Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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III.

»Rechne keiner auf einen Imbiß vor neun Uhr abends! Auch nicht unterwegs! Wer noch ein Anfänger im Reiten ist, hüte sich ja vor einem beschwerten Magen und wenn er Pasteten aus dem Mantelsack langen könnte! Wiederkäuend kann nur ein alter Sattelknopf, wie unsereins, reiten. Junge Leute würden zu Lande seekrank werden!«

Nach dieser am Wertachbrucker Tor von Hans Pfister, dem Taxisschen Postreiter, beim Ansagen des Vorhabens, ihn begleiten zu wollen, den jungen Studenten gegebenen Anweisung sollten die drei Passagiere reichlich einem Mahl zusprechen, das zugleich Mittag- und Abendatzung in eins verband. Nur so konnten sie, seiner Erfahrung nach, den ersten scharfen Ritt, der sogleich bis Kaufbeuren gehen sollte, aushalten.

Der kaiserliche Rat war lange ausgeblieben. Er hatte die brandenburgischen Gesandten besucht, die am Dom in des Bischofs Pfalz wohnten, obschon sie, wie ihr gnädigster Herr, Markgraf Georg von Brandenburg, leidlich gute Lutheraner geworden waren. In neuester Zeit hatten aber darum doch manche Annäherungen des Brandenburgers an die kaiserlichen Interessen stattgefunden. Seitdem Sachsen und Hessen durch die Stiftung des Schmalkaldischen Bundes zur Wahrung des evangelischen Glaubens in eine immer schroffere Stellung zum Kaiser geraten waren, hatten die Brandenburger, ohnehin die an der Spree, die noch römisch geblieben, aber auch jene, die dieseits des Main und der Saale im Frankenlande lutherisch geworden, manchen gewagten Schritt von früher wieder zurückgetan.

Nach dem Besuche bei den Gesandten und bei Georg Frölich, einem geistvollen, scharf erwidernden und doch vorsichtigen Kopf, war der Rat auf dem Jüdenberg, dem vom Weinmarkt abwärts gehenden engen Gäßlein, gewesen, wo sein scharfes Auge zuweilen gründlich in den großen Hauptbüchern sich umzusehen pflegte. Er hatte zu seiner Befriedigung vom wachthabenden Kontordiener vernommen, daß der junge Bevollmächtigte Ottheinrich Stauff noch bis vor wenigen Augenblicken in Tätigkeit gewesen und seine bereits für Venedig erhaltenen Aufträge, soweit ihm dies ohne den Inhalt der Reisetasche, die sich schon beim Rat befand, möglich war, noch einmal mit den Angaben der Bücher verglichen hatte. Unterwegs hatte er dann noch manche Begegnung mit Bekannten, Adligen der Umgegend, die ab und zu in der Stadt verkehrten, angesehenen Kaufleuten, die ihm, wie alles, was man jetzt in Augsburg sah und erlebte, die immer ernster werdenden politischen und kirchlichen Dinge zu Gemüt führten, mit Ratsherren, die den Blick verlegen niederschlugen, eingedenk des Eides, den sie um der Besteuerung willen von ihm verlangt hatten. Auch von dem Vorfall am Sankt-Ulrich war die Rede, ja man kannte bereits die Szene mit seinem Diener und dessen am Pyr gehaltene Ansprache. Anton Fugger, der seinem Schwager am Rathause begegnete, ganz in Trauer gekleidet (sein Bruder Raymund war vor kurzem gestorben), gab ihm den Unmut, den schon einige der ersten Kaufherren über diese Szene ausgesprochen hatten, nochmals auch seinerseits unverhohlen zu erkennen und beklagte sich, daß der Schwager dergleichen Diener duldete, die – so entstellte schon das Gerücht – aus dem Sankt-Ulrich mit Gewalt zwei Mönche hätten entführen helfen. Da für den Sohn seiner Schwester Anton Fugger ein Interesse an den Tag legen mußte, er auch vom David, der zu dem Ende seinen Oheim heute in aller Frühe schon besucht hatte, bereits Abschied genommen, so wußte er vollkommen, daß es gerade dieser junge evangelische Fanatiker war, der seinen Neffen nach Venedig begleitete. Er machte dem Schwager deshalb Vorwürfe.

Tiefnachdenklich, wie seit einiger Zeit immer, so oft er mit diesem wenig von ihm geliebten Schwager, dem neuen Grafen von Weißenhorn und Kirchberg, zusammentraf, zuletzt sich aber doch allmählich beruhigend, kam Hans Paumgartner zwischen zwei und drei Uhr in die Sankt-Annengasse zurück und warf sich für die Mittagsmahlzeit und den Rest des Tages in eine bequemere Hauskleidung.

Das gewöhnliche Speisezimmer des Hauses lag zu ebener Erde. Fanden ganz besonders große Gastereien statt, so wurden dazu die oberen Säle eingerichtet. Aber man konnte sich nichts Einladenderes denken, als schon die vom Hoflicht beleuchtete kleinere Speisehalle unten. Eine Grotte schien der kleine Saal, so zierlich waren seine Wände mit bunten Steinen, Muscheln und Schneckenhäusern ausgelegt. Das kühlste Wasser plätscherte während des Essens aus Muscheln, auf denen in jeder Ecke des Zimmers kunstvoll aus Metall gebildete Tritonen zu blasen schienen.

Bei Tisch saß dem Rat die Mutter gegenüber, gewohnt, aus dem Auge des Sohnes abzulesen, was ihm begehrens- und empfehlenswert erschien, da einen silbernen Becher herablangen zu lassen vom Kredenztisch, der mit den köstlichsten Gefäßen, silbernen und kristallenen, mit herrlichen Majolikaschüsseln und florentinischen Speisewärmern, Untersetzern aller Art und Weinkühlern besetzt war, oder dorthin zu winken, daß eine Speise im Kreise noch einmal umgehe und die Gäste durch öfteres Angebot geehrt wurden.

»Vergißst du, daß dein Bruder heute abreist und du ihn vielleicht in Jahren nicht wiedersiehst?« sagte die Großmutter zu Gundula, die Miene machte, sich zu Ottheinrich Stauff zu setzen. Ganz wie zufällig und dennoch nur nach Gundulas Anordnung hatte sich dies so getroffen. Über und über erglühte ihr Antlitz. Glücklicherweise konnte daran das Rubin der gemalten Fensterscheiben schuld sein.

Gundula gehorchte und setzte sich zum Bruder. Sie schien weit weniger über die Trennung von diesem zur Trauer gestimmt als über die von Ottheinrich. Letzterer war soeben erst zur Annengasse zurückgekehrt. Die Zwischenzeit hatte er auf dem Kontor, hinterher mit Besorgung noch einiger Anschaffungen für die Reise zugebracht.

Über den Vorfall mit den Mönchen wurde geschwiegen.

Doktor Rupilius, der links und rechts die jungen Abiturienten neben sich sitzen hatte, war vom Käppchen, das den kahlen Scheitel bedeckte, bis hinunter zu den Schuhen ein schwarzgekleidetes spindeldürres Männlein mit einem langen, ziegelsteinartig gezogenen, weißen Kinnbart. Neben seinem Amt als Alleswisser nahm er die Stelle ein, die damals und später an Höfen die Hofnarren bekleideten. Sogleich bei Beginn des Mahles tauchte er seine lange, weiße Bartschaufel in die Suppe, ohne dabei eine Miene seines gravitätischen Antlitzes zu verziehen. In der offenbar mit Bewußtheit durchgeführten Absicht, die zum bessern Genuß eines Mahls willkommene Heiterkeit, trotz des bevorstehenden Abschieds, befördern zu helfen, zog er den Bart wieder aus dem Teller heraus, trocknete ihn, nicht etwa mit dem Mundtuch von blendendweißem Linnen, sondern nahm dazu ein Stück Brot, das er dann sorgfältig wieder mit einem ernsten: »Schad' um die gute Mandelsuppe!« in den Mund steckte. Die feinern Begriffe der Wohlanständigkeit waren damals noch wenig ausgebildet. Es genügte, daß Rupilius Gelächter hervorbrachte, wodurch die Peinlichkeit des letzten Mahles vorm Scheiden gehoben wurde.

