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Eugenie hatte das Zimmer verlassen, und da die Baronin noch keine Miene machte, sich in ihre Appartements zurückzuziehen, so nahm George von Breda eine neue Cigarre und ließ sich seiner Frau gegenüber nieder. Diese hatte ihr Buch auf den Schooß gelegt und, blickte gedankenvoll vor sich hin.
»Es ist ein guter Kerl, dieser Fremont,« sagte der Baron nach einer Pause.
»Ich halte ihn auch für einen zuverläßigen und geordneten Mann,« gab seine Frau zur Antwort. »Auch hat er Vermögen?« fragte sie.
»Er hat sein anständiges Auskommen, das er durch Sparsamkeit zu vermehren trachtet. – Was um so lobenswerther bei ihm ist,« fuhr Herr von Breda nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, »da er häufig einen guten Freund um sich hat, der gerade das Gegentheil von dem ist, was man Ordnung und Sparsamkeit nennt.«
»Du meinst den Herrn von Tondern? Hoffentlich nimmt er diesen zum abschreckenden Beispiel. Ich halte diesen Tondern für keinen guten Charakter.«
George von Breda zuckte leicht mit den Achseln und sagte. »Tondern ist einer von den Leuten, die man um sich duldet, weil ihre Unarten mit der Politur der sogenannten eleganten Gesellschaft bedeckt sind, weil ihr Betragen wohl unangenehme Schärfen, aber keine Ecken hat, weil sie, wenn auch verwunden, doch nirgendwo anstoßen, Leute, die Jener erträgt als pikante Säure der Unterhaltung, Dieser, weil er sie fürchtet.«
»Und du meinst nicht, daß er mit diesen wenig empfehlenswerthen Eigenschaften einen Einfluß auf den Baron übt?«
»Wenn er auf irgend etwas von dem Baron Einfluß ausübt, so ist es hauptsächlich dessen Börse, und selbst da wird dieser Einfluß ein mäßiger sein, denn Fremont ist in der That, wie du vorhin bemerktest, sparsam. Er hat überhaupt ganz gute Eigenschaften.«
»So wird er also,« meinte Frau von Breda nach einem kleinen Nachdenken, »keinen so üblen Ehemann abgeben? Abgerechnet etwas Geckenhaftes hier und da, was ihm eine kluge Frau abgewöhnen kann, ist sein Aeußeres nicht übel, und sein Benehmen in der Gesellschaft läßt auch nichts zu wünschen übrig.«
Der Baron warf die Asche seiner Cigarre in den Kamin und antwortete: »Es wäre für Fremont allerdings passend, wenn er eine convenable Partie fände, er würde alsdann auch aus den Händen Tonderns kommen. Doch hat er, fürchte ich, zu lange ein unabhängiges Junggesellen-Leben geführt, um Ketten, wenn auch Rosenketten, zu tragen. Aber immerhin wäre es ein vernünftiger Gedanke, wenn er wirklich einen solchen hätte. Aber ich glaube nicht daran. Auch wäre es schwer, eine passende Partie für ihn zu finden.«
»Hat er viel Vermögen?«
»Er ist, wie gesagt, nicht übermäßig reich, aber er wird so viel haben, daß er sogar mit einer Frau, die ihm wenig oder nichts zubringt, anständig leben kann.«
»Nun, da hätten wir eine große Auswahl,« sprach die Baronin. – »Du hast wahrhaftig Recht, George,« unterbrach sie sich lachend, »daß so eine Partie zu arrangiren für jede Frau ein wahres Vergnügen ist. Da wäre zum Beispiel eine der Töchter des Finanzministers; zu jung wären sie nicht mehr für Fremont.«
»Nein, wahrhaftig, zu jung waren die nicht,« versetzte George kopfschüttelnd, »und auch nicht zu hübsch. Mit dieser Proposition würdest du ihm wenig Vergnügen machen. Fremont ist in gewisser Beziehung ein Geschäftsmann und ein Kenner, er würde sich am Ende durch ein immenses Vermögen einnehmen lassen; im anderen Falle müßte aber die, welche man ihm verschlägt, ein untadelhaft schönes Mädchen sein.«
»Was meinst du zu Fräulein von S.?«
»Die wäre nicht so unrecht, aber denke an die Wittwe-Mutter, die müßte er nolens, volens mitheirathen, und das kann man dem guten Fremont wahrhaftig nicht zumuthen. Du mußt schon andere Candidaten Vorschlägen. – Ich glaube,« fuhr er heiter fort, »daß diese Passion, Heirathen zu stiften, ansteckend ist; ich fände mich am Ende auch darein. Bleibt es doch obendrein auch etwas Anerkennenswerthes, das Glück seiner Mitmenschen zu besorgen. Laß also weiter hören.«
»Emma von W.«
Der Baron zog die Augenbrauen in die Höhe, nahm die Cigarre aus dem Munde und pfiff den Anfang eines Parademarsches.
