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Zehntes Capitel.

Heimwärts.

Nach einem ereignißreichen Tage, an welchem sich vielfache Fäden für zukünftige Erlebnisse angesponnen haben, spornt bei tüchtigen Naturen das Erwachen nur zum Muth und zur Entschlossenheit. Alles Das, worauf man in der Frühe sich vom Abend her mit Staunen besinnt und was einmal nun nicht mehr zu ändern ist, tritt jetzt in Form einer Pflicht und einer gewissenhaft durchzuführenden Aufgabe vor die Seele zurück und weit entfernt, zu klagen und sich in Betrachtungen zu verlieren, wie das Alles hätte möglich sein können, rührt ein entschlossener Geist die ihm zugebotestehenden irdischen Hände, kämpft sich durch die Schreckbilder eitler Erwägungen hindurch und beginnt oft von einem solchen schwierigen und aufgabenreichen Tage den Abschnitt eines neuen Lebens.

Dankmar, ein freier Naturmensch, war noch keineswegs ein fertiger abgeschlossener Charakter. Er fühlte zu oft noch, daß immer wieder neue Erfahrungen an seinen Gesichtspunkten rüttelten, neue Bekanntschaften, neue Thatsachen ihn ganz aus seinem gewohnten Gleichgewichte werfen konnten. Aber bis zu der Einwurzelung hatte er es denn doch schon gebracht, daß er nicht mehr von jedem Eindrucke, der ihm unvorbereitet kam, sogleich willenlos hin und her geschleudert wurde.

Während Siegbert mehr ein Gemüths- und Phantasieleben führte, hatte Dankmar die thatkräftige und verständige Richtung seines Innern vorzugsweise schon entwickelt und sich in ziemlich sichern Grundzügen seine etwanige künftige Laufbahn entworfen. Er liebte das Recht, dessen Studium und Praxis er sich zur Lebensaufgabe gewählt hatte, er liebte es auch an und für sich selbst. Er hatte schon als Kind einen leidenschaftlichen Trieb zur Gerechtigkeit und konnte Denen, die seinen für Das, was ihm wahr schien, aufflammenden Eifer misverstanden, heftig, ja gewaltthätig erscheinen. Er scheute schon als Knabe keine Gefahr, wo ihn das Bewußtsein einer richtigen Handlungsweise, einer Ausgleichung fremder Unbill begeisterte. So war er auf der Universität nicht nur oft in Zweikämpfe verwickelt, die er ohne Tollkühnheit mit besonnenem Muthe bestand, sondern noch weit öfter Zeuge und Vermittler fremder Ehrenhändel und nicht selten Schiedsrichter in Streitfragen, wo er den Ausbruch einer übereilten Berufung an die Waffen hintertrieb. Sein männliches Wesen gewann ihm alle Herzen. Bei jedem Anlaß, wo verschiedene Ansichten sozusagen grell aufeinander platzten, wählte man ihn zum Vorsitzer der Debatte. Er hatte überall die angenehme Genugthuung, daß sich ihm die tüchtigsten Menschen unterordneten, worüber er nicht um seinetwillen, sondern um der Sache selbst willen Freude empfand. Bunten Seifenblasen lief er nicht nach. Er ließ das süße Geschäft des Träumens seinem weichern Bruder.

Dennoch verwarf darum Dankmar Siegbert's Richtung noch nicht. Er hielt hier eine männliche Befruchtung, dort eine weibliche Empfangnahme in allen Geistern für nothwendig; denn die Geister, sagte er, haben kein Geschlecht. Für sich selbst aber behielt er Das als Richtschnur, was seinem Wesen entsprach. Er scherzte oft tändelnd ohne gedankenlos zu werden, er spottete ohne zu verwunden. Im Übrigen hielt er sich in seinem gewohnten Ernste, den er gefällig, leicht, ohne Kopfhängerei zur Schau trug. Unterstützt von einer sehr edlen Gestalt, die sichtbar die Kraft und Fülle einer unverdorbenen Jugend ansichtrug, hätte er in der Welt großes Glück machen müssen, wenn ihn nicht die spärlich zugemessenen Mittel beengt und von einer freien Bewegung in größeren Kreisen entfernt gehalten hätten. Wie oft rief er nicht mit dem Dichter: Ich bin ein Fisch auf dürrem Sand!

