Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Capitel.

Das Bild.

Als ich in Lyon unterm Volke lebte, erzählte der Gefangene, empfing ich noch zuweilen, jedoch natürlich vorwurfsvolle Nachrichten von meiner Familie und auch die gewohnten Mittel zu meiner frühern Existenz. Die Mutter blieb sich in ihren christlichen Ermahnungen gleich. Da aber jeder Brief, den sie schrieb, mit einer Vorahnung ihres Todes anfing und einer darangeknüpften Betrachtung endete, so wirkte es nur wenig auf mich, als sie eines Tages mir wieder schrieb, ihre Stunden wären nun gezählt, sie würde sterben. Ich sollte eilen, schrieb sie, auf Flügeln der kindlichen Liebe eilen, sie noch einmal zu umarmen und ihr einziges letztes Vermächtniß, das sie in ihrer Dürftigkeit mir geben könnte, entgegenzunehmen.... Sollte aber Gottes ewiger Rathschluß sie schon früher abrufen, ehe ich an ihrem Lager kniete und mit ihr zu Gott betete, so würd' ich hinter einem Bilde, das ich wol kannte, einem gewissen runden Pastellgemälde aus ihrer Kindheit, das sie selber darstellte, die Worte finden, die sie mir auf die weite Bahn meines Lebens und an der Schwelle ihres eigenen zurufen müsse, gewichtige, inhaltschwere Worte.

Dankmar, der jetzt das Geheimniß des Diebstahls erkannte, konnte nicht umhin, den Erzähler zu unterbrechen und unwillig auszurufen:

Aber welch ein Platz! Welche Stelle, einen letzten Willen niederzulegen, der hoffentlich nur in Betrachtungen besteht!

Für den Fall wichtigerer Mittheilungen doch nicht so übel gewählt! sagte der Erzähler. Da die Mutter von meinem Vater die feierliche Zusage empfangen hatte, ein Jahr lang den ganzen Zustand Hohenbergs zu lassen, wie er bei ihrem Tode gefunden würde, dieselben Wohlthaten zu spenden, dieselben Diener zu unterhalten, an der innern Einrichtung der Zimmer nicht das Mindeste zu verrücken, ja, auf dem Schreibtische die Feder so zu lassen, wie sie sie niedergelegt hätte in dem Augenblick, als die Todtenglocke ihr schlagen würde; jedes Buch, jedes Glas so zu lassen, wie es sein würde, wenn ihr Auge bräche....

Ah! Ah! rief Dankmar, Egon unterbrechend. Vergeben Sie mir, daß ich meine Empfindungen ausspreche. Ehre Ihrer Mutter! Aber welche fromme...

Coquetterie! sagte Egon schmerzlich. Aber dieser Beweis ist nicht so triftig, wie mancher andere, wo Sie die Mutter schon vertheidigen wollten. Hier hatte sie Grund zu solchen gesucht erscheinenden Anordnungen. Denn sie schrieb mir, da sie diese Verfügung vom Fürsten bewilligt erhalten hätte, so würd' ich, selbst wenn ich verspätet ankäme, den Lebensschatz da unberührt finden, wohin sie ihn aus Furcht vor der Bosheit sündiger Menschen verborgen hätte....

Aber gibt es denn nicht Vertrauensmenschen? Geistliche? Notare? Advocaten? sagte Dankmar, über die Letztern selbst lächelnd.

Auch Guido Stromern, dem Pfarrer, schrieb die Mutter, fuhr Egon fort, könne sie dieses Testament nicht anvertrauen, denn man wisse nicht, ob die Furcht des Herrn in ihm dann noch stark bliebe, wenn sie dahin wäre. Sie hätte zuviel Bäume sich herbstlich färben schon gesehen.. Zuviel wanken und scheitern, und sie glaube nur an einen einzigen ewigen Frühling, wo das einmal Entblätterte wieder ausschlüge und wieder blühe im Lande der ewigen himmlischen Palmen. Das Bild, das ich wohl kannte, beschrieb sie mir noch einmal und erwähnte das Geheimniß der Öffnung. Ein starker Druck auf das Glas und die hintere Wand spränge auf und in einer Kapsel würde ich den letzten Beweis ihrer Liebe finden, die Enthüllung eines Geheimnisses.

Und Sie reisten nicht sogleich ab? fragte Dankmar gespannt und sich in die Grille der sonderbaren und eigenthümlichen Fürstin ergebend.

Ich that es nicht, sagte Egon fast mit dem Gefühl der Beschämung. Verurtheilen Sie mich deshalb nicht! Die Trägheit des Herzens ist wol eine der sieben Todsünden, die nicht vergeben werden können. Dennoch war mein Herz damals nicht träge. Es litt, rang, klopfte mit stürmischer Bewegung in andern Verhältnissen, als in meinen Beziehungen zu einer Mutter. Sagen Sie Dem, der unter einer Brücke zu ertrinken im Begriff ist und mit der letzten Anstrengung seiner Kräfte gegen die Wellen rudert, er soll ein wildes Roß anhalten, das über ihm auf der Brücke sein Theuerstes schleife; er hört wol den Hülferuf, aber kann er mehr, als sich ergeben, die letzte Kraft verlieren und selbst untergehen? So eingewachsen war ich in mein neues Leben, daß ich das Absterben des alten dem Tode überlassen mußte.

Eine Weile hielt Egon inne, dann fuhr er fort:

Als ich den wirklich erfolgten Hingang der Mutter erfuhr, fand ich reichere Muße, um sie zu weinen. Es waren Thränen, die von einem andern Leide noch übrig waren und mit denen um dieses zusammenflossen.... Ich war mir eines Unrechts bewußt und fühlte, daß sich das Schicksal wol die Klage der ohne mich sterbenden Mutter gemerkt haben würde und mich irgend ein Schmerz in Zukunft noch dafür strafen soll. Aber der alte Spruch, daß Niemand über seine Kräfte hinaus Etwas vermag, trocknete mir das nasse Auge und ich selbst sprach mich frei, wenn mich auch irgend eine Nemesis verdammen wird.

Ich kenne, sagte Dankmar, das stärkere Gegengewicht nicht, das auf der Wagschale Ihres Herzens die kindliche Pflicht in die Höhe schnellte; aber die geheimnißvolle Andeutung über das Bild der Fürstin mußte Sie doch veranlassen, nach ihrem Tode wenigstens aufzubrechen und an Ort und Stelle von diesem und manchem andern Nachlasse der Mutter Besitz zu ergreifen....

