Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Einundzwanzigstes Kapitel: Das schwarze Band.

Der Fürst hat sich in dem engen kleinen Zimmer etwas manövermäßig, wie er sagt, einquartiert, und seine schönen Zimmer im Hotel Angst bewohnt sein Kammerdiener.

Er geht in dem kleinen Wohnzimmer auf und ab und kennt jede Dielenritze und die Silhouetten sämtlicher Löwen. Er wagt kaum bis zum Strande vorzudringen, so ängstigt ihn der Gedanke, Rosmarie könnte eine der schweren Ohnmachten bekommen. –

Wenn er dabei ist, – nein, das tut sie ihm nicht an. Daß aber ihr Befinden nicht besser wird, das kann ihm kein Mensch verschleiern. Der Doktor ist auch von seinem kurzen, viel versprechenden Anlauf als Hofarzt zurückgesunken und kann durchaus keine Besserung finden. Wenn der Fürst auch hundertmal am Tage danach fragt.

Und wie kann es Rosmarie auch besser gehen? Sie wartet ja. Sie wartet jeden Morgen bis zum Abend. Und das Warten, wenn die Stunden ohnedies so schmerzbeladen schleichen, ist eine Qual.

Und schwer genug ist es gewesen, ihrem Vater das Versprechen abzuringen, daß er mit Harro reden will; so wagt sie es nicht, ihn durch Erinnern daran zu betrüben.

Miß Granger muß auch besorgt werden. In eine Heilanstalt, wo sie von ihrem schweren Leiden, das sie in ihrem durch lange Heimatlosigkeit und Dienstbarkeit zermürbten Leben überfallen hat, geheilt werden kann. Wohl zuerst nur ein wenig Vergessenheit, – bis die Last immer schwerer wird und keine morgendlichen Reu- und Bußtränen den abendlichen Taumel verhindern können. Und Rosmarie hat auch ein leises Schuldgefühl gegen Miß Granger in ihrem feinen Herzen. Sie hätte die Arme nicht so ohne Hilfe hinuntergleiten lassen sollen. Sie erreicht auch, daß für sie gesorgt wird und daß man ihr all die Dinge läßt, die sie in Angst vor dem immer näher heranschreitenden Unheil von Rosmarie erbeutet hat. –

Wenn der Fürst unruhige und ängstliche Tage verbringt, so geht es Harro nicht besser. Er hat sich in Rosmaries Kunstwerk hineingesehen, bis ihm von all den Dornen das Herz geblutet hat. Und immer ferner steht die Hoffnung am Horizont, daß er irgend etwas wird bessern können. Als Rosmaries Brief zurückkam, hat ihn nur die Geschichte jener Gewitternacht überrascht. Das andere haben ihm die Rosen auf dem weißen Grunde alles erzählt. Und aus dem Brief schlägt ihm ein so felsenfestes Vertrauen entgegen und immer dies selbe Gefühl für seine Kunst, die sie in all ihrer Not nicht vergißt.

Und sie hat ja fast Unmögliches von ihm gefordert. Harro wendet die Sache in hundert imaginären Gesprächen mit dem Fürsten hin und her, bis ihm der Kopf davon brennt und eine müde Trostlosigkeit sich seiner bemächtigt.

An die Ereignisse jener Nacht nur zu rühren verbietet ihm sein Zartgefühl. Es wäre da ja auch manches zu sagen. Zum Beispiel, warum Rosmarie nicht Fräulein Bergmann holte. Aber damit befindet er sich zwischen zwei Ehegatten als Mitwisser ihrer tiefsten Geheimnisse. Wenn er jetzt doch so weit wäre, daß der Fürst ihn mit gewohnter Liebenswürdigkeit nach seiner Gemahlin fragen könnte.

»Danke, Durchlaucht. Und er wog sieben Pfund und gedeiht ganz prächtig.« Warum hat er seine Zeit nicht besser angewendet, solange sein Herz noch ihm gehörte? Freilich, Rosmarie hätte er dann nicht wiedersehen dürfen. Aber doch ihr beistehen!

