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Im Braunecker Schloß sind wieder festliche Vorbereitungen im Gange. Die Fürstin ist zurückgekehrt mit der Prinzessin, die sich im letzten Jahre so verändert hat, daß die Leute sie ungläubig anstarren, als sie nun mit ihrer Mutter vorüberfährt. – Kann das die Prinzessin Rosmarie sein, die wunderschöne junge Dame!
Und was noch seltsamer ist, die feinsten Nasen in Brauneck haben nicht bemerkt, was geschehen ist, bis ein schokoladebrauner Lakai bei den Honoratioren die Runde macht und ausrichtet: »Seine Durchlaucht lassen den Herrschaften mitteilen, daß sich Prinzessin Rosmarie mit dem Grafen Thorstein auf Thorstein verlobt hat.«
Dies ist eine überwältigende Neuigkeit. Dem Schokoladebraunen folgt bald ein Kindertrüppchen von Haus zu Haus, und die Frau Apotheker sieht man sofort im Visitenanzug zu der Frau Präzeptor, ihrer Intimsten, stürzen.
Fürst und Fürstin und die Verlobten nehmen am Dienstag, dies erzählt der Schokoladene auf Befragen, Besuche an.
Also das war das große Los, das der Ruinengraf gezogen! Von dessen Baueifer sich schon in der ganzen Umgegend Legendenkreise gebildet haben. Alles in Thorstein solle ja Gold und Marmor sein. Mit Gold sogar die Wände belegt, und eine ganze Horde Italiener arbeite drüben, die im Tag zehn Mark bekämen. Kein Mensch hat zwar noch den Bau gesehen, aber dadurch wird er nur noch großartiger.
Bisher war man geteilter Meinung gewesen. Entweder der Ruinengraf habe zwischen dem Steinwert einen in den Kriegsläuften verborgenen Goldschatz gefunden. Ja, diese Ansicht ist entschieden die populärere.
Andere, mehr realistische Naturen neigen zu der Annahme, der Thorsteiner habe das große Los gezogen. Denn woher sollte der arme Teufel von einem Ruinengrafen plötzlich das Geld haben?
Und ihm selbst hat man keine Verbesserung seiner Lage angesehen. Seine Lodenröcke waren noch genau so grün, und sein alter Filzhut schlug schon bald zum drittenmal in eine andere Farbe über.
Auch wollte man wissen, daß er bei dem Bau, selbst bei dem Behauen der Steine, geholfen habe, auch überall dabei sei, wo es eine besonders schwere oder heikle Aufgabe gebe.
All die vielen kleinen Fenster in den spitzgiebeligen Häusern sind zu Augen geworden, und jedem vorbeieilenden Lakaien folgt ein Kinderschwarm, und die Kühnsten schreien: Hochzeit! Hochzeit! Die sämtlichen Damen machen einander Besuche an diesem schönen, heißen Julimorgen, an dem die Sonne mit so goldenem Glanze die vier dicken Türme von Brauneck überschüttet. Und an keinem Fenster bleiben die kleinen Vorhänge, die man dort zu Lande Neidhammel heißt, unverrückt, als nun um zehn Uhr auf einem hohen leichten Kutschierwagen, dessen zwei schöne Goldfüchse er selbst lenkt, der Ruinengraf hereinfährt. Die meisten erkannten ihn übrigens erst, als er vorüber war. Denn auch der treue alte Filzhut und die Lodenjoppe war verschwunden, und in dem Diener, der hinten auf saß, konnte kein Braunecker den treuen Märt erkennen, der mit seinem Herrn nun so manche Wechselfälle mit erlebt hatte. Das Gefährt mit den Füchsen war ein Geschenk des Fürsten zum heutigen Tage; der Fürst wollte, daß sein Schwiegersohn im eigenen Wagen angefahren komme.
Der Fürst war Harro entgegengegangen – bis zur großen Pforte, die in die Waffenhalle führt und die nur bei Festlichkeiten benützt wird. Die Herren sehen sich ja jede Woche, aber mit dem heutigen Tag tritt doch ein Neues in ihr Leben ein, und als sich Harro herabneigte, um dem Fürsten die Hand zu küssen, legte der ihm die Hand auf die Schulter, und seine schönen dunkeln Augen wurden feucht.
»Du weißt, Harro, wie du mir danken kannst.«
Gestern hatten sich Rosmarie und ihre Stiefmutter erst wiedergesehen. Rosmarie war der Fürstin mit klopfendem Herzen, aber doch mit einer leisen Zuversicht entgegen gekommen. Mama mußte doch bemerkt haben, welch unsägliche Mühe sie sich gegeben hatte, ihr in allem entgegenzukommen und es bei ihrem Vater so viel als möglich nach ihren Wünschen einzurichten.
Und die Fürstin war auch fast liebenswürdig gewesen. Wie sie sich mit Harro stellen würde, das wußte freilich noch niemand. Weder Rosmarie noch ihr Vater sind ganz ohne Sorge darüber.
Und dann hat die große Freude bei Rosmarie alles andere verschlungen. Heute kommt er, das schreibt ein goldener Sonnenpfeil an die Wand ihres Schlafzimmers, das rauscht in der Linde, jedes glitzernde Wellchen des Flusses im Tale trägt es auf seinem Rücken und gibt es dem nächsten weiter. Die Schwalben, die wie dunkle Pfeile zu vielen Hunderten die Schloßmauern umschwirren, rufen es einander schrillend zu.
Wie der Morgenwind heute mit dem grünen Busch auf dem roten Turm spielt, daß es aussieht, als habe er seine Feder noch einmal so keck aufgesetzt, und dazu blinzelt sein glänzendes Auge unter dem schweren Lid hervor: Ich weiß, wer kommt! Die ganze Luft ist so voll Freude, daß man meint, man atme sie ein, die Seligkeit. Ach, daß es heute auch traurige und einsame Menschen gibt, die auf niemand warten können als vielleicht auf den Tod!
Lisa muß sich reichlich beschenken lassen, denn ein bißchen Freude soll doch jedermann haben, mit dem Rosmarie heute in Berührung kommt, sonst bedrückt sie die eigene Seligkeit zu sehr.
Und so kam sie zum Frühstück, wo ihre Eltern sie erwarteten, in ihrem lichten, zarten Batistkleid, das unter der Brust von einer blauen Seidenschleife zusammengehalten wird. Sie kam, als bringe sie den ganzen Sommertag in das hohe, schattige Gemach, in dem die Vorhänge gegen die Sonne heruntergelassen sind.
Die Fürstin sah auf, sie sieht fahl und verlebt aus und abgespannt. Bei Rosmaries Anblick wird sie fast graugelb. Des Vaters Augen leuchten auf. Haben denn die alten Wände wohl je so etwas Schönes gesehen? Die vielen, gemalten Augen schauen von den Wänden herab, manche in tiefem Schatten, manche von einem Sonnenpfeil erhellt.
