicke an, den dieser aber durchaus nicht bemerkte; denn unfähig bei diesen entsetzlichen Mittheilungen ruhig zu bleiben, war er aufgesprungen und durchmaß das Zimmer mit raschen Schritten. Doch setzte er sich bald wieder an die Seite des jungen Mädchens, legte dieses Mal seine ganze Hand auf ihren Arm, drückte ihn leicht und sagte dann mit bewegter Stimme:
»Wie danke ich Ihnen, mein Fräulein, für Ihre gütigen Mittheilungen! Seien Sie aber versichert, Sie, die Dolores lieben und jedenfalls wieder von ihr geliebt werden, daß Sie Ihr Vertrauen Jemand geschenkt, der Alles aufbieten wird, um das unglückliche Mädchen aus den Klauen jener Barbaren zu retten.«
»Darauf hofft sie,« erwiderte Kathinka Schneller, indem sie, ungesehen von ihrem Nachbar, ein leichtes Gähnen unterdrückte.
»Unglückliches Mädchen!« sprach Don Larioz düster vor sich hin.
»Und doch wieder glücklich,« versetzte Fräulein Schneller mit einem leichten Seufzer, indem sie näher zu dem Spanier hinrückte. »O, so geliebt zu werden, wie Dolores es von Ihnen ist, – was ertrüge man nicht dafür in dieser verdorbenen Welt, wo so wenig wahre Liebe zu finden ist!«
»Und denkt, sie meiner mit einigem Interesse?« fragte der Spanier, und in seinem Auge blitzte es lebhaft auf.
»Mit Interesse?« versetzte das junge Mädchen; »nur mit Interesse? O , ich will es nicht vergessen! Als ich sie zum letzten Male sah, da lehnte sie den Kopf an meine Brust – so ungefähr–«
Während Kathinka das sprach, drängte sie sich dicht an ihren Nachbar, drückte ihr blondes Haar an seine Schulter und schaute ihm von unten herauf lächelnd in die Augen; ihre sonst etwas bleichen Züge waren sanft geröthet, und ihre Blicke glänzten.
»Ja,« fuhr sie mit weicher Stimme fort, »Sie haben einen unauslöschlichen Eindruck auf das Herz der armen Dolores gemacht; und ich finde das begreiflich, sehr begreiflich. Erinnern Sie sich noch des Tages,« sprach sie mit einem schalkhaften Lächeln, wobei sie ihre Hand erhob und leicht damit über das struppige Haar des Spaniers fuhr, »erinnern Sie sich noch jenes Tages, als ich Ihnen an der Thür der Wohnung der Gebrüder Breiberg begegnete? Damals hatten Sie Dolores noch nicht gesehen,« setzte sie mit einem tiefen Seufzer hinzu; »damals betrachtete ich Sie aufmerksam, und es war mir sonderbar zu Muth; ich sagte zum Andreas: – aber was bin ich kindisch,« unterbrach sie sich selber, »solches Zeug vor Ihnen zu sprechen! Nein, nein, was werden Sie von mir denken? ich muß mich wahrhaftig von Ihnen entfernen.«
Das that sie denn auch, indem sie den Oberkörper von Larioz wegbog, aber nur eine Sekunde lang, denn gleich darauf schnellte sie noch dichter zu ihm hin, lehnte sich sanft an seine Brust und sprach mit einem verführerischen Lächeln: »Und warum soll ich es nicht sagen? Es ist ja keine Gefahr dabei, Sie lieben ja doch eine Andere.«
»Ja, ich liebe eine Andere,« entgegnete ernst Don Larioz, wobei freilich sein Blick etwas Starres hatte, er aber dennoch versuchte, ein wenig auf die Seite zu rücken, da es ihm eine seltsame Empfindung verursachte, den warmen Körper des jungen Mädchens an seiner Brust zu fühlen. »Ja, ich liebe eine Andere,« wiederholte er, »fest, treu, unerschütterlich, wie es einem spanischen Edelmanne geziemt.«
»Ach, er liebt eine Andere!« sagte traurig Kathinka Schneller, indem sie den Kopf einen Moment abwandte und zu gleicher Zeit mit der Hand an ihre Augen fuhr.
»Ich liebe eine Ihrer Freundinnen,« sagte der Spanier, und während er das letzte Wort stark betonte, machte er einen abermaligen Versuch, sich etwas aus ihrer gefährlichen Nähe zu entfernen.