Er richtet sich im Hotel Angst stets auf sofortige Abreise ein. Packt jeden Morgen seine Sachen sorgfältig zusammen, – dann erst wird ihm leichter. So kann er jeden Augenblick abfahren, es gehen ja immer Züge. Schon in San Remo ist er sicher. Bei all dem lernt er die Tapete und jedes Ornament seiner Zimmerdecke auswendig. Und wiegende Palmenkronen und fernes Meeresblinken verbindet sich unlöslich mit dem Gefühl ängstlichen Harrens und Grübelns in seiner Seele.

Nur abends trägt er seine Unruhe zu dem Herrn Geheimrat und dem verdrossenen Doktor hin. Die wissen ja alles von der Villa Riposa. Der Doktor ist auch zumeist von dem anstrengenden Dienst, den er bei Serenissimus hat, ganz erschöpft. Dreimal am Tag bringt er den Doktor zur Verzweiflung mit seiner Angst und seinem Verlangen nach einem neuen Heilmittel. Sämtliche nur mögliche Heilmethoden muß der Doktor mit ihm durchsprechen. Längst hätte er alle italienischen und englischen Ärzte in Bordighera zu einer Beratung aufgeboten, wenn nicht Rosmarie flehentlich gebeten hätte, daß man sie mit ihrem Doktor allein lasse, der sie so gut verstehe.

»Sie allein kann den Fürsten ein wenig beruhigen. Wenn sie nun auch aufgeregt würde! Ich brennte durch, Herr Geheimrat ...«

Heute geht nun ein Landregen herunter mit deutscher Gründlichkeit und südlicher Lebhaftigkeit, über dem Meere liegt eine graue Nebelmasse. Nur die triefenden Palmen sehen munter aus und die Pfefferbäume, die ganz fein beperlt sind. Harro steht am Fenster mit dem Gefühl, daß heute etwas geschehen muß. Unmöglich, den ganzen Tag so hinzubringen. Er will in den englischen Store hinunter und sehen, ob nicht ein paar Schnitzmesser und etwas altes Holz zu haben ist. Er sehnt sich nach dem härtesten, zähen, knastigen, splitterigen Eichenholz.

Da klopft es. »Herein!« Es ist der Leibjäger des Fürsten, der ihn überall begleitet, ein alter Braunecker, mit einem intelligenten Ledergesicht. »Durchlaucht läßt anfragen, zu welcher Zeit der Herr Graf zu sprechen sei?«

Harro schießt eine dunkle Röte ins Gesicht.

»Jederzeit,« will er sagen, besinnt sich aber – nein – noch einmal überlegen.

»Wenn es Seiner Durchlaucht um elf Uhr passen würde.«

Also der Fürst will zu ihm kommen. Freilich, in der Villa ist es sehr gehorsam. Rosmarie würde ihn kommen hören und, solange die Unterredung dauert, sich aufs peinlichste absorgen.

Geschwind sammelt er noch seine Argumente zusammen. – Was er sagen könnte und was – noch viel wichtiger – er um Himmels willen nicht sagen darf!

Alles umzäunt und umdrahtet. Überall Verbotstafeln. – Wege, die plötzlich aufhören! – Seelchen, du sollst deine Sache selbst führen!

Der erste Blick auf den Fürsten, wie er nun kommt, genügt, um ihn aufs tiefste zu überzeugen, welch schwierige Aufgabe er vor sich hat. Der Fürst ist gemessen und niedergedrückt. Kaum eine Spur seiner früheren Liebenswürdigkeit. Er sieht aus, als mache er einen Besuch beim Zahnarzt. Notwendig, aber unangenehm. Er setzt sich auch ganz ergeben auf einen der bequemen Korbstühle.

»Sie haben wenigstens Stühle, auf die man sitzen kann. In der Riposa sucht man vergeblich nach einem, der auf vier gleichen Beinen stünde.«

Harro erklärt, daß ihm die Behaglichkeit seiner Stühle noch nicht aufgegangen sei, dagegen wolle er die Tapete und das Plafondornament blindlings nachzeichnen.