Auch Das versäumte ich, sagte der Gefangene. Schätze konnt' ich keine erwarten, nicht einmal gesammelte Sparpfennige. Meine Mutter, eine geborene von Bury, besaß schon anfangs wenig und von einem spätern mütterlichen Vermögen war noch weniger für mich die Rede. Eher noch hinterließ sie in Folge ihrer unbegrenzten Wohlthätigkeit Verlegenheiten, die mein Vater abzuwickeln hatte. Und da dieser mir vollends schrieb, daß er den Tod der Mutter aufrichtig beweine und sich eine heilige Pflicht daraus mache, ihrer letzten Anordnung zu folgen und Alles ein Jahr lang unverrückt und unverändert in ihrem Sinne bestehen zu lassen, ja immer, immer, mein theurer Sohn, schrieb er, bis dein alter morscher Vater selbst zusammenbricht und du dann über unsern Gräbern zu Gericht sitzen wirst, hoffentlich nicht zu streng, Junge –! Da mir der Vater so geschrieben hatte, ließ ich das Bild Bild sein und überredete mich: Was wird es enthalten? Fromme Ermahnungen und ihren letzten mütterlichen Segen!

Sie haben wol Recht! sagte Dankmar. In der That.... Ich glaube nicht mehr. Dem Charakter der frommen Frau angemessen war eine solche letzte mütterliche Ansprache an ein Herz, das sie nach ihrer Auffassung auf dem Wege der Verdammniß sah. Ein wirkliches Geheimniß konnte sie an einer solchen Stelle nicht niederlegen.

Nicht anders dacht' auch ich damals, sagte Egon, und folgte, unbekümmert um die Heimat, in der Fremde meinem Stern. Von Lyon führte mich dieser nach Paris. Die große Stadt, die ich zum ersten male sah, ergriff mich gewaltig. Im Gewühl der sich hier durchkreuzenden Interessen fühlt' ich mich wie von einem Elemente gehoben, das denn doch stärker war als meine bisherige kleine Welt, die ich mir in Lyon aufgebaut hatte. Sowie mir es damals war, muß es einem früh aus seiner Heimat entführten Menschen sein, dem die Erinnerung an sie völlig entschwunden ist und der, plötzlich in sie zurückversetzt, an den kleinsten Dingen, einem Laute, einem von ihm beobachteten Kinderspiele sich auf ein altes Dasein erinnert. O, mein Freund, ich wollte, ich hätte damals in Paris diese lockende Musik nicht verstanden. Die Kunst, die Wissenschaft, die Politik, das höhere gesellige Leben fingen an mich plötzlich hinwegzuführen, wie eine anschwellende Flut, von der Ebbe, wo ich mir auf dem Sande von kleinen Kieselsteinen und Muscheln und Binsen ein Hüttchen gebaut hatte. Die große Flut kam gewaltig.... Sie verschlang die Hütte und die Muscheln und die Binsen... und mich warf sie in Strudeln auf und ab, hoch zu allen weißen Schaumkronen der Wogen empor und wieder nieder in die gähnenden Schlünde, wo die Ungethüme der See überrascht entgleitend ihre misgestalteten Formen verbergen... bis ich betäubt niedersank und erwachte – an dem frischen Hügel eines Kirchhofes. Es war wieder nicht der Hügel meiner Mutter, auch nicht der meines Vaters. Es war ein anderer, mir nicht minder heiliger....

Egon hielt eine Weile inne; dann fuhr er fort:

Fast zwei Jahre waren in Paris so hingegangen. Ich war mehr Franzose geworden als ich noch Deutscher blieb, verfolgte immer noch meine alten populairen Neigungen, wenn auch in anderer Form, bis mich die Nachricht vom Tode meines Vaters und sein letzter Gruß, etwa in diesen Worten traf. Wildungen, wollen Sie eine Probe vom Stile meines Vaters hören?

O, sagte Dankmar, die Sprache des alten berühmten Kriegers, der mit den Truppen in den köstlichsten Lakonismen sprach, ist gewiß auch in diesem Falle originell gewesen.

Egon hob den Kopf empor, blickte auf die Decke des Gefängnisses und besann sich.

