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Für uns gibt es Sonntag-Nachmittage, die wirklich etwas sehr Langweiliges, ja, Trauriges haben. Worin das liegt, können wir nicht genau sagen; machen es die geschlossenen Läden und in Folge hiervon die Ruhe und Stille auf den Straßen; machen es die Schaaren geputzter Leute, die mit allen Fortbewegungsmitteln – auf ihren eigenen Füßen, zu Wagen, per Eisenbahn, eben diese Straßen so eilig zu verlassen trachten, als müsse ihnen irgendwo ein Unglück passiren, wenn sie dablieben; kommt es, weil in diesen Stunden nirgendwo Musik und Gesang erschallt, so daß selbst die unermüdliche Klavierspielerin uns gegenüber keinen Ton hören läßt und wir in diesen Feierstunden nichts von dem eben erwähnten vernehmen, als vielleicht vom Hinterhause her einzelne quiekende Töne einer Flöte, was um so weniger zu unserer Erheiterung beiträgt, als wir uns wider Willen bemühen müssen, diese einzelnen Töne an einander zu reihen, um schaudernd zu erfahren, daß der junge Mensch da im Hinterhause – wir kennen ihn wohl, er hat flachsblonde Haare, eine rothe Nase, nicht vom Trinken, sondern von einem hartnäckigen Stockschnupfen, und seine zehn bläulichen, dick aufgelaufenen Finger sind eben so viele Exemplare von Frostbeulen – die Melodie spielt:
Mich fliehen alle Freuden.
Ja, und wir glauben, diese Melodie kommt aus seines Herzens tiefunterstem Grunde; zweimal in die Kirche gehen an einem Sonntag und Abends noch eine Betstunde besuchen, das ist zu viel für einen jungen Menschen, der sich die ganze Woche auf den Sonntag gefreut, für ein Gemüth, dem die Verführung schon nahe trat, indem sie ihm zuflüsterte von harmlosen Spaziergängen zur Zeit der Betstunde! – Ihn fliehen alle Freuden; er hat sich in das kalte Magazin zurückgezogen, wo ihn der Prinzipal, der über der Straße wohnt, nicht hören kann, unter der Angabe, sein Herz an dem Aeußeren süßer Zucker- und Rosinenfässer sowie träumerischer Kaffeesäcke zu erfreuen.
Wir finden den Sonntag-Nachmittag vielleicht langweilig, weil wir sehen, wie er so wahrhaft auffällig gefeiert wird, weil wir so manchem unterdrückten Gähnen begegnen, während der Mund spricht: Ach, wie sind diese Feierstunden so köstlich! Wir finden ihn langweilig, weil man sich bemüht, selbst die unschuldigen Freuden der anderen Tage aus ihm zu verbannen, und weil es Leute gibt, die sich ein Vergnügen daraus machen, an diesem Tage alle die freundlichen Blüthen niederzutreten, die sonst unser Leben schmücken; weil man will, daß der Sonntag nicht mehr sein soll ein Feiertag, an dem wir uns freuen dürfen, wenn wir sechs Tage ehrlich und rechtschaffen gearbeitet, sondern ein Trauertag, an dem wir in uns gehen und mit Schrecken all der Sünden gedenken sollen, deren wir uns in der ganzen Woche schuldig gemacht.
