Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XVII.

Ottheinrich hatte am gestrigen Tage vergebens gesucht, sich zu beruhigen.

Die Macht der Verleumdung, ihr siegreicher Erfolg hatte ihn zu Boden geschmettert.

Wie sollte er sich helfen! Wie der Wahrheit die ihr allein gebührende Ehre geben!

Nachdem er sein Mittagsmahl in einem Wirtshause verzehrt hatte, hielt er sich den Rest des Tages bis zum Abend an die Arbeiten, die seiner auf dem Jüdenberg im Kontor harrten. Nach den herzlichen Begrüßungen der ersten Buchhalter und seiner Mitdiener, nach einer geheimen Berichterstattung über die Venediger Faktorei des Hauses an die ersten Kräfte des Kontors, versank er in eine Zerstreuung und Abwesenheit, die allen auffallen mußte. Träumerisch blickte er durch die mit Eisenstäben vergitterten Fenster auf die nur einige Schritte breite düstere Gasse. Die Feder ruhte in seiner Hand. Nur das schöne Italien, nur die Alpen sah er vor sich – dann plötzlich nur die Verleumder seiner Ehre, Laux Beichlings Todesschreck, als er diesen am Kragen schüttelte, die höhnischen Gebärden Kunigundes und der Matrone ... Er hatte Sorge zu tragen, nicht in ein zu auffallendes Brüten zu verfallen. Deshalb benutzte er die ihm noch nicht wieder wie ehemals zugewiesene reichliche Arbeit, um die Briefe aufzusetzen, die er dem alten Obersteiger nach Bamberg und zur Besorgung von dort nach Zeitlitzheim hatte mitgeben wollen, Begleiter der kleinen Geschenke, die für den Besuch, den er zu dem Ende heute oder morgen den Fuggerschen Speichern und Ställen abzustatten gedachte, schon in Bereitschaft lagen.

Immer noch unvermögend, sich mit der alten Unbefangenheit zu seinen Wirtsleuten an den gemeinschaftlichen Tisch zu setzen, wollte Ottheinrich nach Ablauf der Kontorstunden seinen Abendimbiß bei den Italienern in der »Traube« nehmen.

Hier fand er alles in Bewegung und die Künstler in besonders froher Anregung durch Oswald von Eck und dessen Genossen. Der Ritter Adam von Stein, der mit einer Fugger verheiratet war, hatte Beschäftigung die Hülle und Fülle versprochen. Der junge Paumgartner schien bei den Italienern wie ausgestochen zu sein. Und am liebsten, das vernahm er, hätte der junge Eck sie alle sogleich mit sich nach München genommen. Oben in ihrem Zimmer schien Vittoria von den Gästen dermaßen in Anspruch genommen, daß sich Ottheinrich nicht hinaufbegeben mochte. Darüber noch unschlüssig, erfuhr er die Gefangennehmung des Knaben und dessen Abführung ins Stadtgefängnis. Nun eilte er, selbst die Begegnung mit Laux Beichling, Frau Felicitas oder Gundula nicht scheuend, geradezu in die Annengasse und von da aufs Rathaus, seiner Erkundigung beim Eisenmeister wurde wenigstens der Trost zuteil, daß er erfuhr, es sollte dem unheimlichen jungen Gesellen für seine Verpflegung nichts abgehen.

Es war schon spät, als Ottheinrich sich endlich in seine Wohnung verfügte. Die Mutter und Martina arbeiteten an der Reiseausstattung, der Meister und seine Gesellen an den Bestellungen für die der Königin zugedachte Huldigung im Tanzhause.

Seine Geschenke lagen noch unberührt. Er schwieg; aufdrängen mochte er nicht, was man nicht freudig entgegennahm.

Ottheinrich erfuhr, daß in der Frühe Mutter und Tochter von Muhme Magdalene mit Ungeduld im Kloster erwartet worden waren. Dann war die Äbtissin gekommen und hatte Martina eingeladen, sogleich mit ihr zur Königin zu fahren. Martina hatte sich der Königin nahen dürfen –! Die hohe Frau hatte sie gnädig aufgenommen, sie flüchtig gemustert, sie um einiges befragt, dann an einige mit der Obhut ihres durchlauchtigsten Leibwesens betraute Frauen und Männer verwiesen. Mit der Ermahnung, Gott und seine Heiligen vor Augen zu behalten, und sich in fremden Landen keine Versuchung anfechten zu lassen, hatte die Äbtissin sie wieder in einem stattlichen Wagen aus dem Fuggerhaus und zum Kloster zurückgenommen.

»Römischer Lug und Trug wird euch umstricken!« fiel Ottheinrich mit Schmerz ein. »Abfallen werdet ihr von dem ewigen Gott, den euch hier die reinere Erkenntnis ohne Götzendienst anbeten gelehrt hatte! Unter Spaniern, grausamen Kriegern, heuchlerischen Pfaffen werdet ihr verkümmern! Daß mein Gebet vor Gott die Kraft besäße, eure Wege behüten zu helfen –!«

»Sie wird zeigen,« unterbrach ihn Frau Praxede nicht ohne Bitterkeit, »daß sie unter christlichen Vermahnungen erzogen ist! Ihren Gott, der sie so lange geführt hat, wird sie auch in Zukunft nicht lassen! Und von der Königin, ihrer hohen Frau, sagt man auch nicht, daß sie Werken und Worten des Satans ergeben sei. Manche hat Honigseim auf den Lippen und stellt sich als einen Liebhaber des Heilands und rennt in alle Kirchen, um vom lauteren Wort Gottes ja kein Tröpflein zu verlieren, und dennoch ist sein Herz falsch und ermangelt des Ruhmes, den es vor Gott haben sollte –!«

Ist es so um uns bestellt –? dachte Ottheinrich und ergriff, um sich zu rechtfertigen diejenige Form, die ihm am wenigsten verfänglich erschien.

»Setze ich auch,« sprach er, »wie ganz Deutschland, auf die hohe Einsicht der königlichen Frau meine Hoffnung, so kann sie doch der Herzen ihrer Diener und Schranzen nicht ebenso mächtig sein. Wie sich um die Großen und Reichen Menschen einnisten, die Gottes Ebenbild nur schänden, erfahre ich ja an mir selbst genug. Jener Elende, der früher unter eurem Dach gewohnt hat, in den nämlichen vier Wänden, so mir anfangen durch sein Andenken unheimlich zu werden, ist ein solcher, von dem David gesagt: Sie haben Bubenstücke über mich beschlossen und treten mich unter die Füße! Ich hoffe aber zu Gott, daß mein Feind über mich nicht jauchzen werde und daß ihm die Lügen, so er über mich verbreitet, am Gaumen kleben! Noch nimmer habe ich mein Auge dorthin gerichtet, wohin mir zu sehen niemals geziemen würde!«

Mit dieser Erklärung verließ Ottheinrich das gemeinschaftliche Wohnzimmer und begab sich die Stiege höher in das seine, nahm die unberührt gebliebenen Geschenke mit den Zetteln, auf denen die Bestimmung geschrieben gestanden hatte, legte alles beiseite und begab sich zur Ruhe.