Es ist eine Dame da im steifen Silbermieder, mit imponierender Hakennase, deren Augen so gerichtet sind, daß sie den Beschauer verfolgen. Hat sie denn je so gestarrt wie heute, die alte Brauneckerin, die die kalkweißen Hände so feierlich auf ihr silberbeschlagenes Buch gelegt hat? Sieh sie dir an, alte Dame, das letzte, das holdeste Kind von Brauneck! Rosmarie küßt ihrer Mutter die Hand und lächelt sie an mit dem suchenden Blick, der nach ein wenig – nicht Liebe, nur Duldung verlangt. Was sie aus den Augen trifft, ist etwas Unergründliches, etwas, was sie noch nie gesehen hat.
Dann beut sie ihrem Vater die Wange dar, daß er sie küsse, ein wenig muß sie sich zu ihm herabneigen, sie ist ja größer als er.
Es trägt ihr sofort die Bemerkung ihrer Mutter ein: »Rosmarie, du bist wieder gewachsen, nun mußt du dich nur mehr vor den Kronleuchtern in acht nehmen!«
»Das will ich tun, Mama; ich kann ja Harro vorausgehen lassen. Wo er durchkommt, komme ich auch durch.
Vater, hast du schon den Duft von der Linde gespürt, er hüllt das ganze Schloß ein, sie blüht auf der Nordseite, o wie es darin summt und orgelt.«
Sie setzt sich an ihren Platz ihrem Vater gegenüber neben der Fürstin und fängt an, den goldschimmernden Honig auf ihr Brötchen zu streichen, und ihr Vater sieht ihr mit Freuden zu, wie es ihr so herrlich schmeckt.
»Iß recht viel davon, der Honig paßt so recht für dich, dann wirst du recht klar und süß.«
Keins hat noch mit einem Worte des großen Ereignisses von heute gedacht, bis die Fürstin beginnt.
»Nun, also um zehn Uhr soll der Bräutigam kommen, und um halb zwölf ist der Empfang. Gott, wie langweilig werden die Leute sein in ihrem Bestreben, immer dasselbe mit ein bißchen andern Worten zu sagen.«
Der nörgelnde Ton verstimmt den Fürsten. Er steht sehr schnell auf: »Ich habe mit dem Herrn Domänenrat zu sprechen. Nun, Rosmarie, ist das schon der ganze Toilettenzauber, oder kommt noch etwas Schöneres?«
»Das ist nur mein Morgenkleid, Vater, es kommt noch etwas Schöneres.«
Die Fürstin sagt: »Es hängt ja doch alles an dir herunter, da ist schwer unterscheiden. Dein Vater ist in Toilettendingen sonst nicht so kindlich. Nun, jetzt habe ich ja nicht mehr nötig, mich so darum ansehen zu lassen, wie du mit dir umgehst.«
Der Fürst verschwindet eiligst. Wie er diesen Ton haßt! Kann sie das Kind denn nicht heute in Ruhe lassen!
Rosmarie ist rot geworden, sie weiß nur zu gut, wie sie ihre Stiefmutter mit ihrer Hartnäckigkeit geärgert hat, die das ja doch nicht einsehen kann, was sie all die Jahre im tiefsten Herzen bewahrt hatte.
»Mama, ich kann dir doch nicht dankbar genug sein, daß du mich gewähren ließest! Ich habe erst so recht begriffen, wie unangenehm das dir sein mußte. Und ich möchte jetzt nicht anders sein.«
Die Fürstin zuckte die Achseln: »Nun, meine Aufgabe ist ja jetzt zu Ende.«
Es ist sehr still in dem hohen kühlen Raum, nur ein großer Nachtfalter, den die Sonne aufgestöbert hat, schlägt mit seinen Flügeln gegen die Vorhänge.
Rosmarie zerbricht sich den Kopf, was sie Mama Versöhnendes sagen könnte. Sie ist ja heute die Goldmarie, und wie undankbar wäre es, wenn sie nicht versuchen würde, von ihrem Glücksreichtum andern mitzuteilen. Und Mama sieht heute so seltsam aus, ganz fahl, mit roten Flecken unter den Augen. –
Rosmarie denkt an den Empfang, der Harro wohl bevorsteht, wenn Mama so ungnädig bleiben wird. Da klopft es, ein Lakai bringt einen großen in Seidenpapier eingeschlagenen Gegenstand. »Für Ihre Durchlaucht Prinzessin Rosmarie abgegeben worden.« Rosmarie entfernt die Hüllen. Es ist ein großer taufrischer Strauß. Es entfährt ihr ein leiser Freudenschrei. Es sind nur rosa Federnelken und zarte, bräunliche und grünliche Gräser, von einem alten, blauseidenen Band umwunden.
Sie kennt die Stelle, wo die Blumen standen, die lichten Eichen, wo sie am vergrasten Wege stehen, das Haarband, das das Seelchen verlor und Harro irgend wann einmal gefunden haben mußte, denn es war abgeblaßt und mit Tauflecken bedeckt. – Und jene Stunde des Lilientages, als sie ihm ihre kindliche Liebeserklärung auf Erdbeeren aufgespießt hatte.
So muß er denn am frühen Morgen dort gegangen sein und hat sie gesammelt, die Kinderfreuden, von dem ersten, großen Festtage ihres Lebens. Rosmaries graue Augen werden feucht. Die ganze Welt hat sie vergessen, vergessen, daß neben ihr der lauernde Haß sitzt und der blasse, quälende Neid. Sie hält ihre Blumen in der Hand und neigt sich darüber, die Federkronen mit ihren Lippen zu berühren, und über ihre Wangen fliegt der süßeste Rosenhauch. So schön, so selig still ist sie, wie sie den Gruß aus dem Kinderland in ihren bräutlichen Händen hält.
Plötzlich schreckt sie zusammen, die Fürstin hat der Teemaschine, unter der immer noch das bläuliche Flämmchen steht, einen Ruck gegeben und beugt sich darüber, das Wasser herauszulassen. Sie selbst trinkt ja immer viele Tassen Tee stärkster Sorte, dessen Bereitung sie niemand anvertraut: »Du hast ja noch gar keinen Tee gehabt, Rosmarie.«
Die Prinzessin legt ihren Strauß vorsichtig auf den Tisch: »Wenn du so freundlich sein willst, Mama, aber nicht so stark, gib mir Wasser hinein.« Und dabei lächelt sie noch einmal und errötet, es mag sie irgend ein Gedanke gestreift haben, und hält ihre Tasse hin. – Die Fürstin beugt sich vor, und in der nächsten Sekunde schießt ein siedender Wasserstrahl auf ihre beiden nackten Arme, über die sofort ein dunkelrotes breites Band läuft. Sie stößt einen Schrei aus. Die Fürstin hebt ein aschfahles Gesicht, in dem zwei Augen in rötlicher Glut funkeln:
»Ach, es ist die Maschine umgekippt.«
Rosmarie ist weiß geworden, nur ihre Augen sind dunkel, sie muß die Zähne zusammenbeißen vor Schmerz und bringt kein Wort hervor, nur einen Blick der stolzesten Verachtung. Die Brauneckerin, die stolze, königliche ist plötzlich aus der sanften, träumend seligen Jungfrau erwacht. Sie ergreift mit zitternden Händen ihre Blumen mit einem letzten Blick, als wollte sie sagen, ich vertraue dir nicht einmal die armen Blumen an, – dann geht sie hinaus.