»Ja, so ein Sonntag-Nachmittag ist unsinnig langweilig,« sagte auch der Jäger Brenner, der in sehr aufrechter Haltung und stattlich angethan mit seinem dunkelgrünen Jagdrocke an der Seite eines viel kleineren Mannes durch die Straßen schritt. »Wahrhaftig, über alle Maßen langweilig, und nicht nur hier in der Stadt, sondern auch draußen auf dem Lande hat der Tag für unser einen etwas Melancholisches. Wenn ich sonst durch den Wald gehe, da ist doch die Stille, die mich traurig machen kann, zuweilen von irgend etwas unterbrochen; ich höre das Knarren eines Holzwagens, das Knallen der Peitsche, auch zuweilen einen Schuß – bumms dich! und das finde ich angenehm und behaglich.«
Der kleine Mann, der neben dem Jäger fortschritt, hatte ein einigermaßen eingefallenes Gesicht, eine sehr lange und spitze Nase, und trug den Kopf gebückt, wobei er aber nicht unterließ, mit seinen lebhaften Augen scharf nach den ihm Begegnenden zu blinzeln, worauf er sich zuweilen veranlaßt sah, sein Haupt noch tiefer herab zu neigen oder ganz auf die Seite zu wenden. Auch eilte er rascher und unaufhaltsamer vorwärts als der Jäger trotz seiner viel längeren Beine, der hier und da stehen blieb, ein Haus betrachtete und alsdann verdrießlich murmelte:
»Auch wieder geschlossen! Ja, das muß wahr sein, sie gönnen einem Christenmenschen, der doch seine Pflicht gethan hat, auch nicht das geringste Vergnügen. Aber Ihr, Schwörer, scheint Euch wahrhaftig darüber zu freuen, daß sämmtliche Wirthshäuser verschlossen sind, und Ihr thut daran sehr unrecht, denn ich habe meinen Theil des Contraktes mit bestem Willen erfüllt und auch mit redlichem Herzen, und es ist Eure Schuldigkeit, das nun Eurerseits auch zu thun.«
»Es sollte mich freuen, wenn Ihr die Wahrheit sprächet, Herr Brenner, und Ihr in der That mit bestem Willen und mit redlichem Herzen mich in die Kirche begleitet hättet.«
»Darauf könnte ich schwören,« entgegnete der Jäger in bestimmtem Tone; »und es hat mir wohl gethan.«
»Nun, das freut mich,« sagte Meister Schwörer, wobei er den Kopf etwas schief auf die Seite neigte, um auf dem Gesichte des neben ihm Gehenden zu lesen, ob dieser wohl die Wahrheit spreche.
Und in der That waren die Züge des Jägers offen wie immer und ohne eine Spur von Ironie.
»Doch habt Ihr den Vertrag nicht ganz richtig eingehalten,« sagte der Schneidermeister mit einem feinen Lächeln.
»Wieso?«
»Nun, Ihr solltet mich begleiten, und ich habe Euch begleitet.«
»Ah so!« lachte der Jäger. – »Ja, in die Kirche, die Ihr vorgeschlagen, dahin gehe ich nicht. Was T – –.« Zum Troste des Schneidermeisters verschluckte er das Wort noch zur rechten Zeit. »Könnt Ihr mir zumuthen, eine Predigt anzuhören, wo ich, statt gute Lehren zu vernehmen, von A bis Z mit Grobheiten bedient werde, von denen ich mir an anderem Orte nicht den hundertsten Theil ruhig gefallen ließe? Ich weiß wohl, daß ich kein Lamm bin und meine tüchtigen Fehler habe, will auch versuchen, mich zu bessern; aber so läßt man sich das doch, nicht ins Gesicht werfen. Einmal war ich eine Viertelstunde lang da und hatte mehr als genug. Was habe ich da alles hören müssen!«
Meister Schwörer schaute erstaunt in die Höhe.
»Wenn Ihr wirklich,« fuhr der Jäger erboßt fort, »Eure Sünden auf dem Gewissen habt – es ist ja wohl Niemand rein davon – nützt es Euch da etwas, wenn Ihr nun still halten müßt und Euch sagen lassen, daß Ihr das niederträchtigste und schlechteste Geschöpf seid, das da auf Erden kriecht und fliegt? Daß ein Affe nicht so boshaft ist, ein Esel nicht so faul, ein Ochs nicht so dumm und ein Bock nicht so unanständig? Ja, das sagen sie Euch; aber, wohlgemerkt, ohne Einem Trost dabei zu geben. Wenn ich einen Jägerburschen hinter die Ohren schlage und ihm sage: Himmelsakr –«
»O, Herr Brenner!« bat der Schneider.
