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Der Reichstag zog sich bis in den hohen Sommer hinaus und steigerte durch seine Erfolglosigkeit nicht wenig den Haß, den der Kaiser gegen die deutsche Verfassung, die deutschen Fürsten, Stände und die Sitten des deutschen Volks überhaupt nährte.
Einer der Fürsten entfernte sich nach dem andern schon vor dem Abschluß der Sitzungen. Am frühesten war der Landgraf Philipp gegangen. Ihn rief die Rüstung zum Kriege gegen Heinrich von Braunschweig, der ihn sogar während des Reichstags durch das Erscheinen einer neuen Schmähschrift reizte. Der junge Moritz von Sachsen war inzwischen sein Eidam geworden. Bald wurde er auch Herr der Lande seines Vaters, der nach kurzem Regiment starb.
Die Ergebnisse des Religionsgesprächs fielen so wenig befriedigend aus, daß der Kaiser vorzog, die alte »Toleranz« zu bestätigen, die noch von dem entschlossenen Auftreten der Protestanten auf dem Augsburger Reichstag herrührte. In Rom drängte eine fanatische Partei zum Abbruch aller Verhandlungen. Paul III. war ein unzuverlässiger Verbündeter des Kaisers, dem zunächst seinerseits nur alles an Sammlung seiner Kraft gegen die Türken im Osten und die Barbaresken im Süden lag. Zu dem Ende verband er sich den Landgrafen von Hessen durch geheime Verträge. Doppelzüngig, hinterhältig handelte einer wie der andere. Zunächst galt es, sich durch Eide und Versprechungen für den Augenblick sicherzustellen. Dann die Reichshilfe gegen Frankreich zu gewinnen, wurde des Kaisers alleiniges Ziel. Er hoffte es auch nach entscheidenden Siegen über die Ungläubigen zu erreichen.
Sebastian Schertlin von Burtenbach war während dieser Zeit zweimal in Regensburg. Einmal rief ihn die Verheiratung seiner Tochter ab. Sein alter Freund Paumgartner, Freiherr von Hohenschwangau, der die Vermögensumstände des geldliebenden Landsknechtführers seit Jahren glänzend gestaltet hatte, vermittelte zwischen ihm, dem Landgrafen, dem Kaiser und dem Rat der Stadt Augsburg. Es stand so gut wie fest, daß den nächsten Zug gegen Frankreich Schertlin befehligen sollte. Granvella versöhnte sich mit dem derben Schwaben, wiederum war es der Freiherr von Hohenschwangau, der eine gemeinschaftliche Rückreise Granvellas mit Schertlin und Leonhard von Eck nach Italien über München, wohin sie den Minister begleiten wollten, anordnete. Die Schmalkaldener, die davon erfuhren, schüttelten nicht wenig den Kopf über den drohenden Abfall des Augsburger Stadthauptmanns und hessischen Soldritters.
Die Belehnung des weiland Kaufmanns mit der reichsunmittelbaren Standschaft des alten Schwangau fand an dem Tage statt, wo der Kaiser dieselbe Zeremonie noch an mehreren anderen Fürsten und Herren vollzog. Nie gab er sich mit soviel Bewußtsein seiner Würde, wie bei einem solchen Akt der Belehnung. Bei solchem Anlaß schien es geradezu, als wollte er die majestätische Ausnahme, die sein Dasein im Leben der übrigen Menschheit machte, zu aller Anschauung bringen. Pflegte er sein Mittagsmahl ganz für sich allein und dabei nur ab und zu einmal die ernsten Gesichtszüge über einen flamländischen Narren verziehend, der beim Servieren behilflich war, aber zum Schauspiel für alle, da jedermann Zusehen durfte, zu verzehren, so zeigte er sich bei Belehnungen geradezu wie ein Kartenkönig; die Krone ging gleichsam mit ihm zu Bett. Durch ein Fenster hatte man ins festlich dekorierte Mauthaus einen Aufgang gebrochen. Hier ließ sich der Kaiser in der vollen Pracht seiner Krönungsornamente sehen. Einem Zusammenstrom von sechzigtausend Menschen gönnte er den Anblick seiner in starre Goldgewänder gehüllten Person in solchem Grade, daß er nachdem die Belehnungszeremonie vollzogen war, sich noch einmal nach allen Seiten, wie eine auf einem Drehgestell befindliche modistische Figur unserer Tage umwendete und nach allen vier Weltgegenden, mit längeren Pausen, um sich betrachten zu lassen, Stellung nahm. Um ihn her standen Marschälle, die sein Symbol, die Säulen des Herkules, kleine silberne Kolumnen mit der lateinischen Inschrift: »Immer weiter!« auf purpurnen Kissen trugen. Die zu Belehnenden erschienen in voller Rüstung, von Kopf bis zu Fuß geharnischt. Unter seinem stahlblauen Panzerhemde schwitzte der Rat in der Julihitze nicht wenig. Die Junker traten wie geborene Turnierhelden auf.