Die Fürstin, die aufgesprungen war, sank wieder in ihren Stuhl zurück und starrte mit zuckenden Lippen vor sich hin. Einen Augenblick brannte noch ein wilder Hohn auf ihrem Antlitz, dann verzuckte die Glut, und sie schlug die Hände vors Gesicht in einem plötzlichen Erwachen.
Die alte Brauneckerin schien sich in ihrem ganzen Körper nach ihr herumzuwerfen, mit samt ihrem silbernen Buch. Ein seltsam fremder Hauch war in das vorher so morgenfreundliche Gemach gekommen. Auf ihrem Rücken fühlte die Fürstin noch die gemalten Augen ihr folgen, als sie mit wilden Schritten das Zimmer verließ.
Rosmarie war zu ihrer getreuen Lisa geeilt, die eben ihr weißes Seidenkleid über den Arm hängen hatte: »Lisa, kannst du mir helfen, – ein Ungeschick – ich leide sehr... den Herrn Hofrat dürfen wir nicht holen, sonst merken sie es alle... Nimm mir die Blumen ab, o Gott, weißt du, was man tun könnte?«
Die Lisa entsinnt sich zum Glück, daß sie die Schwester Eva hat ins Schloß hineingehen sehen, die Lene hat sich ja gestern in der Küche gebrannt, und sie eilt schreckensbleich davon.
Rosmarie hat sich auf ihr Bett geworfen und ihr Gesicht in die Kissen gedrückt. Da kommt schon die junge, schüchterne Diakonissin, die Gemeindeschwester, die in ihrer blauen Schürze alles Nötige trägt.
»Schwester, hat Sie gewiß niemand gesehen? Sind Sie die hintere Treppe gekommen?«
Nun ist Rosmarie nicht mehr blaß, ihre Wangen sind dunkelrot, ihre Lippen zucken fortwährend, und in einer Stunde soll der Bräutigam kommen.
Schwester Eva macht mit geschickten energischen Händen den Verband.
»Aber den Herrn Hofrat muß man es doch sehen lassen, Durchlaucht, ich wäre sonst nicht ruhig.« »Heute abend, ja.«
Und so geht denn die Schwester.
»Solch ein hilfreicher Engel,« flüstert Rosmarie. »Das muß das zweitschönste sein, was man werden könnte. Lisa, wenn die Menschen so nach einem verlangten und die Hände nach einem ausstreckten und auf die Schritte horchten! Die Schwester Eva kam wie ein Himmelsbild herein. Und nun ist's doch ein wenig besser.«
»Ach, Durchlaucht, nun gerade heute,« schluchzt die Lisa.
»Wir haben noch Zeit, angezogen bin ich im Augenblick, sieh nach meinem Kleid, das hat ja kurze Ärmel, und wenn jemand klopft, so sage, daß ich bei der Toilette sei. – Es darf es niemand wissen – niemand.«
Und nun liegt sie ganz still auf ihrem Bett und hält ihre verbundenen Arme über den Kopf, weil so der Schmerz leichter zu ertragen ist, und über ihre Wangen fließen große Tränenperlen.
Und Lisa muß sich eilen, und ihre Nadel fliegt durch Seide und Spitzen. Und ihre junge Herrin tut ihr so leid, die nun an ihrem schönsten Tag jeden Atemzug erkaufen muß mit Leiden. Aber in Rosmaries Herzen ist ein wilder Zorn und eine Empörung: zu gut hat sie den Blick der Fürstin gesehen. Dann steigt etwas anderes auf, ein ungeheures Erbarmen mit ihrem Vater, der an diese Frau gefesselt ist.
Der arme Vater! Was muß er wohl schon in der Stille gelitten haben! Und jene Sturmnacht taucht wieder vor ihr auf. Wenn jetzt ein Kind da wäre, von dieser grausamen Frau ein Sohn! Und Rosmarie fragt sich, ob sie das Vorgefallene verschweigen soll? Aber nur einen ganz kurzen Augenblick, und dann weiß sie, daß sie es sich selbst schuldig ist, zu schweigen. Und eine eisige Verachtung für ihre Stiefmutter fällt auf sie.
Ausgelöscht ist für den Augenblick alles, was sie in Monaten erkämpft hat an Mitleid, an Versuchen zu verstehen und zu vergeben.
Wie leicht und einfach war ihr alles erschienen, als sie in ihrem überströmenden Glücke dieser Frau ein paar Almosen der Liebe und Güte zuzuwerfen beschloß. Als sie auf das Grab des Hasses das Kräutlein Liebe pflanzen wollte, wie ihr selbst vergeben worden war. Damit, daß sie den Mantel des Schweigens über alles breitet, meint sie mehr als genug getan zu haben. Und die Fürstin soll fühlen, daß sie ihr wohl ein paar Stunden oder Tage bittern Schmerzes zufügen kann, aber doch nicht an ihr innerstes Herz zu rühren vermag.
Der giftige Hohnblick – nun, für heute habe ich dir deine Freude doch verdorben! Nein, diesen Triumph soll sie nicht haben.
Und Rosmarie erhebt sich plötzlich, aber sie muß erst lernen ruhig stehen und ihre Arme herabhängen zu lassen. Und Lisa betrachtet sie fast mit Furcht. Wie sie da auf und ab geht und vor dem Spiegel steht und versucht, selbst das verräterische Zucken um ihre Mundwinkel zu bekämpfen. Und ihr kommen doch wieder die Tränen, wenn sie denkt, wie wunderschön sie sich jetzt freuen könnte!
Auf das seidene Kleid, das ihr nun Lisa überwirft, fallen auch noch ein paar Tränen.
Der Fürst hat schon zweimal geklopft und ist abgewiesen worden. Heute muß sie sich ja ausgiebig schön machen, die Rosmarie! Und er lächelt ein wenig. Das tun wohl die Mädchen mit besonderem Eifer, wenn sie es am wenigsten nötig haben. Und als er zum drittenmal kommt, geht endlich die Türe auf, und seine Tochter kommt heraus. Ja, sie ist schön, wunderschön, aber nicht, wie sie heute morgen war.
Ihr Antlitz ist blaß und ihre Lippen sind dunkelrot und ihr weißes Kleid ist an ihr wie Schwanengefieder. Und sie trägt in den goldenen Haaren das alte Stirnband.
