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Drittes Capitel.

Das Jägerhaus.

Heunisch, die Büchse auf dem Rücken, eine sorgfältig geschlossene Pfeife im Munde, schien so eben nach seiner Wohnung einlenken zu wollen. Er erkannte in Dankmarn sogleich jenen jungen Mann, dem er gestern früh auf dem Gelben Hirsch, während es so heftig regnete, von alten und jungen Zeiten auf Schloß Hohenberg hatte erzählen müssen. Seinen freundlichen Gruß erwiderte Dankmar mit den Worten:

Eilen Sie, daß Sie nach Hause kommen! Sie haben Besuch...

Ich erfuhr es schon in Plessen, sagte der Jäger. Wie ich in der Schmiede vorsprach, sagte mir's der alte Zeck. Wenn die Ursula so ins Feuer geräth über den amerikanischen Besuch, wie ihr blinder Bruder, der wie närrisch herumtastete und herumgrabbelte, so muß es ein sehr naher Freund zu ihr sein.

Oder er bringt Grüße von einem Freunde aus Amerika, bemerkte Dankmar, der es vorzog, das, wie es schien dem Förster unbekannte Geheimniß der Erbschaft zu verschweigen.

Auch möglich, sagte der Jäger. Die Zeck's sind alle heimlich.

Heimlich? fragte Dankmar. Was verstehen Sie unter heimlich?

Dankmar hätte sie lieber unheimlich genannt.

Nun! sagte der Jäger. Es soll mir nicht einfallen diesen Leuten etwas Schlimmes nachzusagen, sie stehen in bravem Rufe und gehörten früher auch zu den Frommen, die die hochselige Fürstin beschützt hat. Aber es kommt mir mit ihnen vor wie mit einem zugegrabenen Brunnen oder einem ausgetrockneten Teich. Man kann nicht darüber gehen ohne daß es einem immer ist, als könnte da wieder einmal Wasser zum Vorschein kommen.

Wir nennen das, sagte nun Dankmar, unheimlich. Sie nennen's heimlich. Worin finden Sie denn, daß diese Familie etwas Verstecktes und Unzuverlässiges hat?

Der Jäger kratzte sich hinterm Ohre und erbot sich Dankmarn, der eine kaum angerauchte Cigarre mechanisch in der Hand hielt, Feuer anzuschlagen, wenns auch, wie er sagte, eigentlich nicht gestattet wäre im Walde Cigarren zu rauchen.

Dann lassen Sie's! sagte Dankmar.

Aber der Jäger meinte:

Ach was? Wie lange wird's dauern, so lassen die oben doch all die Stämme hier abhauen, um zu Gelde zu kommen. So... oder... so! setzte er lachend hinzu.

Und so rauchte Dankmar die Cigarre an des Jägers geöffnetem Pfeifendeckel an. Den Deckel dann in Erwägung der Waldordnung kräftig zuschlagend und selbst durch einige Züge sein gelbes Kraut wieder lebhafter anglimmend, fuhr der Jäger fort:

Die Zecks in der Schmiede gelten für ehrliche Leute und sind's auch, aber sie kommen Manchem vor wie Welche, die mit einem Strick am Halse leben. Drossel auf dem Gelben Hirsch sagte noch vor Kurzem, er hätte immer gehört, wenn ein Vornehmer 'mal einen Knecht erschlägt, so kann er sich vom Galgen loskaufen durch eine runde Summe, aber auf den Boden stellt ihm die Justiz auch was Rundes hin, nämlich's Rad, damit er immer einen Augenspiegel in der Nähe hat. Ob's wahr ist, weiß ich nicht. Aber der alte Zeck kommt Manchem vor wie Einer, der auf'm Boden auch so sein Rad stehen hat. Von meiner alten Ursula gar nicht zu reden, die die Leute eine Hexe nennen. Aber die Leute sind närrischer als sie.