Doch hatte sich Kathinka zu fest an ihn hingedrängt und er befürchtete nicht mit Unrecht, daß, wenn er sich etwas zu gewaltsam erheben würde, ihm das Mädchen noch näher käme, wenn er sie nicht vielleicht unsanft von sich abschütteln wollte. Und Letzteres hatte er doch nicht Lust zu thun. Wohl sah er mit Schrecken, daß sie offenbar ein etwas allzu warmes Interesse an ihm nehme. Sollte er deßhalb hart gegen sie sein? Nein, ihn dauerte der Zustand des jungen, gewiß so unschuldigen Mädchens, und während er sich mit Ernst und Würde in seiner musterhaften Haltung behauptete, blickte er zuweilen verstohlen nach dem Vorhange, ob sich dort nicht vielleicht die Mutter dieses unvorsichtigen Kindes sehen lasse, was ihm, obgleich er vollkommen ohne Tadel war, doch nicht angenehm gewesen wäre.
»Und doch, ich will Ihnen sagen, was ich dachte,« sprach Kathinka Schneller, indem sie seine langen, dürren Finger ergriff und sie betrachtete. »Wissen Sie, wenn man, wie wir, so viel mit der Kunst umgeht, so wird man selbst für die Poesie empfänglich und denkt auch oft im wirklichen Leben daran. Im Atelier der Herren Breiberg hatte ich viele schöne Bilder gesehen, Ritter in Kampf und Sieg, oder auch zu den Füßen ihrer Damen, hohe Heldengestalten mit aufwärts gedrehten Bärten und glänzenden Augen – ach, so feurige Augen,« fuhr sie fort und hielt ihre Hand zwischen ihm und sich, die seinigen verdeckend, »die man nicht ertragen kann. Und als ich noch daran dachte und mit Andreas darüber sprach, wie es so schade sei, daß das Geschlecht der Helden so gänzlich anfange bei uns zu fehlen, da erschienen Sie, und Andreas kann mir bezeugen, wie ich zusammen fuhr und zu ihm sagte: Schaut, das ist ein Ritter! Gebt ihm Schild und Lanze in die Hand, und er wird so schön sein., wie man in Bildern, selbst auf dem Theater nichts Schöneres sehen kann. – Ach, wie glücklich Dolores ist!«
»Nennen wir Dolores nicht glücklich,« sprach Don Larioz mit sanfter Stimme. Und dabei betrachtete er mit einem unverkennbaren freundschaftlichen Interesse das junge Mädchen, welches jetzt die Augen niederschlug und sich ihrer Worte zu schämen schien. »Nennen wir sie nicht glücklich, denn sie ist gefesselt, von der Willkür roher Menschen bedroht, während wir uns der goldenen Freiheit freuen.«
»O, sie ist glücklich!« rief Kathinka Schneller mit einem Anflug von Begeisterung, »sie liebt und wird wieder geliebt; sie liebt eine interessante und ritterliche Persönlichkeit, und diese ritterliche Persönlichkeit will das Leben daran setzen, sie zu befreien. Kann man ein glücklicheres Loos haben als sie?«
»Ich will allerdings zugeben,« entgegnete der Spanier, »daß es Dolores vielleicht ein nicht unangenehmes Gefühl verursacht, wenn sie erfährt, daß ein Mann, der sie liebt, die feste Absicht hat, für sie nicht nur in den Kampf zu gehen, sondern auch, wenn es nöthig wäre, den Tod für sie zu erleiden.«
»Und alles das für sie, für sie allein!« rief schmerzlich das junge Mädchen an der Seite des langen Mannes. »O, Himmel! nur für sie allein! Glückliche Dolores! – Wie kann man so edel sein und doch, ein so hartes Herz besitzen?« sagte sie nach einem augenblicklichen Stillschweigen, wobei sie den Kopf etwas zurückbog, um sein Gesicht in gehöriger Entfernung zu betrachten.
Und dieses Gesicht zeigte vollkommen die Größe und Ruhe seiner erhabenen Seele. Sein Mund war etwas zusammengezogen, wodurch die Spitzen des Schnurrbartes sich einander näherten; dabei hing seine Unterlippe, wenn auch unbedeutend, herab, und seine Augenbrauen waren wie vor Verwunderung hoch emporgezogen.