»Rosmarie, hast du eine Ahnung, wie Mama heute sein wird? Ihre Stimmung heute morgen war nicht die beste. Ich besorge wegen Harro...«
»Oh, du hast nichts zu fürchten, Vater,« antwortet sie, die plötzlich fühlt, daß sie heute eine Waffe gegen ihre Mutter in der Hand hat. »Gar nichts zu befürchten, bitte, gehe ihm entgegen, Mama und ich werden euch im blauen Saal erwarten.«
Und sie nimmt ihr Schwanengefieder zusammen und rauscht an ihm vorüber, den langen Gang hinunter, zwischen den vielen gemalten Augen, und jedesmal, wenn sie an einem der tiefen Fenster vorbeikommt, wo der Sonnenschein in schmalen Tafeln auf dem Boden und den Wänden liegt, leuchtet die weiße Gestalt mit dem stolz getragenen goldenen Haupte auf.
Und er sieht ihr nach, bis sie verschwunden ist.
Im blauen Saal, wo das große Bild von Rosmaries Mutter hängt, ist Mama noch nicht. Einen Augenblick steht sie vor dem Bilde, und ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen.
Du hättest dich heute gefreut mit deinem Kinde, Mutter!
Da rauscht es hinter ihr. Die Fürstin in feierlicher Toilette, und beim ersten Blick sieht Rosmarie, daß sie Rot aufgelegt hat. Rot und Weiß, und es ist sehr kunstvoll gemacht, und sie glitzert von allerhand feinem Schmuckwerk.
Eine Sekunde messen sich die beiden mit den Augen, und dann fallen die Blicke der Fürstin zu Boden, und Rosmarie sieht, wie der Diamantstern an ihrer Brust blitzende vielfarbige Lichter wirft. Darunter muß ein sehr unruhiges Herz schlagen.
Rosmarie weiß, daß sie heute nichts mehr von ihr zu fürchten hat.
Und nun rollen Räder über den Hof, eine holde Röte steigt in ihre Wangen. Im Augenblicke ist sogar jeder Schmerz ausgetilgt.
Ihre grauen Augen richten sich leuchtend nach der Türe – Schritte – es stürzen von neuem Freudenbäche über ihre Seele. Und dann hält sie Harro in seinen Armen, ihre Augen tauchen ineinander, und die Welt ist für den Augenblick vergessen.
Harro spricht kein Wort, aber man kann sich sonnen in seinen Augen. Wie Harro die Fürstin begrüßt, zuckt einen Augenblick ein leichtes Erschrecken über sein Gesicht.
Wie man erschrickt und es zu verbergen sucht, wenn man einen Menschen wohl verlassen hat und findet ihn wieder vom Tode gezeichnet. Der erste Eindruck ist immer der erschreckendste, dann findet man die alten Züge, und vielleicht wundert man sich nach einer Weile, daß man so erschrocken ist.
Und die Fürstin ist gnädig, sehr gnädig. Nicht einmal herablassend, sondern ganz so, wie sie nur hätte sein können, wenn Harro der allererwünschteste Schwiegersohn gewesen wäre. Den Fürsten wundert es sehr, und der denkt, wie so oft: Die Damen sind doch immer überraschend, und sie auszukennen und im voraus zu berechnen, das wird wohl nie ein Mann fertig bringen. Aber er ist doch sehr erleichtert.
Und dann muß er seine Tochter von der Seite betrachten und hat wieder das sonderbar drückende Gefühl, als habe er sie so, eben so, schon einmal gesehen, und nun müsse es sich endlich offenbaren, wem sie eigentlich gleich sehe.
Dann ist feierlicher Empfang, und Rosmarie muß vielen Leuten die Hand geben und sie sich schütteln lassen und leidet große Pein, daß es ihr manchmal ganz schwarz vor den Augen wird. Sie lächelt nur noch mechanisch. Und die holde bräutliche Seligkeit von heute morgen ist von ihrem Antlitz verschwunden.
Endlich ist auch dies vorüber, und Rosmarie geht an Harros Arm langsam hinter ihren Eltern her durch den Geweihgang, der jetzt in tiefem Schatten liegt, ins Eßzimmer.
Harro flüstert: »Was ist dir, Holdseligste? Es ist etwas Fremdes an dir, ich sah es gleich, – und so schön! Ich erschrak fast, als ich dich sah.«
Rosmarie erhebt ihre Augen zu ihm und lächelt das allerschönste Lächeln, und dazu werden die Augen naß.
»Es ist nichts Fremdes an mir, Harro, nur ist alles so traumhaft und unwahrscheinlich; ich meine, ich müsse aufwachen und wieder das häßliche Entlein sein. Ach, Harro, ich danke dir, ich danke dir! Ach, ohne dich wäre ich so arm.«
»Nein, Seele, du verbirgst mir etwas, du leidest.«
»Schweig, Harro, ich bitte dich... Es ist nichts. Nur ein kleines Ungeschick von heute morgen... meine Hände darfst du nicht anrühren, Liebster... aber bitte, verrate es dem Vater nicht. Und bis morgen ist's vorbei und gar nicht wert, daß man davon redet.«
Sie sind schon im Eßzimmer, das nach Rosen duftet und so köstlich kühl ist, und wo die gemalten Augen auf sie warten. Sie sind heute allein, nur die vier Menschen, das festliche Diner wird später sein. Rosmarie und ihr Bräutigam haben sich so lange nicht gesehen, und darum soll ihnen dies erste Beisammensein nicht gestört werden. Harros Stirn hat sich umzogen. Er muß ihr ja den Willen tun und sie schweigen lassen. Ihre Augen sehen ihn so flehend an.
Rosmarie hat ein wenig Wein bekommen und blüht plötzlich auf wie eine Rose, und ihre grauen Augen haben Feuer und einen Glanz, der fast erschreckend ist.
Aber der Fürst muß ihr doch zuflüstern:
»Rosmarie, nicht alle Teller an dir vorübergehen lassen, man lebt doch nicht ganz allein von Honig und Liebe.«
Es wird noch stehend eine Tasse Kaffee getrunken in der Fürstin Zimmer: wie gut Harro von früher her das ganze Braunecker Zeremoniell kennt, und welch ein Schauder ihn bei allem Bräutigamsglück ergreift, als er sich nun selbst darin verfangen sieht. Wie gerne hätte er jetzt Rosmarie in die Arme genommen, wäre mit ihr in das alte Lernzimmer gegangen und hätte versucht, ihre Leiden zu erleichtern. Aber er muß seine Kaffeetasse balancieren und mit der Fürstin Konversation treiben. Und nun wird ihn der Fürst zu einer Zigarre entweder in der Sommerstube oder auf dem Schießplatz, dort ist's jetzt am kühlsten, auffordern. Die Damen bleiben zurück und verschwinden. Das ist alles wie auf ewige Zeiten festgelegt. Und Harro fragt sich, ob der Fürst als junger Mann nicht auch darüber das Nervenkribbeln bekommen habe. Es fällt ihm plötzlich ein, daß die alten Germanen zuweilen ihre Bräute zu rauben pflegten, und er kann ihnen eine leise Anerkennung über ein so summarisches Verfahren nicht versagen.