Wie kommt denn Zeck's Schwester in Ihre Jägerwohnung? fragte Dankmar, den eigentlich der Rückblick auf Ackermann und Selmar fesselte.

Ei, sie war ja meines Vorgängers Frau! sagte der Jäger. Ich habe sie ja mit übernehmen müssen, als ich vor Jahren hier in den Posten kam! Damals warf sich ja die Alte auch auf die Frömmigkeit, um die Fürstin zu rühren. Und so kam's auch. Heunisch, sagte die Fürstin, (Gott hab' sie wirklich selig, es konnte Jeder, der die Augen verdrehte, mit ihr machen, was er wollte!) Heunisch, sagte sie, Ihr seid mir gut empfohlen worden und der Fürst hat nichts dagegen, daß ich Euch Marzahn's Stelle gebe – Marzahn hieß der frühere Förster, mein Vorgänger – aber sagte die Fürstin – Ihr seid jung und rüstig – damals war ich's mehr als jetzt – und die Marzahn bleibt in dem Hause bis an ihr Ende. Sie können sich denken, Herr, was ich für ein Gesicht dazu schnitt! Ich wollte mich just verheirathen und die Ursula Marzahn, hieß es, ist von jeher ein Drache voll Gift und Bosheit gewesen. Ich sagt's auch der Fürstin – Gott hab' sie selig – Durchlaucht, sagt' ich, die Marzahn?...... Und mehr braucht' ich eigentlich garnicht zu sagen; denn sie mußte es gleich fühlen, daß das so viel hieß, als in einen Thurm geworfen werden, wo unten nichts als Kröten und Schlangen sind. Nämlich die dummen Leute hatten der Urschel den Ruf gemacht. Sie kam schon ziemlich bejahrt mit dem ewig betrunkenen Marzahn hier an, mit dem sie anfangs wild gelebt hatte und erst verheirathet wurde, als er den Posten bekam. Der alte Sägemüller im Gebirg, auch der reiche Sandrart, den ich manchmal im Ullagrund besuche – ein stattlicher aber grober Bauer – haben mir Teufelsdinge erzählt, wie die Urschel anfangs hier auftrat. Sie war schon fast an die Funfzig und soll früher bei einem Scharfrichter gedient haben, von dem sie Doctorei mit Vieh, aber auch mit Menschen gelernt hat. Genug, von ihren jungen Jahren weiß man nichts, als daß sie bei dem Doctor Lehmann, so hieß der Scharfrichter, von dem Sie wol gehört haben...

Ich kann nicht sagen, bemerkte Dankmar lachend...

Bei dem, der meilenweit immer verschrieben wurde, fuhr Heunisch fort....

Verschrieben?

Zu den Armensünderfrühstücken, Herr! Nun, bei dem hat sie ja gedient und war dann an den Marzahn, einen ausgedienten Soldaten, gekommen und mit ihm hierher. Wie sie eine Weile im Walde war, kam auch der Bruder nach, der auch mit Vieh Doctorei treibt....

Dankmar mußte zur Bestätigung auf seinen schlechtgeheilten Bello sehen, der sich mit dem Hunde des Jägers zu vertragen schien und ruhig neben diesem aushielt.

Genug, sagte Heunisch; Marzahn starb bald, was kein Wunder war...

Ich will hoffen, bemerkte Dankmar lächelnd, daß seine Frau, die Ihr wie ein Gespenst schildert, ihm keinen Trank eingerührt hat....

Keinen Trank? sagte Heunisch, der die Redseligkeit selbst war. Trank genug! Er trank den ganzen Tag. Ursula hatte schlimme Tage bei ihm... sie hat's in Geduld ertragen... Die Urschel kennen die Menschen gar nicht...

Ihr müßt einen Schatz an ihr haben, daß Ihr so allein mit ihr leben könnt und sie vertheidigt!

Ich sage Ihnen, Herr, die Urschel ist bei alledem treu wie Gold. In jungen Jahren soll sie's arg mit Männern gehabt haben, aber seit sie alt geworden ist...