Seine einzige Schwäche war vielleicht die, daß er auf eine plötzliche Erhebung durch irgend eine hohe Flut hoffte.... In diesem Sinne war er romantischer und abergläubischer als Siegbert. In diesem Sinne glaubte er an Wunder. Ob diese hohe Flut nun in einer Zeitbewegung oder einem günstigen Zufalle, in der Liebe oder wol gar in einem persönlichen Unglück bestehen würde, war ihm fast gleich. Genug er glaubte an die Nothwendigkeit, daß an jeden Menschen einmal vom Schicksal irgend ein Hebel gesetzt wird, der ihn aus der Gewöhnlichkeit und dem träge sich fortspinnenden Genuß eigener Hände- und Geistesarbeit herausschleudern müsse. Die Das bestreiten, sagte er einmal zu Siegbert, der bei all seiner Romantik in gewissen Dingen »praktisch«, ja nüchtern sein konnte; die Das bestreiten, Bruder, haben wahrscheinlich nicht den Muth gehabt, den ihnen vom Schicksal dargebotenen Finger, das zugeworfene Ankertau kühn zu ergreifen! Wer da zögert und fürchtet, man könnte vielleicht mitten in den Wolken von der Hand der Himmlischen plötzlich losgelassen werden oder das Tau könnte reißen, Der versäumt sein besseres Erdenloos durch eigene Schuld. In spätern Jahren, wenn man wie eine Schnecke zu seinem solid erfaßten Ziele fortgekrochen ist und vielleicht irgend ein Häuschen zur Unterkunft gegen Regen und Ungemach gefunden hat, später entsinnt man sich dann sehr wohl, daß man einst an einem Seitenwege gestanden hat, wo uns ein unerklärliches Etwas in der Brust zurief: Lenke hier ja ein! Man steht vielleicht nicht sehr hoch und übersieht nun doch, daß jener Weg zur eigentlichen Hauptstraße führte und daß Viele, die ihn wandelten, es weiter brachten als wir. Eine einzige unterlassene Bekanntschaft kann sich so empfindlich rächen! Ein einziges Wort von einem edlen, einflußreichen Menschen, nicht aufgegriffen und befolgt, war so für immer verloren. Ja ein Besuch, den man den Muth hätte haben sollen, einem freundlichen Gelehrten oder Staatsmanne oder einer schönen Frau zu machen, die in einer Gesellschaft, wenn auch nur drei holde, ermunternde Worte zu uns sprach, konnte für uns Vortheile, Lebensplane, Lebensrichtungen zeitigen, die sich blöde Zaghaftigkeit kaum möglich gedacht hatte. Und in diesem Sinne, sagte er sich immer, greif' ich einmal irgendwo ganz keck zu, wenn ich bemerke, daß an der Wand Etwas, wenn auch nur vom leisesten Schatten einer Schicksalshand spukt und dämmert, und wenn ich Gefahren erblicke, wenn ich selbst vor kühlerm Urtheil gestehen müßte, eine Thorheit zu begehen, ich finde mich schon aus ihren Folgen wieder heraus, versinke nicht, kämpfe solange ich kann mit den Wogen und bin, wenn ich aus der Betäubung erwache, entweder drüben am andern Ufer, wo Glück und Freude blühen, oder ich erwache nie mehr aus ihr, und Das wäre dann auch gut.

