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Als sich Dankmar der Krone näherte, war es ihm auffallend, daß ihm schon in der Ferne die Wirthsleute winkten und ihm anzudeuten schienen, er möchte sein Kommen beschleunigen.
Bello sprang so gut er konnte voraus und nicht wenig erstaunt war Dankmar, schon das Thierchen vom Wirth, der Frau Wirthin, allen Hausknechten und Mägden mit einer Art von Feierlichkeit begrüßt zu sehen. Wie stieg aber sein Befremden, als man endlich vor ihm selbst die Mütze zog und sich wie vor einem großen Herrn verneigte! Man zeigte ihm nämlich im sonderbarsten Durcheinander zu gleicher Zeit an, daß er aufs Schloß – nein! riefen Andere, die sich neugierig dazu gesellten, in den Thurm!... Was in den Thurm? sagten Jene wieder, ins Schloß – geladen sei.
In den Thurm? Aufs Schloß? wiederholte Dankmar befremdet.
Einer suchte dem Andern den Rang abzulaufen und ihm zu erzählen, wer ihn zu sprechen wünsche. Man konnte dabei kaum begreifen, wie ihm die Erläuterung seiner Einladung in den Thurm weit wünschenswerther war, und immer wieder fingen sie von einem kleinen sehr wichtigen Herrn an, der eigens vom Schlosse heruntergekommen wäre, sich mit der größten Artigkeit nach ihm erkundigt hätte und ihn bäte, heute Mittag mit den gnädigen Herrschaften oben zu speisen. Das war der Inhalt der klaren Rede, die sich die Frau Kronenwirthin durch all das Geschwirre endlich angebahnt hatte.
Viel gespannter aber sah Dankmar dabei auf die inzwischen stummen Gruppen der Umstehenden, die ihm von einem auf dem Schlosse gefangenen Taugenichts erzählten, der in seiner Todesangst bäte, man möchte den jungen fremden Herrn im Reitrock aus der Krone zu sich ins Gefängniß führen... ehe er baumeln müsse, sagten die Leute lachend.
Dankmar hatte noch keine Veranlassung gefunden, in der Krone seinen Namen zu nennen; aber die Beschreibungen sowol von Seiten der Schloßbewohner, wie von Seiten des Thurmgefangenen, trafen so vollkommen auf ihn zu, daß es gar keiner Frage, ob man sich auch nicht in seiner Person irre, bedurfte, sondern seine eigene Neugier nur zu erwarten hatte, wie sich ein so vielfach begehrter Herr in diesen auf ihn gerichteten Ansprüchen benehmen würde...
Dankmar fand zunächst in der Einladung, auf dem Schlosse zu speisen, nichts als eine freundliche Aufmerksamkeit gegen einen Fremden, von dem man vielleicht – so dachte er – erfahren hatte, daß ihm der Justizrath Schlurck durch das Überbringen seines verlorenen Schreins einen Dienst, den er schon kannte, erwies und dem man für diese angenehme Entdeckung Gelegenheit zu einem Dank für die ganze Familie geben wollte. Aber von einem im Schlosse ertappten Diebe zu hören, der ihn sprechen wolle, schien ihm selbst in dem höchstwahrscheinlichen Falle, daß Hackert der betroffene Verbrecher wäre, weit größerer Aufmerksamkeit werth. Unmuthig gedachte er der Möglichkeit, über seine Verbindung mit einem ihm selbst, seit Entdeckung der drei Spitzkugeln, gefährlich scheinenden Menschen vor einer umständlichen und in kleinlichen Dingen pedantischen Justiz vernommen und wol gar an dem endlichen Beginn seiner Rückreise verhindert zu werden.
In dieser seiner verlegenen und unmuthigen Stimmung trafen ihn die Worte eines sich sehr höflich nahenden und von allen Dorfbewohnern mit herabgezogenen Mützen begrüßten Mannes:
Mein Herr, schon einmal war ich in der Krone, und ich wiederhole jetzt den mir von der Frau Justizräthin Schlurck gegebenen Auftrag, Sie ergebenst zu bitten, heut' Mittag oben auf dem Schlosse einen Löffel Suppe einzunehmen....