Hoffentlich auch seit sie der schreckliche Doctor Lehmann in der Cur gehabt hat...

Davon weiß ich nichts. Ich sage Ihnen aber, sie hat an dem Marzahn, der sie schlug und mit Füßen trat, wie ein Kind gehangen...

Käthchen von Heilbronn unterm Galgen.

Nicht von Heilbronn, Herr; und Ursula! Ursula! Nicht Käthchen!

Ich verstehe! Aber ich kann mir schon denken, Ihr habt die Ursula bei Eurem Försterposten als Inventarium oder sogenanntes »eisernes Vieh«, wie wir Juristen sagen, mit in Kauf nehmen müssen...

Beinahe so! lachte der Förster. Heunisch, sagte die Fürstin, ich weiß, was Ihr sagen wollt, aber die Marzahn ist durch den Tod ihres Mannes erleuchtet geworden und der Erlöser ist ihr im rechten Lichte aufgegangen, und was solche schöne Sachen mehr sind, die aber bei der Marzahn, wer sie nämlich kannte, eigentlich zum Lachen waren. Jetzt will ich Ihnen nur sagen, bester Herr.... Ich wollte nämlich heirathen und nahm die Stelle und auch, weil's nicht anders ging, die Marzahn mit. Und wie gesagt, sie war eigentlich bei alledem eine charmante Person! Sie wollte sich auf ein einziges Zimmer einrichten und sie that's auch ganz bescheiden bei alledem!

Bei alledem?

Ja, bei alledem! Ich dachte, sie macht nicht lange... aber wer starb, war nicht die Alte... wer starb, war... Doch was halt' ich Sie da auf, guten Morgen, Herr! Guten Morgen!

Dankmar fand an dem treuherzigen Manne Gefallen und bat ihn, doch fortzufahren...

Nun, wer starb, war meine Braut, und als ich nach drei Jahren wieder ein nett Mädchen kennen lernte – wer da wieder starb – war wieder meine Braut – und Das überwand' ich seit vierzehn Jahren, und nun bin ich zweiundfunfzig. Man sieht's mir nicht an, gelt? Aber ich bin's. Und die Ursula Marzahn hustet und hustet und ächzt und stöhnt und ist jetzt dreiundsiebzig Jahre und sie ist bei mir geblieben und... was die Leute reden....

Was reden die Leute? fragte Dankmar den Jäger, der nun gehen wollte.

Ich sag' immer, der Mensch soll leben, als ging' er grade der Nase lang! sagte Heunisch und steckte die Pfeife ein, die ihm ausgegangen war.

Schlecht und recht, meint Ihr?

Das zuerst und dann nicht links, nicht rechts sehen und sich kümmern, was wol Alles an Dem sein möchte....

Die Wahrheit fliehen, Heunisch? Den Glauben theil' ich nicht.... Was sagen die Leute?

Es ist besser, Herr! Ich hab's auch der Fränz geschrieben, die mir einmal Etwas von dem seligen Fürsten klagte. Kind, schrieb ich ihr, laß die Nachforschung und thu' deine Arbeit ohne Nachdenken!

Dankmar mochte nicht weiter forschen, erstaunte aber über des Jägers plötzlich bleicher gewordenes Antlitz.

Ich halt' Euch auf... sagte er.

Nein, nein, meinte Heunisch; ich plaudere mit Ihnen aus dem nämlichen Grund. Ich mag nämlich gar nicht in mein Haus, solange die Fremden da sind. Ich dränge mich nicht in die Heimlichkeiten der Ursula....

Ihr habt viel Zartgefühl, Heunisch....

Nennen Sie Das so? Es könnte vielleicht auch anders heißen....

Nichts Schlimmeres aber! Ihr seid die Rücksicht selbst.

Doch! doch! Nennen Sie's nur Furcht....