Er schrieb, soviel ich mich aus dem Gedächtniß entsinnen kann, sagte er, ungefähr so: Mein guter Egon, der alte Generalissimus da oben läßt gewiß nächstens bei mir Appell blasen, und deinen Vater kennst du als einen guten Soldaten, der, wenn die Trompete ruft, pünktlich auf seinem Posten steht. Da die Reise weit ist, mein Junge, so nehm' ich viel Gepäck mit. Mit Dem, was ich zurücklasse, sieh zu, wie du fertig wirst! Du bist wenigstens der Fürst Egon von Hohenberg, Das führt dich immer noch gut ins Leben ein, wie mich leidlich heraus. Wenn du Ursache haben wirst, manchmal zu wünschen, dein alter Vater hätte in dieser Welt bessere gute Freunde gefunden, als seine Gläubiger waren, so bemitleide mich! Schlurck sagte mir immer: Durchlaucht, Sie ruiniren sich.... Ich sagte ihm: Canaille, Geld, aber keine Moral! Von dir nicht! Von euch Allen nicht! Schlurck sagte auch: Durchlaucht, Sie ruiniren Ihren Herrn Sohn! Das war richtiger.... Aber darum sag' ich doch: Pass' dem Kerl auf die Finger, Junge! Es bleibt dir noch genug, um bei Hofe manchmal mit vier Pferden aufzufahren, bei einer Schlittenfahrt gute Livreen zu erfinden und die deutschen Weiber mit deinen Französinnen zu vergleichen. Da ich mit Freude gehört habe, daß du solid geworden bist, wie mich Graf d'Azimont versichert, dessen junge Frau du verführt hast, da du ferner deine verfluchten Muckerstreiche mit Metierlernen, Hobelführen und solche verrückte Angedenken an die Pension und deine selige chêre Mêre aufgegeben hast.... Gott hab sie selig... so zweifle ich gar nicht, daß du hier im Lande noch eine gute Partie mit Geld und Gütern machst und unser Wappen ein Bischen neu vergoldest. Von deiner Mutter nochmals zu reden, so nimm mir's nicht übel, mein Sohn, daß ich in einem Anfall übler Laune und schlechter Kasse ihre hohenberger Hinterlassenschaft in Bausch und Bogen losgeschlagen habe. Die Harders sind eigentlich zunächst Schuld daran und quälten mich um die Einrichtung. Pauline, die in ihren jungen Tagen, ich will nicht wissen warum, deiner Mutter das Leben nicht gönnte, hat seit ihrem Tode gethan, als wenn sie in Mama ihre letzte Freundin verloren hätte. Kaum hatte Mama die Augen zu, so kam sie und lamentirte um Andenken und verlangte zuletzt ihren ganzen Nachlaß, um ihn in ihrem neuen Landhause vor der Stadt aufzustellen. Natürlich käuflich. Du weißt, daß ich vor einem Jahre nichts daran räumen und ändern durfte. Als aber das Jahr um war, lieber Junge, kam sie wieder mit dem alten Jammer um die edle Freundin, aber sie ist schlau dies Weib! Was den Nachlaß anlangte, über den wir um dreitausend Thaler schon einig waren, so wollte sie ihn jetzt durch ihren Mann auf Staatskosten für die königlichen Lustschlösser ankaufen lassen. Sie wußte es richtig so zu drehen, daß der Hof Wind bekam und in seiner mir immer bewiesenen Gnade gleich das Geld gab, das ich gerade den impertinentesten meiner Manichäer, den Hund, den Pfannenstiel – brenne die undankbare Canaille im ewigen Feuer dafür! – zu befriedigen dringend brauchte. Siehst du, Junge, so ging das Mobiliar zum Teufel! Jetzt aber noch Eins! Weil ich nicht begreifen konnte, wie das weiland so böse Weib, die Pauline, zu so schrecklicher Zärtlichkeit für unsere Familie kam und mich Schlurck, der überhaupt mit allen Hunden gehetzt ist, einfach und trocken versicherte, die gute Geheimräthin fürchte den geschriebenen Nachlaß ihrer ehemaligen Freundin und wolle nur tout bonnement jeden Keim wiederauflebender alter Geschichten dadurch ersticken, daß sie die Macht bekäme, auf Hohenberg jeden Winkel zu durchstöbern... so hatt' ich, – lobe mich dafür! – die Vorsicht, erst alle Schränke öffnen und jeden Schnitzel Papier, der sich vorfand, verbrennen zu lassen. Glücklicherweise fand ich nichts als das Geschreibsel von allen Pfaffen der Erde an die Mama, an die sie das Geld verthan hat, und an die Heidenbekehrer und Hottentotten noch dazugenommen. Ich war dabei, als der ganze fromme Gestank im Kamin prasselte, und fast hätten wir Hohenberg damit in Brand gesteckt. Nun mag die Hexe, die Pauline, den Rest durchstöbern! Sie wird nichts mehr für ihren Schnabel mit den falschen Zähnen finden! Die Familienbilder, mein Sohn, versteht sich von selbst, sind von dem Verkauf ausgeschlossen und bleiben dein. Ça commande le nom de la famille... Also, mein lieber Sohn, nun mach' ich dir Platz in dieser Welt, die gerade nicht schlecht ist, wenn's kein Podagra und keine Wucherer gäbe! Thu' mir die Liebe und folge nicht überall meiner Spur, sie verlor sich manchmal ein Bischen ins Holz, wo der gute Weg aufhört und die Irrlichter zu plänkeln anfangen – aber – duld' aber auch nicht, daß Buben über mein Grab springen, Hunde darauf u.s.w. dürfen! Mit einem Wort, bleib ein Cavalier, wie ich einer war, wenn's auf Bravour ankam, und verstehst du, auf ein honettes Sentiment. Mein Sohn! Meine Orden schickst du an die Herren Souverains zurück, die meine Brust damit geschmückt haben. Es sind ihrer eine schwere Menge. Thu' Das mit Anstand und feiner Etiquette! Vielleicht läßt dir Einer oder der Andere so ein Kreuz oder Band auf Abschlag für künftige Verdienste gleich um den Hals zurück und sagt: Ich wüßte keinen bessern Erben Ihres Herrn Vaters als den Herrn Sohn! Es führt gut in die Gesellschaft ein und macht sich immer artig, wenn man, wie du, eine Figur danach hat. Die Verdienste kommen schon später. Sorge nur, ich bitte dich darum, für meine alten Pferde, für meine Hunde und auch die Diener! Auch Das noch: Wenn einmal Einer mit zerschossenem Bein kommt und sagt: Unter Ihrem Herrn Vater Durchlaucht hab' ich bei Leipzig den Schuß gekriegt, so lass' ihn, wenn er auch lügt... denn die Jungens sind Alle todt oder versorgt... so lass' ihn nicht ohne ein paar Groschen gehen! Hörst du? Das eigentlich große Denkmal setzt mir der König, mein guter Herr! Leb' nun wohl, Egon! Das ist mein letzter Brief. Ich ahne Etwas von einem recht langen Winterquartier unter der Erde. Nimm meinen Segen. Brauchst ihn nicht zu verschmähen. Ein Husar, der ehrlich stirbt, ist doch so gut, wie ein Pfarrer. Adieu, mon fils! Pour jamais! Dein treuer Vater Fürst Waldemar von Hohenberg. Postscriptum: Verkauf getrost meinen ganzen Nachlaß, aber die Uniformen laß beisammen als Familienstück! Ich möchte, daß Das aufbewahrt bleibt. Vielleicht wird einer von deinen Jungens Soldat und lacht, wenn erst die neuen Theatersoldaten zugeschnitten sind, lacht als Cadett über einen alten Generalfeldmarschall von ehemals. Dies entre nous! Zeige den Brief Keinem vom Hofe... verstehst du? Hüte dich vor den Harders und thue Recht und scheue Niemand! Adieu, mon fils!

Als Egon diesen Brief aus dem Gedächtnisse fast wörtlich wiederholt hatte, konnten sich Beide, so traurig die Veranlassung war, einer heitern Stimmung nicht erwehren.

Ich fühle denn doch, sagte Dankmar, wie in diesem martialischen Herrn, den ich gar oft noch habe reiten sehen und dessen feierliches Begräbniß die ganze Stadt in Bewegung brachte, der Kern jener Gesinnung lag, die man die gute alte deutsche nennt.... Was wollte er nur mit dem Postscriptum und dem Verbot des Zeigens bei Hofe?