Der Rat sammelte sich am ersten wieder, und die Großmutter verschaffte ihm Ruhe, als er vor dem ersten Glase, das er an seine Lippen bringen wollte, die Worte sprach:

»So geht denn das junge, grüne Volk da in die weite Welt hinaus! Das Bäumlein, das aufrecht wachsen will, sagt's Sprichwort, senkt sich nicht zu Boden; die Zweige streckt's hinaus in alle Lüfte. Habe das alles ebenso mitgemacht und nahm von meinem Vater selig ebenso Abschied wie du jetzt, David, von mir –«

Hier unterbrach der dem Gerührtwerden abholde Weltmann, offenbar aus Besorgnis, sich selbst zur selten an ihm erblickten Weichheit zu stimmen, schnell seine Erinnerungen mit den Worten:

»Sprecht ihr aber unterwegs immer nur welsch! Denn in der Fremde ist ein gutes Wörterbuch mehr wert als ein Schwert, sagt ein anderes Sprichwort. Und vergeßt nicht, wie ich aus Erfahrung hinzufügen kann, daß man eine fremde Sprache besser sozusagen in der Küche lernt als auf der Schulbank.«

»Gewiß!« fiel Rupilius ein. »Welsche Nudeln wird David früher verschlingen lernen, als die Schriften des Pietro Bembo!«

Was auch hierauf in dieser Art an ernsten Weisungen noch zu geben versucht wurde, das alte trockene Männlein tat das Seinige, alles zu ironisieren und die kleine Gesellschaft in guter Laune zu erhalten.

Auch Rupilius war in Italien gewesen und schilderte, was er dort gesehen, mit den größten Übertreibungen, ohne jedoch die Miene zu verändern und sich irgend im Essen hindern zu lassen.

»Kein Student in Padua,« sagte er, »darf mit mehr als drei Tagen Karzer bestraft werden, und wenn er auch einem zufällig durchreisenden Kardinal seinen Degen durch den Leib gerannt hätte. Einen jungen neuangekommenen Fuchs aber umzubringen, namentlich zisalpinische, die aus Deutschland gekommen, das gilt geradezu einer Wohltat gleich, die man dem Menschengeschlecht erweist. Wohingegen derjenige sofort aufgehängt wird, der einem seiner Professoren auch nur mit einem Blick einen Esel bohrt.«

Natürlich lachte den Sprecher die kleine Tischgesellschaft aus, und Gundula feuerte sogar einige Brotkugeln auf ihn ab. Diese Art der Unterhaltung schien der eigentliche Zweck zu sein, warum der Alte mit bei Tische saß.

Wieder nahm der Rat das Wort, um die Unterhaltung in ernstere Stimmung zu bringen. Er erinnerte die Mutter an die Zeiten und die näheren Umstände, unter denen seine älteren Söhne, Johannes, Antonius und Johann Georg, auf die Universität gegangen waren – er hatte sie alle studieren lassen. Kamen dabei zu trübe Bilder vor sein Auge, vor allem die Erinnerung an seine Gattin, die ihm vor drei Jahren gestorben war, so lenkte er sofort auf die bei einer Reife im allgemeinen zu beobachtenden, insbesondere aber auf diejenigen Regeln ein, die sich ihm aus seiner eigenen Erfahrung für eine Reife nach Welschland als zweckdienlich ergeben hätten. Er rühmte die Schönheiten Venedigs, schilderte als paradiesisch die Fahrt auf den Lagunen in den dunkeln, schwarzen Gondeln, die schon damals üblich waren, nicht minder die Fahrt auf dem Brentafluß von Venedig nach Padua. Dann erzählte er, was man alles von dem Magister Musler oder Muschler Gutes wußte, bei dem die jungen Studenten in Wohnung und Kost und in besondere wissenschaftliche Nachhilfe gegeben werden sollten. Dieser deutsche Landsmann war aus Öttingen im Ries gebürtig und schon in jungen Jahren nach Leipzig gekommen, wo sein Wissen so viel Anerkennung gefunden hatte, daß man ihn trotz seiner Jugend zum Lehrer, in kurzer Zeit zum Rektor der Sankt-Nikolaischule, ja zum Rektor der Universität machte, »von Nachbar Betulejus,« sagte der Rat, »weiß ich, daß Johann Muslerus, wie er sich schreibt, ein Meister in allen Künsten und namentlich bewunderungswürdig in der Methode ist. Ganz Leipzig, das doch eine gebildete und für eine Handelsstadt an Gelehrten fast überreiche Stadt ist, hat ihn auf Händen getragen. Doch genügte dem jungen Mann, der mit achtundzwanzig Jahren schon zum Rektor der Universität Leipzig erwählt worden, die enge Schranke nicht, in der die deutsche Wissenschaft sich bewegt. Muslerus hat von seinem Namen sich die Muschel als Wappenschild erwählt, zur Muschel den Pilgerhut und den Pilgerstab gefügt; vor einigen Jahren ist er über Wien, allwo sein Bruder ebenfalls als Lehrer in hohem Ansehen steht, gen Padua gezogen. Er, der selbst schon die höchsten akademischen Würden errungen hat, setzte sich noch einmal als Schüler zu den Füßen eines Guarnatius, Alexandrinus, Contiuncula, Alciati, hat aber auch seine alte Tätigkeit als Lehrer und Erzieher, doch nicht mehr in den Formen einer öffentlichen Schule, sondern des Privatunterrichts, in Padua wieder aufgenommen.«

Ottheinrich saß mit beklommenem Herzen. Konnte er überhaupt jedesmal, wenn er sich in der Nähe seines Prinzipals befand, die Atemzüge, die er tat, zählen, so kam jetzt unaufhörlich und durch den spöttischen alten Magister fast absichtlich das Gespräch auf Schulfragen zurück, wo man denn leicht auf die Sankt-Annenschule ablenken, bei Xystus Betulejus und seinen ihm soeben zugeführten neuen Pflegebefohlenen verweilen konnte.

Glücklicherweise lenkte der Rat zu den italienischen Universitäten zurück. Zuletzt trank er auf das Wohl der Scheidenden und bewog sogar die Mutter, das Glas an die Lippen zu bringen und wider ihre Gewohnheit einige Züge süßen Malvasiers zu tun. Frau Felicitas bedurfte dieser Stärkung zum Abschied von ihrem jüngsten, nächst dem ältesten, Johannes, und Gundula geliebtesten Enkel.

Als man endlich aufstand und sich die Hände wusch, dann sie einander schüttelte zum Wunsch einer gesegneten Mahlzeit, fragte einer der aufwartenden Diener, ob dem kaiserlichen Rat Laux Beichling etwas vertrauen dürfte.

Diesen veranlaßte offenbar der Neid, das Mahl, an dem teilzunehmen er nicht gewürdigt worden, zu umschleichen und zu behorchen. Durch die eben geöffnete Türspalte hätte er allerdings beobachten können, wie Gundula, so sehr sie noch Kind war, Augen nur für seinen bevorzugten Kollegen hatte.