»Nein, nein,« sagte er alsdann, »Fremont ist Civilist und hat durchaus keine militärische Neigung.«
»Seht, wie ihr Männer boshaft seid! Jetzt hat das arme Mädchen eine leichte Liaison ohne Resultat mit einem eurer guten Freunde gehabt –«
»Mit Cavallerie-Offizieren ohne Vermögen,« sagte Herr von Breda mit scharfer Betonung; »auch keine leichte Liaison, sondern ein paar sehr schwere Leidenschaften. Und was die Chronique scandaleuse anbelangt, so kennt die Niemand besser als Fremont und sein guter Freund Tondern. Nein, Julie, damit mußt du uns nicht kommen. Blättere um, blättere um.«
»Dürfte es keine Wittwe sein?«
»Das ist Geschmackssache. Wittwen sind gefährlich. Der Selige einer Wittwe, so schlimm er auch gewesen sein mag, ist in der zweiten Ehe immer ein Engel, und es ist sehr unangenehm, hören zu müssen: Ja, damals war es doch ganz anders!«
Frau von Breda nickte mit dem Kopfe, und ihre Züge überflog ein schalkhaftes Lächeln.
»Gut denn,« sagte sie, »ich will zugeben, daß deine Ablehnungsgründe bis jetzt richtig waren. Nun will ich dir aber eine Partie für Fremont vorschlagen, an welcher du durchaus nichts zu mäkeln haben wirst, vorausgesetzt, daß du Mangel an Vermögen nicht als Hinderniß betrachtest.«
»Das wäre Fremonts Sache.«
»Ich nenne dir ein junges Mädchen von seltener Schönheit, gut erzogen, rein wie ein Engel.«
»Wie alt ist deine Schönheit?« fragte der Baron.
»Bald neunzehn Jahre.«
»Du versprichst ungeheuer viel.«
»Pfui, George! für das Mädchen stehe ich ein. Ich sage dir: jung, schön, vortrefflich erzogen, herzensgut, hat noch nie eine Liaison gehabt.«
»Neunzehn Jahre alt? – So nenne mir dieses Wunder.«
»Eugenie,« sprach die Baronin und blickte ihren Mann lächelnd an.
Kam die Nennung dieses Namens dem Baron so unerwartet oder hatte er sich die Finger verbrannt – genug, er ließ seine Cigarre zu Boden fallen und stieß sie dann, wie erzürnt über sein Ungeschick, in die Asche des Kamins.
»Eugenie?« wiederholte er fragend und versuchte dabei zu lächeln; doch wollten seine Lippen nicht recht aus einander, vielmehr preßten sie sich heftig zusammen, nachdem er kopfschüttelnd wiederholt: »Eugenie? – Welche Idee!«
»Ist sie nicht jung und schön?«
Herr von Breda blickte starr in die Gluth und nickte fast unmerklich mit dem Kopfe. Er hatte sich gewaltsam gefaßt, und als er nun abermals den Versuch machte, zu lächeln, gelang ihm das wirklich nicht ganz schlecht.
»Herzensgut und gebildet?«
»O gewiß, o gewiß!«
»Rein wie ein Engel und hat noch nie eine Liaison gehabt,« fuhr die Baronin fort.
»Ich wollte den sehen, der anders spräche!« murmelte Herr von Breda zwischen den Zähnen.