Es ist das Postscriptum spätern Datums als der Brief selbst, erklärte Egon, und offenbar in großem Unmuth geschrieben. Die Jugend dieser alten Haudegen fiel in Zeiten, wo die Fackel des Kriegs durch ganz Europa loderte und an eine edlere Bildung auf der Wettbahn der Tapferkeit und des Glückes nicht zu denken war. Die darauf folgende Friedenszeit hat zwar den wohlerworbenen Kriegsglanz eines gefeierten Namens nicht trüben können, aber nur zu bald stellte sich heraus, daß die Helden des Feldlagers Sitten nach Hause brachten, die ihrer hohen, Aller Augen zugänglichen Stellung nicht entsprachen. Da sollte denn äußerer Glanz, vornehmer Prunk die innere Leere ersetzen. Im Widerspruch mit einem jüngern heranwachsenden Kriegergeschlecht, das aus Büchern und in einer stillen Friedenswärme für seinen Beruf sich bildete, machten jene alten Helden gerade ihre wilden Sitten, Trunk, Spiel und Galanterie um so zügelloser geltend, als der politische Horizont sich manchmal doch wieder zu umwölken und irgend ein kriegerisches Zeichen am Himmel noch hervorzuzucken schien. Später, wo die bedenklichen Krisen der europäischen Staaten friedlich verliefen und die alte militairische Tradition sich immer mehr verlor, gewann auch die geistige Richtung beim Militair so die Oberhand, daß man die alten Helden des Lagers, die Ritter vom Schwerte, nur noch aus Pietät schonte und diese, um sich nur zu behaupten, sogar auf Moderichtungen des Tages sich verlegten. Mein Vater soll in seinem Bestreben, sich hoffähig zu erhalten und modern geistreich zu werden, höchst komisch gewesen sein. Wenn er bei der jetzigen jungen Landesmutter zum Thee war, erzählte man mir in pariser Cirkeln, schenkten ihm die Bedienten, die dafür reichliches Trinkgeld erhielten, statt Thee Rum ein und während die junge Königin mit Bewunderung sah, welche artigen Sitten der alte Fürst Waldemar angenommen hatte, pries er so lange seine Vorliebe für die von ihr protegirten Mäßigkeitsvereine, bis er unter irgend einem Vorwande sich still entfernte. Die Zarten, Empfindsamen freuten sich, daß wahrscheinlich das Gefühl der Wehmuth, das am Hofe sehr cultivirt wurde, auch schon solche derbe Naturen übermannte. Andere meinten aber, nur der Rum hätte ihn übermannt, wieder Andere aber, die ihn noch besser kannten, sagten geradezu, er ginge, weil ihm der Rum der jungen Landesmutter zu schwach war, zur Prinzessin Ottokar, wo er eine gewisse schärfere, weiße Sorte Rum vorfand, die er vorzog und die ihm die bereits unterrichteten Bedienten dort feierlich und schweigsam in den Thee gossen. In den Cirkeln der Prinzessin Ottokar war man nämlich mit den Anfoderungen der Armee vertrauter als bei der jungen Königin, ihrer Schwägerin.

O mein Gott! rief Dankmar, der über diese Anekdote, die Prinz Egon mit lächelndem Schmerze vortrug, nicht lachen konnte; wie wenig verdienen Sie die Vorwürfe, die Sie sich jetzt zu machen scheinen, Prinz, Vorwürfe, daß Sie von solchen zerrütteten Zuständen fernblieben....

Sie können sich denken, fuhr Egon nach einer Pause fort, daß ich nach dem Tode meines Vaters nun doch nicht länger in der Fremde verweilte. Es waren Umstände eingetreten, die mir die Rückkehr, die jetzt eine Pflicht der Vernunft war, auch zu einer Tröstung des Herzens machten. Ich betrat den deutschen Boden und den unserer engern Heimat. Aber ein solches Grauen empfand ich, in das Palais meines Vaters, so schön, so prachtvoll es ist, einzuziehen, daß ich erst in einem entlegenen Gasthofe abstieg und im Grunde nicht recht wußte, was ich nun eigentlich hier beginnen sollte. Es meldeten sich sogleich Haushofmeister, Secretaire, Kammerdiener, Lakaien. Alles huldigte mir. Ich antwortete zerstreut und planlos. Der Einzige, der mich in mein Eigenthum, in die zerrüttete Lage meiner mehr als zweifelhaften Besitzungen einführen konnte, der Justizrath Schlurck, war nicht zugegen. Ich erfuhr, daß er in Hohenberg war. In Hohenberg, mußt' ich mir sagen! Und ich sagt' es nicht ohne Bitterkeit. Da kam mir ein Gedanke: Hohenberg und das Bild meiner Mutter! Du sollst nun handeln, schaffen, wirken: entledige dich zuerst eines Opfers der Liebe, rief es in mir, suche die Grabstätte deiner Mutter und rette dir das Bild, wenn es noch möglich ist, und das wichtige Geheimniß, das es enthalten soll! Meines Vaters Diener erzählten mir, daß das hohenberger Mobiliar soeben von dem Geheimrath von Harder in Besitz genommen wurde. Ich erwähnte die Familienbilder. Man sagte mir, sie blieben die unsrigen, aber erst müßten – den Bedienten war alles Das so bekannt, wie den Herrschaften selbst – auch diese wie alle Gegenstände nach der Residenz geführt werden. Man wußte, daß die Geheimräthin von Harder einen Antheil an dieser Procedur nahm, den sich Niemand erklären konnte.... Mich ergriff nun ich weiß nicht welche Beklemmung. Die Worte des Vaters, seine Warnung vor den Harders kamen mir so beängstigend in den Sinn, daß ich mich rasch entschloß und theils um Hohenberg in der Stille zu beobachten und mich für meine künftigen Plane über Behalten oder Nichtbehalten vorzubereiten, theils um auf irgend eine Art das Bild meiner Mutter mit dem plötzlich mir selbst geheimnißvollen, vielleicht schon geraubten Einschlusse zu retten, mich auf den Weg machte. Ich that es in einer Verkleidung, die Sie kennen. Ich begegnete auf dem Heidekrug Schlurck, den wahrscheinlich die Nachricht von meiner Ankunft schleunigst zurückrief. Wir lernten ihn in seinem ganzen Leichtsinn kennen. Ihnen entdeckt' ich mich, Wildungen, weil ich Sie liebgewann und mir denken muß, Sie werden mein ganzes Leben hindurch mein Freund sein und bleiben. Sagen Sie mir's, aber aufrichtig! Irr' ich mich?

Dankmar reichte ihm gerührt die Hand....

Diese festhaltend, schloß Egon mit den Worten:

Ich habe es eine Weile bereut, diese Reise unter solchen Umständen gemacht zu haben, jetzt nicht mehr. Ich wollte erst zum Förster Heunisch, den wir auf dem Gelben Hirsch gesehen hatten, mich dort zu erkennen geben und die Nacht bei ihm bleiben. Ich blieb, um ihn zu erwarten. Ein altes widerliches Weib schreckte mich ab....

Ursula Marzahn! sagte Dankmar.

Marzahn? bemerkte Egon. Ist das die Frau des wilden Soldaten, der mich schießen lehrte! Sie muß kindisch sein....