»Ja,« fuhr Kathinka heftig, fort, »sie soll Alles haben, für sie soll Alles geschehen. O, grausamer Ritter meiner Träume! Was würde für mich gethan, wenn ich in Ketten und Banden schmachtete? wenn auch ich der Willkür böser Menschen Preis gegeben wäre? Ja, für mich gethan? – Für mich, welche dich – o, welche Sie, wollte ich sagen, inniger liebt als jene Dolores, die Sie ja nur ein einziges Mal sah, die nie das Glück hatte, Sie zu sprechen. Nicht wahr, an meinem Elend würde man kalt vorüber gehen? Für mich würde man nicht das Schwert ziehen, für mich nicht in den Kampf gehen, noch viel weniger den Tod erleiden wollen? – O, ich Unglückliche! warum habe ich alles das gesagt?«
Während sie diese Worte sprach, hatte sie sich langsam erhoben und machte eine Bewegung, als wolle sie dem gefährlichen Manne an ihrer Seite entfliehen. Doch schien die Leidenschaft sie zu überwältigen, sie verließ ihren Sitz auf dem Sopha und sank mit einem leisen Ach! noch inniger an seine Brust als früher.
Don Larioz war in Wahrheit aufs tiefste gerührt von dem offenherzigen und leidenschaftlichen Bekenntnisse des jungen Mädchens. Wohl hatte er bemerkt, daß sie ihn damals an der Thür mit einem forschenden Blick angeschaut, aber er hatte nicht im Entferntesten glauben können, daß sein Anblick einen solchen Eindruck auf ihr unschuldiges Herz machen würde. Er fühlte sich von Mitleid bewegt, aufs tiefste ergriffen, und konnte es kaum über sich gewinnen, ihre Hände zu lösen und ihre Arme sanft von seinem Halse zu entfernen, an welchem sie sich, wie einer Ohnmacht nahe, festgeklammert hielt.
Kathinka, öffnete die halb geschlossenen Augen und sagte mit einem leisen Seufzer, wobei ihre Stimme außerordentlich weiche ja, schmelzend klang: »Nicht wahr, für mich würde nicht der hundertste Theil von dem geschehen, was man für Dolores thun wird?«
»Glauben Sie das nicht, hochgeehrtes Fräulein,« versicherte eifrig Don Larioz. »Verfügen Sie über meine Dienste, wenn Sie solche brauchen können, und Sie werden sehen, daß ein edler Spanier nie gezögert hat, einer Hülflosen, einer Bedrängten beizustehen. Aber – «
»O, ich verstehe dieses Aber!« rief sie schmerzvoll aus. »Nur. Ihr Edelmuth würde Sie zu meiner Hülfe herbei ziehen; Ihr Herz bliebe kalt bei meinem Jammer, und wenn Sie mich zu Ihren Füßen sterben sähen, so würde doch das Wort Liebe nie von Ihren Lippen tönen.«
Der lange Mann kämpfte einen schweren Kampf; er blicke mit dem innigsten Mitgefühl auf das arme, unschuldige Mädchen herab, das jetzt, wie sich seiner eigenen Bekenntnisse schämend, das sanft geröthete Gesicht in den Händen verbarg. – Aber er dachte an Dolores, die unglückliche Gefangene, die er liebte, die er zu seiner Dame erkoren, für die er sich selbst sein ritterliches Wort gegeben, ihr unerschütterlich treu anzugehören; er sah vor sich die bleichen Züge der Spanierin, das seelenvolle, glänzende Auge; seiner Brust entrang sich ein tiefer Seufzer, und er machte den Versuch, Kathinka Schneller sanft von sich zu schieben.