»Nun denn!«
Nahm der Baron dieses: nun denn? nicht als Frage auf, oder hatte er es nicht gehört – genug, er starrte vor sich nieder, nagte an der Unterlippe, und seine Augenbrauen zogen sich finster zusammen. »Das kann dein Ernst nicht sein, Julie,« sagte er auf einmal mit herber Stimme. »Dieser Fremont, ein alter, verlebter Junggeselle, ah! du treibst deinen Spaß mit mir! – Es war ein Vorschlag, um mich lachen zu machen, nicht wahr, Julie?«
Damit sah er seine Frau fragend, fast bittend an, während er mit der rechten Hand durch sein Haar fuhr und einen tiefen Athemzug that.
»Eugenie sich verheirathen! Welche Idee!«
»Nun, diese Idee,« versetzte Frau von Breda mit großer Freundlichkeit, »liegt doch bei einem Mädchen von ihrem Alter recht nahe. Ich würde wich wahrhaftig freuen, wenn sie eine gute Partie machte. Und du gewiß nicht minder, George, du, der so vielen und gerechten Antheil an ihr nimmt.«
»Ja – ich – der ich so vielen und gerechten Antheil an ihr nehme,« wiederholte der Baron mechanisch. »Eugenie sich verheirathen? – Unser Haus verlassen? – Ich muß dir gestehen, Julie,« fuhr er gefaßter fort und mit einem außerordentlich weichen Tone, »daß ich daran noch nie gedacht habe. Diese Idee ist mir neu, deßhalb hat sie mich überrascht – sehr – sehr überrascht.«
Frau von Breda nahm ihr Buch, welches neben ihr aufgeschlagen auf dem Stuhle lag, legte ihr Papiermesser hinein und schloß es leise. Dann sagte sie mit einem herzlichen, freundlichen Blick auf ihren Mann: »Ich weiß wohl, George, du hast dich an das gute Mädchen gewöhnt; ich gewiß nicht minder, und als ich ihren Namen nannte, that ich es nicht, um etwas zu sagen, was dir unangenehm wäre. Dabei bleibt es aber immer doch natürlich, auch in der Art von Eugeniens Zukunft zu sprechen. – Du hast vorhin alles Mögliche zum Lobe Fremonts gesagt; du hast ihn selbst für eine gute Partie erklärt.«
»Aber mit Eugenien?«
»Warum nicht mit ihr? Sie hat leider kein Vermögen und wird dankbar dafür sein, wenn man ihr eine gute Versorgung arrangirt.«
»Arrangirt, arrangirt! Eine gute Versorgung!« murmelte der Baron zwischen den Zähnen und setzte dann heftig hinzu: »Ob aber Eugenie Fremont lieben kann, danach fragt ihr bei euren Arrangements natürlicherweise nicht.«
»Weißt du denn, daß sie ihn nicht lieben kann?« fragte die Baronin heiter. »Geh, George! Es war ja ein Vorschlag wie ein anderer; wie kannst du das so schwer nehmen?«
»Ein solcher Vorschlag, von Jemand gemacht, der sich vorgenommen hat, eine Partie zu arrangiren,« entgegnete der Baron mit leiser Stimme, »kann ernst werden, gefährlich. Wenn du dir das in den Kopf gesetzt hast, so wirst du Fremont encouragiren – du wirst gegen Eugenie hier und da ein Wort davon fallen lassen. Du wirst ihr beweisen,« fuhr er lauter fort, »daß dieser Fremont eine vortreffliche Partie für sie ist; er hat Vermögen, sie ist arm, sehr arm. – Man muß ihr das Letztere gehörig begreiflich machen; man muß ihr dabei sagen, es sei ihre Schuldigkeit, für sich selbst zu sorgen und ihren Verwandten nicht immer zur Last zu fallen. Das arme Geschöpf wird das begreifen und am Ende alles thun, was man von ihr verlangt, um gegen uns, ihre Verwandten, nicht gar zu anspruchsvoll zu erscheinen. O, ich kenne das!«
»Aber du kennst mich nicht,« sagte die Baronin mit sanfter Stimme, während sie aufstand, zu ihrem Manne trat und ihm ihre Hand leicht auf die Schulter legte. »Du kennst mich nicht, George; nein, gewiß nicht, wenn du mir zutraust, ich sei im Stande, so mit Eugenien zu sprechen. – Blicke auf, blicke auf! Sage mir, alles das sei Scherz gewesen, und ich will dir entgegnen, daß ich im Ernste nicht daran gedacht habe. Glaubst du denn, es würde mir so leicht, das gute Kind zu verlieren? Nur bin ich ruhiger als du und denke mir oft, es ist besser, sich nach und nach an etwas Unangenehmes zu gewöhnen, das doch wahrscheinlich einstens eintreten muß.«
George von Breda machte eine gewaltige Anstrengung, um einigermaßen heiter in die Höhe zu blicken; der Athem stockte in seiner Brust, er mußte ihn mühsam an sich ziehen; doch that er das gewaltsam, damit sein Herz momentan etwas erleichtert würde.