Als der Rat bejahend nickte, streckte auch schon Beichling den glattgeschorenen Kopf durch die mit kunstvoller Eisenverzierung geschmückte, gotisch gewölbte braune Eichentür und raunte, indem er mit boshaftem Lächeln auf den so ausnehmend geehrten und nicht allein vom genossenen Wein, sondern mehr noch von unnennbarer innerer Glückseligkeit überstrahlten Ottheinrich schielte, dem Prinzipal eine Mitteilung zu, die dieser anfangs erstaunt, dann mit Kopfschütteln und behaglichem Lächeln aufnahm.

Magister Rupilius stand ihnen dabei so nahe, daß er die Mitteilung gehört hatte.

»Cucullus non facit monachum,« sagte er, und diesmal mit wirklichem Ernst, »sed consuetudo!«

»Nicht die Kutte macht den Mönch, sondern die Gewohnheit?« wiederholte Ottheinrich. Sollte etwa diese Äußerung mit seinen Benediktinern zusammenhängen?

Oder galt Beichlings Flüstern und Lächeln der lebhaften Teilnahme, die Gundula dem immer näher und näher rückenden Augenblick der Trennung zu erkennen gab? Im Hofe und unter dem Haustor standen schon gesattelt und der endlich abgeschlossenen Verpackung gewärtig die dem Taxisschen Stall angehörenden Rosse. Da sich Ottheinrich auf die sorgfältigste Zäumung und Sattelung der Rosse und die Verpackung seiner eigenen Gerätschaften durch die Dienerschaft des Rates verlassen konnte, so trat ein seltsamer Augenblick des träumerischen Müßiggangs ein, wo ihn beim Anblick Gundulas jene Glut der Verlegenheit befiel, die bei einem reinen Gemüt die Wirkung des ersten, vom weiblichen Reiz geübten Sinnenzaubers ist. Noch nie hatte Ottheinrich solchen Regungen nachgegeben, sein bisheriges Denken und Streben war allein der Erfüllung seiner Pflichten, der Bewährung seines Eifers, der Befriedigung des Vertrauens hochgestellter Männer, die ihn schätzten, zugewendet. Vollends ließ ihn seine religiöse Stimmung die Liebe nur in ihrem seraphischen, dem Himmel zugewandten Fluge erblicken. Einst hatte es eine Frau gegeben, die ihn befangen oder verwirrt machen konnte! Diese hätte aber an Jahren seine Mutter sein können. Seit fünf Jahren führte er mit ihr, seiner Wohltäterin, einer Frau vom Adel, die einst ein Zufall nach Bamberg geführt hatte und die ihm zur Erlöserin aus einem niederen Lebenslose geworden war, einen von Herzen zu Herzen gehenden Briefwechsel. Martina, die blonde, liebliche Stieftochter des Meisters Haysermann, bei dem er wohnte, war ihm wie eine Schwester. Scherzte und neckte er sich auch mit ihr, schmollte er, wenn sie ihm die Frühsuppe zu spät brachte, oder lobte er sie und dankte ihr, wenn sie ihm für die Bedürfnisse, die ihn auf weiblichen Beistand verweisen, eine hilfreiche Hand bot, so setzte ihn dabei nichts in eine träumerische Verwirrung oder Verlegenheit. Vor Kunigunde Paumgartner jedoch, so sehr sie noch ein Kind war, zu stehen, ihr auf der Gasse zu begegnen, auch nur einige Worte mit ihr zu wechseln, konnte ihm den Atem nehmen. Gundula, die Kindern und Frauen gegenüber noch selbst ein Kind war, die auch Männern gegenüber ihre kindliche Unbefangenheit nicht verleugnete – Männer mußten es freilich ihres Kreises, die jungen Söhne des verstorbenen Raymund Fugger, Vettern aus der Rehlingerschen, Hörwarthschen, Imhofschen Sippe sein, mit denen ihre Brüder den lebhaftesten Verkehr unterhielten – mit Ottheinrich Stauff trieb sie ein Neckspiel jugendlicher Gefallsucht. Vollkommen mußte sie schon wissen, was die Liebe und der Preis der Liebe war; denn ihr Bruder Johannes, »der Doktor«, wie er im Hause hieß, nahm, wenn er von Frauen und den Huldigungen der jungen Männer sprach, kein Blatt vor den Mund. Sie selbst redete mit derselben Teilnahme, die ihrer alten Puppenstube galt, wenn sie diese hervorlangte und Philippine Welser oder Jakobine Jung, ihren Lieblingen, zum Spielen gab, auch über eine Nichte des Bischofs, Anna von Stadion, die für ihren wunderlich gearteten ältesten Bruder, man sagte dies wenigstens, eine Neigung im Herzen trug. Auch die kalte, vornehme Zurückhaltung und Abweisung gegen die Buchhalter im Kontor des Vaters und der Fugger oder der Weiser, die sich für sie geziemte, übte sie mit schon ganz gereifter Sicherheit. Nur bei einem wollte ihr diese nicht gelingen, bei Ottheinrich Stauff, dem freilich alle jungen Mädchen ihrer ausgebreiteten Bekanntschaft, die noch unverheirateten jungen Honolds, wie die ausgelassenen Mannlichs, Imhofs, Stetten, mit verliebten Augen nachsahen. Es verging kein Tag, wo sie sich nicht auf dem Jüdenberg etwas zu schaffen machte oder sonst einen Anschlag erfand, um den jungen Diener des Vaters, den braungelockten Bamberger, wie sie ihn nannten, entweder zu sehen oder ihn doch irgendwie durch ihre Veranstaltungen »in Trab zu bringen«. Beichlings tückische Augen wurden immer scheeler vor Neid über die Bevorzugung, die sogar Frau Felicitas dem »Staufferle« zuteil werden ließ. Die Ahne merkte noch nichts vom Spiel des verzogenen, in seinen Launen unbehinderten Enkelkindes. Hörte sie doch selbst gar zu gern den Ottheinz Staufferle reden, sah ihn mit Wohlgefallen Sonntags zur Kirche nach Sankt Annen gehen, übertrug ihm am liebsten etwas, das auch nur er unter den Dienern ihres Sohnes so nach ihrem Geschmack ausführte. Erst allmählich bemerkte sie, wohin Parteilichkeit dieser Art führte und was sich aus den Neckereien und den Koboldsspäßen, die Gundula mit dem Bamberger trieb, entwickeln konnte, seine Verschickung nach Venedig kam ihr da gerade recht. Da sie wußte, wie flüchtig der Sinn junger Mädchen ist, und sie bestimmt darauf rechnete, daß sich Gundula, von neuen Eindrücken gefesselt, nach des jungen Mannes Rückkehr schwerlich noch auf ihre alte Art des Verhaltens zu ihm besinnen würde, so erhielt sie ihm auch selbst ihr altes Wohlwollen.

Ottheinrich hatte die Empfindungen, die ihn in Gegenwart des jungen Mädchens beschlichen, immer nur als die geziemende Ehrfurcht vor den Angehörigen seines vornehmen Prinzipals gedeutet. Bereitwillig tat er alles, was Gundula von ihm begehrte. Schloß sie sich ihm auf der Straße an, wollte sie von ihm begleitet sein, so sah er darin die schuldigen Dienstleistungen seiner untergeordneten Stellung. Erst die Neckereien seiner Kameraden gaben ihm über das Benehmen des jungen Mädchens eine andere Auffassung. Dennoch wagte er selbst die forschendsten Beweise von Gunstbezeugung nicht als solche aufzunehmen. Immer und immer wieder trat er in seine Stellung als gehorchender Diener zurück.