Einige Bursche lachten über die sonderbare Zumuthung, einen so starken kräftigen jungen Mann nur mit einem einzigen Löffel Suppe bewirthen zu wollen.
Bartusch (denn Dies war der Sprecher) fuhr fort:
Es ist elf Uhr, mein Herr! Man speist um Eins. Können wir auf die Ehre rechnen?
Dankmar erwiderte leichthin:
Mein Herr, ich bin hier ohne alle Garderobe und höre auch soeben von einem Vorfall auf dem Schlosse – von einer sonderbaren Einladung in den Thurm –...
Erfuhren Sie schon den kleinen Spektakel auf dem Schlosse? fragte Bartusch.
Dankmar, von dem Gedanken an Hackert aufs peinlichste berührt, konnte seine Verlegenheit nicht ganz bemeistern und sagte stockend:
Ich will hoffen...
Der Lärm hat nicht die geringste Unordnung hervorgerufen, fiel Bartusch sogleich ein. Se. Excellenz der königliche Intendant Herr von Harder zu Hardenstein ließen einen Fremden verhaften, der sich mit sonderbarer, zudringlicher Neugier in der Nähe der Zimmer aufhielt, deren Inhalt vom verstorbenen Fürsten Waldemar von Hohenberg an den Hof abgetreten ist. Seine Diener meinten, der Fremde hätte es geradezu auf einen Diebstahl abgesehen gehabt. Und da der Intendant in Erfüllung seiner ihm allerhöchsten Orts aufgegebenen Pflichten, wie weltbekannt, sehr streng zu Werke geht, so hat man den Fremden nach einem kurzen Verhör, in dem er sich vorläufig für einen harmlosen Wanderer und einen Tischlergesellen ausgab, bis auf Weiteres in den Thurm gesteckt...
Einen Tischlergesellen? rief Dankmar, von einer Ahnung ergriffen. Ihn in den Thurm?
Ich höre, daß der verdächtige Mensch sich auf Sie berufen hat, fuhr Bartusch mit scharf gespitztem Auge fort. Ohne Sie, mein Herr, zu kennen und zu nennen, bezeichnete er Sie doch als einen wohlwollenden Gönner, der ihn gestern in seinen Wagen aufgenommen und den er in jenen Zimmern oder irgendwo auf dem Schlosse wiederzufinden gehofft hätte....
Ich gestehe Ihnen jedoch, fuhr Bartusch mit lauerndem Späherblick fort, seine Aussagen liefen dermaßen wirr durcheinander, daß man fast glauben möchte, dieser Fremde wäre kein Handwerker, sondern vielleicht der Freund, der Reisebegleiter irgend eines im Incognito... reisenden....
Bartusch zog und blinzelte so eigenthümlich, daß Dankmar das Incognito nur auf sich beziehen konnte und daher die Vermuthung des alten Schleichers, in ihm wirklich den Prinzen zu treffen, nun erst recht dadurch bestätigte, daß er betroffen über die Kühnheit, ihn zum Mitschuldigen eines jedenfalls auf dem Schlosse für einen verdächtigen Menschen genommenen Abenteurers zu machen, sagte:
Mein Herr! Wie kommen Sie –
Bartusch fühlte aber sogleich, daß er sich nicht gut ausgedrückt hatte, wenn er überhaupt das vermeintliche Incognito des in Dankmar vorausgesetzten Prinzen Egon schonen wollte. Er verbesserte sich daher rasch, indem er sagte:
Fräulein Melanie, die, weil wir den Frauen alle Aufregung ersparen wollten, den Arrestanten nicht gesehen, erzählte gestern vom Zusammentreffen mit Ihnen im Walde. Sie erwähnte dabei eines Begleiters in blauer Blouse, der allerdings derselbe zu sein scheint, den Herr von Harder soeben verhaften ließ....