Am folgenden Morgen sah er im Hause freundlichere Mienen. Mutter Praxede brachte ihm die Morgensuppe und regte die Geschenke an, auf die sie gestern nicht hätte so ohne weiteres zugreifen wollen. Nun nahm sie das ihr Bestimmte mit Bewunderung entgegen, verteilte das übrige bei den Hausgenossen und die herzlichsten Danksagungen begrüßten ihn dafür, als er in die Wohnstube und die Werkstatt kam. Für Martina hatte er Korallenschnüre und Filigrannadeln zur Ausschmückung ihres Haares, für die Mutter eine kostbare Samthaube, für den Stiefvater Martinas bunte türkische Lederstreifen, die sich zu Mützen, Gürteln, Schuhen zusammensetzen ließen. Ähnliches kam auch an Onuphrius Pfefferkorn, sogar an die Gesellen und die Lehrburschen.

Martina mußte ihr Haar mit den schönen Geschenken schmücken, die Mutter die Haube aufsetzen, eine Tauf- und erste Kirchgangshaube, wie sie Pfefferkorn nannte, alles zum Lachen reizend – nur Martina verscheuchend, weil auf Hoffnungen angespielt wurde, die sie erröten ließen.

Für heute versprach Ottheinrich zum Mahl zu kommen. Die Einladung zur Tafel des Rats war noch nicht an ihn ergangen.

Er fand sie, als er nach einem Besuch in den Fuggerschen Lagerhäusern einen Augenblick auf dem Jüdenberg vorgesprochen und sich dort einen Urlaub erbeten hatte, um, wie sich gebührte, der, wie ebenfalls vernommen, am gestrigen Abend angekommenen Schwiegertochter des Hauses in der Bischofspfalz seine Begrüßung darzubringen.

Sein Herz pochte ob der Möglichkeit, mit Kunigunde und Frau Felicitas an einem Tisch, wenn auch am alleruntersten Ende zu sitzen.

Mit dem Glockenschlag eins erschien Ottheinrich in der Annengasse. Weder an der »Traube« noch am Rathaus hatte er verweilen, weder nach den Italienern noch nach dem gefangenen Knaben sich erkundigen und damit die Fülle seiner Sorgen nur noch mehren wollen. Die Aufforderung für eine Prüfung seiner ganzen Kraft war schon allein durch das Mahl gebieterisch an ihn herangetreten.

Die Räume des Hauses waren mit bedienenden Personen, Mägden und Dienern in Livree überfüllt. Auf der linken Brust war jedem das Paumgartnersche Wappen eingestickt; ein kunstvoll geordneter und bevölkerter Baumgarten, wo weiße Lilien blühen und sich auf den Zweigen der Bäume bunte Vögel, Sittiche, schaukeln.

Zu dem einfachen Helm über dem bisherigen Wappen sollte sich nun die stolze Freiherrnkrone gesellen, zur Zierde des Paumgartens auch noch der langgehalste Schwan der stolzen Hohenstaufenburg –! Der Umweg, um bis zu diesem Ziel zu gelangen, war gestern durch den Zwischenverkauf an Haller von Hallerstein allerdings als lästige Verzögerung erkannt worden, aber um so sicherer schien nun auch der ganze Plan zum ersehnten Ziele führen zu sollen. Es fehlte nur noch das eine, daß die Familie keinen Makel gab, Söhne und Schwiegertöchter sich rittermäßig hielten, unzugänglich übler Nachrede beim Kaiser, bei dessen Bruder und deren Räten.

Ritter Georg von Schwangau und seine Ehehälfte, die schon von Frühmorgen mit Rat Haller von Hallerstein in der bischöflichen Pfalz, wo sie wohnten, paktiert und gerechnet hatten, waren beim Mahl zugegen. Mit ihnen kam der bischöfliche Marschall Heinrich von Schwangau, der an den beiden Ärmeln seines rot und weißen Waffenrockes die vergoldeten Brote trug, die bei jeder Inthronisation eines neuen Augsburger Bischofs der Stiftsmarschall seinem Dienstherrn voranzutragen hatte.

Ottheinrich stand in dem Gedränge der Tischgäste am Eingang eines der Empfangszimmer bescheiden an die Wand gelehnt, in seinen besten Kleidern, die er vor einigen Tagen zum Besuch der Schwangauer Herrschaften getragen hatte. Jede Persönlichkeit, die jetzt eintrat, schien von dem hohen Wert ihrer Lebensstellung allein erfüllt. Niemand beachtete ihn. Nur Regina grüßte ihn voll Innigkeit und führte ihn ihrem Vater zu. Der alte Honold, bereits vertraut mit dem Vorhaben seiner Tochter, drückte ihm lächelnd die Hand. Weder Gundula, noch die Ahne kamen mit Ottheinrich in Berührung. Laux Beichling geberdete sich als der Tischmeister. Er wies die Plätze an.

Anfangs war das Zeremoniell steif und umständlich. Die schweren Stoffe der Männer wie der Frauen hinderten schon an sich die herzliche Begrüßung. Goldenes und silbernes Schnurwerk verzierte die kurzen Mäntel, mit denen jeder der Gäste den für ihn bestimmten, vom Tischordner ihm angewiesenen Platz belegte. Die Frauen trugen Kopftücher, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt waren. Die den Geschlechtern angehörigen männlichen Gäste hatten teilweise an den Knien ihrer bunten Beinkleider Turnierhelm und Wappen gestickt. Andere trieben die Stutzerei, an den Knien eine Nürnberger Uhr zu tragen. In den buntscheckigsten Mustern waren die um die Hüften gehenden Wattierungen gehalten und so durchbrochen, so durchschnitten, daß man aus einer Farbe immer wieder eine andere hervorquellen sah. In gleicher Weise durchschnitten waren die Schuhe, so daß man durchs Leder hindurch die halb roten, halb blauen oder sonst wie gefärbten Strümpfe sah. Auch der Luxus der Halskrausen fing damals an. Statt einer Krause legte man über Brust und Nacken deren ein halbes Dutzend. Silberne Drähte hielten sie fest. So standen sie dermaßen unbeweglich, daß sie kaum noch einen freundlichen, mit Kopfnicken begleiteten Gruß gestatteten. Einige der Frauen hatten förmliche Männertracht angenommen. Die von ihren Kleidern herabhängenden Ärmel, aus denen der volle Arm, dieser wiederum in Seide oder feines, mannigfach gebauschtes und gepufftes Linnen verhüllt, hervorsah, waren so umfangreich wie kleine Mäntel. Frau von Dienheim, die Schwester der Schwangauerin, eine kleine Gestalt, hätte, wie der Kurator ihres Vermögens, der alte gichtbrüchige Lukas Rem, der mit seinem Krückstock unter den Gästen humpelte, sagte, dreimal in ihren Kleidern Platz gehabt.