Ein solches geheimnißvolles Schattenspiel an der Wand war Dankmarn nun der Verlauf des ganzen gestrigen Tages. Er hätte, wenn er Siegbert's Wesen folgen wollte, jetzt fliehen müssen. Ein Brief an diese gefährliche Melanie, der Vorwand plötzlicher Abhaltung, vielleicht die ausdrückliche Berichtigung ihres Misverständnisses, wenn sie es, wie Dankmar kaum wissen konnte, noch hegte, alles Das wäre Siegberten nun sogleich gebieterisch in den Sinn gekommen. Er hätte alle Fäden abgerissen und sich wieder in sein Atelier geflüchtet, den Pinsel ergriffen und in Gott und sich vergnügt Leinwand bemalt. Ganz anders der entschlossene feurige Dankmar. Der hielt nun fest, was ihm der Zufall an Drähten von der großen Weltkomödie in die Hand gespielt hatte. Prinz Egon war nicht mehr zu finden. War es ein Betrüger gewesen, so ergab er sich darein und nahm Das, was sich aus unangenehmen Irrthümern als angenehme Wahrheit ergeben hatte, für ein Übriges, für einen reellen Gewinn. Zum Justizdirector von Zeisel konnte er nicht mehr gehen, denn es war zu früh am Tage. Der Thurm, an dem der Büttel wohnte, lag ihm sogar zu fern. War der Prinz entflohen, so konnte ihm nur damit gedient sein, einen Vorsprung zu gewinnen, den er durch seine Meldung vielleicht verloren hätte. Auch hatte er genug zu thun mit seiner Reiserüstung. Schon schlug es fünf Uhr und um sechs wollte Melanie vor der Thür der Krone halten, so meldete ein Jockei Lasally's, den dieser geschickt hatte, um den Einspänner des Fremden in Empfang zu nehmen. Dankmar überwies ihm sein geliehenes Fuhrwerk mit strenger Weisung zur Obhut und Schonung. Auch Bello wurde ihm anempfohlen, den er sorgsam zu hüten versprach. Die Rechnung beim Wirthe wurde berichtigt. Er sah dabei mit Schrecken, wie seine zwanzig kleinen Papiere schon zusammengeschmolzen waren, und wenn er vollends gedenken mußte, daß diese Summe fast eine bei Hackert gemachte Anleihe war und daß ihn ohne Zweifel in der Residenz die Nachricht empfangen würde, ein ihm von Lasally's Bereiter, dem alten Levi, anvertrautes stattliches Pferd wäre wieder von Hackert auf irgend eine Weise wenn nicht ganz zugrundegerichtet, doch vielleicht gemishandelt zurückgeschickt worden, so ergriff ihn vor den möglichen künftigen Verwickelungen fast ein Anflug von Muthlosigkeit.

Melanie aber erschien ihm bei solcher Stimmung wie Ariadne. Sie war ihm die Retterin aus dem Labyrinthe jeder Gefahr. Wie er sie und Lasally und das ihm bestimmte Pferd und einen Reitknecht dahersprengen hörte, verschwand jede Besorgniß. Er trat auf die Schwelle des Gasthauses und empfing schon in der Ferne Melanie's freundlichen Morgengruß. Sie nickte ihm alle Träume der vergangenen Nacht zu. Sie sagte ihm nicht durch Worte, sondern durch einen einfachen Blick: Ich bin Dieselbe, die ich gestern war! Ich bin Die, die sich in der Mondnacht deiner Umarmung nur darum entwand, um dir, wenn du willst, für's Leben zu gehören! Lasally sprach Einiges über den Gaul, den er Dankmarn hatte satteln lassen. Dieser, seit frühen Jahren ein geübter Reiter, fand sich bald auf ihm zurecht und erfreute Melanie nicht wenig durch seine kundige Haltung der Bügel und der Lenkseile. Sie trug einen grauen Hut mit schattiger breiter Krempe, einen blauen Schleier und ein weites, bis oben geschlossenes, gleichfalls blaues Reitkleid. Die Reitgerte hielt sie unter dem linken Arm angepreßt, während die linke Hand die Zügel hielt, denn in der Rechten hatte sie ein weißes zierliches Papier, von dem sie Verse ablas, die ihr heute schon in aller Frühe überreicht waren. Sie kamen vom Pfarrer, der sie ihr am Fuße des Schloßberges entgegengehalten und einen Abschied genommen hatte, von dem Melanie versicherte, er hätte sie mehr beängstigt als erfreut.

Denn ich bin wol glücklich, sagte sie, Die zu erobern, die mir gefallen, aber geschätzt zu werden, wo man es am wenigsten erwartete, setzt in Verlegenheit!