»Und ihm also sage: Bist du ein rechter Kerl, dessen Gewehr nicht losgeht? so setze ich gleich darauf auch hinzu: An der und der Schraube wird's fehlen, und da kann der Sache abgeholfen werden. – Aber hört Ihr je von so Einem sagen, an welcher Schraube es Euch eigentlich fehlt? – Gott bewahre! da wird das Kind mit dem Bade ausgegossen. Was soll ich mir da sagen lassen: wenn ich spreche, spreche der Satan aus mir, und meine Zunge sei von der Hölle entzündet, und soll mir vormalen lassen, wie die Teufel aussehen, groß wie ein Berg, blutroth angestrichen, mit einem langen Schweif versehen, dessen Ende mir von Jugend auf vertraulich oberhalb der Schulter liegt, wie der Strick um den Hals des Gehenkten. – Nein, Meister Schwörer, Hoffnung soll man Euch lassen und Trost sollen sie Euch geben; sagen soll man: Ihr habt freilich das und das gethan, aber wir wollen Manches auf die Umstände rechnen, unter denen es geschehen; wer ein rechter Mann ist und kein altes Weib, läßt's in Zukunft bleiben, und damit basta!«
Meister Schwörer sah seinen Nachbar zuweilen mit ängstlichen Blicken an, wagte aber keine Gegenrede, denn er fürchtete, und wohl nicht mit Unrecht, daß der Jäger sich durch einen Widerspruch veranlaßt sehen könnte, noch lauter zu sprechen, als er jetzt schon that.
So gingen sie mit einander fort, und es stellten die Beiden im Allgemeinen ein komisches Paar dar; ja, von den gewissen gläubigen Seelen hätte irgend eine sagen können, es sei etwas Unheimliches dabei; die dürftige Gestalt des ängstlich um sich blickenden Schneiders, der dem Anderen wie durch moralischen Zwang folgte; und dieser Andere, eine lange, starke Figur im grünen Jagdrock mit dem gewaltigen Bart und den blitzenden Augen, jetzt schadenfroh lächelnd, jetzt verächtlich auf die Seite blickend oder gar ausspuckend, wenn ihm irgend Jemand begegnete, von dem er wußte, er gehöre auch zur früheren Partei seines Begleiters. Von diesen waren es aber welche, die das Paar mit Schrecken vorübergehen sahen und nicht anders dachten, als der lange Mann sei der Teufel im Waidmannskleid, wie er ja gern zu gehen pflege, den es nach der armen Schneiderseele gelüste.
»Da habe ich neulich in einer Zeitung was gelesen,« sprach Herr Brenner, nachdem er eine Zeit lang schweigend dahin gegangen, »was mich ganz fuchsteufelswild gemacht hat. Doch muß ich das Ding nicht recht verstanden haben. Es war da von der Taufe die Rede und hieß, das kleine Kind das weder etwas verstehen noch sprechen kann, soll gefragt werden, ob es dem Satan und seinen Werken entsage. – Da würde ich ja zugeben, daß mein armes kleines unschuldiges Kind schon von der Geburt an den Teufel im Leib hätte. Denn man kann nur dem entsagen, was man besitzt. – Wie sagt doch unser Herr und die Schrift?« fuhr der Jäger erboßt fort: »Lastet die Kindlein zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich. Und das widerspricht doch dem Anderen schnurgerade, denn der Herr würde sich schon gehütet haben, kleine Teufelsbraten einzuladen, wozu sie unsere neugeborenen Kinder stempeln wollen. Seht, das kann mich ganz wild machen.«