Was that sie Ihnen? fragte Dankmar erstaunt.

Als ich warten wollte und mich für einen reisenden Tischler ausgab, sagte sie: Ich kenne dich wohl, du bist ein Tischler und machst Särge! Geh! Geh! Hier ist Niemand zu begraben! Das schreckte mich doch. Ich mußte ihre Art für wahnsinnig halten. Noch lange rief sie mir nach: Ich kenne dich! Ich fing an mich zu fürchten und lief fast. Es war mir als hetzte mich ein böser Geist, so rannte ich durch den Wald vor dieser gräulichen Alten, auf die ich mich... ja! ja!... ich besinne mich, es war die schon damals alte Frau des jüngern, lüderlichen Marzahn, schon damals verrufen als ein schlimmes, unfreundliches Weib!

Wo blieben Sie aber diese Nacht? fragte Dankmar theilnehmend.

Da die Alte von den Todten gesprochen hatte, so führte es mich unwillkürlich auf den hiesigen Kirchhof. Da sucht' ich erst das Grab meiner Mutter und fand es in einem einfachen von einem goldenen Kreuz gezierten Mausoleum. Es war Nacht geworden. Auf dem Schlosse oben sah ich erhellte Fenster. Ich hörte die Klänge eines Flügels durch den stillen Frieden herüber. Es war fremde Gesellschaft in Räumen, die doch noch mir gehören! Unter dem Scheine einer Besprechung der Gläubiger genoß man die Vorfreuden des künftigen Alleinbesitzes. Wenn ich in dem Augenblicke, wo Alles der Freude und dem Scherz hingegeben, das Schloß zu betreten wagte, die mir wohlbekannten Zimmer aufsuchte und jetzt gleich mit eigener Hand das Bild rettete, das mir eine sterbende Mutter auf die Seele gebunden hatte? Ich entschloß mich rasch und stieg hinauf. Die angefesselten Hunde bellten nicht, sie schienen den lebhaften Verkehr im Schloßhofe gewohnt. Die Thüren des Gitterwerks standen weit offen, obgleich es längst die zehnte Stunde geschlagen hatte. Den großen Eingang fand ich aber verschlossen. Nur mein Klingeln hätt' ihn geöffnet. Dazu fehlte mir der Muth, die Fassung. Ich setzte mich, umspielt von einem leisen balsamischen Abendwind, auf die Schwelle eines der innern Fenstervorsprünge. Der Mondschein fiel auf die entgegengesetzte Seite. Ich saß im Schatten und blickte zu den Sternen aufwärts. Hinunter sah ich dann in die dunkeln Gebüsche des Gartens, von wo der mir so wohlbekannte kleine Wasserfall herübermurmelte. Ich hörte einzelne Worte des oben geführten Gesprächs. Es schien mir fast, als spräche man von mir selbst. Ich hörte oft den Namen meiner Mutter und fand diese Umkehr der Dinge, diesen Wechsel des Geschicks so traurig, so jammervoll, so entwürdigend für mich, daß ich den Muth zur That verlor und meine Gedanken hinausspann bis nach dem Genfersee und der Rhone, wo ich solcher Abende ach! soviele erlebt habe, soviele, die mir im Angesicht der majestätischen Gebirge und im Rauschen der Wogen hingingen wie jene Gebete, die meine Mutter von mir in einsamer Kammer oder vor dem Altar einer Kirche verlangte.... Endlich ging die Gesellschaft oben auseinander. Noch lachte und neckte sich Alles beim Abschied und dem Herunterkommen von der großen steinernen Haupttreppe. Man entfernte sich nach vorn, nicht durch den innern Hof. Hier und dort wurde ein Fenster hell und verlosch wieder.... Wie in einem Gasthofe! Man sah, daß überall die Menschen sich wie häuslich niedergelassen hatten. Endlich wurde Alles still, alle Lichter erloschen, nur in den Zimmern meiner Mutter schien noch der matte Schein des Lämpchens zu glimmen. Ich mußte annehmen, daß sie bewacht wurden. Dennoch nahm ich meinen Entschluß wieder auf. Ich umging den rechten Flügel des Gebäudes. Ach! hier lag noch der kleine Kieselsand auf dem Boden und knirschte unter meinen Schritten, hier waren noch die Stellen auf ihm eingedrückt, wo sonst einige Orangenbäume in großen hölzernen Gefäßen prangten. Einer kleinen Seitenthür näherte ich mich, ich drückte darauf, auch sie war verschlossen. Dann sah ich empor, ob ich nicht wagen könnte, hinaufzuklettern; aber die Stuccaturvorsprünge der Mauer waren zu schwach. Sie würden mich nicht getragen haben, selbst wenn ich mich mit den Nägeln in den Kalk hätte einkratzen wollen. So konnte denn nur eine Leiter helfen und diese zu suchen entfernt' ich mich. Wie ich so vorsichtig, geschützt von den langen Schatten des Schlosses, in der nächsten Umgebung hin und her spähe, hör' ich ein Knistern auf dem Kieselboden. Aus dem Garten schleicht sich ein Mensch behutsam näher. Es war hell genug, in ihm denselben kecken Burschen zu erkennen, mit dem ich Sie zuerst erblickte, und der uns im Walde so plötzlich verließ.

Hackert? fragte Dankmar.

Derselbe Mensch mit dem röthlichen Haare, sagte der Fürst, derselbe mit dem hämisch lauernden Ausdruck der Augen, derselbe, der mich für einen politischen Spion hielt.

Er wandelte im Traume? sagte Dankmar.