Sie erhob den Kopf aus ihren Händen, sie schaute ihn mit einem stehenden Blicke an, sie sagte mit bebender Stimme: »So ist denn nichts im Stande, dein Herz zu rühren, du harter Mann? Du siehst meine Liebe und flößest mich dennoch zurück? – Wehe, wehe!«
Larioz war groß in diesem Augenblicke; er raffte sich ernst und streng zusammen, seine Brust war von einem tiefen Athemzuge geschwellt, er schob das schluchzende Mädchen nun wirklich sanft bei Seite, dann blickte er in die Höhe und sprach: »Vermögen wir es, unserem Herzen zu gebieten? Nein, gewiß nicht; wir können einer Zweiten Liebe heucheln, aber dieselbe doch nicht wahr empfinden. Lassen Sie von mir ab, gutes Mädchen; Sie werden mir ansehen, wie sehr mich Ihr Jammer rührt; aber glauben Sie meiner Versicherung, daß er nicht mein Herz umwandeln kann. Ich will ihr dienen, ich will ihr Retter sein; ich will den Versuch machen, sie aus Ketten und Banden zu erlösen, hoffend auf einen süßen Lohn, wenn es mir gelingt, will aber auch im anderen Falle ohne Murren untergehen, und sollte mich bei diesem Wagestück der Tod ereilen, so seien Sie überzeugt, daß mein letztes Wort sein wird: Sie war meine erste und einzige Liebe – Dolores, das schönste Weib der Erde!«
»Ha, Barbar!« rief das schrecklich enttäuschte Mädchen aus und stürzte zurück auf das Sopha, wobei ihre Finger krampfhaft die Saiten der Guitarre erfaßten und denselben einige schrille Töne entlockten. Gleich darauf fuhr sie empor, strich ihr blondes Haar von den Schläfen zurück und schien angstvoll zu lauschen.
Der Spanier, mit sich selbst zufrieden, konnte nicht darauf achten, da seine leuchtenden Blicke sich nach oben gerichtet hatten und er angelegentlich die Zimmerdecke betrachtete, in deren Mitte ein ziemlich schlecht gemalter Amor beständig im Begriffe war, auf jeden seinen Pfeil loszulassen, der ihn zufällig anschaute.
Jetzt ergriff ihn Kathinka Schneller hastig beim Arm, rüttelte ihn, bis er aus seiner Verzückung wieder zu sich kam, und sagte dann, indem sie mit ängstlicher Geberde nach der Thür wies: »Horch, haben Sie gehört?«
Obgleich Don Larioz in der That bis jetzt nichts vernommen, blickte er doch ebenfalls nach der Thür, von welcher her er nun auf einmal eine polternde Männerstimme hörte, die ziemlich deutlich sagte: »Mir macht man nichts weis, sie ist da drinnen; ich habe ihre Stimme gehört. Hölle und Teufel! Ich möchte darauf schwören, daß ich mich nicht irre, wenn ich sage, sie hat dort so eben mit einem Manne gesprochen. – Ah, die Verrätherin!«
Jetzt vernahm man auch die Stimme der Fräulein Stöpsel, welche antwortete: »Wo denken Sie hin? Kathinka ist hinauf, gegangen; es ist gewiß Niemand im Zimmer; nicht einmal Licht, darauf können Sie sich verlassen.«
»Und Lichterschein habe ich doch gesehen,« fuhr die Stimme fort. »Sie vergessen, daß draußen ein Spalt im Laden ist. Ah, ich werde keine Schonung kennen. Sterben muß die Treulose und mit ihr der Verräther! Rache, Rache!«
Kathinka hatte sich bei den letzten Worten, welche man von draußen gehört, vom Sopha erhoben, ohne den Arm des Spaniers los zu lassen, und zu gleicher Zeit das Licht ausgelöscht. Geräuschlos wandte sie sich um den Tisch herum und zog dann den langen Mann, der nicht wußte, was das alles bedeuten sollte, so kräftig sie konnte, mit sich fort. Er folgte ihr, obgleich widerstrebend, und wagte nicht zu sprechen, denn bei dem ersten Versuche, den er hierzu gemacht, hatte sie ihm die Hand auf den Mund gedrückt. Halb zog sie ihn, halb folgte er ihr freiwillig, mit der einen Hand um sich tappend, und fühlte nach kurzer Zeit, daß sie den Vorhang erreicht, der sich im Hintergründe des Zimmers befand.