»Sie haben die Sache wahrscheinlich falsch aufgefaßt, Lieber Herr Brenner,« entgegnete Meister Schwörer mit sanfter Stimme. »Das ist nur so eine Formel, wissen Sie.«
»Formel hin und Formel her!« rief der Jäger heftig. – »Was mich aber am meisten ärgert, ist, daß die da die Worte unseres Herrn in der heiligen Schrift nicht mehr wollen gelten lassen und sie geradezu läugnen. Wißt Ihr, Schwörer,« unterbrach er sich mit einem Male, indem er wieder stehen blieb, »was mir schon oft eingefallen ist? Wenn unser Herr heute wieder auf die Welt käme und lehrte, was er damals gelehrt, da fände sich schon eine Partie, die schlimmer mit ihm umgehen würde, als damals die Judenschaft von Jerusalem.«
»Lassen wir das, lieber Herr Brenner!« bat ängstlich der Schneider, »sprechen wir von was Anderem.«
»Meinetwegen denn,« entgegnete der Jäger, »aber das müßt Ihr mir doch zugeben, daß wir heute Morgens was recht Gutes gehört haben. Der Mann versteht's; er hielt uns auch einen gehörigen Spiegel vor, aber indem er sagt: so werdet ihr nicht sein und auch nicht werden, so macht er, daß der, welcher Dreck am Stecken hat, zu sich selber spricht: Blitz auch! da muß ich mich in Acht nehmen; denn wenn ich das Ding nicht ablege, so könnte es doch am Ende schief gehen. – Und dabei blickte er Einem so frei und fest in die Augen, daß, als er davon sprach, wie durch den Mißbrauch dessen, was der liebe Gott wachsen ließ – damit meinte er den Wein, Schwörer, das habe ich wohl verstanden – der Mensch sich versündige, daß ich meine Augen niederschlug, und es war mir gerade, als habe er den Brenner ganz besonders angesehen. Ja, ich sage Euch, der Mann spricht wie ein Wald.«
»Wie – was?« fragte der Schneidermeister verwundert.
»Wie ein Wald,« wiederholte der Jäger mit großer Entschiedenheit; »frisch und fromm, wie es ihm vom Herzen kommt, klingend und wohlthuend, mit einem hallenden Echo, und so packt es Euch auch und schüttelt Euch mit, wie unter den grünen Bäumen, wenn der Sturmwind durch die hundertjährigen Eichen fährt. – Habt Ihr nie einen Wald predigen hören, Schwörer?«
Der Schneider sah fast verwundert in die Höhe und lächelte, als wollte er sagen: wie kann denn ein Wald predigen?
»Der Wald predigt,« fuhr Herr Brenner fort; »das weiß Niemand besser, als wir Jägersleute. Nun, Schwörer, Ihr sollt das genießen, sobald es einmal ein bischen grün ist, und dann will ich ein Uebriges für Euch thun, und Nachmittags statt ins Wirthshaus mit Euch in den Wald hinaus gehen. Wir können Frau und Kinder mitnehmen und auch ein paar Flaschen guten Getränkes. – Alles darf lustig sein, und je lustiger wir da eben sind, um so besser predigt der Wald.«
»Es gehört aber doch wohl viel Phantasie dazu, den Wald predigen zu hören,« meinte Meister Schwörer mit seinem vorigen ungläubigen Lächeln.