Furcht?

Furcht, Das zu wissen, was Eins besser nicht weiß....

Wie Heunisch diese Worte sprach, stand er nachdenklich und blickte mit starrem Auge bei Seite.

Was ist Ihnen, Heunisch? fragte Dankmar, erschrocken über des Mannes nachdenklichen Zustand. Es steigen Ihnen unfreundliche Erinnerungen auf?

Ja! ja! Aber lassen Sie nur, bester Herr, sagte Heunisch, fast tonlos. Ich habe an meine erste Braut gedacht und an die zweite – ich kann's ja allein hier bedenken an dem alten Doppelbaum, der in zwei Stämmen aufschießen wollte und in beiden verdorrt ist. Gehen Sie nur weiter! Ich mag nicht nach Hause; ich setze mich so lange daher.

Dankmar legte dem bewegten Jäger die Hand auf die Schulter und sagte:

Ihr denkt Eurer beiden Verlobten! Beide starben! Beklagenswerther Mann! Und Ihr mußtet ein Ungethüm neben Euch dulden, das Euch Eure einsamen Tage zu einer ewigen Folter machte. Habt Ihr Das ertragen können?

So nicht! So nicht! bester Herr! sagte der Jäger. Ihr hörtet's ja, der Brunnen ist verschüttet und der Sumpf ist ausgetrocknet. Die Ursula hat mich nie gequält, niemals, ich müßte lügen. Sie hatte einen heftigen, rohen Menschen geheirathet, meinen Vorgänger, den Marzahn. Der schlug sie und sie duldete das. Als er starb, es war ein noch junger Kerl, aber er hatte sich dem Trunk ergeben und ging vor der Zeit hin, als er starb, hätte sie sich erlöst fühlen sollen. Aber so verblendet war die Narrheit der Frau, die über zwanzig Jahre mehr zählte, als ihr Mann, daß sie ihn wie eine Verrückte beweinte und damit die Fürstin rührte, daß Die sie wohnen ließ, bis ich kam. Von Stund' an hat sie sich auf eine kleine Stube, die dunkelste, beschränkt, die ich gar nicht gemocht hätte, weil sie mir vorkommt, als müßt' es drinnen spuken. Sie hat mich gepflegt, wenn ich krank war, die Ursula, mich bedient wie eine Magd, die Ursula, sie hat – sollten Sie's glauben, Herr....

Es ist zum Lachen? Warum lacht Ihr, Heunisch?

Ich kann's gar nicht sagen....

Wetter, Ihr seid ja verschämt wie ein Mädchen....

Ich möchte nur wissen, ob die Ursula dahintersteckte....

Hinter welchem Busch denn?

Daß ich sie heirathen sollte, Herr!

Dankmar wollte lachen und konnte nicht.

Mein Seel! Kein Spaß! Der Blinde, der sich nach Marzahn's Tode in Plessen angesiedelt hatte, sprach mich darum an, ich sollte die Schwester doch heirathen....

Hm! Und beide Bräute starben Euch – vor oder nachher?

Vorher! Ich lachte blos und schlug's aus. Seitdem sprach der Bruder kein langes Wort mehr mit mir, so oft ich in der Schmiede vorsprach. Heute seit Jahren gönnt' er mir einmal wieder die erste Anrede. Aber die Ursula... nein! nein! die konnte von dem tollen Antrag nichts wissen oder sie hat sich damals ihrer sechszig Jahre geschämt. Sie ist freundlich und gut mit mir geblieben, ob ich sie gleich manchmal recht fürchte und ein Grauen vor ihr habe....

Dankmar voll Theilnahme meinte:

Geht denn doch lieber ins Jägerhaus! Wenn Ihr wie andere Menschen seid, freut Ihr Euch gewiß, wenn um Euch her Alles heiter und glücklich ist. Ursula's Besuch wird sie überraschen und wenn sie keine Geheimnisse vor Euch hat, theilt sie Euch mit, was sie Frohes erlebt hat, und erfreut Euch selbst.