Blaue Blouse? sagte in schmerzlicher Verwirrung Dankmar, und doch auch von der Möglichkeit ergriffen, daß ihn ein Fremder dupirt hätte. Lichtbraunes Haar...?
Ein Kinnbart, fügte Bartusch hinzu, wie man ihn nur in Paris zu ziehen pflegt....
Es ist der Prinz! rief es in Dankmar mit unwiderstehlicher Gewißheit. Seine Sehnsucht, klar zu sehen, dem Prinzen beizustehen, beflügelte sich, jemehr Bartusch ihm lästig wurde....
Werden wir die Ehre haben? fragte Dieser lauernd.
Ich bin ermüdet, entgegnete Dankmar leicht und fast abstoßend. Entschuldigen Sie mich! Ich habe früh schon das Lager verlassen, einen tüchtigen Spaziergang gemacht und bitte mich zu entschuldigen... ja, ja, entschuldigen Sie mich...
Aber....
Mein lieber Herr! Sie sehen ja! Ich bin gar nicht ausgestattet, Besuche bei Damen zu machen. Sowie ich hier bin und stehe....
Wozu bedürfte es der Förmlichkeiten? sagte Bartusch verschmitzt. Ein Mann von Welt wird aus jeder Hülle erkannt, wie ich auch an dem vermeintlichen Tischler sogleich erkannte, daß er wol der Kammerdiener, vielleicht auch der Freund eines Prinzen sein könnte, wenn nämlich... das Incognito....
Kammerdiener? Freund eines Prinzen? wiederholte Dankmar von einer Ahnung ergriffen. Wie meinen Sie Das?
Wenn nämlich... Bitte recht sehr... Also... Können wir auf die Ehre rechnen? war die Antwort Bartusch's, der sich nicht, wie man sieht, ganz an Melanie's Vorschriften hielt und grade in jene Zeichensprache überging, die Hamlet an Rosenkranz und Gyldenstern so sehr tadelte.
Wetter, dachte Dankmar bei sich und wandte sich ab, wenn man dich wol gar selbst für den Prinzen Egon nähme und den Gefangenen... für deinen Vertrauten?
Und indem er noch darüber nachsann, welche Vortheile oder Nachtheile für ihn oder den wahren Prinzen aus einem solchen Misverständnisse entstehen könnten, sammelte sich seine juristische Geistesgegenwart zu einer bedachteren Erklärung!
Mein Herr, sagte er kurzweg, richten Sie der Frau Justizräthin meine ergebenste Empfehlung und mein Bedauern aus, diesen Mittag auf die Ehre verzichten zu müssen. Ich höre von einem Gefangenen, der sich auf mich beruft, mich sprechen will. Ich bin Dankmar Wildungen, Referendar am königlichen Appellhofe, lernte auf meiner Hierherreise einen jungen Handwerker kennen, den ich aus Rücksicht auf die erst staubigen, dann nassen Wege in meinen Wagen nahm. Ist der Gefangene derselbe und beruft sich auf mich, so bin ich es meiner Pflicht als Jurist schuldig, ihn in seiner Haft zu besuchen und ihm meinen Rath und Beistand zu ertheilen. Wenn die freundlichen Bewohner des Schlosses mir aber bis zum Abend ihre wohlwollenden Gesinnungen erhalten wollen und mich nicht noch anderweitige Gründe bis dahin zur Abreise bestimmen, so werd' ich nicht verfehlen, mich bei Ihnen zum Thee einzufinden. Haben Sie die Güte, Dies der Frau Justizräthin anzuzeigen.
Dankmar verbeugte sich leicht, brach rasch ab und ging in die Krone.