»Das könnt Ihr freilich nicht begreifen, armer Schneidermeister. Sechs Tage zuschneiden, bügeln und am siebenten von der Kirche in die Betstunde laufen – für solche Leute predigt freilich der Wald nicht. Ueberhaupt,« setzte er hinzu, während er stehen blieb, »ich glaube, Ihr wißt nicht einmal, wie ein Wald aussieht.«
»O doch,« versetzte der Andere, indem er weiter schritt und seinen Freund durch einen kleinen Stoß des Armes veranlaßte, ihm zu folgen. Er fürchtete nämlich, zu viel Aufsehen zu erregen, wenn er mitten in der Straße bei dem langen Jäger halten bliebe. »O ja,« wiederholte er danach, »wir sind auch zuweilen in den Wald hinausgegangen, früher – an Sonntag-Nachmittagen.«
»Ach so, früher!« bemerkte Herr Brenner geringschätzend. »An Sonntag-Nachmittagen – ich verstehe; Ihr mit den Gläubigen, Lieder eurer Gattung mit lauter Stimme auf dem Wege plärrend, zum Aergerniß aller ordentlichen Christenleute. Ja, ich bin auch einmal früher so einer sauberen Sippschaft begegnet, und die war schuld, daß ich eine große Sünde begangen, denn ich habe an dem Sonntage geflucht, wie lange nicht mehr. – Brrr, schrieen die Kerls! sie hatten mir das Wild auf stundenweit weggescheucht. – Aber wohin gerathen wir denn eigentlich?« sagte er, abermals stehenbleibend. »Ich glaube, Schwörer, Ihr habt mich im Eifer des Gespräches aus den belebten Stadttheilen hinausgeführt, um Euch nicht mit mir vor den Leuten sehen zu lassen.«
»Wie könnt Ihr so was denken?« fragte der Schneidermeister, wagte es aber nicht, aufzublicken, denn er fühlte wohl, daß der Jäger Recht hatte in dem, was er sagte.
»Das wäre nicht klug von Euch gehandelt,« fuhr dieser fort, »denn wenn die Leute Euch bei mir sehen, so kann das Eurem Kredit nur nützen. Sie werden sagen: Der Schwörer muß sich geändert haben, denn wenn er noch eine Fledermaus wäre, wie früher, so würde doch der Jäger des Barons Breda nicht mit ihm über die Straße gehen. – Apropos, von meinem Herrn zu reden, ich habe Euch also warm recommandirt und hätte beim Teufel beinahe vergessen, Euch zu sagen, daß Ihr Euch morgen früh um zehn Uhr beim Kammerdiener einfinden sollt, Ihr werdet was zu thun bekommen.«
»Das lohne Euch Gott!« sprach der Schneider mit einem dankenden Blicke. »Es ist nothwendig, daß wieder ein bischen Leben in die Werkstatt kommt, ich fange bei der Leere dort an, ganz melancholisch zu werden.«
»Aber sagt mir, Schwörer, wo sind wir eigentlich?« fragte abermals Herr Brenner. »Ah, richtig! da ist der Burgplatz; da sind wir in ein schönes Viertel hinein gerathen! Nun, hier ist auch gut sein, und da wir einmal da sind, wollen wir uns nach einer stillen Gelegenheit umsehen. Richtig, da erinnere ich mich einer kleinen Kneipe – es muß dort hinten im dritten oder vierten Hause links sein – die heißt »zum Reibstein« und da haben allerhand lustige Brüder, Maler und solches Zeug, ihre Auflage. Ein guter Wirth,« setzte er launig hinzu, »lehnt die Hausthür nur an und hat in den Hof hinaus eine kleine Stube, aus der man draußen weder Gläserklang hört, noch ein lustiges Lied. – Kommt, da ist der Reibstein.«
Meister Schwörer blickte mißtrauisch an dem alten, düsteren Hause empor, das ihm nun der Jäger zeigte, und wollte Einwendungen machen: es sei doch eigentlich zu früh, jetzt schon ins Wirthshaus zu gehen, das sei auch gegen die Abrede, und was dergleichen mehr war.
Doch hatte der Jäger schon die Hausthür erreicht, trat eilig ein, winkte seinem Begleiter, ihm zu folgen, verschwand im dunklen Gange, und da er hier genau Bescheid zu wissen schien, so befanden sich die Beiden bald an der Thür des kleinen Zimmers, das wir bereits kennen. Herr Brenner ersuchte den Schneider, einzutreten, während er selbst vorn in die Schenkstube gehen wollte, um ein Glas Guten zu bestellen.