Ottheinrich hörte, sah und staunte. Ein neben dem Speisesaal befindliches Kabinett, das weit geöffnet stand, war wie die Schaubude eines Silberarbeiters oder Glaswarenhändlers. Es starrte an Silber und Kristall. Aus dieser Schatzkammer wurden die Schüsseln, Pokale, silbernen und vergoldeten Gerätschaften für die einzelnen Gänge am Tisch entnommen. Von den Trinkgeschirren hatten die meisten eine künstlerische Form. Bald stellten sie Drachen dar, bald Bäume, bald Felsen. Manche bildeten ein belebtes Gruppenbild, dem Krieg oder der Jagd entnommen. Auf dem Tisch waren die Löffel von Elfenbein und in den geschnitzten Griffen ebenfalls Kunstwerke. Die Messer waren von Silber. Die Gabeln, deren man sich nur erst in gewählter Gesellschaft bediente, waren teils einzinkige kleine Spieße von Silber, teils dreigezackte Nachahmungen der Waffe des Neptun. Das große Schaugericht eines ausgestopften Pfauen mit langausgestrecktem Gefieder konnte in der Mitte der Tafel nicht fehlen. Hinzugekommen waren noch zwei mächtige Pasteten aus einem geklärten durchsichtigen Gallert, in dessen Innerem goldene und silberne Fischlein, der Natur treu nachgeahmt, mit Augen von ächten Rubinen erglänzten.

Ottheinrich verdankte es vorzugsweise Regina, die sich seltsam angeregt, beinahe heiter gab, daß man ihn endlich aus dem bescheidenen Eckchen, wohin ihn die Unruhe des Eintretens und Bewillkommnens gedrängt hatte, erlöste. In dieser stillen Ecke, wo bei solcher Gelegenheit Kunigunde sonst mit ihm zu flüstern und sich zu necken geliebt hatte, schoß sie, in prächtiger Kleidung, weiß und schwarz der Trauer um ihre Muhme Fugger wegen, zuweilen an ihm vorüber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Auch die Ahne entdeckte ihn und knixte ihm mit gemachter Freundlichkeit mehrmals, gleichsam als hätte sie's vergessen, daß sie es schon getan. Regina sah die seltsamen Geberden und deutete sie als Spott wegen seines Anteils an ihrer Flucht. Sie kam und drückte ihm die Hand, als sollte er den Schlag ihres Herzens, das Atmen ihrer Seele fühlen. Wer bei dem Geflüster und Lächeln und Fragen über ihre Reise, über Venedig, ihren Gatten und dessen erwartete Ankunft, seltsame Gedanken über ihren jungen Reisebegleiter hegen wollte, konnte durch ihre Haltung irregeführt werden.

Für die größere Gesellschaft wurde Ottheinrich erst durch die Schwangauerin entdeckt. »Ja, seid ihr's denn, jung Blut? Willkommen am Perlach –! Jörg, Jörg!« rief sie ihren Mann. »Unser Junkerle von der Reise!«

Ottheinrich verbeugte sich vor dem alten Ritter, der festlich gekleidet im sinnenden Gespräch mit seinem Bruder stand. Letzterer war hagerer und schlanker als Georg von Schwangau, sah jedoch nicht minder vergrämt und gebrechlich aus als dieser.

Die Gedanken, die durch des Marschalls und seines Bruders Kopf gehen mochten, waren sicher wenig geeignet, ihn mit einem jungen Diener des kaiserlichen Rats anders als zerstreut reden zu lassen, und seine Schwägerin tat nichts, die Vermittlung zu befördern. Überall erblickte sie Bekannte ihrer Jugendzeit und genoß in vollen Zügen das Glück, sich hier als Stadtkind zu wissen.

Haller von Hallerstein, einige niederländische Räte und die Bürgermeister bildeten den Mittelpunkt der Tafel.

Regina hatte in Ottheinrichs Nähe sitzen wollen. Sie mußte sich jedoch zwischen ihren Vater und den kaiserlichen Rat setzen. Letzterer zeigte nicht eine einzige Wolke auf seiner Stirn – und wie viel Ärger rang doch in seinem Herzen nach Beschwichtigung! Nun auch wieder über die Scheinerwerbung Hohenschwangaus durch einen andern –! Ihm zur Rechten saß dieser allerdings treue und vollständig ergebene Freund, der ihn erst zum erhofften Ziele führen konnte. Peutinger saß beiden gegenüber. Zur Linken hatte dieser die Rittersfrau von Schwangau und den Ritter von Stein zur Rechten. Der junge Eck war auf einen Kreis unvermählter Imhofs, Ilsungs und die Honolds angewiesen.

Das sogenannte »Zutrinken« war durch die strengsten Gesetze verboten. Man befolgte sie aber nicht, obschon die Bürgermeister und die »Geheimen« vom Rat zugegen waren. Der Charakter der Zeit war eben in allem maßlos. Niemand setzte sich zu einem Gelag mit Sicherung seines freien Willens. Es war die Unterhaltung, sich einander unter den Tisch zu bringen. Förmlich mit List wurde dabei zu Werke gegangen. Schlau und gleichsam aus Höflichkeit wurde man genötigt Bescheid zu geben. Ablehnung, halbe Erwiderung, wo man ganze erwartete, galt für Mangel an Sitte. Erst zuletzt ließ man rundum jeden einzelnen der Gäste leben. Da war dann vollends geboten, daß jedem einzelnen Bescheid gegeben werden mußte.

Ottheinrich war von einigen der ersten und ältesten Dienern des Kontors, den Plagegeistern des Geschäfts, umgeben. Herr Wolfgang Rudolf führte unter ihnen den Vorsitz. Ottheinrichs Anwesenheit durfte nicht auffallen. Er war einigen Gästen als der Begleiter der Schwiegertochter des Rats vorgestellt worden, dem man Dank schuldig war für deren Hut in mannigfacher Gefahr. Rat Haller lobte ihn laut dafür. Nur durch Honolds Dank für den heute wiederholt auf dem Markt geleisteten neuen Beistand wurde er unliebsam unterbrochen; denn über den Haß gegen die Pfalzbewohner gab es nun allerlei Peinlichkeit und Geflüster.