Nein, nein, ich bleibe noch fort! sagte der Jäger, der sich jetzt wieder erholte und seine Pfeife anzündete. Ich will nicht in ihre Karten sehen. Darin liegt's gerade, was ich heimlich nenne. Seitdem mir meine zweite Braut so plötzlich und so schrecklich starb – sie glitt im Gebirge aus und brach sich das Genick....

Um Gottes Willen! unterbrach Dankmar.

Ja, ja, Herr, die erste...

Die Jungfer Drossel auf dem Gelben Hirsch...

Ihr erinnert Euch...

Starb in den Flammen... Das weiß ich schon! Aber die zweite...

Des Sägemüllers Tochter da oben aus dem Gebirge...

Verunglückte so entsetzlich?

Brach den Hals!

Armer Mann! Jetzt begreif' ich Eure Liebe zur Fränz in der Stadt.

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Der Förster schwieg eine Weile schmerzbewegt und fuhr dann fort:

Seitdem, Herr, bin ich eigentlich wenig daheim in meinem Hause, wandere immer hier und dort umher und erfahre oft nichts von Dem, was während meiner Abwesenheit im Jägerhause geschieht. Die Ursula ist ganz froh, wenn ich komme, denn ich seh's ihr an, sie hat in der Zeit dann allerlei Jammer und Noth gehabt... wirklich, Das hat sie... aber wiedererzählt wird nicht. Da hab' ich dann schon gesagt: Ursel, du kommst mir vor, als wenn du immer in meiner Abwesenheit die Geister bei dir tractirtest und mit dem Teufel manchmal lustig zu Nacht speistest! Da sagt sie denn wol seufzend: Hast Recht, Junge! Ich habe meine Noth! Aber dann ist sie still, macht ihre Arbeit und ist froh, wenn's mir nur schmeckt. Straf mich Dieser und Jener, ich hätte die Alte in ihren jungen Jahren wirklich geheirathet; denn soll ich's nur gerade heraussagen, so glaub' ich, sie war trotz ihrer Sechzig in mich verliebt, und weiß der Geier, sie war auch noch ganz hübsch und sauber. Nun ist sie elend und hinfällig und wird kindisch. Ihre Gespensterseherei macht mir besonders im Winter arg zu schaffen....

Dankmar nahm diese letztere Mittheilung fast so scherzend, wie sie der Jäger gab, fuhr daher auch in diesem Tone fort und sagte:

Nun denn, so macht, daß Ihr nach Hause kommt! Der Besuch aus Amerika ist kein Gespenst und prüft sie einmal, ob sie aufrichtig ist. Ihr seid ein so ehrlicher und biederer Mann, daß ich Euch unter dem Siegel der Verschwiegenheit verrathe: Der Amerikaner bringt ihr einen Beutel ganz mit Gold gefüllt.

Sie spaßen? sagte der Jäger erstaunt.

Ja, Heunisch. Nach Allem, was Ihr mir von diesen Zeck's und der Ursula erzählt habt, vom Tode Eurer beiden Bräute und den Gespenstern, die diese fromme Witwe sehen will...

Nun, was stocken Sie, Herr? Was sehen Sie mich so groß an?

Nach alledem möcht' ich doch, daß Euer unbefangener, offener und gläubiger Sinn im Jägerhause nicht misbraucht würde. Versteht Ihr?

Wieso misbraucht? Ich verstehe nicht...

Dieser Amerikaner brachte dem blinden Zeck eine Summe Goldes, die einen ganzen Tisch bedeckte –

Was? meinte der Jäger... Das müssen ja über tausend Thaler sein!

Und ebensoviel empfängt jetzt die Schwester. Gebt Acht, sagte Dankmar, ob sie wahr gegen Euch ist und...

Dankmar stockte.