Der Gedanke, sich für längere Zeit von Gundula trennen zu sollen, kostete ihm auch keine Überwindung. Mochte ihm auch Gundula, seitdem zum erstenmal von seiner Begleitung des Bruders und des nicht im mindesten für sie anziehenden jungen Zasius die Rede war, noch so beweglich und mit halb künstlicher, halb wirklicher Weinerlichkeit, die sie die Lippen trotzig aufwerfen ließ, den Schmerz der Trennung vorführen, er wies, was er deshalb an sonderbaren Dingen von ihr zu hören und zu sehen bekam, als Scherz zurück. Gundula hatte eine Art, die ihm diese Selbstüberwindung schwer machen mußte. Sie setzte ihm mit ihrem halb gespielten, halb wirklichen Kummer bitter zu. Heute wieder bei Tisch rollten ihre Augen hin und her, wenn sie ihn ansah, während die braunen Sterne ganz ruhig standen, wenn sie andere betrachtete. Und als sie nach dem Mahle, wo sie einen Augenblick mit dem jungen Manne, dessen edles Antlitz über und über in den Purpur der Verlegenheit getaucht war, am Fenster allein stand, ergriff sie, heimlich sich umsehend, seine beiden Hände, drückte sie mit halb kindischer, halb leidenschaftlicher Heftigkeit und flüsterte:

»Ich glaube gar, ihr wollt nimmer wiederkommen?«

Noch nie hatte sie in ihre Worte einen solchen Ton, nie in den Blick der Augen, der ihre Rede begleitet, so sehr den Ausdruck zehrender Sehnsucht, ja zärtlicher Anschmiegsamkeit gelegt, wie heftig ihre Empfindung war, ersah man daraus, daß sie unmittelbar nach jenen ihr fast in der Kehle erstickenden Worten in ein heftiges Schluchzen ausbrach, das sie zu verbergen suchte, indem sie schnell den Speisesaal verließ.

Die Diener und Mägde, die ab- und zuliefen, konnten annehmen, daß Gundula um die doch auf einige Jahre berechnete Trennung von ihrem Bruder so weinte. Beichling indessen, der sich bald hier, bald da zu schaffen machte, sah mit neidischem Verständnis den kreideweiß gewordenen Ottheinrich, der sich erst sammeln konnte, als ihm unmittelbar auf einige Worte, die ihm der neidische Mitdiener zuflüsterte: »Gelt, auf solch ein Fräulein geht der Martina ein Dutzend?« der alte Schneehuhn mit der Hand winkte und ihn nach oben zum Rat zu kommen aufforderte.

Ottheinrich wußte nicht, wie er die zwei Stiegen hinaufgekommen war, als er seines Prinzipals geheimes Kabinett betreten hatte. Er sammelte sich erst, als ihn der Rat aufforderte, die Fenster, die inzwischen offen gestanden hatten, zu schließen. Aber auch die ersten Worte, die nun der Rat sprach, verstand er erst halb. In milder und freundlicher Weise hatte der Rat begonnen und ihm tönten nur immer die Worte: »Ich glaube gar, ihr wollt nimmer wiederkommen!« und »Gelt, auf solch ein Fräulein geht der Martina ein Dutzend?« ins Ohr.

»Nehmt Platz, mein Sohn, und merkt noch einmal auf alles, was ich schon mit euch besprochen habe und was ich in Kürze wiederholen will!« sagte der Rat.

Der allmählich seiner Sinne wieder mächtig werdende ließ sich auf einen der weichen Sessel nieder.

Der Rat griff nach einem Kästchen, das auf dem Schreibtisch stand und unter anderen Dingen zierliche elfenbeinerne Zahnstocher enthielt.

Ab und zu einen benutzend, fuhr er fort:

»Was mir an euch, Ottheinrich Stauff, die Tucher von Nürnberg gerühmt haben, als sie euch an uns empfahlen, das hab' ich zu meiner Freude bestätigt gefunden, wie schon für manches, so muß ich euch auch dafür danken, daß ihr mich von einem Vorurteil befreit habt, in dem ich mich im Grunde heute wieder hätte bestärkt fühlen sollen – ich will sagen, als ich bei den brandenburgischen Gesandten war. Ihr seid ein Franke, wie meine Vorfahren –! hier sind wir allmählich echtes Schwabenblut geworden. Jawohl! wie jeder Stamm deutscher Nation seine besondere Art hat, so hab ich den geborenen Franken immer am liebsten im Steigbügel, auch wohl am grünen Tisch gehabt; fechten kann er mit dem Schwert und mit Worten. Mannhafte Gesellen sind's zum Krieg und zu allerlei Streit, auch wohl zum bloßen Reden, da nicht viel dahinter ist. In Handelssachen aber und da, wo ein Ding subtil ergründet sein will, sind sie nicht am Platze. Nürnberger Handwerk – da zieh ich den Hut ab. Nürnberger Tand geht durchs ganze Land! Nürnberger Kaufmannschaft aber, das ist kurzer Kram. Dahingegen hat die unerträgliche, oft um des Teufels zu werden – verzeih mir Gott die Sünde – breitspurige Art des Schwaben ein gar löblich Schick für Handel und Wandel im Großen wie im Kleinen, wie ja auch mit all seiner gemütlichen Heimtückerei und dreidrähtigen Einfalt der Schwab in vielen Dingen den Nagel auf den Kopf trifft und zumal das Schweizervolk, wo man als vermeint, es könnte nicht bis fünf zählen und gäbe noch dem Stier an Plumpheit nach, doch dasteht, die tappigen Hannsen, fest wie die Eichenklötz' und mit ihrem dummpfiffigen Dreingucken schier zu Wege bringen, was dem Franken und nun erst gar dem Bayern völlig unmöglich ist. Ihr aber, obwohl ein Franke, habt mir doch schon oft gezeigt, daß auch ein mit Main- und Regnitzwasser Getaufter mehr vermag als nur Zwetschgen essen, die bei euch freilich in Bamberg so süß geraten, wie nur in Avignon, wo sie zu Hause sind!«

Noch nie hatte Ottheinrich den kaiserlichen Rat in so guter Laune gesehen. Glücklich mußte er sich fühlen, nach dem Vorfall am Pyr und der kurzen Zwiesprache mit Gundula, für die ihm sein Gewissen fast Vorwürfe machte, bei seinem Prinzipal so gut anzukommen. Beichlings boshaftes Wort hatte ihm schon von allen Wänden widerhallen wollen. Wenn Beichlings Neid, wie nach diesem Anfang, so fortfuhr, konnte ihm noch jeder Blick des Wohlgefallens, den er auf Gundula geworfen, verderblich werden und den Schimpf der Verbannung aus dem Hause seines Gönners nach sich ziehen.

»Wenn ich euch,« fuhr der Rat fort, »nicht schon früher alles gesagt habe, was ich von euch erledigt wünschte, so geschah es, weil ich euch nicht in Versuchung führen wollte mit einem belasteten Gedächtnis. An Versuchen, euch die Bürde zu erleichtern, die ich euch nach Welschland mitgebe, wird es auf dem Kontor nicht gefehlt haben.«

Allerdings hatten sogar die im Geschäft über ihm stehenden mehrfach versucht, Ottheinrich zur Mitteilung der ihm aufgetragenen Dinge zu bewegen.

»Deshalb hab' ich euer Gemüt nicht belasten wollen –«

Der Rat hielt einen Augenblick inne. Dann fuhr er, den Zahnstocher aus der Hand legend und mit ernster Miene nach dem auf seinem Schreibtisch liegenden großen Lederbeutel langend, fort:

»Hier sind die Schriften wohlverpackt – die – wegen Antoni.... Auch Geld findet ihr – auch Empfehlungsbriefe – Ja, in Venedig wird das ein trauriges Geschäft sein!«

Ottheinrich befestigte die Tasche an seinem Wehrgehenk.