Der Bergwerksknabe, der glücklicherweise wieder eingefangene Steingadener Flüchtling wurde erwähnt. Der kaiserliche Rat besorgt, die Schwangauer Rittersfrau würde sich über denselben zu umständlich verbreiten, brachte andere Gegenstände zur Sprache. Die Rittersfrau ließ sich nicht nehmen, zu Ottheinrichs Überraschung alles zu bestätigen, was ihm der alte Obersteiger, über Moritz Hausner erzählt hatte. Oberhalb ihrer Burgen auf dem Ilgenmösle, im sogenannten Grüble, hätte sich die ergrimmte Frau eingehaust, in den Bergen Kräuter gesammelt und wäre den Sennen und »Gamsjägern«, den Gipssteinbrechern und Bergleuten eine Freundin und Ratgeberin gewesen. Ihr Kind, erzählte sie, hätte die Gaismayrin nicht für ihr eigenes ausgegeben, im Gegenteil dem Knaben einen hohen Ursprung beigelegt. Des Winters hätte sie sich in einer anderen Höhe dicht am westlichen Uferrand des Alpsees versteckt. Da sie aber voll Anschläge gewesen, viel erlebt und gewußt, auch für Krankheiten an Vieh und Menschen Mittel gehabt hätte, die schon Wunder gewirkt, so hätte der Ritter, dem ihre Behandlung seiner Gicht mehr genutzt als die Ratschläge der weisesten Doktoren von Augsburg, so habe man sie mit ihrem Knaben in der verfallensten ihrer vier Burgen, im Frauenstein, ruhig hausen lassen, worauf ihr nachts dann einmal das Unglück mit einem Sturz in die Tiefe begegnet wäre. Den Knaben hätten sie, weil er ihnen von ungewöhnlichen Geistesgaben, freilich zuweilen auch wie nicht recht bei Sinnen geschienen hätte, zu den geistlichen Herren in Steingaden zur christlichen Erziehung gegeben. Dort hat der Junge wenig gut getan. Lügen und Stehlen wie ein Meister getrieben und oft zu entkommen versucht, bis man ihn zuletzt, da er wieder aus seiner Strafzelle ausgebrochen, seiner Wege ziehen ließ.

»Doch der Schatz, der Schatz,« fragte der Rat, »der Schatz, den seine Pflegemutter in den Bergen hinterlassen haben soll –?«

»Wisset ihr auch schon – von diesen Possen –?« antwortete die Freifrau nicht ohne einige Verlegenheit und auf ihren Eheherrn blickend.

»Ein Schatz? Auf Hohenschwangau –?« fragten Haller von Hallerstein und alle, die in der Nähe saßen. »Ja, ihr Herren!« erwiderte die Rittersfrau. »Ein Schatz, von dem es heißt: Suchet, so werdet ihr finden! Hat eins die Beine dazu, so findet er auch den Goldklumpen, der dorten liegt, wo ein Regenbogen das Erdreich berührt! Lasset euch von dem Buben sagen, wo die Alte ihre ungarischen Dukaten hingetan hat! In Steingaden soll er ausgesagt haben, jetzt hätten den Schatz die unterirdischen Zwerglein nach Thüringen verführt, wo zu Land seine Muhme – er meinte des Teufels Großmutter – um Gotha und Erfurt hause –! Stellt ihm einen Spiegel oder eine Kugel von Kristall vor, daraus weiß er zu weissagen!«

Unheimlich überlief es Ottheinrich und viele der Tischgäste, als sie solche Worte vernahmen.

Die ungarischen Dukaten, die Erwähnung der hohen Abkunft des Knaben veranlaßten den Rat, bedeutsame Blicke auf Ottheinrich zu werfen.

Dieser mühte sich, dem weiteren Gespräch folgen zu können. Doch fiel die Freifrau von dem Gegenstand ab. Sie tat sich zu gütlich an den Reizen einer Geselligkeit, die sie auf ihren Felsennestern so lange hatte entbehren müssen, wie klirrten die kristallnen und silbernen Pokale! wie folgte sich Schüssel auf Schüssel mit den schmackhaftest zubereiteten Speisen! Kapaunen, Auerhähnen, Hirsch- und Rehziemer verbreiteten die köstlichsten Düfte. Bei einem jeden solcher Augsburger Gastmähler verstand sich eine an die Stadt zu entrichtende Strafe von neun Gulden von selbst. Denn in Augsburg durfte, nach Ratsbeschluß, eine Mahlzeit nur vier »Trachten« zählen.

Auch der Rittersfrau wurde »zugetrunken« und jetzt vom Ritter vom Stein förmlich ihre Gesundheit ausgebracht. Die Becher klangen zu Ehren der Hohenschwangauerin.

Die Burgfrau schien allmählich die Tafel beherrschen zu wollen. Sie nahm die Glückwünsche zu ihrem Glück und Reichtum entgegen, als hätte sie nie daran gedacht, eine Veränderung in ihrer Lage eintreten zu lassen. Sie sagte, sie müßte zwar alles loben und herrlich finden, was sie hier auf den Schusseln zu sehen und zu genießen bekäme – denn so geläuterte Sitten, wie heute, wo man ißt, als äße man nicht, trinkt, als wäre Rebenblut erfrischend Wasser, kannte die Ehrlichkeit jener Zeit noch nicht – »aber«, fuhr sie fort, »was denket ihr wohl, ein jung, wohlschmeckend Kalb kostet auf dem Füssener Markt sechzehn Batzen, ein Pfund Butter vom Gebirg sieben Kreuzer, die Maß Rahm zwölf Pfennig, die Maß Milch drei Pfennig, um einen Kreuzer hab' ich drei Eier, eine Henne um fünfzehn Kreuzer, eine Gans um zwanzig, ein Spanferkel um dreißig, ein Häslein um fünfzehn Kreuzer – ein Reh, vom Kopf bis zur Klauen, kostet in Füssen zwei Gulden, hundert Apfel hab' ich um fünfzehn Kreuzer –!«

»Da ersieht man,« unterbrach Wolf Rehlinger, »wie wenig eure Gegend geeignet ist, den teuren Preis von Grund und Boden durch seine Erträgnisse wieder herauszuschlagen!« Der Bürgermeister schien über den Zweck der Anwesenheit des älteren Ritters Schwangau in Augsburg eine Witterung zu haben.