Wie? antwortete der Fürst, der diese Frage nicht ganz verstand. Im Traume? Er war in einem völlig bewußten Zustand. Eine Weile stand er lauschend still. Ich drückte mich hinter eine Karyatide, die eine der Fensternischen ziert und folgte dann behutsam und spürte seinem Treiben nach. Er blieb, ringsum spähend, in dem innern Schloßhof. Wie er an einem der Fenster das Merkmal gefunden zu haben schien, das er suchte, blieb er an der entgegengesetzten Wand im vollen Mondscheine stehen und blickte unverwandt wie ein zweiter Ritter Toggenburg auf jenes Fenster. Endlich regte sich etwas an dem von ihm beobachteten Punkte. Vorhänge wurden zurückgeworfen und eine, wie es schien, jugendlich schöne weibliche Gestalt im Nachtkleide öffnete das Fenster. Kaum hatte sie einen Blick in den Mondschein geworfen, als sie laut und mit Entsetzen jenen Namen rief, den Sie vorhin nannten. Ja! ja! Hackert war es! Das Fenster wurde von dem lieblichen Wesen, das mich selbst bezauberte, wie in der Eile der Angst zugeworfen, die Vorhänge fielen zurück, der abenteuerliche Mensch lachte grell auf, polterte, lärmte, als wollte er sich hörbar machen, und sprang pfeifend und singend wie besessen davon. Ich eilte ihm nach. Er hüpfte den großen Fahrweg hinunter. Ich folgte ihm zuletzt mit Mühe. Zuweilen stand er ganz still und sprach laut lachend, sah sich um und wiederholte mit kindischen Gebehrden seinen eigenen Namen. Unten aber wandte er sich dem Walde zu, wohin ich ihm nicht folgen mochte, da ich plötzlich im Dorfe lautes Sprechen hörte. Ich folgte diesem Lärm. Man schien im Pfarrhause laut zu peroriren. Kinder schrieen. Als ich näher kam, war es still. Da gab ich denn für diese Nacht mein Vorhaben auf, blieb auf dem Kirchhof und warf mich unter dem Vordache des Mausoleums meiner Mutter zum Schlafe nieder. Erstaunen Sie darüber nicht! Es ist nicht das erste mal, daß ich unter freiem Himmel schlafe....

Ich wünsche, sagte Dankmar gerührt, daß in der heiligen Nähe Ihrer Mutter Sie ein Traum beseligt haben möge, worin sie Ihnen die Palme des Friedens und der Versöhnung reichte....

Dieses Glück wurde mir nicht zutheil! sagte Egon. Ich träumte auf dem harten Boden nur von jenem Bilde, das mich nicht mit der Zärtlichkeit einer Mutter, sondern erst todt und kalt, dann immer häßlicher, zuletzt in wilden Fratzen anblickte, bald von Schlangen umringelt war, die es bewachten, bald sich in einen derartig gewöhnlichen Gegenstand verwandelte, daß ich im Traume gelacht haben muß. Ein mal war es ein zinnerner Teller, den die alte Brigitte in der Hand hielt! Darauf war ich so ermüdet, daß ich ziemlich fest und lange schlief. Als ich erwachte, fiel mein Auge auf den marmornen Sarg, der hinter dem Gitter von einem Engel gehütet, in nicht übel ersonnener Architektur, vor mir stand. An der Hinterwand las man die mit Gold eingegrabenen Worte: »Kommt zu mir Alle, die Ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken!« Erst sah ich neben dem Kirchhof in einem freundlichen Garten, wo ich in der Nacht das laute, heftige Sprechen vernommen hatte, den Pfarrer, Guido Stromer wahrscheinlich, den ich nicht kenne, von Blumenstrauch zu Blumenstrauch gehen und mit sinnender Überlegung ein Bouquet zusammensetzen, das er wahrscheinlich nach einer häuslichen Scene zur Versöhnung seiner Frau auf den Frühstücksteller legen wollte.... Frühstück! Ich gedachte dabei meiner eigenen Nahrung und besann mich, daß ich ganz prosaischen Hunger hatte. Ich erquickte mich, die Ulla entlang wandernd, in entlegenen Bauernhäusern an frischer Milch. Da sah ich plötzlich gegen neun Uhr einen großen Transportwagen zum Schlosse hinauffahren. Der Gedanke: Noch ist es Zeit! elektrisirte mich. Ich faßte wegen des vielleicht noch zu rettenden Bildes einen letzten Entschluß. Entweder, dacht' ich, kannst du dir noch glücklich durch Gewandtheit dein Eigenthum erobern oder du entdeckst dich dem Geheimrath von Harder und machst diesem Maskenspiel ein Ende, selbst mit Gefahr, seiner Gattin gerade das Bild zu verrathen, an dessen Besitz, wenn sie das Geheimniß kannte, ihr soviel gelegen schien wie mir. Ich komme aufs Schloß, das Durcheinander und Lärmen der Diener begünstigt mein Vorhaben. Man trägt einen Tisch nach dem andern, Sessel, Fauteuils, ja selbst das geschmackvolle, gothisch geformte, auseinandergenommene Bett der Mutter in jenen großen Wagen, bei dem der Geheimrath Wache zu stehen schien, wenn ich anders eine hagere, mit Orden geschmückte Figur dafür halten muß. Bei einer solchen Demüthigung meines Namens mich zu entdecken – ich hätt' es nicht vermocht. Ich betrat das Schloß, erstieg die Treppe... man sah soviel Menschen durcheinander, daß ich nicht auffiel. Ich gelange in die Zimmer meiner Mutter. Welche Verwüstung! Welche Zerstörung! Alles durcheinandergewühlt, Fetzen Papier auf der Erde, die Wände halb zerschlagen, die Kamine, wahrscheinlich vom Verbrennen der Papiere, mit Ruß und Rauch überzogen. Das war ein Chaos! Ich sehe Leute, die packen und tragen... ich schreite weiter, als gehört' ich zu ihnen. Im Schlafzimmer der Mutter hängen noch Bilder, mein eigenes Bild als Knabe. Das Bild des Vaters, das Bild der Großmutter und über dem Platze, wo das Bett stand, über einem Crucifix, das unberührt hing, sehr hoch, still und schweigsam, ja gespenstisch, das bezeichnete runde Pastellgemälde! Ich suchte nach einem Sessel. Ich ergreife den ersten besten, steige in die Höhe, reiche nach dem Portrait, hab' es in der einen Hand und fahre schon mit der andern über die Glasfläche, als ich mich an den Füßen gepackt fühle. Der Bediente, den Sie hier sahen, reißt mich hinunter, schleudert das Bild aus meiner Hand, glücklicherweise auf nebenanliegende Betten, ruft Hülfe! Man umringt mich, der Intendant mit großen dummen Schafsaugen mißt mich auf zehn Schritte Entfernung, weil er meine zornfunkelnde Miene fürchtete, und befiehlt zitternd und bebend meine Verhaftnahme.... Man packt, hält mich, führt mich den Weg hinunter in diesen Thurm, und nun sagen Sie, was ich anders thun kann....

Als sich eine Weile ergeben, Prinz! erhob sich Dankmar jetzt mit sorgloser froher Bewegung, und von Ihrem Freunde Alles erwarten, was nur in seinen Kräften steht! Wie Sie ungekannt von hier entkommen können, weiß ich noch nicht, aber weder das Geheimniß des Bildes noch Ihr eigenes dürfen Sie preisgeben. Nach dieser Behandlung... nein, können Sie sich nicht entdecken! Niemals! Niemals!

Ich fühle Das, Wildungen!

Sie müssen für immer auf diesen Tag einen Schleier fallen lassen und das Übrige...