Nun da bin ich doch curios! Ja, ja, sie sagte mir heute früh, daß ihr etwas Merkwürdiges bevorsteht....

Paßt Ihr mehr auf, Heunisch! Seid nicht so sorglos!

Hm! Sie hatte die ganze Nacht rumort und mich im Schlafe gestört. Die Hunde bellten. Ich sah den Mond so grußelich durch den großen Kastanienbaum scheinen, der vor meiner Schlafkammer steht. Es war mir einmal, als hört' ich die Ursula häßlich schreien. Aber es war wol nur ein Traum und ohnedies weiß ich ja, daß sie immer laut redet und ganze Nächte in Bewegung ist. Wie sie mir das Frühstück bringt, frag' ich sie: Aber, Urschel, frag' ich sie, was war denn Das die Nacht? Hast ja geschrien! Und groß mich anglotzend, als wär' ich ein ganz Anderer als der fürstlich Hohenbergische Revierjäger Heunisch, sagte sie: Fritze, was hast du für garstige rothe Haare! Wenn Das deine Gräfin sieht! Ei Mutter, sag' ich, ich heiße Leberecht Heunisch und meine Haare schimpf' mir nicht, die haben bei keiner Gräfin am Feuer gestanden. Da kicherte sie und meinte, sie hätte in der Nacht das Fenster aufgemacht und hinaus in den Wald gesehen. Da wär' ihr verstorbener Bruder, von dem sie oft wie von einem Baron faselt, über die grüne Wiese gegangen, ganz wie er noch in seiner Jugend gewesen wäre, lang und schlank und sehr vornehm, aber im Gehen hätt' er geschlafen, sie aber doch artig gegrüßt und sich dann still ins Gras niedergelegt unter dem Ebereschenbaum, der auf der Wiese steht. Und sie wiss' es, sie erführe nun auch heute was Neues. Na, sagt' ich, Urschel, dann will ich hoffen, daß es was Rechtes ist. Stellen Sie sich aber Eines vor, als ich nachher ausging, um in Plessen auf dem Amt Etwas ins Reine zu bringen, seh' ich hinüber nach dem Ebereschenbaum, den ich lieb habe, weil er im Herbst so prächtige rothe Beeren trägt, die über die ganze Wiese leuchten, wie Sägemüllers Nantchen ihre rothen Ohrbommeln... Seh' ich ja, daß das Gras wirklich an dem Baume niedergetreten ist, gehe hinüber und finde an dem Baum im Grase die Spur, daß hier ein Mensch gelegen hat und noch ganz frisch, ohne Widerrede erst in der letzten Nacht. Und daß ich mich wirklich nicht täusche, liegen ja drei vollwichtige neue Spitzkugeln im Grase, eingewickelt in dies Papier. Da! Ohne Zweifel war's ein Wilddieb, und nun will ich meiner Alten doch sagen, daß sie diesmal Menschen und keine Geister gesehen hat, und auf der Hut müssen wir sein, so wie so. Sehen Sie! So was passirt im Walde.

Damit wog der Jäger die ziemlich schweren, sonderbar geformten, nur für eine eigens eingerichtete Büchse passenden Kugeln.

Dankmar nahm die Kugeln und wog sie gleichfalls. Sie waren in ein Papier eingewickelt.

Diese Kugeln sind aber sonderbar, sagte Dankmar. Ich möchte fast glauben, daß es keine Kugeln, sondern eher kleine Gewichte sind....

Es sind Spitzkugeln, ich versichere Sie! sagte der Jäger.

Indem betrachtete Dankmar das Papier, in dem das Blei eingewickelt war. Wie erstaunte er, als er in ihm eine Rechnung aus dem Heidekruge erkannte, dieselbe, die auf Zehrung für zwei Personen und ein Pferd lautete, vom gestrigen Datum... ein Thaler acht Groschen!

Sonderbar! sagte er und war von einer Ahnung ergriffen; behalten Sie das Papier, lassen Sie mir die Kugeln!