Auf dies Wort aber, das zwischen dem Rat und seinem Freunde Haller ein Wechseln bedeutsamer Blicke hervorbrachte, war die Schleuse aufgezogen und wie mit Donnerstrom stürzten die gehemmten Wasser. Hohenschwangau stieg zum Eldorado. Die unterirdischen Schätze, die Gips- und die Kalkbrüche, die Wälder, »die nimmer eine Axt gesehen«, alles das hätte kein Ende gefunden, wenn nicht die schwarzen Augenbrauen des Wirts fast auf die Wurzel seiner kleinen stumpfen Nase gefallen wären und ein Tritt des bischöflichen Marschalls auf den gichtigen Fuß des Bruders und von diesem weitergegeben auf einen der spitzen Schnabelschuhe der Burgfrau, diese an die Einhaltung des Gelöbnisses strengster Verschwiegenheit über die Hohenschwangauer Pläne gemahnt hätte.

»Ha!« sagte sie, die Fährte etwaiger Neugier jetzt ablenkend, »Österreich will unsere Burgen haben von wegen – dem Schatz! Ei, ei, wo solcher liegen mag, die Gaismayrin hat's aus dem Grüble – mit in die ewige Gruben genommen. Der Junge sagte, nachts müßte nur eins schauen, wo die sieben blauen Flämmlein über dem Erdreich tanzeten. Leider –! sagte der Teufelsjunge, wäre er selbst kein Sonntagskind, um sie zu sehen!«

Das überlaute Gespräch, das allmählich alle anderen Unterhaltungen übertönte, kam von einer Gruppe von Tischgästen, deren Mittelpunkt Ärzte bildeten. Es wurde erzählt, daß Markgraf Georg, trotz der Trauer um seinen Bruder, seine Nichte, die Prinzessin Maria, Schwester des jungen Prinzen Albrecht, mit einem Vetter des Reichsverwesers, einem Pfalzgrafen – er residierte auf dem Hundsrück in dem Städtlein Simmern – vermählt hätte. Die Hochzeit wäre zu Crailsheim an der Jaxt, vier Meilen von Onolzbach, gefeiert worden. Bei dieser Gelegenheit hätte sich des Prinzen Albrecht Lehrer, ein Magister Beck, durch stetes Bescheidgebenmüssen beim Zutrinken den jähen Tod geholt. Ebenfalls, teils vom Trinken, teils vom übermäßigen Tanzen, wären der Amtmann Hans von Knöringen, außerdem ein Kammersekretarius und ein Hoftrompeter, tot auf dem Platze geblieben. Auch der gegenwärtig vierzehn Jahre alte Prinz Albrecht hätte vierzehn Tage hindurch vollständig bewußtlos gelegen und wäre noch jetzt so krank, daß sowohl seine Verlobung mit einer polnischen Prinzessin wie seine Übergabe in die ausschließliche Erziehung eines angesehenen fränkischen Adligen, Wilhelm von Grumbach, fürs erste hätte aufgegeben werden müssen.

Ernstere Männer blickten befremdet herüber. So Hans Honold, der nach diesem leidigen Bericht den Markgrafen Georg immer mehr von den Voraussetzungen, die die evangelische Welt auf ihn gebaut hatte, abirren sah.

Für Ottheinrich lag in der Nennung des Namens Grumbach ein Anlaß zum Vergleich zwischen einem Leben, das Gott wohlgefällig, und einem, das Gottes Langmut herausforderte. Er verfiel darüber und ohnehin im Vermeiden der Zeichensprache Gundulas dermaßen in eine Abwesenheit seiner Gedanken, daß er nicht bemerkte, wie die älteren Buchhalter etwas mit ihm im Schilde zu führen schienen, etwa eine List, die ihm annähernd das Schicksal des armen Magisters Beck in Crailsheim hätte bereiten können. Sie tranken ihm unausgesetzt zu. Und eine Weile tat ihnen auch Ottheinrich Bescheid, ja es mehrte sich seine Abwesenheit noch, als man auf Anlaß der Nennung des Ritters und markgräflichen Oberamtmanns Grumbach erzählte, daß zu Würzburg, wohin die Lehnspflichtigkeit des Genannten gehörte, soeben ein schrecklicher Mord geschehen war, der einen traurigen Einblick in das damalige Leben der geistlichen Herren gestattete.

»Durch unseren Herrn Georg Frölich, derzeit trefflichen Ratsschreiber allhier,« erzählte Wolf Rehlinger, der erste Bürgermeister, jetzt selbst, »erfuhren wir gar Jammervolles über Würzburg! Ist von Frölichs Schwager, Herren Georg Vogler, von Windsheim, allwo letzterer hauset, ein Brief hereinkommen mit trauriger Mär. Zween Freunde, von Kindesbeinen an verbunden durch gleiches Alter, gleichen Beruf, Liebe zu gleichen Gewohnheiten, gleiche Wohnung sogar, die beiden jungen Domherren Kilian von Fuchs und Wolf Dietrich von Schaumburg, haben sich erzürnen wollen um – ein Roß, sage um ein Roß –! das sie vor einiger Zeit, auf Besuch beim Ritter von Grumbach in Cadolzburg verweilend, zu Nürnberg erstanden hatten. Kilian ergreift sein Schwert, fällt gegen seinen besten Freund aus und sticht dermaßen auf ihn ein, daß Wolf Dietrich für tot zusammensinkt –«