»Du hast Recht, Julie,« sagte er nach einer Pause; »dein Vorschlag hat mich allerdings überrascht; und doch ist es, wie du gesagt: es wird einstens so kommen, man muß sich daran zu gewöhnen suchen. – Aber Fremont,« setzte er lebhafter hinzu, »Fremont nennst du mir in dieser Beziehung nicht wieder. Wenigstens nicht so bald wieder,« sprach er, sich bezwingend; »man muß das doch vorher genau überlegen.«
»Ueberlege du dir das, George,« gab Frau von Breda mit einem herzlichen Blicke zur Antwort; »es soll deine Sache sein, und ich erwarte von dir darüber das erste Wort.«
Sie reichte dem Baron ihre Hand, die dieser an seine Lippen drückte, und verließ darauf den Eßsalon, indem sie zurückschauend mit ihrem gewöhnlichen ruhigen Tone sprach: »Du wirst ausreiten, nicht wahr, Georg? Ich wollte mit Eugenien spazieren fahren. – Aber wir speisen zusammen?«
»Um fünf Uhr,« erwiderte der Baron, während er vor dem Kamine sitzen blieb.
Lange saß der Baron da, unbeweglich, und blickte in die spielenden Flammen. Zuweilen flog ein unheimliches Lächeln, über seine Züge, das aber mit einem Male wieder verschwand, um einem finsteren Ausdruck Platz zu machen, der, ein Wiederschein seiner Gedanken, sich plötzlich über sein Gesicht ergoß. Dann biß er die Zähne zusammen, seufzte aus voller Brust, und während dies geschah, neigte sich sein Haupt langsam herab, und da er zu gleicher Zeit die Hände erhob, so verbarg er gleich darauf sein Gesicht in denselben und blieb so ziemlich lange, ohne sich zu rühren, sitzen.
Es mußten gewaltige, ja, schreckliche Gedanken sein, die ihn während dieser Zeit quälten; denn zuweilen zuckte der sonst so harte Mann zusammen, wie ein Anderer mit weichem Gemüth wohl zu thun pflegt, wenn er die Thränen nicht mehr zurückhalten kann, die ihm furchtbare Seelenleiden auspressen.
Aber das Auge des Barons von Breda war vollkommen trocken, als er nach längerer Zeit wieder den Kopf erhob und abermals starr vor sich niederblickte.
»So ist es denn wahr,« murmelte er zwischen den Zähnen, »so ist denn das nicht mehr zu leugnen, was ich mir selbst schon häufig wegzuscherzen suchte, was ich zuweilen lachend verwarf: – ich liebe dieses Mädchen, nicht wie ein gewöhnlicher Mensch liebt, sondern mit einer Raserei, mit einer Leidenschaft, vor der ich selbst zurückschaudere. Ja, ich liebe sie, und da mir das nun einmal klar geworden ist, da ich ohne irgend eine Täuschung den Abgrund vor mir schaue, den ich mir mühsam selbst zugedeckt, so ist es trotz allem Elend, das mich erfüllt, als sei mir eine Centnerlast vom Herzen gerollt. – Ja, ich sehe klar, furchtbar klar, und bin glücklich, daß ich klar sehe, denn ich hasse alle Täuschung. – Eugenie, Eugenie!«
Wieder versank er in düsteres Nachsinnen, und auf seinem Gesichte wurden abermals ein trübes Lächeln und finstere Schatten sichtbar.