Während dieser Tage sammelte Ottheinrich Eindrücke, die lebenslang in ihm nachwirken mußten. Kam er hier doch Männern nahe, deren persönliches Erscheinen ihn wie die Verwirklichung eines Märchens bedünken durfte. Einige Worte hatte er mit Melanchthon wechseln dürfen, Calvin hatte ihn mit seinem scharfen durchbohrenden Auge angeblickt, Schertlin ihm zu seiner evangelischen Beharrlichkeit, von deren im Fuggerhause zu Augsburg abgelegter Probe die Söhne des kaiserlichen Rats ihm erzählt hatten, Glück gewünscht.
Aus dem augsburgischen Kreise war Ottheinrich besonders die Wiederbegegnung des trefflichen Redners Wolfgang Musculus wohltuend. Zweimal predigte dieser im Hinterhause seiner Herberge. Die Menschenmenge, die auf ihn lauschte, konnte selbst nicht mehr der geräumige Hof des grünen Kranzes fassen, sie stand bis zur Straße hinaus. Ottheinrich war es durch eine geheime Verbindungstür immer möglich, auf den Chor zu gelangen, wo ihn die Brüder Bernhardin und Grammaflanz Stauff wie einen Angehörigen der Familie in ihren Stuhl aufnahmen.
Grumbach verlangte, daß wenigstens einer der Söhne Argulas in Würzburg erscheinen und dem Bischof seine Aufwartung machen sollte. Die düstere Prophezeiung, die den beiden wetteifernden Parteien in der Hütte des Kristallsehers zuteil geworden war, die Bilder der Schlange und des Bischofshutes im Feuer, verschwieg Ottheinrich in seinen Briefen der Mutter um so mehr, als Vorzugsweise der Marschall von dem Zwist, den er ausgeglichen zu haben glaubte, nicht geredet wünschte. Dabei durfte es Ottheinrich seltsam erscheinen, daß Grumbach aus einigen Mitteilungen, die er ihm mit der Zeit über die Herkunft seines Cadolzourger Schützlings gegeben hatte, weit mehr Gründe zu entnehmen schien, den zweideutigen jugendlichen Abenteurer hochzuhalten, als ihm zu mißtrauen oder ihn aus seiner Nähe zu entfernen. Als gelegentlich beim Empfang von Briefen aus Cadolzburg einer darunter, der ein besonders gut geschriebener war und von Moritz Hausner herrührte, den Ritter zu lauter Anerkennung sowohl der äußeren Form wie des Inhalts bewog, sagte Ottheinrich ohne allen Neid:
»Ehrenbester Junker, lasset ihn meinen Nachfolger sein! Denn nach Würzburg, das kann ich ja wohl jetzt schon wissen, werd' ich euch schwerlich folgen können –«
Grumbach horchte auf, betrachtete eine Weile seinen Sekretär, antwortete aber nicht.