War an sich schon diese Mitteilung schreckenerregend, so steigerte sich der unheimliche Eindruck durch Angabe der näheren Umstände, die auf die von allen Seiten sich erhebende Frage, wie man sich um ein Pferd so erzürnen könnte, der alte Peutinger – dem zu Liebe Herr Georg Frölich am Tische fehlte – in der Lage war hinzufügen zu können. Peutinger erzählte aus seinem lebhaften Briefwechsel und tat dies sogar, da der Vorfall gewissermaßen Georg Frölich selbst berührte, mit einigem Behagen: »wie mir heute gemeldet wurde, war dieses selbigen alten Kanzlers Vogler Tochter, Jutta geheißen, schuld an dem traurigen Handel, den der ruchlose Frevler Hintennach, wie Judas seinen Verrat, mit heißen Tränen bereut haben soll. Denn vor einiger Zeit ritt der Herr von Grumbach über Windsheim auf Cadolzburg. Erst bei diesem Anlaß sind ihm der Altkanzler Vogler und sein Kind bekannt geworden. War aber nicht allein der gestrenge Graf Hans von Thurzo, so jetzt in den markgräflichen Landen seine Kurzweil, wo nicht schlimmeres, sucht, beim Ritter Grumbach zugegen, sondern noch viel andere Junker, Herren vom fränkischen Adel, Domicellaren auch von Wirzeburg, begleiteten ihn. Als sie nun wieder heimkehrten, nahmen sie, wie halbwegs vorab versprochen, des Kanzlers Kind, eine schöne, wohlverständige und wie es scheint mehr als billig gefallsame Jungfrau, so Junkern und Domherren baß die Köpfe verrückt machen muß, auf diesem frommen Klepper mit sich, den eben – vielleicht schon zu solchen Behuf – Kilian Fuchs und der Schaumburger in Nürnberg auf gemeinsamen Einschuß erkauft hatten. Da sie zu Wirzeburg in einem Hofe beisammen wohnten, eines Stalles für ihre Rosse gewärtig waren, so blieb es einstweilen unbesprochen, wer sich sollte des frommen Schimmels künftiger Herr nennen dürfen. Reiten sie nun alle mit dem Grumbacher über Windsheim zurück und nehmen des Kanzlers Töchterlein, das schon lange der Hausfrau des Grumbachers auf seinem fürstlichen Schloß zu Rimpar einen Besuch versprochen hatte, selbdreizehn oder vierzehn mit sich über den Main gen Wirzeburg. Dorten angekommen, begab sich das Gemeldete, das man wohl in den verlaufenen alten Tagen der Minnesinger, so von Frankreich aus die Sitte weitergetragen, aus denen Schuhen, die eine Maid getragen, Wein zutrinken oder auf der Herzgruben ihr Handschüchlein zu verbergen und der hehren Frau Venus andere possige Dinge als Opfer darzubringen, auch in deutschen Landen nachgeäffet hat. Aber jetzund! In unseren vernunftschaffenen Zeiten! seltsam! Die beiden liebestollen Pfäfflein zankten sich anfangs nur über den Sattel, auf welchem die holde Maid die Reise über geruhet hatte, dann über den Zaum und Zügel, den sie gelenkt, zuletzt über den Gaul selbsten, wer dessen künftiger Herr sein und ihn hinfüro allein reiten sollte. Der Ausgang war wie erzählt. Irre ich aber nicht, Herr Marquard von Stein, ihr, der ihr, wie zu Augsburg, auch Dechant zu Bamberg seid, werdet's wohl wissen, der Mörder ist erst in die Freyung des Kaulenberger Hofes zu Wirzeburg, dann in die seines Bamberger Lehnsherrn entflohen? Denn die Fuchs, so in Zeilitzheim und Bimbach unter Wirzeburg hausen, haben jenseits des Steigerwalds Lehen auch von Seiner Andacht zu Bamberg –«

Marquard von Stein hatte über die letztere Frage keine Nachricht. Er setzte aber um so weniger Zweifel in die Flucht des Kilian Fuchs nach Bamberg, als sie auch, wie seine, an sich von diesem Gespräch wenig erbaute Erwiderung lautete, jener Graf Christoph, der Henneberger, der vor Jahren den Würzburger Scharwächter erstochen hatte, seit einiger Zeit unangefochten in Bamberg verweilte.

Bei der Erwähnung des Ortes Zeilitzheim geriet Ottheinrich vollends in träumerische Abwesenheit. Dem Gespräch sich einzumischen würde sich für seine Stellung nicht geziemt haben. Dennoch sann er über eine an seine nächste Umgebung über die Tat des Hennebergers zu richtende Frage nach und wollte sie eben aussprechen, als er zu bemerken glaubte, daß ihm die Personen und Gegenstände rundum nicht mehr recht festzustehen schienen. Und in der Tat – es konnte ja keine Trunkenheit sein – die Stühle schwankten wirklich –! Kunigunde, die anfangs der Stühle drei oder vier von ihm entfernt gesessen hatte, richtete jetzt durch die Schaugerichte, durch die Blumen, die Trinkgeräte, die dicht vor ihm standen, ihre Augen auf ihn; ja noch mehr, unter dem Tisch zog er wie elektrisch getroffen den Fuß zurück, seine Zehen waren von den langen weichen Schnäbeln der Schuhe Kunigundes berührt worden. Sie saß auf dem Stuhl ihm unmittelbar gegenüber.

Indem trank ihm Herr Wolfgang Rudolf, der Prokurist des Hauses zu. Da mußte er schon wieder Bescheid geben. Und wie er nun noch, seiner sinne kaum mächtig, seinen Becher an den Mund setzte, stutzte er des Geschmacks. Er trank Wasser! – Aufblickend erkannte er, wie ihm Kunigunde, die, durch ein äußeres Vorgeben entschuldigt, ihren Platz mit seinem bisherigen Gegenüber gewechselt hatte, schlau zublinzelte und wieder dann auf den Becher blinzelte. Er erkannte, daß sie heimlich seinen Becher mit Wasser gefüllt hatte. Darauf hin trank er ihn bis zum Grunde aus. Das Lächeln seiner Freunde über die Aussöhnung mit Gundula, deren listigen Beistand niemand beobachtete, gab seinen Gesichtszügen einen Ausdruck der Verklärung, der sowohl Herrn Rudolf wie seine nächsten Umgebungen zum schadenfrohesten Grüßen und Zunicken und teilweise zu lautem Lachen bewog. Denn er schien ihnen die Linie dessen passiert zu haben, was er vertragen konnte.

Ottheinrich sammelte sich. Er erkannte, Gundula hatte so lange mit dem Magister und dessen Nachbarn über die Gründe, weshalb sie mit ihren Plätzen wechseln wollte, verhandelt und gestritten, bis sie Ottheinrich gegenübersaß, ihm in aller Stille dunkle, undurchsichtige Trinkgefäße zuschob, einen leeren Weinkrug, den sie zu dem Ende, scheinbar für sich selbst, mit Wasser hatte füllen lassen, zum Einschenken benutzte und ihrem Liebling zu Hilfe kam, als die Gefahr für ihn aufs höchste gestiegen war.

Das war ein Liebeswerk von so bestrickender Art, führte durch die geheimnisvolle Rolle, die von beiden dabei gespielt werden mußte, so zur innigsten Vertraulichkeit, daß die Großmutter wie ein Falke aus weiter Ferne die Augen aufriß und all die Gesundheiten überhörte, die in ihrer nächsten Nähe gebracht wurden auf ihren Liebling Johannes, auf David in Padua und Hansjürge zu Bourges in Frankreich, und beinahe ihre eigene. Da schien ja, wie sie sah, alle Wirkung der Beichlingschen Berichterstattung bei den jungen Leuten verflogen zu sein und die Amoretten flatterten so schalkhaft hin und her, daß man hätte vermeinen können, die Flügel der kleinen heidnischen Teufel selbst rauschen zu hören.