Bartusch stand verdutzt. Diese runde Abfertigung! Diese raschen, ihm eingelernt scheinenden Worte! Diese Namenangabe! Dankmar Wildungen! Referendar am königlichen Appellhofe.... Wildungen! Derselbe Name, der schon in des Justizraths Signalement genannt worden war! Woher kommt Das? dachte er. Wildungen?... hat der Justizrath vielleicht... der Justizrath hat ihm wol selbst diese Ähnlichkeit auf dem Heidekruge angedeutet und nun benutzt sie der Prinz... denn er ist es, jedes Wort ein Fürst!... und nennt sich Dankmar Wildungen. Diese kurze, fast brüske Art, dieses bestimmte, sozusagen grobe Wesen, diese Betroffenheit über die Verhaftung eines mindestens sehr neugierigen Eindringlings in die innern Räume des Schlosses!... Bartusch blieb bei der Voraussetzung, daß, wenn einmal der Prinz Egon im Incognito das Schloß Hohenberg zu besuchen sich aufgemacht hätte – wofür Schlurck ohne Zweifel die sichersten Beweise hatte – der Prinz Niemand anders sein könne als dieser Fremde, der sich nach Mittheilungen, die Schlurck wahrscheinlich schon im Heidekrug selbst erzählt hatte, ein Geschäft mit einem verlorenen Frachtgute mache und sie Alle irreführen wolle. Sehr erbaut von seinem Scharfsinn, unzufrieden nur mit der Erklärung des Fremden, erst am Abend kommen zu wollen, stieg Bartusch, um der in brennender Ungeduld harrenden Melanie Bericht zu erstatten, schon heute zum zweiten male wieder zum Schloß empor.
Dankmar aber wartete jetzt nur noch das allmälige Verlaufen der Leute ab, um sich sogleich zum Justizdirector von Zeisel und von da zum Thurm zu begeben.
Kaum konnte er sich fassen über den Gedanken, wie ein so unglückliches Begegniß auf den jungen hochgestellten Mann, der ihm sicher der Prinz Egon von Hohenberg war, hereinbrechen und auf ihn wirken mußte. Überfallen, dachte er sich, vielleicht mishandelt, unter Zulauf der Menschen wie ein Verbrecher durch den Ort geführt!.. Diese Besorgniß milderte jedoch der Wirth, der erzählte, man hätte den Dieb sogleich auf dem kürzesten Wege, ohne alles Aufsehen, hinter dem Ort in den Thurm gebracht...
Dankmar begab sich jetzt aufs Amthaus, wo ihm die Düfte der von Zeisel'schen Mittagstischvorbereitungen entgegenwallten und er erfuhr, daß der Justizdirector mit dem Schreiber bereits drüben im Thurme wäre. Dort angelangt fand Dankmar noch ein Dutzend Neugieriger, die an der geöffneten Verließthüre gafften, als wenn hier Jemand Pranger stehen sollte.
Geht nach Hause, rief er ärgerlich; die Grütze wird Euch kalt!
Beim Eintritt in den Thurm wußte sich Dankmar nicht gleich zurechtzufinden. Das alte Gebäude sah von außen kleiner aus, als sich die innere Räumlichkeit darstellte. Der Boden war der reine bloße Sand; unterirdisch schien es also hier keinen Gewahrsam zu geben. Das durch die Thür hereinfallende Licht ließ zur Rechten eine schmale hölzerne Treppe erkennen, die empor führte. Dankmar bestieg sie und entdeckte sogleich einen der wahrscheinlich Herrn von Harder angehörenden Bedienten; wenigstens war dieser von Bartusch ausgesprochene Name Schuld, daß er beim Anblick des Bedienten sich sogleich der bekannten Uniform jener vielvermögenden Familie der Harder's entsann, deren Haupt der alte neunzigjährige Chef der ausübenden Justiz des ganzen Landes war....
Wir haben Sie schon kommen sehen, sagte der Bediente kurz und ziemlich impertinent, treten Sie nur hier ein!