Ottheinrichs Andeutungen über Moritz Hausner hatten zunächst nur die Folge, daß Grumbach an Christoph Kretzer den Befehl schreiben ließ, den abenteuerlichen Gesellen mit seinen beiden Begleitern in Cadolzburg bis zu seinem Eintreffen scharf zu bewachen. »Wir haben einen Turm in Cadolzburg,« sagte er, »in dem einst ein jung Kaiserblut, Konradin der Enthauptete, geschlafen hat, als er beim Burggrafen von Nürnberg, dem Hohenzollern, zum Besuch gewesen. Da soll er einstweilen noch ein – Hausner sein! Ich verlasse jetzt den Dienst meines gnädigen Markgrafen Georg – Der Ritter von Wolfstein wird in Cadolzburg mein Nachfolger werden –«
Markgraf Georg war einer der Fürsten, die sich ebenfalls vom Reichstag zeitig entfernt hatten. Die hier getroffenen Bestimmungen über sein Ableben und die dann von seinem Neffen zu führende Vormundschaft über seinen jüngstgeborenen Sohn hatten ihn um alle gute Laune gebracht.
Markgraf Albrecht blieb so lange, bis der Kaiser und König Ferdinand gegangen waren. Man sah ihn nur im Kreise der Kaiserlichen, obschon er die Erklärungen der Evangelischen, aus Rücksicht auf sein Land, das von Vogler zu energisch reformiert worden war, unterschrieb. Des jungen Markgrafen Vetter, Christoph von Leuchtenberg, sein stündlicher Umgang und, wie man sagte, ein leidenschaftlicher Verehrer seiner Schwestern (sogar der schon vermählten Pfalzgräfin von Simmern), hielt sich an die alte Kirche.
Auf die Bahnen der Zügellosigkeit im Essen, Trinken und des Verkehrs mit Frauen konnte Grumbach seinem Zögling nicht folgen. Doch blieb er sein Berater und führte die schwere Doppelrolle durch, in Würzburg für das Alte, im Brandenburgischen für das Neue zu sorgen. Ottheinrich erkannte recht diesen Widerspruch aus seinem Schreiberdienst und litt nicht wenig darunter. Vogler mußte für den Ausbau der neuen Kirchenverfassung, für die Bestellung von Pfarrern und Lehrern, die Säkularisation der Klöster sorgen – für Würzburg erfolgte ein päpstliches Breve, das jedes weitere Fortschreiten auf dem Reformationswege untersagte, nach dem andern.
Der Reichstag hatte aber doch die Sache der Protestanten außerordentlich gefördert. Otto Heinrich von Pfalz-Neuburg, des jungen Albrecht Stiefvater, erklärte, die nur noch von der Mutter des letzteren, der Schwester der Bayernherzoge, seiner Gattin, niedergehaltene Reformation würde in seinen Landen keinen längeren Anstand mehr finden. Sogar der romantische Pfalzgraf Friedrich von der Oberpfalz war vollkommen reif, sich nicht länger vom Hause Habsburg mit leeren Versprechungen hinhalten zu lassen. Er behauptete, für die Dienste, die er dem Kaiser geleistet, Tausende beanspruchen zu dürfen. Einstweilen rüstete er sich, seinem dem Abscheiden vom Leben nahen Bruder in Heidelberg, dem Kurfürsten, als ein von den Blendwerken dieser schönen Welt nicht mehr wie sonst zu gewinnender Regent zu folgen. Auch mit Friedrich von Schwarzenberg, der die württembergischen Wortführer begleitet hatte, fand eine Aussöhnung Grumbachs statt. Voglers Briefe vermittelten diese. Vogler suchte für Fritz Schwarzenberg, dessen Vermögensumstände zerrüttet waren, bei Grumbach einen Verkauf seiner Burg Hohenlandsberg an Würzburg zustande zu bringen.