Es ist etwas Zauberhaftes dabei, sprach er zu sich selber nach einer langen, langen Pause. Das arme Mädchen ist, ohne es zu wollen, eine böse Zauberin. Und gegen diesen Zauber, fuhr er schaudernd fort, kann nicht Himmel noch Hölle helfen. Das fühle ich jetzt, wo ich vollkommen klar sehe. Es ist eine Liebe, die mich nach und nach überschlichen und die mich um so gewaltsamer gefaßt, da ich, nicht an sie glaubend, ihr nicht gleich kräftig entgegen trat; es ist ein Funke, den ich nicht beachtete, den ich mit der Asche der Vernunft zudeckte, und von dem ich glaubte, er glimme nicht mehr fort, da ich mir selbst vorspiegelte, die Gluth sei erstickt, weil ich ihren Schein nicht mehr sah, oder es sei ein ganz anderes, harmloses Gefühl gewesen. – Ein harmloses Gefühl? – ich Thor, der ich doch schon seit langer, langer Zeit froh und entzückt aufathmete, wenn ich ihre wunderbare Gestalt sah, wenn ich in ihr göttliches Auge blickte; der ich doch so seltsam zusammenzuckte, wenn mich ihre warme Hand berührte, wenn mich der süße Hauch ihres Mundes traf! – Ja, ich zuckte zusammen; ich, dem die kleinste Hand gleichgültig war, der den schönsten weiblichen Körper für eben nichts weiter ansah, dem viele, o sehr viele glänzende Augen vergeblich gelächelt! – Ich, der ich nie mit irgend einer Innigkeit an ein weibliches Wesen dachte, finde jetzt auf einmal, daß all mein Denken, all mein Thun bei diesem Mädchen verweilt. Ah, das ist entsetzlich! Das ist ein fürchterliches Leiden, und nirgend, nirgend Heilung dafür!
Und doch eine Heilung, fuhr er nach einiger Zeit fort, während welcher er in sich zusammen gesunken da gesessen, wenigstens der Versuch einer Heilung – wie man auch eine Wunde, die der giftige Biß einer Schlange erzeugt, mit glühendem Eisen ausbrennt. Man hat alsdann das Seinige gethan und erwartet ruhig den Ausgang; schlägt das Mittel an – gut, so vegetiren wir weiter, hat es nicht gewirkt, so fühlen wir nach einiger Zeit, daß wir verloren sind. Wir spüren das Gift stärker als zuvor in unserem wild schäumenden Blute, wir machen eine kleine Raserei durch, um dann endlich, vielleicht nach namenlosen Leiden, in der That gänzlich kurirt zu sein. O Eugenie, Eugenie!
Und dieses Mittel hat mir Julie gezeigt, arglos wie sie ist. – Und warum sollte sie nicht arglos sein? War ich es nicht selbst bis auf diesen Augenblick? sagte ich es mir nicht vor einer Stunde noch, als das herrliche Mädchen mir so lieb in die Augen schaute, als ich ihre beiden Hände ergriff, als ich – thöricht genug war, sie mit meinen Lippen berühren zu wollen? – Ja, gesagt habe ich es mir freilich, aber gedacht habe ich anders; ich will und kann das nicht leugnen. O, ganz anders! – War mir doch zu Muth, fuhr er nach einem tiefen Seufzer fort, als müßte ich vor ihr niedersinken und sähe dann, wie sie, indem sie auf mich mild herabblickte, immer höher aufwärts schwebte, hoch, hoch, weit und unerreichbar, wo wir die himmlischen Engel zu sehen wähnen, die mild und versöhnlich auf unsere namenlosen Leiden niederschauen. Ja, das Mittel, welches Julie vorschlug, hat mir endlich die Augen geöffnet, hat mich gezwungen, klar zu sehen. Aber dieses Mittel, für mich qualvoller als alle Leiden – nie – nie – nie – nie!
Der Baron fuhr mit der Hand über das Gesicht, schaute einen Augenblick um sich, stützte dann den Kopf auf die rechte Hand, wobei er im wachen Zustande fortfuhr zu träumen: Ja, ich liebe sie, ich liebe sie unendlich, bis zur Raserei. – Ein Wort, worüber ich oft gelacht habe, und das ich jetzt in dieser Anwendung so sehr richtig finde. – Sie ist mir Alles: ich wüßte nicht, wie es mir möglich wäre, ihren Anblick zu entbehren! Meine süße Zauberin! – meine Heilige! – Und während ich fühle, wie diese Leidenschaft, diese unglückliche Leidenschaft, diese rasende Leidenschaft mir langsam das Herz zerdrückt und ich doch nicht von ihr lassen kann und mich wie ein Verbrecher nahen soll, einen Blick aus diesem göttlichen Auge zu erhaschen, die Berührung ihrer warmen Hand, den duftigen Hauch ihres Mundes, – während alles das für mich süße Genüsse sind, die ich listig stehlen und vor aller Welt verbergen muß, soll ein Anderer, ein Fremont, mit dem Rechte des Besitzes ihre Hand ergreifen, sie vertraulich an sich ziehen, ihre Stirn, ihren Mund zu küssen! – O, diese wunderbare Stirn, diesen frischen, unaussprechlich schönen Mund!