Am Ende des Dorfes, dicht vor Zeck's Schmiede, hielten drei Reisewagen, die schon die ganze übrige Gesellschaft aufgenommen hatten. Nach der Abreise Melanie's und ihrer Mutter wollte Niemand mehr auf dem Schlosse zurückbleiben. Man hatte bis in die tiefe Nacht gepackt und sich mit wenigen Stunden Schlaf begnügt. Diese lebensfrohen, vom Dasein so begünstigten Herrschaften reisten mit allem Comfort des Besitzes. Die Wagen waren elegant und bequem, die Kutscher in Livreen. Recht großmüthig theilte Melanie's Mutter noch an die Diener des Schlosses Geldspenden und Geschenke aus; kärglicher zeigte sich Reichmeyer, der sich zu seinen Zeitungen und Cursen zurücksehnte. Die Wirthschaftsräthin war geradezu geizig. Bartusch, der Hannchen Schlurck gegenüber saß, theilte außerdem noch an die alte Brigitte manche Befehle aus und verhieß eine baldige Rückkehr, worauf sie nicht zu erwidern verfehlte, daß sie Alle in Gottes Hand gegeben wären und daß der alte Winkler den Tag des Herrn bald werde anbrechen sehen. Dann wandte die Alte sich zu Dankmarn hin, der eben mit Melanie von der Krone dahersprengte und beantwortete Bartuschens heimlich an sie gerichtete Frage, ob sie nicht glaube, daß dieser Herr der Prinz Egon wäre, mit den Worten:

Über ein Kleines wird man ihn sehen und über ein Kleines wird man ihn nicht sehen!

Bartusch machte ihr seine Frage deutlicher.

Der Prinz! Der Prinz! sagte er. Kennt Sie ihn nicht mehr?

Die Alte hatte so viel Angst vor diesen fremden Leuten, daß sie Alles, was man sie fragte, nur halb verstand. Da meinte sie denn:

Viele sind berufen, aber Wenige auserwählt!

Bartusch hätte sie nun lieber sollen stehen lassen. Diese gute Alte war eben durch die lange Gewöhnung an kirchliche Äußerungen, durch überirdische Sehnsucht, zwei Jahre der Furcht und des Schreckens vor einer Zukunft von vielleicht noch einigen Jahren der Entbehrung, in einen solchen Zustand der Verdumpfung gerathen, daß sie nur das allernächste Wirthschaftliche noch begriff und auf Bartusch's erneuertes Drängen, ob sie jenen jungen Mann nicht für den Prinzen Egon halte, unfähig war, sich zu sammeln und vernünftig zu antworten.

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Auch die beiden Zecks standen schon vor der Schmiede und gafften, der Blinde als wenn er sehen, der Taube als wenn er hören könnte. Seit Jahren schon waren sie gewohnt, ihre Sinne gegeneinander auszutauschen, und so kam es fast, daß der Blinde besser sah als der Taube, und der Taube besser zu hören schien als der Blinde. Sie faßten sich Beide an; denn das Pferdegetrappel machte den Stand selbst unter dem Vordache der Schmiede gewagt. Der alte Zeck lächelte, weil er viel zu wissen schien, der junge lächelte, weil er entschieden nichts wußte und einfältig war. Jener grüßte in einem fort und sprach laut die lebhaftesten Reisewünsche aus, dieser nickte Allen zu und bestätigte stumm, was der Vater hastig und von innerer Unruhe getrieben fast in die Luft sprach, denn Niemand hörte auf sie; selbst Dankmar nicht, dem diese Menschen seit dem Besuche des Amerikaners und Heunisch's harmlosen Mittheilungen nicht mehr gefielen. Nur Bello kümmerte sich um sie und klaffte auf seinem zum Fourgon umgewandelten Einspänner viel unfreundlicher, als sich für den Abschied und die Ohren der Damen geziemte. Dankmar hörte dem Thiere die Freude an, zu seinem Herrn, dem Fuhrmann Peters, zurückzukommen, von dessen Schicksalen an der Schmiede es mehr zu wissen schien als Peters selbst. Doch suchte er den Lärmmacher ernstlich zu beruhigen.