Kopfschüttelnde gab es über all diese Verbindungen des Marschalls in manchen Kreisen genug, wohin steuerte Grumbach –? Wozu noch immer seine Verbindung mit Brandenburg –? Unvergessen war in Fürstenkreisen geblieben, daß es einst im Bauernkriege geheißen, Dompropst Friedrich von Brandenburg, der tapfere Verteidiger der Feste Marienberg bei Würzburg, wollte sich zum weltlichen Herrn von Franken machen, wie es sein Bruder späterhin in Preußen tat. Arbeitete Grumbach für die Wiederaufnahme solcher Pläne durch den jungen Albrecht–? Demgegenüber vertrat Grumbach auf der anderen Seite die ganze Strenge und Schroffheit der Würzburger Hochstiftsansprüche. Das empfanden recht die beiden Domherren Christoph von Henneberg und Kilian von Fuchs, die in Würzburg Geächteten, sie waren nach Regensburg gekommen, um sich die Fürsprache der päpstlichen Legaten zu erwirken, hatten diese auch erhalten und begehrten jetzt ihre Pfründen zurück. Grumbach schlug sie ihnen im Namen des Stifts wiederum ab.
Zu den fahrenden Kriegsgesellen, Werbeobersten, Landsknechtsvätern, die sich, teilweise im Gefolge der Fürsten, beim Reichstag einfanden, gehörte jener Joachim von Zitzewitz, der damals vor fünf Jahren an Windsheim vorüber in Grumbachs Gefolge ritt, seine dicke Leibesgestalt, sein Phlegma, sein trockener Humor machten ihn beliebt. Seit Jahren hatte er sich, wie so viele Altmärker, an die fränkischen Brandenburger gehalten, dabei nur verwünschend, daß es mit diesen seit Kasimirs Tode gar so friedselig und frommlebig verlief. Der neue Kurfürst, sein Namensvetter Joachim, sollte die hier auf dem Reichstage besprochene Armada gegen die Türken kommandieren. Von diesem Heereszug verhieß sich Zitzewitz allerdings nur wenig Erfolg. Ja seine Gefährten behaupteten sogar, sie hätten den Kristallseher um das Schicksal, das in diesem Kriege, den er notgedrungen mitmachen mußte, einen dicken Ritter treffen werde, befragt und die Antwort erhalten, Lynkeus hätte einen Mann ohne Kopf gesehen, der zwar einen mächtigen Humpen voll Tokayerweins in der Hand gehalten, doch keine Gurgel mehr gehabt hätte, ihn hinunterzuschütten. Über dem traurigen Bilde hätte der Halbmond geschienen...
Joachim von Zitzewitz gab sich zu einem Scherz her, der dem Reichstag einen fröhlichen Abschluß verlieh, wenigstens für einen bestimmten Kreis, der in der Regel zusammengehalten hatte.
Eines Tages kamen die Schwangauer Junker in Ottheinrichs Herberge und brachten die Nachricht, sie hätten vernommen, Vittoria Ferrabosco, die wirklich nunmehr entschlossen wäre, mit ihnen nach Hohenschwangau zu ziehen, sollte zuvor von Oswald von Eck entführt werden.
Daß eine solche Gewalttat des Regensburger Stiftsmarschalls möglich war, hatte Ottheinrich schon in Augsburg erkannt, als er damals in den Abendstunden das Häuschen des Magisters Rupilius belauschte, dem Johannes den geheimnisvollen Besuch machte. Bei dem vielfachen traulichen Verkehr, dessen sich jetzt Ottheinrich mit Vittoria erfreuen durfte, war es herausgekommen, daß sie Johannes damals im Häuschen seines Lehrers aus Furcht und Eifersucht vor Oswald von Eck verstecken wollte.