Bei diesen Gedanken vergrub Herr von Breda seine Finger in die Haare, er starrte nicht mehr finster, sondern mit einer furchtbaren Wildheit vor sich nieder, wobei seine Augen flammten, seine Lippen krampfhaft zuckten; dann sprang er von seinem Sitze in die Höhe, heftig ausrufend: »Nein, nie! Bei allen Teufeln, nein! Nicht dieser Fremont – nicht er – o Gott, Keiner, Keiner!«
Ein tiefer Seufzer rang sich aus seiner Brust los, und man hätte deutlich sehen können, welche Mühe sich dieser harte, gewaltige Mann gab, um die entsetzlichen Gedanken, die ihn quälten, zu verbannen und seine gewöhnliche Ruhe wieder zu gewinnen. Er verbarg die rechte Hand auf der Brust und ging mit großen Schritten in dem Zimmer auf und ab. Nach und nach wurde er weicher und dann auch ruhiger; seine Züge glätteten sich wieder; doch konnte man an dem matten Strahl seines Auges, sowie an seinen bleichen Lippen sehen, wie er gekämpft und gerungen, wie er gelitten.
Und sein Kampf war vergeblich gewesen; er hatte nicht gesiegt. Jetzt trat er an den Kamin zurück, legte den rechten Arm auf das Gesimse desselben und dachte mit einem trüben Lächeln weiter: Wie oft habe ich in früheren Zeiten gespottet, wenn mir Dieser oder Jener sprach von den wunderbaren Augen eines Mädchens, von ihrem Blick, der ihn bezaubert und bethört; von dem Ton ihrer Stimme, deren verwirrenden Klang er nicht im Wachen und nicht im Träumen los werden könne! Wie habe ich fast verächtlich mit den Achseln gezuckt, wenn wir irgend Einer mit bebenden Lippen versicherte, all sein Glück, all sein Denken und Fühlen liege nur in ihr, nur in dem Mädchen, das er liebe, das er anbete! – Und dieses Wort anbeten, wie lächerlich erschien es mir! o, wie so lächerlich damals! Und mit welch schrecklicher Wahrheit fühle ich jetzt den Begriff dieses Wortes! Ja, anbeten, feiernd hinauf schauen zu ihr, das ist der richtige Ausdruck. Süß zusammen fahren beim Klang ihrer Stimme, ohnmächtig sein wie ein Knabe, wenn sich ihre Lippen öffnen und sie weich deinen Namen nennt. Erschrecken vor dem Blitz ihrer Augen, die eigenen schließen, wie um den himmlischen Glanz länger fest zu halten. – Ja, anbeten – anbeten! ihr reines Herz, ihr liebendes Gemüth! – Seligkeit, Seligkeit, zu ihren Füßen liegen zu dürfen, lange, lange in ihre Augen zu blicken, fort und fort, unverwandt. Dann ihre Hände zu ergreifen und sich langsam empor heben zu lassen an ihr klopfendes Herz, während ihre Blicke sich in die meinigen versenken, unser Denken und Fühlen Eins ist, unser Herzschlag derselbe, sich mit jeder Sekunde steigernd, bis zu jenem seligen Augenblicke, wo sie schamerröthend flüstert: Ja, ich liebe dich. – Das ist Anbetung, die zum Himmel führt.