Da lächelt der Fürst plötzlich: »Ein greulich unbequemes Nest, dies Bordighera, und das Haus in einem wahren Irr- und Zaubergarten.«

Aber seine Stimmung ist eine merklich bessere geworden. Also der Thorsteiner hat sich auch abgequält, das gibt doch eine gewisse Gemeinsamkeit. Und auf Harros höfliche Frage:

»Meiner Tochter geht es noch nicht viel besser. Ich werde nach München um einen Spezialisten telegraphieren, wenn bis morgen keine Besserung eintritt.«

Harro klopft das Herz bis in die Schläfen. Nun muß er etwas sagen. Sie sind doch nicht zusammengekommen, um über Stühle und Doktoren zu sprechen.

»Ihre Durchlaucht hat sehr viel durchgemacht und war recht einsam hier.«

»Sie will sich an niemand anschließen. In Baden gab es Leute genug, meine Schwester hat sich die größte Mühe gegeben, alles umsonst.«

»Unter einem schweren, tief empfundenen Drucke schließt man sich auch nicht leicht an fremde Jugend an.«

Harro springt heftig auf, des Fürsten Gesicht ist wie eine Verbotstafel ... Achtung, Vorsicht, kein Weg!

»Ich möchte Eurer Durchlaucht etwas zeigen, was mir die Prinzessin gegeben hat. Es ist ein Kunstwert und zugleich ein Dokument. Es hat sich ein Herz mit seinem Schicksal auseinander zu setzen versucht.«

Und Harro holt die Rolle herbei und breitet das Bildwerk auf der Mahagoniplatte aus, die er vorher von ihrer bunten Decke befreit hat. Der Fürst sah ihn äußerst erstaunt an. War er denn hergekommen, Stickereien anzusehen?

Aber sofort erkannte er an den leuchtenden Farben und den eigentümlichen Linien, daß er eine Arbeit seiner Tochter vor sich habe.

Harro atmet tief: »Es ist eine große, große Arbeit, und ihre Schönheit spricht für sich selbst. Es sind gewiß Tausende und Tausende von Stichen dazu nötig gewesen.«

»Sie ist sehr geschickt. Ja, es ist schön. Aber etwas Düsteres hat es doch. Sie nennen es ein Kunstwerk, – Sie müssen das ja wissen – ich finde das schwarze Band in der Mitte seltsam hart.«

»Durchlaucht, zuerst die Einfassung.

Die einzelnen Rosenblätter, dunkle samtne, zarte rosige, fröhliche gelbe, warme rote wie junges Blut, sie alle fallen, gleiten, tropfen von den goldenen Herzen und schneien herab auf den Rand. Die eine Rose dort, ein Blättchen scheint sie noch festzuhalten, – aber wenn man genau sieht, so ist sein grünlich weißes Ende auch schon gelöst, mit den andern wird es heruntergleiten. Alle Freude, alle Liebe, alle Fröhlichkeit verweht, vergangen, verglüht, wie welke Rosenblätter, die jetzt noch leuchten und dann am Boden vergehen. Es hängen Tauperlen daran wie Tränen. Wo die leeren Rosenkelche mit ihren noch so goldenen, noch gar nicht entfärbten Herzen sitzen, das Dorngeranke.

Wie die Zweige mit ihren spitzen langen Dornen ineinander gewunden, gebogen, geschlungen sind. Und da ist der kleine, – man sieht ihn zuerst kaum – der blaue, zarte Schmetterling, man nennt ihn Bläuling und in der Schweiz Seelchen, weil er so zart und lieblich ist. – Wie er eingeschlossen ist, dort wo die Zweige sich begegnen und einen dornenbewehrten Ring bilden. Dort noch einmal das Seelchen und dort wieder. – Hier hängt es noch zuletzt. Es ist kaum mehr zu sehen, zerfetzt die feinen Flügel, das schöne wundervolle Blau, das tiefe, freundliche, getrübt.«

Der Fürst folgt ihm mit den Augen.