Es geht alles nach den altbewährten Braunecker Regeln. Rosmarie geht in ihr Zimmer, und Harro raucht mit dem Fürsten eine nachdenkliche Zigarre, und sie besprechen die Dauer der Verlobung. Der Fürst ist für nächsten Sommer. Dann ist Rosmarie zwanzig Jahre alt. Ein Jahr ist ja eigentlich zu lang.
»Harro, du mußt selbst einsehen, daß bei Rosmaries zarter Konstitution doch das zwanzigste Jahr unbedingt erwartet werden muß. Die Zeit wird ja schnell herum sein.«
Alle älteren Leute, an denen die Jahre schon mit so unheimlicher Schnelligkeit vorüberzueilen beginnen, sind der Jugend gegenüber, für die ein Jahr eine so weite Reise ist, mit diesem Trost bereit. Harro kann nicht viel dazu sagen. Es widerstrebt ihm auch, jetzt schon als Fordernder aufzutreten.
Nun, da hätte er mit seinem Bau nicht so zu eilen brauchen, keine vier Stunden Schlaf hat er sich gegönnt, und seine hohe Gestalt ist ganz mager darüber geworden.
Überhaupt ist es ihm, als legten sich ihm wahre Zentnerlasten auf seine Schultern, da nun der Fürst den »durchaus nötigen« kleinen Wagenpark erörtert und er mit leichtem Angstschweiß bedenkt, wie er nur die äußeren Bedingungen für das alles beschaffen soll. Und noch immer hat er gehofft, den Haushalt auf Thorstein selbst bestreiten zu können. Rosmarie mag ja ihre Toiletten, und was alles dazu gehört, selbst besorgen; als Rosmaries Pensionär leben zu müssen, das ist eine Pille, die er noch nicht herunter gebracht hat. Und Porträtmalen, durch das er ja viel verdienen könnte bei all den Beziehungen, die er bekommen würde, das wird der Braunecker Standpunkt auch nicht ertragen.
So bleiben ihm nur seine Bilder und vielleicht hie und da eine plastische Arbeit zu verkaufen. Und es ahnt ihm schon, daß er um jedes Bild, das er hergeben wollte, mit Rosmarie einen Kampf haben werde.
Sie pflegte jeden Verkauf mit Entrüstung aufzunehmen. Nur durch die Notwendigkeiten des Baus konnte sie überwunden werden. Er stöhnt innerlich, während der Fürst ahnungslos und in behaglicher Breite die Notwendigkeit von mindestens, allermindestens vier Wagenpferden, zwei Reitpferden, zwei Arbeitspferden erörtert.
Und der Dank für das schöne Geschenk, das ihn heute morgen überraschte, bleibt ihm fast im Halse stecken. Rosmarie, dein Geldsack! Muß dein armer Harro ihn wirklich durch allen Schlamm schleppen?
Dabei fühlt er sich doch als Undankbaren, auf den so viel Güte gehäuft wird, und fast wie ein überfüttertes Kind, das nach dem immer wiederkehrenden süßen Breilöffel ausschlägt.
Endlich bemerkt der Fürst selbst den Druck, der auf ihm liegt, und denkt: Natürlich. Ein Verliebter. Und sie wollen allein sein, die beiden.
Und er sagt lächelnd: »Wir fahren nach dem Walde, um fünf Uhr, wenn die größte Hitze nachgelassen hat, und ich nehme die Fürstin auf mich, wir gehen vom kalten Brunnen nach den lichten Eichen, – natürlich, wenn es der Fürstin nicht zu viel wird, sie liebt das Spazierengehen nicht. Aber ihr geht dorthin, und der Wagen kann euch dort abholen.« –
Harro muß nun seine freudige Zustimmung ausdrücken, obgleich er nicht ohne Schauder an die Umständlichkeit denken kann, mit der ihm ein kurzer, gemeinsamer, von hinten beaufsichtigter Weg gewährt wird. Himmel, und das noch ein Jahr! Die Ungeduld zerreißt ihn fast. Zu den Geduldigsten gehört er ja ohnedies nicht. Aber häßlich wäre es, den Fürsten, der sich wohl als überaus weitherzigen Beschützer der Liebenden fühlt, zu kränken. – Fürs ganze Leben vertraut man sie mir an, ich kann mit ihr tun, was ich will, ihr langsam jede Lebensfreude nehmen, ihr das Herz brechen, aber jetzt eine halbe Stunde mit ihr in der köstlichen Hitze unter der blühenden Linde zu sitzen, auf dem Lindenstamm, – das vertraut man mir nicht an. Und sie leidet, die Sache ist nicht so geringfügig, wie sie behauptet.
Es wird endlich wahr. Sie fahren in den Wald, der Fürst und Harro mit den neuen Goldfüchsen, und der Fürst sieht mit kritischen Augen zu, wie Harro die Zügel führt, und kann nach kurzer Zeit seine ehrliche Anerkennung nicht unterdrücken.
»Man meint, du habest nie etwas anderes getan, Harro, als die Zügel geführt.«
»So etwas vergißt man doch nicht, Vater.«
»O doch, aber du kannst, scheint es, alles.«
Harro lachte. »Nein. Aber wenn man überhaupt etwas kann, dann kann man immer vielerlei, hab ich gefunden. Es sind übrigens prächtige Gäule. Mein Märt bringt den Mund nicht mehr zusammen, er ist ein Grinsen. Und die Pflege, die sie bekommen, wird sehr gut sein. Märt ist übrigens auch einer, der verschiedenes kann.«
»Nun, wenn er zuverlässig ist, kannst du ihm wohl am besten die Aufsicht im Stall übertragen, auf dem Kutschierbock macht er sich doch nicht gut. Sein Aussehen, auch wenn er gut angezogen ist, wirkt doch ein wenig gar zu grotesk.«
Harros Stirn hat sich schon wieder recht umwölkt, aber da ist zum Glück der Wald, und sein herrlicher kühler Atem weht ihnen entgegen. Noch ein paar Minuten traben die Pferde über den weichen Waldboden, ein leuchtend blau und weißer Nußhäher fliegt über den Weg, und der Fürst hat wieder Gelegenheit, Harros Zügelführung zu bewundern. Und dann hält der Wagen.