Eine kleine niedrige Thür öffnete sich und in einem größern Gemache, das die ganze Rundung des Thurmes begriff, von einem Fenster aber nur spärlich erhellt war, fand er den Justizdirector, einen Schreiber und den neben dem Thurm wohnenden Wächter, der eine alte abgeschabte fürstlich Hohenberg'sche Livree, hellblau mit roth, und ein gelbes Schild auf der Brust trug....
Dankmar erfuhr hier, was er schon über den Schloßvorfall wußte und wiederholte über den Gefangenen Dasselbe, was er zu Bartusch gesagt hatte. Die Absicht des Gefangenen, im Schloß zu stehlen, wurde von dem Justizdirector zwar nicht entschieden bestritten, aber doch auch gegen den unziemlich lärmenden Bedienten in Abrede gestellt.
Er griff erst nach den Bildern herum, sagte dieser; dann hob er sie von der Wand, und während wir auf einen Augenblick uns entfernt hatten, wollte er sie geradezu stehlen. Excellenz verlangen, daß Das streng genommen wird, und er muß doch noch vors Hofgericht in die Stadt!
Herr von Zeisel, den ein Grauen überfiel, als vom Hofgericht die Rede war, äußerte, daß hier vielleicht nur eine leichtverzeihliche Neugier obgewaltet hätte, mindestens könne er nicht begreifen, was ein reisender Handwerksgesell, den der Anblick schön ausgestatteter Zimmer gefesselt hätte, mit einem alten unansehnlichen Bilde anfangen sollte, während doch viel kostbarere, kleine transportable Sachen in der Nähe gestanden hätten, die man mit einem kühnen Griff sich hätte aneignen können. Übrigens könne ihm in der That nicht zugemuthet werden, diesen Gefangenen auf derlei geringfügige Aussagen hin der annoch zu Recht bestehenden Ortsjustiz zu entziehen, es müßte denn von einem hohen Obergerichte ihm ausdrücklich befohlen werden. Weit bedenklicher scheine ihm allerdings des Gefangenen gänzlicher Mangel an Legitimation und sein trotziges, hartnäckiges Ablehnen jeder nähern Erklärung, weshalb er auch durchaus nichts dagegen hätte, daß sich der von ihm mehrfach um Vermittelung ersuchte anwesende Herr zu ihm verfüge und von ihm selbst die Willfährigkeit zu Geständnissen zu gewinnen suche.
Dankmarn fielen hier Hackert's Mittheilungen über die Hohenberg'sche Justizpflege ein. Er verstand vollkommen des mildgesinnten Justizdirektors Absicht, dieser Untersuchung so viel wie möglich überhoben, noch mehr aber vor einer Verschleppung derselben an die Kreisgerichte gesichert zu sein. Der Harder'sche Bediente murmelte Vielerlei gegen diese Erklärung, aber die Versicherung des Amtsboten und Gefangenwärters, der Inculpat säße ja nun criminalisch, bewirkte denn doch, daß der Justizdirector, der wie Alle auf dem Lande gegen zwölf Uhr aß, die Sitzung aufhob und Dankmarn bat, ihm um drei Uhr Nachmittag, wo er seinen ärztlich befohlenen Ruheschlaf beendigt hätte, gefälligst mitzutheilen, was er von dem störrischen und trotzigen jungen Manne, der sich nur ihm hätte anvertrauen wollen, denken solle. Dem Wärter die strengste Obhut anempfehlend, stieg er mit dem Schreiber, der seinen ziemlich leeren Protokollbogen in eine Mappe legte, die baufällige Treppe behutsam hinunter. Der Bediente, Dankmarn mit mistrauischen Blicken musternd, folgte. Der Wärter aber winkte dem staunenden Dankmar und führte ihn noch eine Treppe höher.
Diese brachte ihn erst zu den eigentlichen Gefängnissen, deren der Zahl der kleinen vergitterten Fenster nach zu schließen, die Dankmar außen beobachtet hatte, etwa vier oder fünf hier sein konnten.
Sind sonst noch Gefangene da? fragte Dankmar beim Hinaufsteigen.