Der Jäger besann sich erst und fragte:

Haben Sie denn einen Verdacht?

Als Dankmar betroffen das Papier von allen Seiten betrachtete, fuhr Heunisch fort:

Ich wollte erst die Kugeln aufs Amt tragen; nachher besann ich mich und dachte: du machst dir den Spaß und gibst sie der Urschel als Erinnerung an ihren rothhaarigen Fritze!

Lassen Sie mir wenigstens das Papier! wiederholte Dankmar.

Da! Nehmen Sie Beides! sagte der Jäger. Sie sind ein feiner Kopf, Das merk' ich wol. Sind Sie einem Strauchdieb auf der Fährte, so vergessen Sie nicht, diese Kugeln lagen in dem Papier und unter dem Ebereschenbaum schlief Einer die Nacht im Grase. Aber mehr können wir nicht bezeugen; denn was die Urschel vor Gericht vorbringen würde, wäre gewiß so gräulich, daß die Schreiber davon liefen, auch hat sie's nicht gern mit dem Amt und geht überhaupt nicht drei Schritte vor die Thür. Also soviel Gold! Nun muß ich doch sehen, ob's die Amerikaner uns wirklich auch gebracht haben und ob sie's mit dem Golde heimlich hat. Einen ganzen Tisch voll? Ist's auch wahr, Sie haben Ihren Spaß mit mir. Sie merken schon: ich bin ein bischen leichtgläubig.

Verlassen Sie sich darauf – sagte Dankmar.

Und wo soll ich Ihnen denn sagen, ob die Alte mir den Schatz auch anvertraut hat?

Der Jäger sprach diese Frage mit einem zögernden Ton, als wünscht' er, Dankmar theilte ihm seinen Namen und die Gelegenheit einer Wiederbegegnung mit.

Dankmar aber unterbrach ihn mit den Worten:

Noch Eins! Sahen Sie Niemanden von meiner Reisegesellschaft?

Ihren Kamerad... der Sie begleitete... den in...

In der Blouse?

Nein, den vorwitzigen Burschen... im Gelben Hirsch... den Andern!

Meinen Kutscher?

War's Ihr Kutscher? Das hätt' ich wissen sollen!

Er sprach Euch nicht angenehm zu Ohre. Er ist vorlaut....

Wer weiß! Wenn er über die Fränz Recht hätte...

Beruhigt Euch! Er verleumdet gern...

Es hat mir die ganze Nacht keine Ruhe gegeben...

Die Fränz wird tugendhaft sein...

Wenn die Fränz – das Kind ist mein Augapfel, meine einzige Lebensfreude! Es ist meines Bruders Kind und die Erbin von dem Bischen, was ich habe... Wenn die Fränz....

Seid doch kein Thor! Niemand hat sie verleumdet! Und wenn auch, der Bursche verdient keinen Glauben.

Dem Jäger funkelten die Augen.

Das Mädchen soll zu mir! Sie muß aus der Stadt heraus! sagte er.

Hierher in den Wald?

Sie war schon einmal da....

Eine Putzmacherin hier unter den Tannen? Bei der Ursula? Ich wette, daß es ihr nicht bei dem guten Onkel gefallen hat....

Das abscheuliche Wort Putzmacherin!

Ich denke doch, es hieß so?

Ja, sie schneidert und näht und stutzt Hauben und Hüte....

Also...

Und hübsch ist sie....

Also...

Und sie arbeitet bald da, bald dort....

Also! Eine Putzmacherin!

Aber rechtschaffen, Herr! Ein Kind wie ein Engel. Ich nahm sie hierher in den Wald, weil böse, giftige Menschen ihr nachstellten....

Sie nannten ja den alten Fürsten.... Die Durchlaucht wird doch nicht?...

Herr, wer gibt uns Lohn und Brot? Also: Kusch! Ich nahm sie hier heraus, und sie war so munter anfangs wie da die Eichkätzchen. Aber mit der Ursula...