Der Marschall des Bischofs von Regensburg war während des Reichstags stark in Anspruch genommen. Die Anwesenheit seines Vaters, mit dem er auf dem schlechtesten Fuß stand, seines Schwiegervaters, des Ritters von Pienzenau (Oswald von Eck war verheiratet) hinderte ihn, seiner mit aller Leidenschaft wieder aufgenommenen Huldigung einen Ausdruck zu geben, wie vor Jahren in München, wo sogar die damals verzweifelnde Stimmung Vittorias wie die ihrer Gefährten seinem Ungestüm, sogar dem liebenswürdigen Anteil, den sein kunstfreundlicher Sinn für die Italiener zu erkennen gab, entgegengekommen war. Oswald hatte damals dem ältesten Bruder Vittorias, mit dem der Vogt von München noch einen besonderen Strauß zu pflücken hatte, frei Geleit gesichert, hatte für Beschäftigung gesorgt, einem Teil der Künstler sogar seinen eigenen Palast zur Herberge eingeräumt. Vittoria hatte das Leben ihrer Brüder um den Preis des Verlustes der Liebe eines jungen Mannes erkaufen müssen, dessen Bild sie ohnehin aus ihrer Seele auszulöschen vom Schicksal aufgefordert wurde, als sie in ihm den Bruder jenes Betrügers hatte wiederfinden müssen, der einst mit soviel Schlangenlist ihr Herz gewonnen hatte.
Vittoria von Regensburg nach Hohenschwangau ziehen zu sehen, wollte dem jungen Eck nicht einleuchten. In der Nähe hatte er seine Familie, die Pienzenauer, wohnen. So beschloß er, die Italienerin kurz vor ihrer Abreise zu entführen. Die im Dienst seines Vaters wirkenden Agenten Bock und Böhme waren ganz geeignet, einen solchen Streich auszuführen. Ihre Horcher- und Aufpasserdienste, die sie am Reichstag hatten leisten müssen, gingen zu Ende. Gern noch nahmen sie den Verdienst hinzu, den ihnen der Lohn ihres Meisters bot, wenn sie die italienische Bildhauerin irgendwohin verlockten, sie überfielen, festhielten und nach einer waldumgebenen Hofmark brachten, die dem Stiftsmarschall in der Nähe Regensburgs gehörte.
Der junge Eck war in Dingen, die Vorsicht erforderten, das gerade Gegenteil seines Vaters. Auf den wüsten Gelagen, zu welchen sich die jüngeren Mitglieder des Fürsten-, Grafen- und Herrenstandes täglich versammelten – Christoph von Henneberg und Kilian von Fuchs immer mit darunter – ging seine bewegliche Zunge mit allem durch, was er auf dem Herzen hatte. Die Bildhauerin vom Rathaus galt, seinem Benehmen nach zu schließen, lange schon für seine erklärte Liebe. Da es nun im Gegenteil hieß, sie würde dem Freiherrn von Hohenschwangau folgen und dessen neue Burg verschönern helfen, so fehlte es an Gelegenheiten nicht, wo sich der Stiftsmarschall lachend rühmte, für sie einen weit bessern Platz zu wissen. Diese Eingebung des Neides und des Ärgers erfuhren dann die Junker David und Hansjörg und beschlossen mit bayerischen und fränkischen Rittern Oswald von Eck einen Streich zu spielen. Eck sollte seine Entführung zustande bringen. Statt der schönen Italienerin aber sollte ihm Joachim Zitzewitz, der dicke Ritter aus dem märkischen Rübenlande, untergeschoben werden. Letzterer war mit dem Handel einverstanden. Galt es doch, zween jungen Männern Spaß zu machen, die auf dem Reichstag die Dukaten nur so über die Tische rollen ließen.