Das Übrige?

Dankmar stockte und sagte dann nachdenklich:

Ist es nicht wunderbar, daß ich mit Ihnen durch das gleiche Schicksal verbunden bin? Scheint es nicht ein Fingerzeig des Zufalls zu sein, der scherzend die ernsten Missionen des Verhängnisses erfüllt, wie wir so zusammengeführt werden durch eine ähnliche, ja fast gleiche Aufgabe! Wie sich mir an jenen Schrein eine große Aufgabe knüpft, die ich Ihnen einst ausführlicher entwickeln werde, so verbirgt Ihr Bild ohne Zweifel Thatsachen, die tief in Ihr Leben eingreifen und der Schlüssel zu den dunkelsten Verwirrungen werden können, die Ihnen noch für Ihr Leben aufbewahrt scheinen! Bedenken sie diesen verdächtigen Eifer einer Frau, die Ihrer Mutter Freundin war, dann sie haßte und sie nun auch im Tode verfolgt und jede Spur von ihrem Dasein – Sie sehen es ja – vertilgen möchte.

Was man von dieser Pauline Harder weiß, sagte Egon ergriffen von der Theilnahme des Freundes, ist nur zu sehr geeignet, ihren Schutz für ebenso allmächtig, wie ihre Verfolgung für eine Hölle auf Erden zu erklären. Was beherrscht sie nicht? Ich weiß es aus den diplomatischen Kreisen in Paris. Sie regiert durch die verzweigtesten Fäden ihrer gesellschaftlichen Beziehungen einen Theil der öffentlichen Meinung. Was hat sie nicht schon Alles unternommen! Was nicht gefördert und gehemmt! Wo nur eine Idee ins Leben treten soll, find' ich ihren Namen, als Beschützerin oder Gegnerin und grade, weil sie Denen eine starke Macht verleiht, die sie aufsuchen, fürcht' ich für Die, die sie vermeiden, umgehen wollen... Eine Freundin von ihr, die Gräfin d'Azimont...

Egon stockte.

Sie nannten jene Dame, die Ihr Vater in seinem originellen Briefe erwähnte, bemerkte Dankmar.

Der junge Fürst schwieg, fast verlegen. Dankmar schonte sein Gefühl, nahm das Wort und sprach die Vermuthung aus:

Ihre Mutter hat ohne Zweifel Erinnerungen ihres Lebens geschrieben; die große Welt fürchtet ihren Wahrheitseifer. Das Gerücht von Memoiren der Fürstin Amanda wird sich verbreitet haben, und diese, diese werden gesucht, vielleicht Briefe aus alten Zeiten, die manches Geheimniß enthüllen. Geben Sie die Eroberung nicht auf!

Aber wie? sagte Egon. Ich bin gefangen und schon in diesem Augenblicke vielleicht ist der Wagen gepackt, schon jetzt rollt er vielleicht der Residenz zu und die genaueste Untersuchung eines vor Enthüllungen zitternden Weibes durchstöbert jedes kleinste Theilchen seines Inhaltes und wird auch bald entdecken, daß die Rückwand des Pastellbildes auffallend stark, ja fast einem Kästchen ähnlich ist...

In der That? bemerkten Sie Das? sagte Dankmar.

Aufs Deutlichste.

Geben wir dann nur Eins nicht auf, rieth Dankmar. Das ist die Zeit! Jede Stunde kann noch einen Gewinn bringen, jede Minute das Schlimmste abwenden. Ich bin auf das Schloß geladen. Ich werde alle Fragen wegen meiner eigenen Angelegenheit fallen lassen, da ich Ihr Zeugniß habe, daß Schlurck meinen Verlust schon mit sich geführt hat. Sie und Ihr Interesse sollen mein einziges Augenmerk sein. Ich werde horchen, ich werde forschen, ich werde mir irgend eine Gelegenheit zu Nutze machen, Ihnen zu dienen; aber Sie müssen sich entschließen – so peinlich der Gedanke ist...

Wozu? sagte Egon, indem er Dankmar's, die kleine Zelle musternden Blicken folgte; ... Sie meinen, ich muß den Gedanken an Freiheit für heute aufgeben –

Das ist es! sagte Dankmar. Nur um Zeit zu gewinnen, setzte er hinzu. Zeit, sich der einen Sache, der im Augenblick wichtigern, widmen zu können. Warum soll ich nicht das Gespräch auf dieses Bild führen können, es nicht ansehen dürfen, warum durch den raschen Druck auf das schützende Glas den Inhalt nicht zum Vorschein bringen? Denken Sie sich diese Überraschung! Ich würde sogleich als Jurist auftreten, ich würde Beschlag auf diese Papiere legen, ich würde sie nicht eher aus der Hand lassen, bis ich nicht den Gefangenen aus dem Thurm befreit hätte, dem sie allein gehören, dem Prinzen Egon von Hohenberg!

Wildungen! rief Egon, sprang auf und warf sich ihm an die Brust, indem er mit stürmischer, Dankmarn fast seltsamer Freude den Bruderkuß auf die Lippen drückte. Wildungen! Sei mein Bruder!

Dankmar, ablehnend, fast erstaunend, ungewohnt solcher Regungen in dieser kühlen Zeit, wollte scherzend erwidern. Aber Egon litt es nicht und sagte:

Eine Vergleichung mit Posa und Carlos wäre lächerlich. Ich habe kein Spanien zu erben! Aber ein Posa bist du, Freund, wie wir, weißt du, schon einmal scherzten. Das Kreuz des Malthesers würde deinen Mantel zieren, wie den tapfersten Ritter, der für das Grab des Erlösers focht...

Dankmar war erst erschrocken über diese stürmische, ihm doch etwas peinliche Empfindsamkeit, dann aber betroffen über diese Erinnerung an seine eigensten, geheimsten Ideengänge... dachte er an Siegbert, an Ackermann und den Knaben... und er hätte sie gern in diesem Bunde gehabt, in diesem Bunde der Freundschaft, der Liebe und des einen Geistes!...

Eben sagte Dankmar liebevoll und gerührt:

Egon! Gibt es denn noch Freundschaften in unserer Zeit?

Egon wollte erwidern –

Da hörten sie draußen den Riegel gehen. Der Schlüssel im Schlosse drehte sich und schon auf dem Vorplatz machte sich der Thurmhüter vernehmbar mit den Worten:

Ich komme früher, als Sie mich rufen.

Wie er die zweite Thür aufgeschlossen hatte und eintrat, reichte er Dankmarn einen Brief hin.