Nein, erwiderte der Wächter, es fällt jetzt im Ganzen nicht viel vor, und was Politische sind, die kommen gleich weiter ins Provinziale!
Jetzt stand Dankmar im zweiten Stock vor einer stark verriegelten Thür, die erst zu einem Vorplatze führte. Hier umgab ihn völlige Finsterniß. Der Vorplatz war nur von der aufgehenden Thür erhellt, die der Wächter gleich ansichzog.
Ich muß Sie mit einschließen... sagte der Mann zu Dankmarn, und war dabei nicht ohne Höflichkeit.
Thut nichts! erwiderte Dankmar.
Sie brauchen nur aus dem Fenster zu rufen: Pfannenstiel! Dann höre ich's schon und komme.
Gut! gut! sagte Dankmar und hörte mit pochendem Herzen, wie Pfannenstiel, dessen Namen er fast überhörte, in der Dunkelheit den Schlüssel an ein Schloß setzte und öffnete.
Die Thür eines kleinen niedrigen Gemachs ging auf und in der That, vom spärlichen Lichte, das durch die Gitterfenster fiel, beleuchtet, saß an einer Pritsche, den Kopf aufgestützt, derselbe Fremde da, der sich Dankmarn allerdings nur durch eine Visitenkarte, aber denn doch auch durch seltene Bildung und die feinste Erziehung als Prinz Egon von Hohenberg zu erkennen gegeben hatte.
Da ist der Herr, den Sie sprechen wollen! sagte Pfannenstiel. Und wie ist's nun mit dem Mittagessen? setzte er hinzu.
Gehen Sie in die Krone! sagte Dankmar nach seiner Gewohnheit rasch entschlossen; bestellen Sie das beste Mittagessen, das der Wirth für zwei anständige Personen nur auftreiben kann. Um ein Uhr muß es hier sein! Auch eine Flasche Wein! Verstehen Sie?
Damit drückte er dem Meister Pfannenstiel ein Trinkgeld in die Hand.
Dieser, schon an die möglichen Überbleibsel der Mahlzeit denkend und von dergleichen freigebigen, luxuriösen Inculpaten und Zeugen, die hier selten vorkamen, überrascht, erbot sich zur pünktlichsten Besorgung, rückte mit aller Beflissenheit einen alten Tisch ans Fenster und fragte, ob wol noch ein Stuhl nöthig sei?
Dankmar, mit Gefängnissen vertraut, ergriff die Pritsche, auf der ein alter verfaulender Strohsack lag, warf diesen herunter, rückte das Holzgestell an den Tisch und sagte:
Das ist gut genug zum Sitzen. Viel Meubel machen's hier zu eng....
Wie Sie wollen, sagte Pfannenstiel und ganz erstaunt, die beiden jetzt zu Inhaftirenden so curios sicher und vertraut sich begrüßen zu sehen – der Andere war allerdings anfangs kaum aufgestanden – schloß er die Thür wieder ab und polterte draußen so gräulich mit seinen Schlössern und Riegeln, daß nach jener Seite hin an ein Entrinnen nicht zu denken war.
Als man das letzte Eisen vorgeschoben hörte, sprang der Gefangene von einem Schemel, auf dem er während der Verständigung zwischen Dankmar und Pfannenstiel, unbeweglich den Kopf in beiden Händen stützend, gesessen hatte, auf und rief:
O mein Gott! Was sagen Sie nun dazu?
Durchlaucht sehen mich hier, antwortete Dankmar, um von Ihnen Etwas zu vernehmen, das soviel wie eine Aufklärung ist. Ich bin ganz Ohr!
Dankmar war sonst kein Freund von Titulaturen. Er hob die Würde des Gefangenen nur darum so nachdrücklich hervor, um zu sehen, ob dieser sie wirklich zu behaupten verstand....