»Ich weiß, wie es enden wird!« sagte der Rat. »Meine Söhne, man greift's ja mit Händen, haben bis jetzt die Hoffnungen, die ich auf sie setzte, betrogen. Der Doktor, von dem ihr wißt, daß er euch nicht minder zugetan ist, wie ich es bin, Johannes, hat vom Kaufmann nichts, nichts vom Gelehrten, vom Staatsmann nichts, nicht einmal von jemand etwas, der für den Verkehr mit den Großen überhaupt paßt, aber auch nichts vom leutseligen Wesen oder wenigstens der Kunst, sich davon einen Schein zu geben, die wir im Umgang mit dem Geringen brauchen –«

Mit einem Bitteblick erhob Ottheinrich zum bekümmerten Vater sein treuherziges Auge. Ein leises: »O Herr –!« sollte die Ablehnung so harter Verurteilung sein.

»Ich weiß,« sagte der Vater, »daß Johannes von alledem, was ihm fehlt, einiges besitzt, aber das, was er besitzt, ist nicht das Rechte und nicht das, was sozusagen einen ganzen Mann macht. Gott verzeihe mir's, wenn ich hinzufüge: Gottlob, er ist krank! Krank ist er und so kann ich auch nicht auf ihn bauen –! Nun, ich denke, daß ihm sein Aufenthalt auf unserm Gut in Erbach wohl bekommt und er sich bald vermählt, und daß ihm vielleicht die Stellung eines Rats, vielleicht bei den Herzogen in Bayern –«

Den Namen der Bayernherzoge konnte Ottheinrich nicht nennen hören, ohne seine Abneigung durch einen sich sofort vom Herzen lösenden Seufzer zu erkennen zu geben.

Ungeachtet seiner trüben Stimmung mußte der Rat, eingedenk des Vorfalls mit den Benediktinern, lächeln. Er sagte:

»Oder, wenn euch schon die Nennung solcher Herren so viel wie die ewige Verdammnis meines Sohnes ist, dann bei einem andern – vielleicht bei König Ferdinand. Aber auch dieser mißfällt euch? Sachsen und Hessen liegen uns eben zu fern –!«

Der Rat brach diese Gedankenreihe mit Erheben des Hauptes ab und lenkte zurück in seine frühere Rede.

»Meine Kinder machen mir Kummer! Aber die Zeiten der Milde sind vorüber. Mit Antoni gewiß. Unseres Hauses Faktorei ist durch ihn von Grund aus in Verfall, Wie ich euch schon gesagt habe und wie die Bücher, die ich euch einsehen ließ, euch ausgewiesen haben werden, Antoni ist ein Verschwender, ein gewissenloser, elender, nichtsnutziger –« Das Wort »Bube –« erstarb auf des Vaters Lippen.

Er erhob sich. Seine Hand hatte sich geballt. Er mußte einige Gänge durchs Zimmer machen, ehe er sich erholte. Erst als Ottheinrich glaubte, sich auch seinerseits erheben zu sollen, nahm er wieder Platz und fuhr fort:

»Bleibt! wir sind noch nicht zu Rande! Das mit Antoni dürft ihr ausführen nach Befund. Antonius' beide Diener, der brave Weißkopf und der kluge Roth, sind erprobte Augsburger Kinder. Sie werden euch beistehen. Zwar will Konrad Roth selbst eine Banka anlegen; er gewann ein reiches Erbe; doch hilft er euch schon, verlangt die Einsicht in alles, entzieht Antoni die Unterschrift, falls euch auch das nötig erscheint! Was ihr an Mitteln braucht, entnehmt von der Welser-Kompagnie, wo ich glücklicherweise durch meinen Anteil die Verluste meiner eigenen Faktorei decken kann, sind noch Überschüsse zu hoffen, so macht davon Einkäufe! Ich empfehle, wie hier aufgeschrieben, Juwelen, Perlen, Glaswaren, Teppiche, Häute und Hörner von dalmatinischen Büffeln, von Schafen aus Apulien und Sizilien. Bartholme Welsers Briefe, die ihr da schon eingelegt habt, geben Kredit, falls ihr diesen braucht. Das wäre abgetan –«

Ottheinrich erwartete eine Erwähnung der ehelichen Verhältnisse Antonis, worüber die trübsten Gerüchte umliefen. In der Tat schien der Rat seine Gedanken eine Weile auf dies Verhältnis richten zu wollen. Doch ging er auf seinen dritten Sohn, Johann Georg, über, von dem er äußerte:

»Von Hansjürg erfahre ich nur, daß er Geld für Dinge braucht, die nicht zum Studieren gehören! Doch rühmt man seine Kenntnisse, falls man etwas auf die Briefe der Professoren, auf ihren schmeichelhaften Dank für unsere Geschenke, geben kann. Erasmus, dessen Hintritt ganz Europa beweint, hat ihn bei einem Besuch, den ihm mein Sohn in Basel machte, so liebgewonnen, daß er schon dem Knaben seine neue Ausgabe des Chrysostomus gewidmet hat –! vielleicht bestärkt ihn eine solche, schon in so jungen Jahren erfahrene Ehre in guten Vorsätzen. Meine ganze Hoffnung ist jetzt auf David gerichtet! Der Knabe ist geweckt und wird es noch mehr werden durch den trefflichen Zafius. Beide Knaben mögen eine Weile zusammen durchs Leben gehen. Laßt sie aber erst recht sich Venedig, die wunderbare Stadt, anschauen und dabei lernen, was gefällig und schön ist! Das wird den Reiz, Venedig öfter zu besuchen, mehren und bei ihnen die Neigung für den Verkehr der Welt, bei David auch für die Handelschaft wach erhalten. Denn wenn auch David von meinen Söhnen am wenigsten Kaufmann werden soll, so muß er doch in Handelssachen Einsicht erlangen. Bei dem Magister Muslerus seht euch ja die Gelegenheit behutsam an und begleitet die Knaben bei ihren ersten Besuchen! Fördert sie durch euere Kenntnis der welschen spräche! Wenn die Knaben erkennen, daß sie noch gleichsam eines Begleiters bedürfen, so werden sie etwas niedergehalten in ihrem Gelüsten nach Freiheit, das sich nur allzu bald einstellen wird. Gebe der Himmel, daß sie vor den Dolchen der tückischen Welschen bewahrt bleiben! Für den Fechtunterricht tragt die größte Sorge! Hat der junge Zasius für diese ritterlichen Künste, für die Reitbahn und den Fechtboden keine Neigung, so soll nicht etwa geduldet werden, daß er den David damit ansteckt und ihn zum Stubenhocker macht. es ziemt sich, daß die Knaben einen Diener halten, wollet Kleider mit meinen Farben und meinem Wappen machen lassen! Grün, weiß, schwarz und rot. Sorgt dafür, daß bei dem Magister Kost und Wohnung nicht zu dürftig ausfallen! Ich bin gewiß, daß ich mich in allen diesen Dingen auf euch verlassen kann.«

Ottheinrich neigte bescheiden sein Haupt, erhob sogar seine Rechte, gleichsam wie zur Beteuerung durch einen Schwur.

»Nun aber,« fuhr der Rat fort und wandte sich zu einer Schublade seines Schreibtisches, schloß diese auf und nahm einige Papier heraus, »nun, mein Sohn, noch zwei besondere Aufträge, die ich euch bis jetzt vorenthalten habe. Sie sind an sich nur gelegentlich und geschäftlich von keinem Belang, verdienen aber euere Aufmerksamkeit. Vor allem gelobt mir, dabei so vorsichtig zu verfahren, als wären es – Staatsgeheimnisse, die es denn auch in Wahrheit sind!«

»Was auch mein gnädiger Herr mir anvertrauen möge,« erwiderte Ottheinrich, »es ruht in meinem Ohr und auf meiner Zunge wie im Mutterschoß, sollte es aber mit Fährlichkeiten verbunden sein, so will ich erwarten, mich ihm desto lieber unterzogen zu haben.«

Auf ein so aus dem Herzen gekommenes mutiges Wort übergab der Rat dem Jüngling die Papiere.