Der wenig dekorative Märt hat unter der breiten Eiche gewartet und bekommt nun die Zügel, und Harro kann den Damen beim Aussteigen helfen. Es geht ein breiter grasiger Weg durch den Wald, der hier gemischte Bestände hat. Große herrliche Buchen, mit Stämmen wie graue Marmorsäulen, über die an der Nordseite ein grünlicher Hauch wie die allerschönste Patina läuft. Und hohe Tannen mit langen Armen wie mit deutenden Händen dazwischen. Der Weg senkt sich ein wenig nach Osten, und wo ihn die Zweige abschließen, da ist sein Ende so heimelig, so hold umschlossen, als führe kein Weg mehr hinaus in die hastende, unruhige Welt. Diesen Weg, der aus unbekannten Gründen »das Gloria« heißt, lieben alle, und der Fürst hat einst dahin mit sieben Jahren seinen ersten weiten Ausritt gemacht, er kennt jeden Baum und kämpft mit seinem Forstmeister um ihre Erhaltung über die Zeit hinaus.
Und nun gehen Harro und Rosmarie über die freundlichen Sonnenflecken auf dem grünen Teppich dahin. Die hohen blassen Waldglocken, die am Wege stehen, nicken ihnen zu, die Waldtäuber rufen einander, und der Nußhäher wie ein lebendiger Edelstein flirrt vorüber.
Die alten Herrschaften sind zurückgeblieben, und nun schließen bald die Zweige sie ein.
Die beiden hohen Gestalten gehen nebeneinander. Harro fürchtet Rosmarie zu berühren oder ihr den Arm zu reichen, ehe er weiß, wo sie verletzt ist.
»Liebste, sieh nicht immer hinweg, laß mich in deine Augen sehen. Mein Armes... ist es noch schlimm?«
»Nicht davon reden, Harro! Du sollst mir lieber sagen, was dir ist. Ich sehe eine Falte. War es dir nicht recht, daß Vater dir die Füchse sandte? – Ich erschrak ein wenig, als er es mir sagte, aber es sollte auch eine Überraschung für mich sein.«
»Du wirst mich doch nicht für so undankbar halten; die Pferde sind sehr schön.«
»Ich fühl es doch, es ist dir etwas nicht recht gewesen?«
»Liebste, warum sollen wir uns diesen wunderschönen Tag vergällen?«
Über Rosmaries Antlitz zuckt es bei seinen Worten. Ja vergällt! Aber das soll er nicht mit erleiden. Und nun legt er seinen Arm um ihre Schultern, nachdem er vorher mit einem Blick nach hinten sich vergewissert hat, daß eine freundliche Bodenwelle sie von den Nachkommenden abgeschlossen hat.
»Tu ich dir so nicht weh, Liebste?«
»Nein, aber Harro, ich sehe deutlich, es hat dich etwas bekümmert, waren es die Pferde? Mama war doch sehr angenehm, so wie sie nur überhaupt sein kann?«
»Über ihren Anblick bin ich erschrocken, greulich ist auch die weiß und rote Farbe, die sie im Gesicht trägt. Wie eine bemalte Holzfigur, fürchterlich!«
»Ich glaube, sie findet es schön! Was hat Vater mit dir geredet? Ich sagte ihm, du würdest über sein Geschenk erschrecken. Du hättest doch lange gern ein Reitpferd gehabt, aber da es ja nicht von leeren Farbentuben und durchrissenen Papierkuverts leben könne, könntest du es nicht haben. Aber er lachte mich aus und sagte: Du wüßtest schon, von was ein Pferd lebe.« –
»Ja, und von was sechs, nein acht Gäule leben!« grollte Harro. »Rein kahl auffressen werden sie mich.«
»Acht Gäule! Aber es sind doch nur zwei!«
»Liebste, ich bin doch heute belehrt worden, daß das mindeste, was du verlangen kannst, acht Gäule sind.«
»Ich verlange? Acht Gäule!«
Rosmarie sieht ganz weiß und schreckversteint aus. Da lacht er hell auf. Wie das aus seiner breiten Brust herauftönt. Mit einem Schlag ist die Wolke von Stirn und Augen verschwunden, und der helle Sommertag lacht aus ihm heraus.
»Nun ist mir's wieder wohl. Alle Sorgen soll der Teufel holen! Ach verzeih, man wird so sehr ursprünglich, wenn man wie ich zwischen Maurern, Kübeln und Leitern lebt. Nein, nicht einmal mich haben die acht Pferde so fassungslos entsetzt. Du mußt eben versuchen, dem Vater so nach und nach eins abzuhandeln.«
Sie lächelt auch wieder, aber noch ein bißchen verweint und bittet:
»Ein Reitpferd für dich, Harro –«
»Und eins für dich!«
»Ach, nicht für mich, du weißt, ich mache mir aus dem Reiten nichts. Du willst ja nur gerne so früh am Morgen reiten, und da ist Schlafen am allerschönsten.«
»Ganz wie du willst. Aber nun wollen wir von etwas anderem reden. Es ist ja eine Schande unter den Zweigen da! Hier ging ich heute morgen, als die Sonne aufging und ich deine Blumen suchte. Da dachte ich auch nicht, daß wir auf diesem Wege miteinander von Gäulen handeln würden.
Aber siehst du, ich bekam einen Schrecken. Den ganzen Braunecker Train sah ich nach und nach bei uns einrücken. Ich weiß, Liebste, du willst mich in Watte packen, aber ob da nicht eine richtige Sorgenlast dabei für mich herauskommt?«
»Harro, ich bin nun gar nicht mehr so dumm, wie du glaubst. Ich habe doch so viel gelernt bei Tante Helen. Nein, du mußt nicht lächeln. Hör mich doch an. Vater hat für mich das Vermögen meiner Mutter ganz unberührt gelassen, alle Zinsen dazu getan ... aber Harro, lache doch nicht immer, wenn ich einmal richtig praktisch bin.«
»Es ist so wundervoll, dich hier im Gloria von Zinsen sprechen zu hören! Es ist eine Komik dabei. Weißt du, was ein Zins ist?«
»Doch,« erklärt sie stolz. »Ich habe bei dem Herrn Kantor Zinsrechnungen gemacht, richtig herausgebracht habe ich sie allerdings nicht: aber Herr Kantor brachte es allemal wieder zurecht, und das könntest du doch auch, du kannst ja alles! Und Vater meint, wenn ich nicht zu extravagant sein wollte und es nicht mit dem Pariser Toilettenwahnsinn bekäme, so könnten wir sehr gut davon leben.«
Harro pflanzte sich vor sie hin in seiner ganzen Länge. »Und mich hast du dir ausgedacht als deinen Pensionär, den Prinzgemahl und Kuponabschneider! Das Malen wird mir vielleicht noch allergnädigst gestattet. Das Modellieren, als schmutzig und nur in einem Kittel zu machen, schon nicht mehr. Die Plastik ist ausgeschlossen, weil händeverderbend und überhaupt handwerksmäßig.
Der ganze Braunecker Pompe funèbre herüber verpflanzt. Der Hof voll grüner oder sonst papageienfarbiger Laffen.
Drei Glockenstunden essen.