Nichts von Durchlaucht! sagte der Fremde; keine Förmlichkeiten, die ich schon draußen in der Freiheit hasse, und die hier in diesem abscheulichen Loche am wenigsten am Platze wären. Ich habe Sie auf unserer Reise schätzen, ja lieben gelernt. Vor allen Dingen! Seien Sie mir Freund, Wildungen!
Damit reichte er Dankmarn erregt die noch von seinem eben Erlebten zitternde Hand.
Dankmar ergriff sie etwas zögernd. Er konnte denn doch nicht umhin, sich zu sagen:
Wunderliche Herablassung eines gefangenen Diebes, der vielleicht wirklich unschuldig, aber denn doch auch vielleicht nichts weniger als der Prinz Egon ist!
Sie haben kein Vertrauen mehr zu mir, Wildungen! sagte der Fremde. Und ich Wahnsinniger verdien' es auch nicht! Wie kann ich mir einbilden, daß Sie meinen Worten trauen können! Wie kann ich glauben, daß Sie mich für Egon Hohenberg halten! Höchstens, daß Sie mich für keinen Tischler nehmen! Und was das Schlimmste ist, Wildungen! Ich bin...
Der Gefangene stockte....
Als ihn Dankmar erwartungsvoll fixirte, sagte er leise:
Ich bin wirklich ein Dieb.
Durchlaucht...
Ich habe auf dem Schlosse wirklich stehlen wollen....
Dankmar besann sich bald.
Mein Fürst, sagte er, man nennt Das nicht stehlen, was das Antreten einer Erbschaft, das Besitzergreifen von einem Eigenthum ist. Allein...
Nun? Nicht wahr? Auch dieser Act muß in gesetzlichen Formen geschehen?
Allerdings, sagte Dankmar. Ich kann nicht glauben, daß Sie sich in der That auf dem Schlosse irgend Etwas haben heimlich aneignen wollen.
Der Fremde schwieg und suchte nach Fassung.
Nach einem Augenblick strich er sich mit der Hand durch das lichtbraune Haar, das von dem blassen edeln Angesicht jetzt noch schöner abstach, und sagte:
Weg mit den Grillen! Bedenk' ich es genau, so ist das Ganze ein Abenteuer und ich wünschte, der Wein aus der Krone wäre schon da, damit Sie mit mir auf die Befestigung unserer Freundschaft anstoßen.
Dankmar konnte sich in diesen Übergang zur Heiterkeit nicht finden. Es überfielen ihn plötzlich alle nur möglichen Zweifel an dem Fremden, von dem er sich düpirt zu werden als Etwas dachte, was ihm das Blut in die Wangen trieb....
Er sah sich um und kam auf die Widerwärtigkeit eines solchen Ortes zurück, in dem sie sich wiederfinden mußten....
Es ist toll! sagte der Fremde. Aber wie glauben Sie nur, daß ich aus diesem Rattenneste frei werde?
Vor allen Dingen, meinte Dankmar mit bestimmter Betonung, vor allen Dingen müßt' ich doch wissen, mit welchem Rechte Sie hierher kamen?
Weil ich stehlen wollte..
Wie? Scherzen Sie?
In der That! Ich bin ein Dieb....
Ich habe nicht gesagt, Durchlaucht, beweisen Sie, daß Sie der Prinz Egon von Hohenberg sind; aber daß Sie ein Dieb sind, müssen Sie jetzt wirklich beweisen....
Was soll ich zuerst beweisen? Ich sehe, Sie glauben Beides nicht.
Ohne zu schmeicheln, möcht' ich fast glauben, wenn Sie mir beweisen, daß Sie der Prinz Egon von Hohenberg sind, so hätten Sie kaum nöthig, entschuldigend von Ihrem sogenannten Diebstahl zu sprechen....
Ah! Sie Demokrat! Finden denn die Fürsten bei Ihnen noch so ein gutes Vorurtheil?
Dankmar schwieg mit seinem feinen geistreichen Lächeln und erwartete mit einer Art strengen Prüfung die Mittheilungen, zu denen sich der Fremde nun anschickte.