Als sich denn endlich der Zug in Bewegung setzte und die Reitenden noch eine Weile an den Wagenschlägen sich hielten, kam man noch einmal auf den sonderbaren Abschied des Pfarrers zu sprechen, der am Wege oberhalb einer Anhöhe stand und mit dem Tuche Allen nachwehte.

Dankmar sagte zu Melanie:

Den haben Sie auf dem Gewissen! Der ist an Ihrem Sonnenstrahl noch einmal wie zu neuem Leben erwacht und kommt mir vor, als wenn er beschlossen hätte, den nächsten Schnee auf diesen Bergen nicht mehr abzuwarten!

So soll er uns willkommen sein! sagte Melanie. Seine Verse verrathen denselben Geist, den Sie ihm auch in seinen Reden werden angemerkt haben. Ich glaube es ist ein Poet.

Etwas viel Gefährlicheres, sagte Dankmar. Es ist ein Genie; wenigstens glaubt er es zu sein. An Betrachtungsformen der Dinge, an Reflexionen, sie bald so, bald so spielen zu lassen, scheint er in der That überreich zu sein. Von dieser Gattung Menschen hatt' ich immer eine Ahnung, wie sie wol sein könnten und nun bin ich begierig, ob sich jetzt mit Ihrer Abreise das in Aufruhr und wilde Gährung gebrachte bedeutende Element in diesem da legen wird und er zurückkehrt zur gewohnten Ordnung und Resignation seines Lebens, oder ob es ihn nicht mehr ruhen läßt und er noch einmal den Faden seines Lebens, den er früher mit der Fürstin im Pietismus fast versponnen hat, zu einem neuen Gewebe anlegt....

Wäre das ein Doctor, sagte Lasally kurz und mit einer Art trockenen Humors, wie Alles was er sprach; wäre Das ein Doctor, von dem ließ' ich mich nicht curiren, und wenn mir nichts als ein Finger weh thäte.

Es ist wol möglich, sagte Dankmar, daß er Ihnen soviel von dem Wesen einer Entzündung der Hand spräche, soviel geistreiche Wendungen für die Wichtigkeit der Fünfzahl im menschlichen Körper vorbrächte, bis ein ganz prosaischer Chirurg kommen und Ihnen von Ihren fünf Fingern den einen kranken abschneiden müßte.

Dankmar sagte Das an der Stelle, wo ihm der vermeintliche Egon die Visitenkarte gegeben hatte....

Darüber zwar geneigt, in Betrachtungen zu versinken, konnt' er doch solchen ernstern Stimmungen nicht nachgeben; denn Melanie duldete keine Pause. Man kennt ja jene Stimmung der glücklich Liebenden, wenn sie ihr Geheimniß unter gleichgültig scheinenden Scherzen zu verbergen suchen und von der innern, ihre Brust mit dem Gefühl aller Seligkeiten zu sprengen drohenden Macht getrieben, in holdem Muthwillen bald nach diesem, bald nach jenem Gegenstande und Gedanken greifen, deren wirres Durcheinander wol den oberflächlich Blickenden dann täuscht, dem tiefern Forscher und Kenner der Herzen aber sich gar bald verräth!

Wenn auch hier die Forscher und Kenner fehlten, so fehlten doch Die nicht, die Melanie's Natur kannten. Alle wußten, daß der junge Fremde, der auf die Länge ihnen immer höher wuchs und für den Bruder eines in Melanie ohne Erhörung verliebten Malers fast zu hoch von ihr verehrt wurde, nicht Das sein sollte, wofür er sich ausgab. Man flüsterte staunend vom Prinzen Egon. Hatte man doch auch von einem Diener gehört, daß er einen mit einer Krone gesiegelten Brief zur Post gegeben! War man doch betroffen über seine genaue Kenntniß aller innern und äußern Beziehungen der fürstlich Hohenberg'schen Familie! Nur das Wohlwollen schien ihnen befremdlich, das er ihnen Allen nicht entzog. War es der junge Fürst, so hatten sie Alle das Gefühl, daß er ihnen Etwas schenkte, worauf sie kaum Ansprüche machen durften. Und war er freundlich, ihrer finanziellen Ansprüche wegen, so lag darin Etwas, was ihn wieder geringer erscheinen ließ, als seiner Art zu entsprechen schien. Herr von Reichmeyer faßte ihn schon gering. Er nahm oft Gelegenheit, seine Unzufriedenheit mit Vielem auszusprechen, was sich ihm auf der Reise durch die Herrschaften des Fürsten zur Anerkennung oder Rüge darbot, und machte sich in der ganzen vollen Bedeutung geltend, die er dem bedrängten Erben haben mußte.