Dahinter öffnete das Mädchen leise eine Thür, zog ihn hindurch, und erst als er vernahm, daß das Schloß hinter ihm wieder einschnappte, that sie einen tiefen Athemzug und sagte: »Der Gefahr wären wir jetzt entflohen.«
Worauf Don Larioz mit großem Ernste erwiderte: »Es ist das erste Mal, mein Fräulein, daß ich vor einer Gefahr fliehe; auch muß ich um eine Erklärung bitten, wenn ich mich nicht veranlaßt sehen soll, augenblicklich in jenes Zimmer zurückzukehren.«
»Beruhigen Sie sich,« antwortete sie mit einer Stimme, die noch immer vor Aengstlichkeit zu zittern schien. »Daß Sie geflohen, geschah ja in meinem Interesse, und ich danke Ihnen herzlich dafür. Sie haben doch jene schreckliche Stimme gehört?«
»Allerdings habe ich sie gehört, und wer ist jener Mann?«
»O Gott, es ist mein Verlobter!« jammerte das unglückliche Geschöpf. »Es ist ein Mensch, dem meine Hand zu reichen man mich zwingen will; ein Mann, der mir früher gleichgültig war, der mir aber seit jenem unglücklichen Tage – o, ich brauche Ihnen diesen Tag nicht näher zu bezeichnen! – verhaßter geworden ist, als irgend etwas auf dieser Welt.«
»Und Sie ließen sich seine Bewerbungen gefallen? Sie erklärten nicht offen Ihre Abneigung und Ihren Haß?«
»Konnte ich das, da er mir früher nur gleichgültig war? O, Sie machen mich grenzenlos unglücklich. Meine Mutter wünscht diese Verbindung, mein Verlobter ist entsetzlich eifersüchtig, und wenn er wirklich Ihre Stimme gehört, so könnte es ein großes Unglück geben. Sie sehen deßhalb wohl, daß Sie mir zu Liebe fliehen mußten; er würde Sie ermordet haben, wenn er Sie gesehen hätte.«
»Ich stelle meinen Mann,« versetzte ruhig der Spanier, »und wenn das Ihr einziges Bedenken ist, so lassen Sie uns getrost zurückkehren, und was mich hieher geführt, will ich ihm alsdann sagen. Natürlicherweise, soweit ich das thun kann, ohne Dolores zu compromittiren.«
»Und Sie meinen, er würde Ihnen glauben?« sagte sie mit einem krampfhaften Lachen. »O, da kennen Sie diesen wilden Menschen nicht! Aber,« setzte sie schluchzend hinzu, »ich weiß ja wohl, daß Ihnen an mir nichts gelegen ist. So gehen Sie denn hinein, messen Sie Ihre Kraft mit der seinigen, und wenn Sie unterliegen oder ihn bewältigen, – ich werde unglücklich sein; denn morgen wird er wieder kommen, und ich bin dann ohne Schutz und Hülfe seiner Willkür Preis gegeben. – – Horchen Sie!«
Und wieder vernahm man die polternde Stimme, diesmal aber im anstoßenden Zimmer.
»Da will ich ein Narr werden,« tönte sie, »wenn hier auf dem Sopha nicht Jemand gesessen. Die Stelle ist noch warm, hol' mich der Teufel! Und auch auf dem Stuhl war Jemand. Ach, Kathinka! du kannst dich freuen, wenn ich finde, daß du mich wirklich verrathen!«
»Seien Sie doch nicht so thöricht!« hörte man Fräulein Stöpsel sagen; »ich versichere Sie, Kathinka ist oben und wird gleich herunter kommen.«
»Wie habe ich dieses Mädchen geliebt!« klagte nun die polternde Stimme. »Wie hätte ich auf ihre Tugend und Unschuld geschworen! Einer von den verruchten Malern wird bei ihr sein. Oder am Ende gar jener lange Kerl, der wie eine Vogelscheuche aussieht und sich in neuerer Zeit in der Nähe des Burgplatzes herum treibt. – Ja, jetzt erinnere ich mich, den man heute Abends in der Entenpforte gesehen haben will. Lassen Sie mich! Blut muß fließen, ihr Blut! ha! die Falsche soll erbleichen! – Erblei – chen – chen – chen!«
Es war, als knirsche der Sprecher mit den Zähnen.
Als derselbe von dem langen Kerl gesprochen und sogar von der Vogelscheuche, hatte den Spanier durchzuckt, und er wäre vielleicht umgekehrt, wenn ihn Kathinka nicht kräftig am Arme gehalten hätte.