Ein Schwangauer Knecht, Baltzer Trotz erhielt den Auftrag, Tag und Nacht Vittoria eine besondere Obhut zu widmen, namentlich aber zu beobachten, wer sich ihr zu nahen suchte und sie umschlich. Ihr selbst wurde von einer Gefahr, die ihr drohte, nicht früher etwas mitgeteilt, bis die Nachsteller in die Falle gegangen waren. Bald entdeckte man, daß die den anwesenden Tirolern und Augsburgern wohlbekannten Bock und Böhme, die sich auf dem Reichstag meist in schwarzer Magisterkleidung als heitere Scholaster zu schaffen machten, unablässig in der Nähe der Bauhütte Vittorias verweilten, ohne diese noch zu betreten. Baltzer Trotz bemerkte, daß die Schwarzröcke Vittoria folgten, wenn sie in den Dom zur Messe ging oder abends mit dem Bruder ihre Herberge suchte. Innerhalb der Stadt, die voll Kriegsvolk war und wo die Bürger selbst, in Wehr und Waffen, in allen Straßen bei Tag und Nacht für die Ordnung sorgten, war ihrem Opfer nicht beizukommen. Noch mehr mußte man sich daher wundern, als man von Baltzer Trotz erfuhr, daß die Schleicher endlich in Vittorias Hütte eingetreten waren und sich mit dem leidlichen Welsch, das ihnen aus ihrer Tiroler Zeit zu Gebote stand, als Angehörige des Freiherrn von Hohenschwangau und dessen Begleiter auf der Reise zu erkennen gegeben hatten. Baltzer Trotz hatte darauf die Weisung erhalten, diese Unwahrheit nicht zu berichtigen, Vittoria und ihr Bruder wurden über die unheimlichen Besuche nicht weiter aufgeklärt. Man begnügte sich, die Hütte und die Wohnung Vittorias von allen Seiten, doch in einer solchen Entfernung, daß der Verkehr ungehindert blieb, mit Bewaffneten zu umstellen.
Aufs heftigste erschrak die Italienerin, als jene schwarzen Männer eines Tages wieder erschienen und in größter Eile vom kaiserlichen Rat den Befehl überbrachten, sie sollte für den Abend ihr gesamtes Reisegepäck zur Unterbringung in die am Tor stehenden Wagen bereit halten und jedenfalls selbst mit ihnen gehen, um an Ort und Stelle die Unterbringung aufs beste zu besorgen. Sie hatte die Abreise für nicht so nahe bevorstehend gehalten. Wie aber mußte sie erst erstaunen, als sie bald darauf von Baltzer Trotz, von den Junkern und mehreren anderen Personen, die sich an der bezweckten Posse beteiligen wollten, erfuhr, daß jene Männer Betrüger waren, die einen Anschlag auf sie bezweckten. Von wem er ausging, sagte man ihr noch nicht, sondern bat sie nur, einen Teil des Auftrages, den ihr die Männer überbracht hätten, so auszuführen, wie jene verlangt hatten, das andere aber getrost den Freunden zu überlassen, die sie auf alle Fälle schützen würden.
Da mit dem Rat der jungen Schwangauer keine Gefahr für sie verbunden sein konnte, so ermutigte sie auch Ottheinrich, sie sollte sich bereit erklären, die Wünsche der Boten auszuführen. Diese möchten ihre Kisten, sollte sie sagen, nur holen und sie an dem bezeichneten Tor einer dortigen Herberge unterbringen. Am Abend wollte sie dann selbst erscheinen und der Verpackung beiwohnen. Letzteres hatten die Boten als etwas vorzugsweise Wünschenswertes zur Bedingung gemacht. Dann aber, so lautete nun die Weisung der Junker, sollte sie ein Geschäft vorschützen, das sie noch in einem Nachbarhause, etwa in der Herberge zum Falken, zu verrichten hätte. Wenn sie dann, so sollte sie hinzufügen, etwas länger ausbleiben würde, so sollten nur die Männer unten warten, sie würde gleich wiederkehren. Dann war der Plan, daß sich im Falken schon andere so verkleidet bereit halten würden, um statt ihrer herauszukommen und den Verrätern zu folgen.