Dankmar, unbekümmert, genoß nur den Augenblick.

Er ließ ihn nur noch von Melanie erfüllen. Sie hatte ihm gesagt, daß sie den Intendanten auf dem Heidekruge einholen würden und daß bis morgen das Bild in seinen Händen sein würde.... Mehr bedurfte es nicht... Er ließ Alles geschehen um des Bildes und um des süßen Abenteuers willen. In vollem Zuge genoß er das Glück des stillen Einverständnisses mit einem reizenden Weibe. Beseligt empfand er die Macht eines einzigen jener Blicke, die aus Melanie's dunkeln, liebeverheißenden Augen ihn für tausenderlei gleichgültiges Geplauder, Forschen, Blinzeln, Moquiren entschädigen sollten. Konnte ihm denn entgehen, daß Melanie nur seinetwegen so muthig auf ihrem Rosse aushielt, daß sie nur seinetwegen mit den Leuten am Wege scherzte? Zwar gab sie sich die Miene, von einer brennenden Sehnsucht nach dem Intendanten verzehrt zu werden. Sie fragte Jeden, ob sie nicht den schönen Mann in dem eleganten Reisewagen hinter der großen Thierbude gesehen hätten und da durch diese Örter noch der Transport des Mobiliars bei Nacht geschehen war, so stellte sie sich untröstlich, von Niemanden Auskunft zu erhalten....

Hier hat er geschlummert, rief sie, hier haben seine kleinen Ohren sich in die Kissen seines Wagens gedrückt! Hier über diesen Stein rollten vielleicht die Räder seines Landaus und weckten ihn aus einem Traume, wo ich vielleicht eben vor ihm niederkniete und ihm sagte: Einziger! Nur du! Nur du!

Und wenn die Leute über eine gefahrene Thierbude, von der sie sprach, erstaunten, hier und da wol auch Jemand von dem ungeheueren Wagen gehört hatte, so sagte sie Andern wieder, es wäre eine Hütte, die ihr Geliebter mit sich führe, dieselbe Hütte, wo er sie zum ersten male gesehen und die er deshalb mit in sein Schloß nähme, um sie unter eine Glasbedeckung zu stellen....

Mit solchen Scherzen vergingen die ersten Stunden des Morgens, bis man sich am Gelben Hirsche sammelte und dort ein Frühstück einzunehmen beschloß.

Comfortables Geschirr und feine Küche hatte man bei sich. Eier und Butter gab die Wirthschaft, die von dem Bruder der hier nicht gern verweilenden Wirthschaftsräthin geführt wurde. Zu verwandtschaftlichen Begrüßungen blieb hier nicht viel Zeit; denn die so außerordentlich zahlreiche Gesellschaft drängte und setzte alle Hände des Wirthshauses in Bewegung. Der Bruder der Frau Pfannenstiel war wiederum nicht zugegen. Man sagte ihr, sie könnte ihm vielleicht noch begegnen; er wäre in Helldorf, wo die angesehenen Eigenthümer der Gegend sich zu einer Wahlbesprechung unter dem Vorsitz des Heidekrügers Justus versammelt hätten. Die Wirthschaftsräthin wußte, daß ihr Bruder stark Politik trieb und war froh, daß sie sein drittes Wort nicht hörte: Schwester, thu' Etwas für mich! Ich habe ein halbes Dutzend Kinder.... Diese Kinder schmiegten sich denn auch, während die Mutter von der Verlegenheit über soviel Gäste fast überwältigt war, an die Tante, bekamen aber wenig andere Zärtlichkeit von ihr erwidert, als daß sie sich das Zerdrücken und Beschmutzen ihres seidenen Kleides verbat. Sie würde ihnen gern, sagte sie, von den Leckerbissen der Wagenvorräthe abgegeben haben, wenn sie nicht dann jene Beschädigung hätte fürchten müssen.... Lenchen lächelte dazu fein, ungläubig und betrachtete sie kaum.... Was ist Blutsverwandtschaft, wenn sie nicht durch den ebenbürtigen Geist vermittelt wird!