»So soll ich vollkommen unglücklich werden?« klagte sie. »Und doch ist es am Ende ja gleichgültig; zerrissen ist mein Herz ohnedies, so mag es in Gottes Namen brechen.«
»Nein, es soll nicht brechen,« sagte ernst Don Larioz. »Fern sei es von mir, das Unglück einer Dame herbeiführen, zu wollen. So will ich mich denn erniedrigen, ich will zum ersten Male in meinem Leben fliehen.«
»Die Hausthür habe ich verschlossen,« brüllte die Stimme, »und alle Zimmer will ich durchsuchen.«
»Hören Sie?« flüsterte das Mädchen in höchster Angst; »an Entfliehen ist nicht mehr zu denken; ich muß Sie verstecken. – Aber es gibt noch ein Mittel, mich zu retten,« fuhr sie fort, indem sie Larioz von der Thür, wo sie standen, hinwegzog. »Entsagen Sie Dolores, erwiedern Sie meine Liebe, und ich will vor jenen Wüthenden hintreten, will ihm das ohne Furcht erklären, und damit entreißen Sie ihm seine Rechte auf mich; es ist dann Ihnen gegeben, mich zu vertheidigen, mich vor seiner Rache in Schutz zu nehmen.«
»Lassen Sie ab von mir, Kathinka,« gab Larioz traurig zur Antwort; , »ich will fliehen, um Sie zu retten, und thue damit, was ich für keinen Menschen thun würde. Aber soll ich es Ihnen noch hundert Mal wiederholen, daß mein Herz nur ihr gehört, soll ich Ihnen nochmals wehe thun, indem ich Ihnen sage, daß Dolores, das schönste Weib der Erde, meine Liebe besitzt? O, glauben Sie mir, schonen Sie mich!«
Sie standen jetzt in einem engen, dunkeln und kalten Gange; vor sich in der Höhe bemerkte der Spanier etwas wie eine Fensteröffnung; er sah dort einen ungewissen Schein.
Man hörte die Stimme des Wüthenden im Zimmer brüllen, auch polterte es dort, als werfe er Stühle durch einander.
»So muß ich Sie denn an einem sicheren Orte verstecken,« sagte Kathinka Schneller, »bis er sich entfernt hat. O, grausamer Mann! so ist also nichts im Stande, Ihr Herz zu rühren?«
Das einzige Wort, welches Don Larioz hierauf zur Antwort gab, war: »Dolores!« worauf er einen wahrhaft herzbrechenden Seufzer vernahm und sich alsdann bis zum Ende des Ganges fortgezogen fühlte.
Um das junge Mädchen zu retten, schien es jetzt die höchste Zeit zu sein, denn schon hörte man, wie die Thür hinter dem Vorhänge geöffnet wurde, bemerke auch sogar einen schwachen Lichterschein.
»Geschwind! geschwind! um des Himmels willen!« flehte sie.
Das Ende des Ganges war erreicht, und links von der Mauer befand sich eine kaum vier Fuß hohe Thür, die das Mädchen hastig öffnete und den langen Mann bat, dort einzutreten.
»Sie müssen sich etwas bücken,« flüsterte sie kaum hörbar mit angstvoller Stimme. »Sobald der Wüthende fort ist, komme ich, um Sie augenblicklich in Kenntniß zu setzen. O, möchten sich doch während der Zeit Ihre Gesinnungen ändern!«
Nie! dachte der treue Spanier. Und nun tappte er mit den Händen vor sich hin, um die Oeffnung des Versteckes zu finden; doch fand er die Thür zu demselben so niedrig, daß er sich bedeutend bücken mußte, um hinein zu gelangen.
»Schieben Sie von innen den Riegel vor,« sagte Kathinka, »und lassen Sie Niemand hinein, man mag klopfen, so arg man will. Wenn ich selbst komme, will ich mich durch den Namen der verhaßten Nebenbuhlerin ankündigen.«
Das alles sprach sie, zu seinem Ohr hinabgebeugt, aus Furcht vor dem Wüthenden im Zimmer so leise, daß Jemand, der nur wenige Schritte davon gestanden, gewiß nichts vernommen hätte.
Der lange Schreiber kroch hinein; die Thür fiel hinter ihm zu, und gehorsam dem erhaltenen Befehle schob er von innen einen hölzernen Riegel vor, weßhalb er nicht bemerkte, daß draußen ein Gleiches geschah. Ein stiller Seufzer entrang sich seiner Brust, doch stärkte ihn das Bewußtsein einer guten That. Alles für Gott und die Damen! dachte er, der Einzigen meine Liebe, den Anderen Schutz und Hülfe! – O Dolores!