Schon lange lag, wie Rupilius sich ausdrückte, »der efeuumwundene Stab des Dionysos« schwer auf der Mehrzahl der Gäste, von einigen Familiengliedern, ehrbaren Kaufleuten, saßen bereits einige so stumm und starr, wie jene indianischen Götzen, von denen sie soeben noch, nach ihren neuesten Handlungsbriefen aus Venezuela, soviel Unterhaltendes zu berichten gewußt hatten. Leise hatte sich mancher entfernt. Regina als allererste. Dann ging Honold. Hinter ihnen wurden die Stühle fortgenommen, die Bleibenden rückten zusammen, so daß man die Lücken am Tisch nicht bemerkte. Die Domherren brauchten Raum, um sich auszudehnen –! Marquard von Stein, der die Freuden der Tafel liebte, trank nicht nur auf den Untergang Augsburgs, sondern den der ganzen Welt. »In alle Burgen,« rief er, »sollen die Wiedertäufer einziehen! Die Schneider sollen die Kronen der Erde tragen! König Salomo, der bis dahin für den Ausbund der Weisheit gegolten, weil er Gott gefürchtet, soll den Ruhm nur deshalb verdient haben, weil er auf seine alten Tage zu den Medianitern hielt –! Ja, die Türken müssen Deutschland in Schick bringen –! Da sie keinen Wein trinken dürfen, können wir uns ihre Herrschaft schon gefallen lassen.«

Oswald von Eck fiel mit Jubeln und mit Trommeln auf den Tisch ein.

Aber horch –! Auch Trommeln draußen auf der Straße antworteten –! Alles blickte auf. Kriegerische Hornrufe ertönten. Ein Schuh vom Gögginger Tor ließ Gläser und Teller auf den Tische erzittern. Was ist? rief man und sprang auf.

Wunderbar war die Kunst gewesen, wie seither der kaiserliche Rat alles Übermaß in die Bahn des Anstandes, in die Form einer würdigen Erholung gelenkt hatte. Und seine Selbstbeherrschung wurde ihm wahrlich schwer. Er hätte seine Stuhllehne zerdrücken können, nur um sich zu mäßigen; denn man hatte ihm gesagt, Johannes, sein Sohn, wäre längst in Augsburg anwesend. Er verneinte es lächelnd, hätte aber, weil er es doch glaubte, vor Zorn vom Tisch aufspringen mögen.

Nun durfte er es. Die Bewegung auf den Straßen hatte sogleich die beiden Bürgermeister entführt. Noch ein zweiter Alarmschuß war gefallen. Die Domherren erblaßten trotz des übermäßig genossenen Malvasiers und Cyperweins. Gab es Unordnungen in der Stadt, an wem anders, als an ihnen würde sich die Rache des Volkes gekühlt haben –?

Laux Beichling brachte die Mitteilung, daß es sich um Söldnerhaufen handelte, die soeben vor den Toren angelangt wären. Sie hatten unter Pfalzgraf Philipp, einem anderen Bruder des Reichsverwesers, dem Kaiser nach Italien zu Hilfe ziehen wollen, aber schon in der Schweiz waren sie wieder umgekehrt, da des Kaisers Sache gegen Frankreich verloren erklärt wurde, sie begehrten Dienste bei Schertlin zu nehmen und wollten in die Stadt gelassen sein. Paumgartner merkte sogleich und flüsterte es Haller zu, daß es Söldner waren, die von Augsburger Agenten, Sendboten der »Geheimen«, bereits Handgeld bekommen hatten. Man erfuhr, daß die eigene städtische Miliz an die Tore und die Wälle rückte, um die immerhin unheimlichen neuen Gäste vorläufig noch zu entwaffnen und in den Pilgerherbergen und leerstehenden Klöstern unterzubringen.

Diener harrten draußen genug, um diejenigen Gäste, die ihres Fußes nicht mehr mächtig waren, nach Hause zu begleiten. Auch Sänften gab es, wohlgezäumte Rosse und etliche »Gutzschen«. Menschen standen und begafften sie, eine neue Mode, goldgefirniste mächtige Kasten mit allerhand bemalten Schnitzereien, Mohren und Drachen. Auch der »Triumphwagen von Bologna« fehlte nicht, der mit vier Rossen die Burgfrau und die Bewohner der Pfalz unter großem Aufsehen zum Perlach und Dom hinaufzog, nachdem noch im Speisesaal auf dem »Antritt«, einer Fensterbrüstung, zwischen Rat Haller und den Schwangauern einiges heimliche, inhaltschwere Geflüster über die auf morgen festgesetzten näheren Abmachungen gewechselt wurden.

Die Ahne, die sich überzeugt hatte, wie schnell sich ihre Enkelin mit ihrem Liebling wieder ausgesöhnt, würdigte Ottheinrich keines Blickes mehr. Gundula bekam Befehl, bei den Verabschiedungen der Herren und Frauen an ihre Seite zu treten.

Das anmutige Mädchen half die Honneurs machen, ganz noch erfüllt von dem glücklichen Erfolg ihres Scherzes, den sie bei Tisch getrieben. Ihr junges Gemüt schien sich in die von ihr ausgeführte List ausschließlich verloren zu haben. Wenn sie auf Beichlings Veranlassung geglaubt hatte, Ottheinrich wäre der Anbeter seiner Wirtstochter, so war die darüber empfundene Eifersucht durch die Schadenfreude über deren Abreise in eine weite, für Ottheinrich unerreichbare Ferne für sie erledigt. Aber auch die Dankesblicke, die er wiederholt auf sie zu richten sich von Herzen gedrungen fühlen mußte, konnten ihr für Zeichen eines magischen Bannes gelten, dem sich keines von beiden mehr zu entwinden vermochte.

Der kaiserliche Rat hatte hinter Ottheinrich gestanden. Mit zusammengekniffenen blinzelnden Äuglein winkte er ihm näher zu treten.

Der Rat führte Ottheinrich, der glücklicherweise noch fest auftreten konnte, durch den sich leerenden Saal in jene Ecke, wo er selbst vorhin gesessen hatte und sprach:

»Es wird nun wohl so kommen, daß ihr um den Buben zu einem Verhör beim Stadtgericht entboten werdet! Sagt dort ohne Scheu aus, was ihr von dem Gaukelknaben in Erfahrung gebracht habt! Nur enthaltet euch, dessen zu erwähnen, was zu meinen besonderen Aufträgen für Venedig gehört hatte. Ihr habt alles das – versteht ihr wohl –? nur durch Zufall gefunden und braucht euch bei solchem Vorwand dann der übrigen Wahrheit nicht zu enthalten.«

Ottheinrich versprach, sein Zeugnis dieser Weisung gemäß einzurichten.