Unter einem Apfelbaum hinterm Hause nahm die Gesellschaft Platz und breitete ihre Vorräthe aus, während die Dienerschaft auf Käse und Butter aus der Wirthsküche und eine schnelle Revision aller Hühnernester angewiesen war. Frau von Reichmeyer vertheilte Teller, Servietten, Gläser, putzte und reinigte, was ihr nicht sauber schien, während die Justizräthin mit gutmüthigen Entschuldigungen ihre scharfe Kritik wieder kritisirte und Alles zum Besten zu kehren trachtete.

So heiter man schien, so entging es Dankmarn doch nicht, daß er anfing die Gesellschaft zu drücken. Seine Anwesenheit belästigte wol nicht, im Gegentheil mußte sie Allen, selbst Lasally, der oft von seiner Anklage gegen Hackert sprach, interessant erscheinen; allein der Hinblick auf ihn wurde doch ein befangener. Bartusch hatte sich entschließen müssen, Schlurck's Brief mitzutheilen. Er ging heimlich von Einem zum Andern. Man las, man verglich, man zweifelte und glaubte, jenachdem Dankmar in der Laune war, die geheimen Zeichen des Zweifels und des Glaubens, deren Gründe er wol errieth, durch sein Benehmen zu unterstützen oder zu widerlegen. Hätt' er nicht immer noch annehmen müssen, diese doch hochstrebende, von der großen Gesellschaft verwöhnte Melanie gäbe sich seinen Planen vielleicht doch wol nur hin, weil sie in ihm die Eroberung eines Fürsten zu haben glaubte, er hätte dem zweifelhaften Schimmer seines Ichs bald ein Ende gemacht und sich offen als das anspruchlose Glied der Gesellschaft zu erkennen gegeben, das er wirklich war.

In dieser Stimmung kam ihm ein Gruß sehr willkommen, den ihm ein an dem Apfelbaume Vorübergehender schenkte. Es war Heunisch, der Jäger. Alle kannten ihn. Es befremdete nicht wenig, daß Dankmar, den das seinetwegen stockende Gespräch fast verlegen machte, aufstand, Heunischen, der ins Haus gehen wollte (er kam durch den Garten, vom Felde her) auf die Schulter schlug, ihm freundlich die Hand schüttelte und mit ihm nach der Straße zu durch das Haus ging. Die Kinder umjubelten den fleißigen Besucher dieser Stätte, auf der ihm so Schmerzliches begegnet war. Sie grüßten seinen Hund, den sie liebkosten. Sie nahmen dem Onkel, wie sie Heunisch nannten, den Hut und selbst die Flinte ab, die er ihnen heute gab, weil sie nicht geladen war. Das Pulverhorn behielt er.

Dankmar knüpfte gleich an Heunisch's Erinnerungen an und wollte von Ackermann, von Selmar, von der Ursula und ihrer Erbschaft hören. Während die Gesellschaft im Garten frühstückte, setzte er sich mit Heunisch auf die Bank vor dem Gelben Hirsch, dicht unter eines der Enden des gewaltigen Geweihes, das über der Thür als Wahrzeichen einer Herberge hing, die man nach der Gesinnung des Herrn Drossel ein demokratisches Widerspiel des »Heidekruges« nennen konnte. Gelb hieß der Hirsch wol deshalb, weil das Haus grell gelb angestrichen war oder... umgekehrt.

Wir werden begierig sein, wie die Ansichten des lebhaften, unruhigen, in seinen Finanzen zerrütteten Hirschenwirthes in Helldorf mit denen des Heidekrügers über die Wahl des Justizraths Schlurck zusammentreffen müssen, wollen uns aber einstweilen mit Dem begnügen lassen, was uns unser alter Freund, der gutmüthige Jäger, noch aus seinem grünen Reviere erzählen wird.


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