Die wurde eifersüchtig...

Meinen Sie?

Ich denke fast, nach dem Frühern zu schließen...

Unfriede, Jammer und Noth gab's. Die Fränz fürchtete sich vor der Alten, wurde elend und krank und da gab ich sie in die Stadt zurück.

Daran thatet Ihr am besten, und ich versichere Euch, Fränz Heunisch ist gewiß eine tugendhafte Putzmacherin, die allen ihren Kameradinnen als Muster aufgestellt werden kann.

Sind die so –?

Ich verspreche Euch, Heunisch, mich nach ihr zu erkundigen, und seid gewiß, ich brauche nur zu horchen, was sie für Umgang und allenfalls was für einen Liebhaber sie hat, so weiß man schon...

Keinen Liebhaber! Ich versichere Sie, Herr! Keinen Liebhaber!

Warum nicht, Heunisch? Wenn's der rechte ist? Es gibt tugendhafte Putzmacherinnen, die sich die Männer erst ansehen, ehe sie mit ihnen Landpartien machen. Verlaßt Euch darauf! Ihr verdient es, eine brave Nichte zu haben. Auf Wiedersehen, Förster! Eilt jetzt, daß Ihr zur Ursula kommt!

Der Jäger, Dankmarn freundlich die Hand schüttelnd, wandte sich um und ging mit beschleunigten Schritten vorwärts, seinem Hause zu. Dankmar aber blieb eine Weile stehen. Er hätte schwören mögen, diese Rechnung beträfe nur ihn, Hackerten und das Roß des Pelikanwirths. Die Speisen waren nicht genau angegeben, sondern in Bausch und Bogen die ganze Zehrung genommen.... Der nächtliche Waldbesucher war doch wol nur Hackert, dessen Spur ihm so ganz entschwunden war.... Unter dem Ebereschenbaum hatte er geschlafen.... Wie kam er zu diesen Kugeln? Wie war es möglich, daß ihn diese Ursula als das verjüngte Ebenbild ihres Bruders erkannte? Als einen Verwandten, den sie mit Höflichkeit wie etwas Vornehmes auszeichnete?... Alle diese Betrachtungen liefen darauf hinaus, daß ihm, wenn Hackert in diesem Augenblicke plötzlich aus dem Gebüsch getreten wäre, das Wiederfinden einen nicht eben sehr erfreulichen Eindruck gemacht hätte. Dazu die verworrenen Reden über jene Ursula Zeck... über das Unglück, vielleicht... den gewaltsamen Tod zweier jungen Mädchen.... Die Stille des Waldes weckte Dankmar's Phantasie und die unheimlichsten Gestalten umgaukelten den einsamen Wanderer. Erst als er endlich den Weg sich am äußersten Ende lichten sah, wurde ihm freier zu Gemüth, und vollends erlöst athmete die Brust erst auf, als er, die ihm jetzt doppelt widerwärtige Schmiede vermeidend, durch die Gärten von Plessen über den Mühlbacharm der Ulla in das Wirthshaus zur Krone zurückkehrte und überall wieder Sorglosigkeit, wieder Unschuld, wieder ergebene Ruhe aus den Augen der arbeitenden Männer in den Gärten und der beschäftigten Frauen und spielenden Kinder ihm entgegenlachte. Es war ihm nach der Waldscene wie dem an Kohlendunst fast Erstickenden, der im Nebel und Dampf eines Zimmers nur noch soviel Kraft besitzt, das Fenster aufzureißen und die Frische der reinen Luft in die sich gewaltsam hebenden Lungen einzuathmen....

Die überraschenden Einladungen, die er in der Krone nun vorfand, konnte er nicht ahnen. Es waren deren zwei. Eine ins Schloß und eine zweite, merkwürdig genug... in den Thurm, an dessen Fuße er gestern im Grase träumend gelegen hatte.


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