»Ihr findet da zuvörderst den Namen einer Italienerin aufgezeichnet – seht hier! Beatrice Pisani.... Daneben steht ein ungarischer Name zu lesen: Gräfin Ilajos. Zum dritten leset ihr den Namen Uladislaus Ilajos.... Ich will euch nun sagen, wer Gräfin Ilajos ist –«

Der Rat deutete auf die Papiere, die mit kurzen, von seiner eigenen Hand geschriebenen Notizen bedeckt waren, und fuhr fort:

»In Ofen lebte vor noch nicht zwanzig Jahren ein italienischer Künstler von guter Herkunft, Namens Pisani. Für die Fugger, die, wie ihr wißt, in Ungarn die Bergwerke und die Münze haben, schnitt er die Stempel zu dem Gelde, das diese in Ungarn und – nunmehr ja auch in Deutschland prägen dürfen, seine Tochter Beatrice war schön. Die leichtsinnigen Magnaten lebten zu Ofen in Saus und Braus, der junge, noch knabenhafte König Ludwig und sein Erzieher, der Brandenburger, allen darin zuvor. Die schöne Beatrice Pisani wurde, als sie dem König Ludwig, einem unreifen Jüngling, kurz vor seiner Vermählung mit des Kaisers Schwester, einen Sohn geboren hatte, Gräfin Ilajos genannt. Maria trat in Ofen als eine wahre Königin auf. Sie war erst sechzehn Jahre alt, ihr Gemahl nicht älter; doch schon mit dreizehn Jahren hatte er einen vollen männlichen Bart. Schon lag ein wildes Leben voll Leichtsinn hinter dem geistig unreifen Jüngling! Maria vertrieb die Magnaten, entzog ihren Gatten der Vormundschaft durch den nur an Turnieren, Maskeraden, Trinkgelagen Gefallen findenden Brandenburger und wußte Ludwig so zu fesseln, daß die Gaukler, Possenreißer, die Geliebten des Königs – die Ungarn leben halbwegs wie die Türken – entfernt wurden. Beatrice Pisani zog in die meinen Schwägern, den Fuggern, gehörenden Bergstädte der an Metallen gesegneten Grafschaft Zips, zu den Thurzos, von denen, wie in Augsburg jedes Kind und wohl auch ihr wisset, durch Verschwägerung mit den Fuggern der ungarische Segen dieses Hauses stammt, von einer Sorge für die Gräfin Ilajos und ihren Sohn Wadislaus konnte keine Rede sein – bei einem Hofe, der oft die Mittel nicht besaß, den König mit seinem jungen Gemahl, eines Kaisers Schwester, und sein Hofgesinde zu sättigen! Ein Jude Namens Emmerich und die Faktorei der Fugger beherrschten das Land. Doch alles das ist jetzt vorüber. Der junge König ist tot; der Jude, der das Land aussog und wie Haman in Pracht und Herrlichkeit lebte – auch die schöne Ilajos ist hin! Als vor elf Jahren Sultan Soliman bis Wien kam und nicht das Kind im Mutterleibe schonte, floh alles, was noch dem Schwert entrinnen konnte, entweder auf Wien zu oder südwärts gen Dalmatien. Beatrice, erst von einer Jüdin, dem späteren Weibe des Emmerich, dann von seiner rechtmäßigen Gemahlin, einer wahren Semiramis, aus ihrem kurzen Glück verdrängt, schlug mit ihrem Kinde den Weg nach Venedig, ihrer Vaterstadt, ein, von Fuggerschen Münz- und Bergbeamten begleitet, die sich über Kärnten nach Tirol flüchteten. Denn ihr wißt es wohl, daß die Fugger ihre andere große Ernte aus dem Erdreich der Tiroler ziehen –«

»Nicht ganz,« sagte Ottheinrich lächelnd, »da auch euch in Tirol der Boden zehntet –!«

Eine düstere Wolke, die als Antwort auf diese so wohlgemeinte Zwischenrede des Rates Stirn beschattete, drückte einen Unmut aus, dessen Ursache Ottheinrich aus dem Geschäfte wohl verstand. Die Bergwerke, und die Tiroler besonders erforderten zu ihrem Betrieb Summen, die mit dem Ertrag nicht immer im Verhältnis standen. Mehr aber noch waren die Tiroler Bergwerksbesitzungen für die Fugger wie für die Paumgartner eine Quelle der größten Verdrießlichkeiten geworden. An sich schon mit den Beamten des Erzhauses Österreich, wo sie um so peinlicher empfunden werden mußten, als Fuggers und Paumgartners dem Erzhause so erprobte Anhänglichkeit und die von den Umständen gebotene Klugheit ein stetes Nachgeben und Sichfügen aus diesem fremden Boden ihnen unerläßlich machte. Aber jetzt waren die kirchlichen Wirren und die noch immer fortgrollenden Bauernunruhen, von denen sich auch die Bergarbeiter Tirols vor elf Jahren hatten fortreißen lassen, nachhaltige Übelstände für den ruhigen Betrieb der dortigen Bergwerke geworden. Die fanatischen Protestantenverfolgungen der Bischöfe von Salzburg, Brixen, Trient, der österreichischen Statthalter in Innsbruck vertrieben die Arbeiter, die zur Hälfte aus Eingewanderten bestanden. Ohne die immer neu zuströmenden Bergleute aus dem lutherisch gewordenen Sachsen, Thüringen und Franken konnten die Erze nicht gewonnen werden.

»In Ungarn tragen die Mönche zugleich mit dem Strick das Schwert um den Leib,« fuhr der Rat fort, »Paul Tomorri, der Ungarn Feldherr in der Schlacht bei Mohacz, war ein Mönch. Wieder ist es ein Mönch, der jetzt in Ungarn dem Hause Habsburg mehr zu schaffen macht als selbst Zapolya. Dort steht sein Name! Georg Martinuzzi nennen sie ihn. Doch heißt er Utyschenitz, ist ein Kroat von Vaters-, ein Venetianer von Mutterseite. Eine Schwester des brandenburgischen Georg, die in den Bergstädten der Fugger wohnte, eine Herzogin von Teschen, entdeckte einst zufällig in ihrem Ofenheizer – Utyschenitz – einen Menschen von ungewöhnlichen Geistesgaben, ließ ihn lesen und schreiben lernen und machte ihn zum Mönch in einem Paulinerkloster. Sein Verstand und seine Kenntnisse machten ihn in kurzer Zeit zum Prior des Klosters der Mutter Gottes zu Czenstochau bei Krakau. Bald fand sein unruhiger Geist im stillen Leben des Klosters keine Genüge mehr. Er mußte hinaus in die wilde Welt, halb als Krieger, halb als Ränkeschmied. Nicht glühender ist sein Ehrgeiz, als sein mit der Muttermilch eingesogener Haß gegen Österreich. Nun war die Schlacht bei Mohacz verloren; die Türken ihrer Gewohnheit gemäß, wie Ebbe und Flut erst mächtig anströmend, dann, selbst wenn sie gesiegt haben, mit der gewonnenen Beute sich wieder verlaufend und zurückziehend, hatten Ungarn in der Gewalt Zapolyas gelassen. Ferdinand rückte von Wien aus mit einem anfangs siegreichen Heere vor, eroberte Ofen, schlug den türkischen Ungarnkönig bei Kaschau und Zapolya floh nach Polen. In Krakau warf er sich vor dem schwarzen Muttergottesbild von Czenstochau nieder, seine Klagen und Gebete vernahm der Prior. In kein zum Helfen geneigteres Ohr konnten sie fallen als in das des Georg Martinuzzi. Der machte dann den entthronten König mit dem Palatin von Siradien, Hieronymus Lascy, einem verwegenen Polacken, bekannt. Lascy ging nach Konstantinopel zum Sultan, wo ihm ein Renegat, ein natürlicher Bruder des jetzt die gehörnte Mütze des Dogen tragenden Venetianers Andreas Gritti, Aloys Gritti, beim Großwesir Ibrahim allen Vorschub leistete. Soliman schwur beim Bart des Propheten, daß Ungarn nur Zapolya gehören sollte. Martinuzzi nahm von seinem Kloster Abschied, tat die Kleider eines Bettlers an, durchwanderte Ungarn bis an die Küsten des Meeres und bereitete alles zu einem neuen Aufstand gegen Österreich vor. Dreimal war Martinuzzi in Venedig. Wer sich seither in Ungarn schon für Österreich erklärt hatte, wurde durch seine Beredsamkeit wieder zum Zapolya zurückgeführt. Die Ungarn sind ein Volk, das in allem auf das Beispiel seiner Führer sieht. Noch ehe nur wirklich die Türken wieder erschienen, wurden die Truppen des Königs Ferdinand schon von den Ungarn geschlagen. Darauf erschien dann der furchtbare Soliman selbst – diesmal zwar erreichte er nicht das herrliche Wien, und wir Augsburger lagen ja selbst gegen ihn im Felde ... mein eigener Küraß, den ihr auf der Stiege seht, stammt aus jener Seit ... Aber den Zapolya krönte Soliman doch in Ofen, machte Lascy zu seinem Palatin, Martinuzzi zum Bischof von Großwardein.«