Märt wegen Abweichung seiner Nasenlinie vom klassischen Ideal in den Stall verbannt. Köche, – ein hoffnungsloser Kampf mit dem Fett, das nicht nur den Leib, sondern auch die Seele überzieht. Da hast du deinen Rentenempfänger.« »Harro, hör auf! Schrecklich bist du. O hör mich doch an! Ich muß dir doch mein Geheimnis sagen! Vater und Mama dürfen es niemals wissen. Ich habe heimlich bei Tante Helen Kochen gelernt! Ich kann alles mögliche machen. Auch Dinge, die nicht teuer sind. Und Filetbraten und Reispudding, den ganz arme Leute essen. Ich habe mir solche Mühe gegeben!«
»O du süßes Närrchen, du süßes du! O du ganz weißes Unschuldslämmchen! Und du hast wirklich einen Kochlöffel in die Hand genommen! Das ist ein Stilfehler! Ja, ich glaube es dir ja, es ist dir immer Ernst, aber Mondscheinprinzessinnen oder junge Königinnen kochen nicht, da gibt es andere Menschen, die das für sie tun.
Die brauen höchstens Liebestränke und kredenzen sie unversehens armen Rittersleuten, Ruinenmenschen. Sieh das Gold dort durch die Tannen am tiefen Himmel.«
»Harro, du nimmst mich nicht ernst... du meinst...«
»Doch, Rose, ich sehe mitten hinein in dein Herz, mitten hinein! Ach, mein blauer Himmel. Nun ist er wieder über mir ausgespannt!
Nur deine Kochkunst nehme ich nicht zu ernst.«
»Ja, würdest du denn wie Tante Helen nichts davon essen wollen? Und denk dir: Schließlich... ach, nun lachst du wieder –«
»Darf ich mich denn nicht freuen? Freilich eß ich davon im zuckrigen Häuschen im Walde, wo du mir Pfannkuchen bäckst.«
»Harro,« sagte sie kleinlaut, »das tu ich nun wirklich nicht so sehr gerne. Sie zischen gewaltig, und es eilt sehr, und das Feuer tut nicht immer, was man will.«
»Gut, dann backe ich und du nimmst einen Rührlöffel in deine schlohengelweiße Hand und rührst damit! O du blauer Himmel! Und ein ganzes Jahr soll ich noch warten, bis ich dich nach dem Thorstein hinüber bekomme. Und habe mich so beeilt! In drei Monaten könnte das Nötigste fertig sein. Natürlich nicht alles, bei manchem möchtest du doch auch dabei sein!«
»Das ist ganz unmöglich, Harro! Ein Jahr noch in Brauneck! Wie soll das werden?« Er sah sie erstaunt an. »Was ist dir, Rosmarie? Ich dachte, ich könnte dich einmal nur mit tausend Tränen von Brauneck losreißen.«
»Es ist eine andere Luft dort, Harro. Es ist nicht mehr mein altes Brauneck. Ich fühlte es schon gestern, als ich nach Hause kam. Wie hatte ich mich gefreut. Aber da war etwas Fremdes, etwas, das sich wie eine Last auf mich legte. Und heute, – nein, es geht nicht. Du mußt mit dem Vater reden, ihn bitten. Wenn ich's tue, so schmerzt es ihn zu sehr.«
»Um dich bitten, ja das will ich, aber dein Vater hatte Gründe, sehr gute Gründe, warum er es nicht wollte.«
»Ach, Harro, Mama kann uns nicht beisammen sehen! Sie erträgt es nicht. Ich sah in sie hinein heute! Frag mich nicht! Nein, aber glaube mir!... Und ich fürchte mich vor ihr. Ich zittre. – Nur wenn du dabei bist, bin ich ruhig.
Ich will nicht wieder mit ihr allein sein. Ihre Diamanten blitzen so sehr. Ich hasse Diamanten. Es sind böse Steine. Es träumte mir einmal, ein großer, blitzender, leuchtender Diamant werfe seine Strahlen nach mir, seine sieben Strahlen. Und der letzte traf mein Herz. Da ging ich noch zwei Schritte, dann fiel ich, zuerst auf mein rechtes Knie und dann vornüber, und dann wußte ich, nun bist du tot.«
»Rosmarie, du bist seltsam! Nein, auf das Träumen ist bei dir wirklich nichts zu geben. Ich habe auch schon im Traum allerhand Todesarten erlitten, – so viele, als gar nicht nötig gewesen wären, selbst mich umzubringen. In Berlin war das greulich. – Aber wenn du bange bist... Nur Vaters Gründe –«
»Und vor meinen Ansprüchen, Harro, brauchst du dich nicht zu fürchten. Ich kann auch hartnäckig sein. Und wie sehr! Und wie du es nicht haben möchtest, weiß ich ja...«
Schweigend gingen sie nebeneinander her. Dort plätscherte schon der kalte Brunnen, ein wundervoller Abendglanz lag auf den uralten Eichen, die ihn umstanden. Alte, blitzgestreifte Recken mit langen Schlangenarmen und wild zerrissener Rinde. Jeder eine Individualität. Lange, lange über die Zeit hinaus. wo sie noch nützen könnten, geschont, dem forstlichen Auge ein Greuel als nutzlos und den Platz versperrend, für ein Malerauge köstlich, so standen sie da, die Eichen der Braunecker. Dort warten die Wagen, und man sieht, daß Mama schon eingestiegen ist.
»Kann ich mit dir fahren, Harro, o bitte!«
»Wenn man dich mir anvertraut. Ich glaube übrigens, Vater hat mir scharf genug auf die Hände gesehen.«
Es wird genehmigt, nicht ohne daß man es dem Fürsten ansieht, daß er mit dieser Heimfahrt neben seiner Gemahlin ein Opfer bringt.
Ach, wenn sie nur länger währte, die herrliche Fahrt. Durch den goldenen Abend, die feurigen Pferde vor sich, die Harro so sicher lenkt, geborgen, hoch über den Erdendingen, beschützt vor lauerndem Haß.
»Fahren ist schön,« sagt Rosmarie. »Ich wußte es gar nicht. Aber nur, wenn man da oben frei sitzen kann.
Sieh, wie der Himmel blüht mit Rosen, und dort der Fluß ein goldenes Band, und der sanfte Wälderschatten! Ach und sieh dort den Parkrand nach der Bergwiese zu, wie geheimnisvoll der Übergang zum Dunkel ...
Oh, wie ist das Leben schön, Liebster. Und die Heimat. Und ich möchte nicht sterben. Ich möchte leben mit dir, bis wir ganz alt und weiß geworden sind!«
»Wer redet vom Sterben, Holdseligste, das ist nur, weil du noch nicht recht an das Glück glauben kannst und meinst, es werde dir plötzlich wieder aus der Hand gerissen. Nein, da habe ich doch mehr Zuversicht. Sieh, wie das Fenster glänzt im roten Turm, wie ein kleines rotes Feuer!«
»Es ist sein Auge. Er sieht so weit übers Land. Er hat schon so viele gesehen von uns, die da geritten und gefahren sind, und sieht sie nicht mehr. Wie Schatten sind sie vorüber gezogen.«
»Wenn sie nur auch ihren goldenen Tag gehabt haben wie wir heute, Liebste.«
Wer die Fürstin an jenem Abend sah, der mochte wohl erschrocken sein, so scharf und unnatürlich standen die Farben auf ihrem Gesicht. Das ewig gleiche umzirkelte Rot und das gefällige Weiß, und die unruhigen flackernden Augen.