Die Posse gelang. Sie wurde dem gesamten Reichstag bekannt und erregte in solchem Grade das Gelächter bei hoch und gering, daß sich Oswald von Eck in Regensburg fürs erste nicht sehen lassen konnte. Bock und Böhme harten statt des Gepäcks eine Kiste abgeholt, die mit Steinen gefüllt war. Am Tor sollten sie abends Vittoria und ihren Bruder zur Verpackung erwarten. Der Abend wurde, bis letztere kamen und noch etwas im Falken besorgen wollten, dunkle Nacht. Nach einer Weile erschienen sie. Bock und Böhme wußten nicht anders, als daß sie ihre beiden Opfer geleiteten, Vittoria und ihren Bruder. Sie, verschleiert, war schweigsam geworden. Dieser, für den sich inzwischen einer der Junker untergeschoben hatte, ließ es, da er gut italienisch sprach, an Belebung des Mißverständnisses nicht fehlen. In der Remise, wo die Paumgartnerschen Wagen standen, ergab sich von selbst, daß die falsche Vittoria und ihr Bruder genötigt wurden, um sich von der richtigen Unterkunft ihrer Sachen zu überzeugen, das Innere eines der mächtigen, von allen Seiten zugeschlossenen und nur durch eine einzige Öffnung zugänglichen Wagen zu betreten. Alsbald fiel die Tür zu und wurde verriegelt. Die Gefangenen klopften, schrieen. Draußen bedeutete man sie, es wäre ein Zufall, daß die Tür zugefallen, man würde sie sogleich wieder öffnen, statt dessen wurden schleunigst Pferde angespannt, die man in Bereitschaft gehalten hatte. Das Remisentor flog auf, rasselnd fuhr der Wagen zum nahegelegenen Tor hinaus, das noch im Einverständnis mit dem Wächter, der den Inhalt des Wagens nicht untersuchte, offen gelassen wurde. Bock und Böhme sprangen hinten und vorne auf. In wildem Galopp gings von dannen.
Die Fahrt dauerte bis lange nach Mitternacht. An dem Rauschen, das unablässig über die Wände des Wagens dahinfuhr, bemerkten die Insassen, daß sie einen engen Wald passierten. Die Zweige der Bäume schienen die Wege ganz unfahrbar zu machen. Die Gefangenen pochten, baten mit verstellter Stimme. Umsonst, erst gegen Morgen kamen sie in einem mitten im Walde gelegenen Meierhofe an, der zugleich als Rastort für die Jagd eingerichtet war, schöne Zimmer, jede Bequemlichkeit enthielt. Ein mächtiges Hirschgeweih überragte gerade Oswald von Eck, als er unter dem Haustor, das mit Jagdtrophäen geschmückt war, den unfreiwilligen Besuch in Empfang nehmen wollte und – Zitzewitz, die Hand an den Degen gelegt, vor seinen erstarrten Augen aus dem Wagen kroch, sofort eine Kanne Wein begehrend. Die Rolle, ein Fräulein zu sein und eine Italienerin noch dazu, führte der dicke Ritter mit einem Humor durch, über dessen Einfälle, als später Hans Georg von Schwangau, der den Bruder spielte, darüber Bericht erstattete, Kur- und Fürsten sich vor Lachen die Seiten hielten.
Eine Gefahr war bei dem Abenteuer nicht vorhanden. Im Gegenteil schienen die Mannen, die auf der einsamen Hofmark die Wald- und Wildhut hatten, dem Mißbrauch, den der junge Eck mit ihrer Dienstergebenheit hatte treiben wollen, wenig geneigt, drückten dies wenigstens den beiden Helfershelfern Bock und Böhme dadurch aus, daß sie sie Schelme nannten. Ein alter Jäger – solches erzählte später noch zu Ottheinrichs Überraschung der junge Paumgartner – fing sogar mit ihnen Streit an und sagte, er hätte immer ein Verlangen getragen, zu sehen, wie sich noch an ihnen ein paar Flüche erfüllen würden, die ihnen hier auf dieser Hofmark ein Sterbender, dem er selbst die Augen zugedrückt, nachgerufen. Solches konnte, der Beschreibung nach, nur der Fuchssteiner gewesen sein, den seine ehemaligen Genossen damals in Augsburg hatten ins Gefängnis werfen lassen und dem Württemberger wieder ausliefern wollten. Die Verwendung Leonhards von Eck, der sich des Fuchssteiners, seines Verwandten, vielfach als Agenten bedient hatte, machte ihn damals aus der Augsburger Verstrickung wieder frei und wies den Ränkeschmied, der sich in jeder Beziehung überlebt hatte, hierher in die sogenannten Donaumoose, die sumpfigen Uferflächen des großen Stroms, in deren ungesunden Ausdünstungen natürlich der Todkranke bald seine Auflösung finden mußte.