Der Schneider, der sich allein gelassen sah, blieb unschlüssig stehen; das düstere Haus und der finstere Gang mißfielen ihm, und er konnte sich überhaupt eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, da er im Begriffe war, Sonntag-Nachmittags ins Wirthshaus zu gehen und sich so eines sträflichen und gottlosen Benehmens schuldig zu machen. Da er aber anderntheils den Spott seines Freundes fürchtete, öffnete er langsam die Thür des Zimmers, wollte jedoch im nächsten Augenblicke wieder zurücktreten, da er sah, daß sich hier schon ein Gast befand. Dieser Gast saß an dem Tische, hatte den Kopf in die Hand gestützt und blickte vor sich nieder, so daß man sein Gesicht nicht sehen konnte. Beim Geräusch der Thür hob er aber den Kopf in die Höhe und schaute den Eintretenden an, der nun eine Sekunde wie erstarrt stehen blieb und dann mit einem Ausdrucke des Schreckens wieder zurücktrat.
Er eilte in den dunklen Gang zurück und stieß hier an Herrn Brenner, der aus der Schenkstube kam.
»Wohin? wohin?« fragte dieser.
Worauf Meister Schwörer mit allen Zeichen der Angst zur Antwort gab: »Laßt mich aus dem Haus hinaus; es ist da nicht geheuer; ich habe ja voraus gesagt, daß es nicht gut ist, an diesem Tage und zu dieser Stunde ins Wirthshaus zu gehen. – Da drinnen –!«
Während er das sprach, versuchte er bei dem Jäger vorbei zu kommen, dessen große und breite Gestalt aber die enge Passage so vollkommen verschloß, daß selbst für einen dünnen Schneider kein Ausweg blieb.
»Rappelt's bei Euch wieder einmal?« rief verwundert Herr Brenner aus, als er sah, daß der Andere mit sichtbaren Zeichen der Angst bei ihm vorbei zu kommen strebte. »Was ist denn da drinnen? Kommt, Schwörer, seid kein Narr! Sitzt vielleicht auf dem Tische eine schwarze Katze und hat Euch mit feurigen Augen angesehen? Wer wird so furchtsam sein! Und obendrein am hellen Tage!«
Bei diesen Worten schritt er vorwärts, und so sehr auch Meister Schwörer widerstrebte, so mußte er doch mit: es war rechts und links kein Ausweg. Aber zuerst hinein wollte er um keinen Preis. Er machte eine letzte krampfhafte Anstrengung, und wäre wahrscheinlicher Weise entwischt, wenn ihn nicht der Jäger gefaßt und nun hinein in das Zimmer gezogen hätte.
Als der Letztere so mit dem zappelnden Schneider eintrat und den Mann sah, der diesen so erschreckt, brach er in ein wahrhaft brüllendes Lachen aus, wobei er rief: »Kann doch der Schwörer seine albernen Narrenspossen nicht lassen! Hat Sie, Herr Larioz, wieder einmal für den Teufel angesehen!«
Der Angeredete schaute einigermaßen verdrießlich in die Höhe; als er aber Herrn Brenner erkannte, glättete sich sein Gesicht so weit, daß nur ein würdevoller Ernst übrig blieb.
»Nehmen Sie es dem da nicht übel,« sagte Herr Brenner, indem er auf seinen Begleiter wies, »aber er hat wahrhaftig geglaubt – doch sprechen wir lieber nicht mehr darüber,« unterbrach er sich selber. – »O Schneidermeister, wie kann man so närrisch sein! Das ist Herr Don Larioz, ein sehr braver Mann, und ich schmeichle mir, ein guter Bekannter. – Verzeihen Sie es nur dem Meister Schwörer, daß ihm alte Erinnerungen so lebhaft in den Kopf gestiegen sind. Es ist sonst ein guter Kerl, dieser Schwörer, hat auch, als er noch nicht frömmer war als andere Menschen, seinen guten Stich genäht und einen vortrefflichen Rock gemacht. Dann kam freilich eine für ihn sehr betrübte Zeit; jetzt aber sehen Sie selbst, Herr Larioz, daß er anfängt, sich zu bessern. Es hat mir nicht einmal allzu große Mühe gekostet, ihn an einem Sonntag-Nachmittage ins Wirthshaus zu bringen.«
»Das könnt Ihr eigentlich nicht sagen, Herr Brenner,« antwortete der Schneider etwas kleinlaut, wobei er den langen Spanier immer noch mit scheuem Blick von der Seite ansah.