»Die Hand des Ungläubigen setzte einen christlichen Bischof ein!« unterbrach Ottheinrich, der dieser damals in Flugschriften, Holzschnitten, Volksliedern, auch von Luther in seinen Heerpredigten wider den Türken mannigfach geschilderten Dinge durchaus nicht unkundig war. Begierig durfte er sein, wie diese Mitteilungen, bei denen der Rat über seine eigenen Verdienste bescheiden hinwegging, auf Gräfin Ilajos, deren Sohn und seine eigene venetianische Reise kommen sollten.

»Als damals Martinuzzi,« fuhr der Rat fort, »in Venedig ab- und zuging, wurde der schlaue Mönch mit Beatrice Pisani bekannt. Sie lebte zu Venedig noch in dürftigsten Umständen. Diese sollten sich nun ändern. Zapolya ist zur Zeit unvermählt und hat aus einer früheren Ehe keine Kinder. Der Gedanke, er sollte entweder aufs neue sich vermählen oder den außerhalb der Ehe geborenen Urenkel des großen Matthias Corvinus, den Sohn des nach seinem Tode mit doppelter Liebe verehrten Ludwig an Kindesstatt annehmen und zum Erben Ungarns und Böhmens machen, ergriff die Verschwörer so mächtig, daß sie alles anwandten, um die Mittel zu einer besseren Lage der Gräfin und ihres Sohnes zu gewinnen. In der Tat lebte sie dann einige Jahre in Venedig wie eine Fürstin. Es wurde festgestellt, daß ihr Geschlecht mit dem des berühmten Admirals der Republik, Pisani, verwandt war. Sie hatte einen Hofstaat um sich. Der junge Sohn des Königs wurde für seine zukünftige, glänzende Laufbahn erzogen. Da kam dann jenes große Sterben über Europa, das uns die Türken als Ersatz zurückzulassen pflegen, wenn sie nach Hause gehen. In Augsburg starben damals wie im vorigen Jahre ihrer Tausende – auch dazumal mein Weib. In Venedig raffte die Seuche in wenigen Monden zehntausend Menschen dahin – mit ihnen, wie als gewiß gelten darf, auch jene Beatrice und Uladislaus ihren Sohn.«

Der Rat hatte die letzten Worte nur langsam gesprochen und dabei auf ein Bild geblickt, das sich unter den Kontrafakturen befand, von denen die Wände bedeckt waren. Es hing so im Dunkeln, daß es einiger Anstrengung bedurfte, um die Züge seiner Frau zu erkennen, die schon darum, weil sie den Familiencharakter der Fugger, eine gewisse stolze Strenge trugen, nicht eben schön sein konnten.

»Vor einigen Jahren jedoch,« fuhr der Rat fort, »vernahm man das Gerücht, es sei zwar die Italienerin, die einst vor den Augen des jungen Ungarnkönigs Gnade gefunden, gestorben, doch nicht ihr Sohn. Dieser lebe vielmehr noch und werde, da Zapolya immer noch unvermählt blieb, von den Mißvergnügten als ein Anlaß neuen Unheils, neuer Verwirrung Ungarns, für künftige Zeiten aufgespart. Nur durch kluge Mäßigung hat König Ferdinand verstanden, sich zu einigen Teilen in Ungarn wiederzugewinnen, was ihm durch die Gewalt der Waffen verloren gegangen. Zapolya bewohnt in Ofen die Königsburg. Weiter als bis Gran und Preßburg reicht noch nicht die Herrschaft des habsburgischen Hauses. Aber sie dehnt sich aus durch weise Mäßigung, durch die mancher der Magnaten gewonnen wurde. Selbst Lascy, Martinuzzis eifrigster Schildträger, ist zum Hause Habsburg übergegangen. Erst kürzlich sind Kaschau, Tokay an Zapolya zurückgefallen, alles unter dem Schutz des Halbmondes und der Roßschweife der Paschas von Belgrad, Serbien und Slavonien! Diese Schande fühlen aber die Ungarn allmählich mit Beschämung! Stirbt Zapolya, so neigt sich das gesamte Ungarnvolk, vielleicht mit einigen Ausnahmen, dahin, daß das Land an Österreich falle. Für Martinuzzi wäre das wie Gift und Opperment! Sein Haß verfolgt Pläne, die niemand ermißt. Schon wird geschrieben, er hoffte einst noch durch die Ungarn, ja durch den Sultan – Gott verzeihe ein solches Wort, das auch nur auszusprechen schon Sünde! – Papst in Rom zu werden. Jetzt sucht er die Hand einer Fürstin für einen König, der durch Türkengnade regiert! Ein solche zu finden ist schwer. Doch die Mönche werben an Sigismunds Hofe in Polen, dessen Tochter sich für die Verbindung geneigt zeigen soll. Noch bewirken sie vielleicht ein Wunder für die Nachfolge. Ist dies aber nicht der Fall – und es gibt eine Partei in dem wilden Lande, die dem Zapolya ebenso aufsässig ist wie den Habsburgern – sie wünscht, daß sich kein fürstliches Weib für den Halbtürken finden möge – kurz so oder so und gewissermaßen für alle Fälle – lassen sie in Venedig, in Kärnten, in Tirol – ich weiß nicht, wo – für den längst vermoderten Sohn der Gräfin Ilajos ein untergeschoben Kind erziehen!«

»Können solche Frevel in christlicher Welt erhört sein!« rief Ottheinrich.

»Es liegt an euch,« entgegnete der Rat, »mir und anderen, unter denen sich hohe und höchste Häupter, hochfürstliche Personen befinden, diesen Glauben zu nehmen. Forschungen, die ich euch anempfehle und deren Wege in diesen Blättern vorgeschrieben stehen, werden die volle Gewißheit bringen. Auch in Onolzbach – ich erfuhr erst heute, daß Graf Ilajos noch lebe. Und in Onolzbach kann man es wissen; ist doch des Brandenburgers Hauptstadt die Zufluchtstätte aller Unzufriedenen Ungarns, ein Brutnest von Racheplänen gegen Wien.