So könnte es sein, fuhr er fort, indem er sich aufrichtete und die rechte Hand weit von sich abstreckte. Aber es ist nicht so und wird nie so werden. Es sind Träume, denen ich nicht einmal nachhängen darf. O, es ist doch so entzückend, angenehm träumen zu dürfen! – Als ich noch ein junger Mensch war und in die Schwadron trat, da hatte ich auch meine Träume, und deren Endpunkt war, später einmal an der Spitze eines schönen Reiterregiments gegen den Feind fliegen zu dürfen. O, wie glücklich war ich in jenen Träumen! wie malte ich mir mit aller Phantasie jeden Schritt aus, der mich dem ersehnten Ziele näher führte! Und ich durfte das thun, ich durfte Tage lang daran denken; ich hatte das Recht, mir jedes Mittel zu vergegenwärtigen, das mich meinem Glücke näher bringen könne. Und jetzt, wo mir etwas Anderes vorschwebt, das ich noch weniger erreichen kann, als das, wovon ich in der Jugend geträumt, jetzt habe ich nicht einmal das Recht, daran zu denken. – Ah, wie würden sie lachen, wenn sie erführen, der wilde George, der so oft über sie gespottet, fühle nun selbst schaudernd, daß auch seine Stunde geschlagen! er denke fort und fort an ein schönes Mädchen, er würde sich glücklich schätzen – was! glücklich schätzen? – er würde selig sein, wenn ein wohl reizendes, aber – würden sie achselzuckend hinzusetzen – an sich unbedeutendes Geschöpf ihm die Hand reichte und zu ihm spräche: Ich liebe dich! – Wie sich die Zeilen ändern! –
»Hahaha, wie sich die Zeiten ändern!« wiederholte er wild und krampfhaft lachend. »Ja, sie ändern sich sehr; und es ist mir doch, als sei nicht nur mein Geist verstört, sondern als habe das Gift auch meinen Körper ergriffen. Wahrhaftig, ich wanke, statt fest aufzutreten.«
Dabei fuhr der Baron trübe lächelnd ein paar Mal mit der Hand über die Stirn und nahm sich alsdann gewaltig zusammen, um mit festem Schritt durch das Zimmer zu gehen und auf die Estrade hinaus zu treten.
Da lag der Wintergarten vor ihm mit seinem saftigen Grün, mit seinen Hunderten von Blumen und Blüthen. Aber Alles erschien ihm anders, beinahe farblos, beinahe grau; es war ihm, als hätte die Hand eines Zauberers den glänzenden Schmelz von all den duftigen Blumen weggewischt. Das Grün der Bäume erschien ihm so tief dunkel und schwarz, und der Wasserstrahl der Fontaine, der bisher so lustig und vergnügt geplätschert, schien jetzt im Niederfallen ein melancholisches Lied zu singen.
Baron Breda ging durch das Gewächshaus hindurch, und Andreas, der Gärtner, der ihn kommen sah, öffnete die Seitenthür, welche nach dem Platz vor dem Hause führte, wohin sich der Baron in tiefe Gedanken versunken begab.
Dort führte der Jockey das große gesattelte Pferd umher, und näherte sich augenblicklich seinem Herrn, sobald er ihn gewahr wurde.
Dieser trat dicht an Lord hin, fuhr mit der linken Hand sanft über den glatten Hals, nahm dann mechanisch die Zügel und erhob den Fuß, um ihn in den Bügel zu setzen.
»Gnädiger Herr,« wagte der Groom zu sagen, indem er sich statt an den rechten Steigbügel zu hängen, wie er in seinem Diensteifer sonst wohl zu thun pflegte, zögernd auf der linken Seite des Pferdes stehen blieb; »gnädiger Herr haben Hut und Reitpeitsche vergessen.«
George von Breda fuhr aus seinen Träumereien empor und nickte leicht mit dem Kopfe, worauf Friedrich dem Kammerdiener winkte, der unter dem Hause stand und eilig hinein stürzte und nicht nur das Vergessene, sondern auch Handschuhe und Paletot seines Herrn brachte.
Dieser wies den Letzteren zurück, und nachdem er den Hut aufgesetzt und die Handschuhe angezogen hatte, schwang er sich in den Sattel des Pferdes und lenkte dann dasselbe dem Hofthore zu.
»Onkel George, Onkel George!« rief hinter ihm eine fröhliche, wohlklingende Stimme.
War es zufällig, daß der Baron in diesem Augenblicke Lord in Galopp setzte und zum Hofe hinaus jagte, oder that er es vielleicht absichtlich, um jene Stimme nicht zu vernehmen – genug, es geschah, und in der nächsten Sekunde waren Pferd und Reiter in der Biegung des Weges verschwunden.