»Der arme Schmetterling, man wird ihn kaum gewahr in dem Linienreichtum.«

Er braucht nun nicht mehr zu fragen, warum er das ansehen muß, und darf den Mann da vor ihm nicht mehr aufdringlich und taktlos schelten.

»Und das schwarze Band?«

»Ich habe einmal mit der Prinzessin ein Bild angesehen, in einem orbis pictus, den Herr Domänenrat ausgegraben hatte. Es war ein englischer Ritter mit blauweißer Helmzier, der auf seinem Schild einen schwarzen Schrägbalken trug.

Die Prinzessin rief: ›O der Arme! Er hat seine Ehre verloren, und nun will er noch kämpfen, und niemand will seinen Handschuh aufnehmen.‹

Ich weiß nicht, warum ich damals nicht erklärte, was das Zeichen auf einem englischen Wappen – die Bastarde tragen es – bedeutet. Es wäre auch etwas schwierig gewesen. So blieb der Schrägbalken für die Prinzessin das Zeichen verlorener Ehre.

Durchlaucht erinnern sich der Geschichte vom Ehrenwort ...

Da liegt nun der Schrägbalken, es ist nicht ein aufgenähtes Band, wie man meinen könnte, es ist mit unzähligen feinen Stichen hineingenäht.

Jeder Stich hat wohl weh getan.

Und darauf liegt der Rosenkranz.

Weiße Rosen fest aneinander gedrückt, nun ohne Blätter und Dornen zum Kranz gebunden, so wie man ihn als letzten Liebesgruß jemand mitgibt. Der Kranz ist nicht geschlossen, gottlob nicht, eine Handbreit fehlt noch, es hängt noch die Nadel mit ihrem Seidenfaden daran. Das arme Herz hat sich seinen eigenen Totenkranz gewunden.

Sie kann nicht leben ohne den goldenen Schmuck ihrer Ehre – und den hat ihr das Dorngeschlinge, das unbegreiflich verworrene, geraubt. Darüber müssen die Freuden welken, darüber müssen die Blätter von den noch so goldenen Kronen herabfallen.«

Draußen strömt der Regen und schlägt ein hohler, klagender Wind. Der Fürst hat seine Hand aufgestützt und sieht zu den herrlichen Farben auf dem blassen Opalgrunde herab. Die Stimme über ihm, wie sie leise auf ihn eindrang, sie gehört jetzt keinem Fremden, dem er widerwillig ein paar Worte gestattet. – Die Jahre sind zurückgerollt, und der Thorsteiner, der das wunderlich feine Seelchen kennt wie kein anderer, ist ihm wieder einmal beigesprungen in höchster Not. Wie damals, als er ihm das Kind aus dem vereisten Winterwald zurückgebracht hat.–

»Harro, ihr erstes Wort, als ich sie wiedersah, war: Vergib mir. Ich sehe alles, den tiefen Schmerz um das, was sie ihre Ehre nennt, ohne die sie nicht leben will ...«

»Ist ein solches Herz, das so tief empfindet und seine Ehre höher einschätzt als das eigene Leben, überhaupt fähig einer gemeinen grausamen Handlung?« »Unüberlegt – unüberlegt.«

»Das Dorngeschlinge, in dem das arme Seelchen sich gefangen hat. – Wie die Linien, eine jede ist durchgeführt, sich ineinander verweben.« –

»Aber die Bitte um Vergebung?«

»Ist der Totenkranz nicht ein großes Unrecht an Ihnen, Durchlaucht! Sie erhofft nichts mehr von Ihrer Einsicht. Ist das nicht doch mangelndes Vertrauen in die Größe Ihres Herzens? Darf sie denn die Hoffnung aufgeben, daß Ihre Hand einmal das Geschlinge zerreißen werde, wenn es noch so sehr mit Dornen bewehrt ist? Und darüber macht sie sich jetzt Vorwürfe. Sie hat ihren Vater gerufen, ehe der Kranz sich geschlossen hat.«