Als Rat Paumgartner, der Vater, diesen Vorfall erfuhr, nahm er doch nach dem ersten Lachen eine ernste Miene an und trug Sorge, sein Gefolge für die Heimreise zu trennen und Vittoria in kriegsmäßiger Obhut allein reisen zu lassen, während er seinerseits des Schutzes nicht zu bedürfen erklärte, da er mit Schertlin, Granvella, Leonhard von Eck und allen jenen Bischöfen reiste, die sich im Gefolge des Kaisers zu befinden pflegten. Zu Ottheinrich sprach der Rat wiederholt: »Meine Söhne sind, wie ihr nun wohl gesehen habt, leichtlebigen Blutes –! Die Anhänglichkeit, die euch David zeigt, tut mir besonders wohl, und nochmals wiederhole ich: Wisset ihr keinen bessern Platz, wo ihr eure Gaben verwerten könnt, so kommet zu uns –! Ihr findet bei uns allzeit offene Arme und Herzen. Mein klein Land beschäftigt mich, wie ihr wohl denken könnt, nicht allein. Habe noch in allerlei andern Händeln mein Mitspiel. Aber schon unser Schwangauer Schreibwesen erfordert einen ganzen Mann. Die Religion kümmere euch dabei nicht. Bis zum nächsten Reichstag hat der Kaiser Toleranz gegeben. Für mein Teil kann ich mit jedem halten, dessen Religion tugendhafte Menschen macht. In meinem Land verbrennen wir keinen. Müßt' ja mit dem Schertlin den Anfang machen, falls mir der, wie er die Absicht hat, einige Hufen in meinem Türkheimer Land abkauft und auf die Art mein Hintersasse wird. Überlegt's euch! Ihr würdet Hansen, meinem Sohn, und auch – ei, ei, Gundula eine hohe Freude bereiten. Gundula kommt ab und zu einmal über die Berge herüber –«
Die letzten Worte sprach der Rat mit einem so verfänglichen Lächeln, daß Ottheinrich über und über errötete. Er errötete jedoch nur vor Scham. Sah er doch, wie wenig dem Vater der Eindruck, den er in Gundulas unreifem Kindergemüt hervorgebracht hatte, jetzt noch gefährlich erschien.
Als er sich gesammelt hatte, erwiderte er dem Freiherrn:
»Lasset mich eure gütige Aufforderung betrachten, wie eine Summe Geldes, so ein guter Kaufherr gänzlich aus seinem Handel zurückgezogen hat und an den Fährlichkeiten seiner Wagnisse nicht teilhaben läßt! Scheitert mir etwas – und schier möchte ich glauben, daß ich auf dem Wege, den ich jetzt wandle, nicht zu meinem Ziele gelange – so seid dessen gewiß, daß ich so vieler Güte, wie ihr sie mir schon erzeigt habt und ferner erzeigen wollt, nicht uneingedenk bleiben werde!«
»Alte Liebe rostet nicht –« sagte der Rat zustimmend und fuhr, wieder seltsam lächelnd und mit seinem beim Lachen unheimlichen Gesichtsausdruck fort: »Oder, wie sagt der Lateiner, wisset ihr's –? Quo semel est imbuta rucens –«
»Servabit odorem testa diu –!« fiel Ottheinrich ein und schied von dem herablassenden Manne unter stiller Vergebung alles dessen, was er zuvor ihm persönlich und seinen Idealen wahrscheinlich noch stündlich zuleide tat.
Das dem Marschall gegebene Wort, gerade dem Rat von Moritz Hausners Wiederfinden zu schweigen, hielt er getreulich.
Über die Zukunft der Junker von Schwangau befiel ihn bei aller Heiterkeit dieser Entführungsposse doch immer mehr und mehr manche bange Sorge. Aber auch schon in Augsburg hatte er sich fragen müssen: Wo ist die alte reichsstädtische, kaufmännische Ehrbarkeit geblieben–?