Dem Fürsten, der ja nicht Harros Maleraugen hat, fällt doch etwas auf und auch ihre seltsam sprunghafte Lebendigkeit.
Rosmarie spricht fast kein Wort bei dem einsamen Mahl. Von Harro hatte man sich an der Schloßpforte verabschiedet. Rosmarie hatte ihm zugeflüstert: »Geh, Harro – auf morgen!«
Und so war er fortgefahren, zum größten Erstaunen des Fürsten. Sollten die zwei schon etwas miteinander haben?
Harro schien ihm selbst ja ein wenig verstimmt. Und hatte doch wahrhaftig keinen Grund. Nicht einmal die Fürstin war ungnädig gewesen. Aber Rosmarie zu fragen ging nicht an. Verliebte haben ja so häufig Differenzen, wenn alle Gefühle so gesteigert sind. Noch hätte er Rosmarie gerne allein gehabt, aber die Fürstin klebte förmlich an ihm, und Rosmarie sah mit einem Male so erschreckend müde aus, daß er sie schnell zu Bett schickte. Bis sie zum Zimmer hinaus war, sie hatte sich nur stumm von ihrer Mutter verabschiedet, hingen die Augen der Fürstin an ihr, und erst dann verlor der Diamantstern auf ihrer Brust sein siebenfaches Leuchten und Zittern.
Rosmarie hatte geschwiegen. Hielt sie mit ihrer Rache zurück, oder wollte sie diesen geheimen Vorteil über sie behalten? Aber dann hätte sie wenigstens gestehen können, daß sie verletzt war.
Die Fürstin ist plötzlich auch müde und erklärt, daß es eine große Befriedigung sei, daß wenigstens dieser Tag vorüber. Das Langweiligste auf Erden, ein Brautpaar!
Dann geht auch sie. Dort, wo früher die Tür zum Gang war, steht jetzt ein hohes Zierschränkchen von Messing und Kristall. Die Fürstin trat vor den dreifachen Spiegel, eigentlich drei Spiegelwände, die ihre Gestalt von vorne und im Profil zeigten, und erschrak.
War sie denn das wirklich? Die Farbe saß ja falsch, entsetzlich falsch. – Warum hatte sie das nicht zuvor gesehen? Hat Denise es wirklich gewagt, sie so lächerlich zu machen? Ihre Hand, die schon nach der Klingel gegriffen, sank zurück.
Nein, nicht diese Person mehr sehen heute!
Schrecklich, wie das Spiegelbild die Bewegung ihr zeigte –
War sie denn das, – die Unheimliche dort? –
»War ich denn immer so: war ich nicht einmal schön und weich...
Alles, was ich nur ersehnt hätte, das trägt sie vor meinen Augen davon. Und nun habe ich mich, nur weil sie mich reizte, so unsäglich reizte, in einer Sekunde in ihre Hand gegeben...
Daß ich schwieg, das sieht nicht gut aus. Ich hätte eine große Szene machen müssen, abstreiten...
O Gott, was habe ich in diesem Haus schon alles ausgestanden! Es muß ein verfluchtes Haus sein. Und es wird immer fürchterlicher, das Haus. Es verändert die Menschen und macht sie schrecklich. Oh, hätte ich's nie gesehen!
Und diese Rosmarie ist mein böser Dämon.«
Die Fürstin zerrt mit ungeduldigen Händen an ihrer Spitzentaille, sie muß dieser Kammerfrau doch läuten.
»Wenn sie nur mit den Augen lächelt, so schicke ich sie fort.«
Aber die Französin mit den kunstvoll aufgetürmten Haaren, der Wespentaille und den hohen Stöckelschuhen kam so unschuldig, das heißt, so unschuldig wie die Denise Dubourg eben aussehen kann, herein.
Und die Fürstin, die sich eigentlich vor diesem Faktotum fast ein wenig fürchtet, läßt sie gewähren.
Bald haben die geschickten Hände sie ihrer Pracht entledigt, sie läßt sich ein weites Négligé überwerfen und alle Flammen bis auf die neben ihrem Bett ausdrehen. Dann versinkt sie in den tiefen Stuhl neben ihrem Bett.
Läuft da nicht ein ferner Lichtschimmer am Horizont? Es wetterleuchtet. Nun, dann kann sie sich auf eine schlaflose Nacht gefaßt machen. Die Braunecker Gewitter! Wie sie die haßt! All der böse Braunecker Zauber faßt sich darin zusammen. An Schlafen ist nun nicht zu denken. Sie starrt vor sich hin und zuckt zusammen. Zwei schneeweiße Arme, über die ein dunkelrotes Band läuft, sieht sie vor sich.
Sie geht im Zimmer auf und ab. Die Spiegelwände zeigen ihre Gestalt ... ihre gehetzten Augen, ihre zuckenden Lippen. Ruhelos wie ein Geist geht sie und ihr Bild wandert mit ihr. Nie wieder wird die blanke Fläche das verlorene Antlitz wieder spiegeln.
»Ich muß mich fürchten ... Vor dieser Rosmarie fürchten! Hat sie es dem Thorsteiner gesagt? Nein, sie tat es nicht. Er küßte mir die Hand, als er ging ... Er hätte es doch nicht getan, er hat einen steifen Nacken.
Sie wird es morgen tun. Ich muß sie fürchten, die Rosmarie. Ich werde es an seinen Augen sehen.
Wie er sie ansieht! Nie hat mich ein Mensch so angesehen. Wenn er gewollt hätte ... Habe ich nicht auch das Recht auf Liebe und Genuß wie all die andern? Ewig eingeschnürt in alte, steife Formen, in Geisterhäusern, zwischen Wänden, die sich plötzlich öffnen, leben müssen ... Einen Skandal. Oh, sie hätten schon gesorgt, daß es keinen gibt – diese Braunecker mit ihrem Familiengötzen. Einmal hätte ich doch gelebt ... Und nun das mit ansehen müssen ... Tag für Tag. Daß ich so unglücklich werden mußte! Und dabei gibt's Menschen, die einen beneiden! Soll ich allein zum Leiden auf der Welt sein? Und für die andern alle Freuden?
Wir wollen teilen, Rosmarie, wir wollen teilen!«
Und der Spiegel, an dem sie eben vorüber eilt, zeigt ein Bild so schlimm, wie es die Räume noch nicht oft gesehen haben. Sie ständen sonst nicht mehr. Sie wären offene, ausgebrannte Höhlen, die alten Mauern, in die die Stürme hereinschauten und in deren tiefen Fensternischen Eulen und Käuze wohnten.