»Man hat den Buben aufs Klinkertor gesetzt!« fuhr der Rat fort und verriet in seinen Mienen zu Ottheinrichs Befremden nicht mehr die Freundlichkeit, die ihm seither bei Erörterung seiner Reiseergebnisse eigen gewesen. »Wie es scheint, ist an dem Treiben und Herkommen des Buben ein gaunerisch Volk beteiligt. Die Schwangauerin versichert, daß zu jener Frau, die oberhalb ihrer Burgen gehaust, Boten gekommen seien und ihr in Wahrheit, wie ich euch versichert, aus deutschen Landen Hilfe gebracht haben. Vor etwa zehn Jahren, als Königin Maria nach dem Tode ihres Gemahls in Ungarn die Regentschaft statt ihres Bruders, des rechtmäßigen Erben der Stephanskrone, führte, drängten sich zwei Abenteurer an sie, Bergverständige, unter denen es an Schwindlern nie Mangel gelitten hat. Bock und Böhme hießen sie. Haben diese eine Zeitlang die Fugger ausstechen wollen, endeten mit Spott und Schande und wurden in Ungarn des Hofes und des Landes verwiesen. Darob schnoben sie Rache, drängten sich zuvörderst zu Innsbruck an Salamanca und suchten den Fuggern in Tirol zu schaden. War aber auch da ihres Bleibens nicht. Später gerieten sie in die Hand des Zapolya, der eben damals in deutschen Landen seine Praktiken gegen Österreich durch einen gewissen Fuchssteiner besorgen ließ, von welchem sich mancherlei sagen ließe. Dann ist alles, was die Schelme, mit ihnen Martinuzzi, Lascy, der vor Jahren persönlich beim Landgrafen Philipp von Hessen in Kassel gewesen, Hans Thurzo in Jägerndorf und Onolzbach, dazu der Fuchssteiner und Böhme und Bock an Ränken und zum Nachteil König Ferdinands in Ungarn ersonnen hatten, zu Schanden worden oder wenigstens ins Stocken geraten, seit vor drei Jahren Herzog Ulrich, der Württemberger, wieder sein Land eingenommen hat. Denn da hat einer von denen, so ihn solches, zumeist mit Franzosen-, Ungarn- und Türkengeld, wiedergewinnen ließen, an ihm selbst seinen Meister gefunden. Diesen Fuchssteiner eben ließ der Herzog in einen Turm werfen, von wo er bis jetzt noch nicht entkommen sein mag. Hierüber wurde es um euern Buben still. Kein Geld mehr, kein Note kam heraus zu ihm und die Pflegmutter starb. so ist denn von dem Spuk, der die kaiserliche Hofburg so beunruhigte, nichts überblieben, als das abgefeimt Bürschlein, dem es gut tun wird, für einige Zeit hinter Schloß und Riegel zu verweilen und seine bösen Possen und Narreteien durch tüchtig eingeschärfte Gottes- und Menschenfurcht zu verlernen.«

Ottheinrich staunte über den Zusammenhang dieser Mitteilungen mit dem, was ihm der alte Obersteiger erzählt hatte.

Der Rat schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. Atemlos wartete Ottheinrich, was hinter dem düsteren Ausdruck in den Mienen seines Prinzipals für ihn verborgen liegen, einem mehrfachen Räuspern der vom vielen sprechen heiser gewordenen Stimme folgen sollte.

Hans Paumgartner kämpfte mit sich, ob er den jungen Mann über die Gesinnung, die ihm heute vor Tisch Regina zu erkennen gegeben hatte, verantwortlich machen sollte. Kaum war es noch Wohlwollen und nur noch stolz, der ihn davon zu reden verhinderte.

»Bleibt!« sprach er mit auffallender Strenge, als Ottheinrich Miene machte sich zurückziehen. »Habt auch ihr unseren Doktor Johannes in der Stadt gesehen?« fragte er. »Es sagen ja die Leute, daß er schon in Augsburg sei –«

Ottheinrich, der heute in der Frühe gleiches von Anna von Stadion vernommen hatte, konnte versichern, daß er des königlichen Rats nicht ansichtig geworden war –

Mit der damals üblichen Ausdrucksweise für ledige Frauenzimmer fuhr der Rat unfreundlich fort:

»Die Italienerin in der »Trauben« soll ja ein schönes Weib sein–?«

Ottheinrichs Erröten konnte für eine bejahende Antwort genommen werden.

»Die Italiener, höre ich, werden nach München ziehen –«

Ottheinrich sagte, er glaubte kaum, daß das fest beschlössen sei.

»Doch! doch! Morgen in der Frühe verreist Oswald von Eck und nimmt bereits eine Anzahl dieser Leute mit sich – Ich wollte, Johannes kehrte heim,« fuhr der Rat mit Ungeduld fort. »Er soll der Königin aufwarten – und, wie ich mir gedacht hatte, in eurer Begleitung –«

Ottheinrich staunte auf.

»Lasset euch auf meine Kosten an guten Kleidern fertigen, was ihr begehrt! Nehmt eures Meisters Werkstatt zu Hilfe – oder borgt Kleider von anderen, falls sie euch stehen. Ihr sollt die Edelsteine, so ihr mitgebracht habt, der Königin darreichen, sie wird davon auswählen. Bei Edelsteinen gestattet die Sitte, sie selbst vor Kaisern und Königen nicht aus den Augen zu lassen. Da sollt ihr denn, euer Knie beugend, so lange zuwarten, bis die hohe Frau sich genommen hat, was sie begehrt. Eine große Ehre das für euch! Sorget aber« – setzte der Rat lächelnd und an seines Dieners Verlegenheit sich werdend hinzu, »daß sie euch nicht zu eures Hauswirts Töchterlein mitnehme, das sie ja, wie ich vernommen, in ihre Dienste stellen wird. Hättet doch nicht schier Lust – der schönen Maid zu folgen –?«

»Herr, mir ist nur lieb, euch zu dienen –« sagte Ottheinrich. Er hatte an der Unbefangenheit der Frage, an einem gewissen faunischen Ausdruck, der dem Rat bei grellem Lachen eigen war, gesehen, daß sich die Verleumdung seines Mitdieners noch nicht bis an seinen Prinzipal gewagt hatte.

Der Lärm auf den Straßen unterbrach die Unterredung. Der Rat entließ seinen Diener mit kurzer Wiederholung des ihm in Aussicht gestellten Dienstes im Fuggerhause, der denn allerdings eine so schwindelnde Höhe der für Ottheinrichs persönliche Erscheinung vorausgesetzten Bewährung ausdrückte, daß dieser aus den noch immer geräuschvoll belebten Sälen fast bewußtlos verschwand, weder nach links noch nach rechts auf irgendetwas achtend, das noch länger seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen könnte.


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