»Entdeckt ihr in Venedig,« fuhr der Rat fort, »eine Spur der Dinge, in die ich euch eingeweiht habe, so gebt vor allem darauf Acht, daß ihr ergründet, wer die Gelder gibt, die solchen Frevel aufrecht erhalten und für die Kosten, so er verursachen muß, aufkommen. Bei einiger Klugheit kann euch die Entdeckung nicht entgehen –!«

Mit höchstem Erstaunen blickte Ottheinrich auf. Denn in den langsam gezogenen Worten des Rats, in seinen auf die Gegend, wo die bischöfliche Pfalz lag, gerichteten Blicken schien eine Anschuldigung des Markgrafen zu liegen. Georg von Brandenburg, der Anstifter der angedeuteten ungarischen Frevel –? dachte er. Nimmermehr! Eine solche Annahme widersprach allen Voraussetzungen, die ihm über diesen gefeierten Bekenner des evangelischen Glaubens geläufig waren.

»Es sollte mich freuen,« lenkte auch der Rat von den Zugeständnissen, die sich durch Lächeln ausdrückten, bald wieder ein, »wenn sich diese Dinge als törichte Luftgebilde ergeben, veranlaßt durch die Ungarn, Böhmen und Schlesier, die am Onolzbacher Hofe verweilen, Johannes Thurzo darunter – dies freilich einer der Gefährlichsten!«

»Ein Schwager der Fugger?« fragte Ottheinrich erstaunt.

»Ein jüngerer Bruder des ehrenwerten Alexis Thurzo und des noch berühmteren, der in Breslau Bischof gewesen! Graf Hans Thurzo war Herr von Pleß in Schlesien. Er verkaufte die Grafschaft und lebt seitdem, ein Entarteter von seinen Brüdern, bald da, bald dort, unablässig mit Praktiken gegen Österreich beschäftigt. Doch auch möglich, daß jener Betrug nur aus Großwardein vom Martinuzzi stammt. Mag dem nun sein wie ihm wolle, von Brüssel aus sind an mich diesbezügliche Fragen ergangen von meinem vertrautesten Freunde, dem Geheimen Rat der Königin Maria, die, wie sie auf ihres Gatten Jugendverirrungen schon längst liebevoll den Schleier der Vergessenheit gebreitet hatte, jetzt vollends wünschen muß, daß die Lüge nicht mächtiger werde, als vor ihrem milden Tribunal ehedem die Wahrheit war. So ist auch nicht sie die wahre Urheberin dieser Fragen, sondern die Hofburg in Wien. Diese ist es, die über Brüssel an einen Augsburger Kaufherrn – sage ich es offen, an mich – das Gesuch hat ergehen lassen, man möchte über diese Dinge in Venedig Nachforschung anstellen. Königin Maria hat dem Andenken ihres Gatten ewige Treue und Verehrung gelobt. Sie hat die Hand der ersten Fürsten ausgeschlagen und lebt nur dem Wohl ihrer Brüder, von denen sie den Kaiser mit einer Zärtlichkeit liebt, die sogar – sollte man glauben, wohin sich die Welt verirrt! – Verleumdung gefunden hat. Zapolya ist alt, jeder Tag kann über Ungarn ein neues Ungewitter bringen; die Staubwolken, in denen dann die Türken heraufziehen, können der Christenheit das Grauenvollste enthüllen! Warum nicht noch den mindesten der Schrecken, einen neuen König für Ungarn? Einen Prätendenten, der die Absicht Zapolyas, die Krone des heiligen Stephan an Ferdinand zu vererben, zu Schanden macht? Demnach also – so ihr mir einen Beweis euerer Geschicklichkeit, vor allem euerer Verschwiegenheit gegen jedermann geben wollt, erkundigt euch in Venedig, ob besagte Dame Beatrice Pisani in Wahrheit Todes verblichen ist, desgleichen ihr Kind! Habt ihr in Erfahrung gebracht, daß beide gestorben sind, so spürt dem Gerücht nach, das ich euch genannt, und wie und wo ein so betrügerischer Handel habe entstehen können. Und vermöchtet ihr wohl gar zu entdecken, wo eines so erleuchten Vaternamens vermeintlicher Erbe gegenwärtig verweilt, in wessen Pflege, durch wessen Unterstützung und Beförderung im Lügen erhalten – auch darüber geben euch diese Schriften Fingerzeige –, so würdet ihr mich über die Maßen verpflichten. Ich sage euch, noch vor kurzem hieß es, daß nach Tirol Geldspenden von Onolzbach gegangen sind. Wollt ihr in diesem Falle, überhaupt über alle Dinge, an die rechten Quellen kommen, so rat' ich euch, sucht sie bei den Kleinen auf, nicht bei den Großen. Die Großen sind in allen Dingen in der Hand der Kleinen.«

Der Rat lächelte. Wie zur Bestätigung seiner letzten Worte reichte er Ottheinrich die Hand.

Der junge, mit so hohem Vertrauen geehrte Mann hielt diese krampfhaft fest und sprach mit bewegter Stimme:

»Was ich vermag, mein gütiger Herr, die ehrenhafte Sendung, die ihr meiner Jugend und Unerfahrenheit anvertraut, durchzuführen, will ich mit Gottes Beistand versuchen. Ich will keinen Fleiß sparen, in die Geheimnisse zu dringen, mit deren Mitteilung ihr mich so unverdient geehrt habt. Müßte es sich dann freilich ergeben, daß ich zu meiner Betrübnis fromme Fürsten, und gewiß dann nur durch unglückliche Ratgeber verleitet, von der Bahn abgeirrt fände, die sie das gesamte Vaterland, den Brandenburger, als er noch mit Georg Vogler und dem seligen Schwarzenberg ging, mit Bewunderung wandeln sah, so soll doch nicht nur die Hoffnung mich leiten, solche Fürsten bei meinen Forschungen so zu erfinden, wie sich zu halten gottesfürchtigen und ehrlichen deutschen Herren geziemt, sondern auch der Eifer, jener hohen Frau gefällig sein zu können, auf die wir, scheltet mich darob nicht, mit den heißesten Erwartungen blicken. Ja, Herr, steht diese Frau so dem Herzen des Kaisers nahe, daß sie sogar darum verleumdet werden konnte, so wird ihr Fürwort dem ganzen Vaterland zugute kommen. Glücklich würde ich mich schätzen, wenn ich etwas fände, womit ihr euch die Dankbarkeit der Königin erwerben könntet –«

»Die Gnade des Kaisers, den Dank des Königs –!« ergänzte der Rat bedeutungsvoll, erhob sich, öffnete das nach vorn gelegene Nebenzimmer, lauschte eine Weile, schritt dann rasch zu einem Fenster und blickte auf die Straße hinunter mit den Worten:

»Ich höre schon Reiter und sehe gesattelte Rosse! Das sind die guten Freunde des Hauses, die euch das Geleit geben wollen! Als Johann Georg nach Bourges zog, war unsere ganze Sankt-Annengasse im Aufruhr. Die Zeiten haben sich geändert.«

Ottheinrich wußte, daß sich der Abritt des Postreiters nur zu sehr nach den am Wertachbrucker Tor eingelieferten Briefen und mancher »Respekthalbenstunde« richtete, die zum gesetzlichen Postschlusse hinzugegeben wurde.

»Von dem einen haben wir gesprochen. Jetzt noch mein zweites und dann sei's – mit Gott!« sagte der Rat.

Ottheinrich hielt den Atem an in glückseliger Spannung.


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