»Es ist ein gut Ding, was sich bessert,« sagte dieser mit Würde.
Herr Brenner, als ein höflicher Mann, bat um die Erlaubniß, sich an den Tisch setzen zu dürfen, worauf er einen Stuhl herbeizog und seinem Begleiter winkte, ein Gleiches zu thun, was denn auch geschah, doch nahm Herr Schwörer seinen Platz so nahe wie möglich an der Thür und so weit wie möglich von dem langen Manne entfernt.
Windspiel, der den guten Wein herein trug, machte ein einigermaßen ernstes, fast verdrießliches Gesicht, als er die beiden eben Gekommenen in dem kleinen Zimmer sah. Doch schien er sich zu beruhigen, als er bemerkte, daß der Eine von ihnen mit Herrn Larioz verkehrte, als sei er schon länger mit ihm bekannt.
»Sie werden mich für undankbar halten, Herr Brenner,« nahm Don Larioz nach einer Pause das Wort, »daß ich in den letzten Tagen nicht bei Ihnen war, um Ihnen meinen schuldigen Dank zu wiederholen für die liebreiche Art, mit der man sich in Ihrem Hause meiner bei meinem Unwohlsein erinnert. Ich habe das tief empfunden, und Sie müssen nicht glauben, daß ich mich Ihnen nicht außerordentlich verpflichtet fühle.«
»O, davon sprechen Sie nicht!« erwiderte der Jäger; »das war nicht der Mühe werth. Es hat Margarethen ein großes Vergnügen gemacht, hier und da etwas für Sie besorgen zu können.«
»Die Suppen waren vortrefflich,« versetzte der lange Mann mit ernster Stimme, indem er die Augenbrauen in die Höhe zog; »sehr vortrefflich und schmackhaft.«
Meister Schwörer hatte angstvoll gelauscht, worüber sich Jener wohl unterhalten würde, und es fiel ihm eine Centnerlast von der Brust, als er ihn von Unwohlsein und schmackhaften Suppen reden hörte. – Es kann doch nichts Verfängliches dabei sein, dachte er, denn so viel ich weiß, nähren sich böse Geister nicht von schmackhaften Suppen.« – Wir können hierbei nicht verschweigen, daß der Schneider einen Augenblick vorher vorsichtig unter den Tisch geschaut hatte.
»Der Grund übrigens,« nahm Herr Larioz abermals das Wort, »warum ich nicht schon bei Ihnen war, ist doch für mich ernsterer Natur. Ich hatte Ursachen halber, die nicht hieher gehören, Differenzen mit dem Herrn Doktor Plager, in deren Folge ich meine Entlassung einreichte.«
»Oh!« machte Herr Brenner mit einem verwunderten Gesichte.
»Und da mein Weggehen von dem Bureau vielleicht auch auf die Stellung Gottschalk's Einfluß haben könnte, so wollte ich nicht eher darüber sprechen, als bis die Sache vollkommen geordnet wäre. Herr Doktor Plager will meine Entlassung vorderhand nicht annehmen, ich aber nicht bleiben, und so befinden wir uns in einer Zwischenzeit, die aber in den nächsten Tagen zu Ende gehen muß. Was nun Gottschalk anbelangt, so habe ich, wie Sie wohl wissen, den Knaben lieb gewonnen und werde, so Gott will, auch ferner für ihn sorgen können.«
»Es ist das eigentlich ein guter Bube, der Gottschalk,« wagte Meister Schwörer sich in das Gespräch zu mischen, fuhr aber doch beinahe zusammen, als ihm hierauf der Spanier seine scharfen Augen zuwandte.