Der sonderbare Mensch, sagte er, der nach Ihnen in der Krone fragte, hatte keine Ruhe und wollte Sie sprechen. Da Sie nicht kamen und ich ihn nicht herauflassen durfte, schrieb er diesen Zettel an Sie und hat ihn mit vier Siegeln zugeklebt, als fürcht' er, ich würde seine Staatsdepesche lesen. Eigentlich lass' ich mich da auf Sachen ein...

Dankmar nahm den Brief und erstaunte sowol über die wunderbar schöne, wie in Kupfer gestochene Handschrift, wie über die Adresse, die wörtlich lautete: »An den Ritter vom vierblättrigen Kleeblatt.«

Dankmar mußte auflachen.

Pfannenstiel spähte und fragte:

Ist Das wirklich an Sie?

Er mußte wol glauben, hier hinter eine verzweigte Gaunerbande zu kommen, die sich in einer eigenen Spitzbubensprache verständigte.

Egon las auch die Adresse und sagte:

Aber Das ist ja erstaunlich! Da ist ja der Ritter Posa schon anerkannt und von einem Schreiber – von einem Schreiber... diese kupfergestochene Handschrift kenn' ich –

Sie ist von Hackert, der mich nicht nennen will! sagte Dankmar. Jetzt glaub' ich wol, daß er nicht die Peitsche zu führen versteht. Das ist ja meisterhaft geschrieben! Er wollte mich nicht mit Namen nennen, der schlaue Fuchs, und so erinnert die Adresse an einige Erörterungen, die ich mit ihm über das Kreuz auf dem von Schlurck gefundenen Schrein hatte. Bester Pfannenstiel, der Brief ist an mich... und enthält hoffentlich kein Gaunerlatein!

Schlurck? sagte Egon und setzte leise hinzu:

Alle Briefe, die ich von der Verwaltung meines Vaters empfing, waren von dieser nämlichen Hand geschrieben.

Natürlich, sagte Dankmar ebenso. Hackert war Schlurck's Schreiber...

Und während noch der junge Fürst seinen Erinnerungen über diesen Gesellen und sein nächtliches Treiben nachhing, eröffnete Dankmar den Brief und las für sich.

Betroffen fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, las noch einmal, lachte dann, nahm rasch seinen Hut und sagte zu Egon:

Nun keine weitern Erörterungen mehr, Freund! Sie würden – er sah auf Pfannenstiel – hier nicht am Platze sein. Noch heute Abend oder morgen früh hörst du mehr von mir. Ergib dich in dein Schicksal! Träume vom Genfersee, von Lyon, von Paris, von der Zukunft und wenn du willst, von der Gräfin d'Azimont! Leb wohl!

Und damit entfernte er sich wirklich zum großen Erstaunen des Schließers, der noch einige Worte mit dem Gefangenen wechselte, ihm alle Bequemlichkeiten versprach und dem »Ritter vom vierblättrigen Kleeblatt« folgte, den er unten an der Thurmpforte zu finden hoffte. Dankmar war aber schon weit von dannen... Pfannenstiel schloß die Thür mit gewaltigem Schlüssel zu. Er dachte doch wol:

Wir haben einen curiosen Fang gemacht! Das Examen wird unserer Justiz viel Ärger und Mühe kosten.

Egon nahm aber den Brief, den ihm Dankmar in seiner eiligen, ihn fast verwirrenden Entfernung zurückgelassen hatte.

Er las:

»Ew. Wohlgeboren werden heute Abend auf dem Schlosse sein. Sollte die Rede auf mich kommen, Fritz Hackert heiß' ich, so können Sie Vieles von mir sagen, was Sie wollen, selbst daß ich Ihnen wie ein Esel erschienen bin. So etwas schadet mir da nichts, weil man meine Ohren kennt und was ich hinter ihnen habe. Aber, wenn Sie ein Mann von Ehre sind und Sie es gern hören, daß ich außer einem Wesen, das vielleicht kein Mensch ist, keinen Menschen in der Welt so lieb habe, wie... nicht etwa Ew. Wohlgeboren, sondern Ihren Herrn Bruder, der mich in einem Augenblicke der Verzweiflung mit Menschenliebe erquickte, so beschwör' ich Ew. Wohlgeboren, sprechen Sie von mir auf dem Schlosse nie wie von Ihrem Kutscher! Ich bin ein elender Mensch und kämpfe mit allen niedrigen Leidenschaften eines jämmerlichen Kerls, der das Gute will, ohne die Organe dafür zu haben, aber ich unterliege wenigstens nicht ganz, wenn ich mich höher hinauf halte, als wohin mich ein grausames Schicksal geworfen hat. Erniedrigen Sie mich da nicht, wo Sie heute wahrscheinlich sehr hoch stehen werden! Denn ich muß Ihnen im Vertrauen mittheilen, daß man im Orte unten und schon oben auf dem Schlosse anfängt, Sie für den Prinzen Egon von Hohenberg zu halten, der im Incognito hierher gekommen wäre, um sich vom Zustande seiner Güter zu unterrichten.... Vielleicht macht Ihnen dies von mir aus bester Quelle geschöpfte Misverständniß Spaß. Ich wünsche, daß Sie Ihren Schrein gefunden haben. Noch einen Rath: Reiten Sie nie mehr mit Pferden von Lasally! Dies unter uns! Übrigens nochmals: Nicht Kutscher! Ich nenne Sie nicht, wie Sie heißen, sondern wie die Aufschrift lautet, weil es Sie vielleicht unterhält, das Vorurtheil zu benutzen und auf dem Schlosse einige Stunden lang den Fürsten Egon von Hohenberg zu spielen! Etwas vom Teufel haben Ew. Wohlgeboren doch auch im Leibe oder sind wenigstens ein Mensch, der mir vorkommt, als könnte er mit der ganzen Welt Fangball spielen!«

Aus diesen zwar rasch, aber ebenso in der Rechtschreibung sicher wie in der Kalligraphie bewunderungswürdig correcten und gefällig geschriebenen, ihm in den Hauptsachen aber dunklen Worten, ersah Egon sehr wol den Grund, warum Dankmar plötzlich laut auflachte und rasch einen Entschluß fassend, so außerordentlich muthig und fast drollig aufbrach. Mit dem heitern und erwärmenden Gefühl, vorläufig einen wahren Freund gefunden zu haben, ergab er sich nun ruhig in ein Schicksal, das durch die Aussicht, wol gar von Dankmar Wildungen jetzt auf dem Schlosse vertreten zu werden, an wunderbarer Verwickelung und abenteuerlicher Verwirrung noch gewonnen hatte.


 << zurück weiter >>