»Ja, und hat Glück gehabt,« lachte der Jäger, »als Ihr ihn an jenem Abend so erbarmungslos ausgesperrt.«
»Sprechen wir nicht davon,« bat der Schneider.
»Und warum nicht?« meinte der Andere. »Glaubt mir, Schwörer, das war auch in Eurem Leben ein wichtiger Wendepunkt. Wo wäre es mit Euch hingekommen! – Sie müssen nämlich wissen,« wandte er sich an Herrn Larioz, »daß unser Freund da seit jenem Tage reinen Tisch gemacht hat; er hat seine Werkstatt von all den scheinheiligen Lappen rein kehren lassen, hat ein neues Leben angefangen und wartet nun auf eine frische Kundschaft.«
»Aber ich warte schon recht lange und ziemlich vergebens,« entgegnete Meister Schwörer mit betrübter Stimme. »Habe auch keine rechte Hoffnung mehr, daß das Ding sich machen werde.«
»Ich glaube das Gegentheil,« sagte heiter der Jäger. »Und darauf hin wollen wir unser Glas austrinken. Ich fürchte, bei Euch will die Gnade noch nicht recht zum Durchbruche kommen, denn statt einen ordentlichen Zug zu thun, schmeckt Ihr da nur so herum, wie ein verschämtes Frauenzimmer. Und der Wein ist gut, das muß man sagen; ich werde mir den Reibstein merken. – Also auf neues Leben und gute Kundschaft!«
Meister Schwörer hob bei dieser Aufforderung schwermüthig lächelnd sein Glas, stieß mit dem Jäger an und that darauf einen Zug, worüber sich dieser halb zufrieden erklärte.
Unterdessen hatte sich Windspiel über die Schultern des langen Spaniers gebeugt und ihm etwas zugeflüstert, worauf dieser mit dem Kopfe nickte und sich langsam erhob.
Der Jäger blickte in die Höhe und sagte mit einem Tone des Bedauerns: »Sie wollen uns doch nicht schon verlassen? Es ist das wahrhaftig schade, denn Sie hätten mit ansehen können, wie mein Freund Schwörer nach und nach aufthauen wird. Ich will jede Wette machen, er verläßt das Haus heiterer, als er hinein gegangen.«
»Das zu erfahren, würde mich sehr freuen,« gab Don Larioz ernst zur Antwort; »doch habe ich in der That noch etwas Dringendes zu thun, weßhalb ich mich für dieses Mal Ihrer angenehmen Gesellschaft entziehen muß.«
Zwingen muß man Niemand, dachte der Jäger, indem er mit gewaltigem Zuge sein Glas leer trank und sich alsdann halb von seinem Stuhle erhob, um die Begrüßung des Schreibers zu erwidern.
Dieser nahm seinen Mantel und Hut und auch das lange spanische Rohr, und verließ, von Windspiel gefolgt, das kleine Gemach.
Hierbei können wir nicht unterlassen, zu erwähnen, daß Herr Brenner Recht hatte, als er gesagt, Meister Schwörer würde das Haus heiterer verlassen, als er hinein gegangen. Es war übrigens spät am Abend, als dies geschah, und dabei hatte sich der kleine Schneider an den Arm des Jägers gehängt, und versicherte ein Mal über das andere Mal mit ziemlich schwerer Zunge, es sei und bleibe nothwendig für jeden gläubigen Christenmenschen, jeden Sonntag ein Mal in die Kirche zu gehen; dann aber auch ein gutes Glas Wein im Wirthshause zu trinken, sei wahrhaftig keine Sünde.