»Gott, mein Kind, mein Kind! – Ich hätte ihr eine solche Tat zugetraut! Eine Tat phantastischer Herzenskälte. Sie hat es freilich bestritten, doch in so gewundenen Worten, – aber Schmerz über das Unglück, das mich und ihre Mutter betroffen, hat sie nie gezeigt.«

Harro schwieg, über das, was er ahnte, stand ihm nicht zu, ein Wort zu sagen.

Der Fürst seufzte tief. Endlich sagte er: »Und nun, Graf Thorstein, kommen Sie mit mir. Rosmarie wird Ihnen danken wollen. Ich habe es so eingerichtet, daß sie von dem Gespräch hier nichts erfährt, nun wird sie sich doch wundern, wo ich so lange bleibe. Ich lebe ja sonst förmlich in der Riposa.«

»Durchlaucht, darf ich bitten, der Prinzessin meine Grüße zu bringen. Durchlaucht sehen, daß meine Sachen schon gepackt sind. Ich darf meinen Portemanteau nur zuschnallen.«

»Unmöglich! Ich sollte ohne Sie kommen?«

»Ich habe schon, ohne jede Erlaubnis freilich, eines Abends die Prinzessin gesehen. Es stand so schlecht, daß ich es mir nicht denken konnte, daß Sie es mir nicht gestattet hätten. Ich konnte die Prinzessin doch nicht mutterseelenallein unter fremden Menschen lassen, wenn es so stand.« »Nein, Harro. Ich danke Ihnen dafür. Nun bitte ich Sie ja, daß Sie mit mir gehen.«

Aber Harro bleibt unverrückt da stehen, seine beiden Hände an die Rücklehne seines Stuhles geklammert.

»Ich habe damals Abschied genommen. Euer Durchlaucht. Der Riß geht jetzt leichter. Und was hat mir die Prinzeß zu danken – nichts! Ihre Sache hat sie aufs beste selbst geführt.«

»Ein Riß! Ich bitte Sie, wie können Sie von einem Riß reden! Als ob Rosmarie noch einen Riß ertragen könnte! Womit könnte ich Sie denn verletzt haben?«

»Mit nichts. Ich bin stets Eurer Durchlaucht zum herzlichsten Dank für viel Güte und Verständnis verpflichtet. Ja und eben darum. Ich möchte nicht, daß Sie an einem schönen Tage denken, daß ich zu lang geblieben wäre.«

»Aber ich kann nicht ohne Sie kommen, verstehen Sie doch! Ich bin doch bei meiner Tochter etwas schuldig geworden. Sie hat immer noch die alte Kinderfreundschaft für Sie ... Mit nichts kann ich sie so sehr erfreuen.«

Fast naiv ist der Fürst in seinem Drängen. Aber Harro beißt die Zähne zusammen. Geht er jetzt mit, so ist er verloren, an die Braunecker verloren, kann ihnen den Narren machen, den gehorsamen Narren mit der Schellenkappe. Den man herrufen und fortschicken kann. Wir haben dich genug, – wir wollen einen fröhlichen Narren, der mit unsern Kindern spielt und sie erfreut, und du bist ein trauriger Narr geworden.

»Durchlaucht werden gestatten, daß ich mich jetzt verabschiede.«

»Ich begreife Sie einfach nicht.«

So sollst du es deutlicher haben, denkt der Thorsteiner.

»Die Prinzessin ist jetzt kein Kind mehr, und ich kein Spielgefährte für Kinder mehr.«

»Aber ihr Freund sind Sie doch geblieben.«

»Die Prinzessin hat die Güte, mich immer noch so zu nennen –« »Harro, können Sie wirklich in diesem Augenblick etwas erzwingen wollen!«

»Ich will nichts erzwingen, ich will nur jetzt schon etwas tun, was man in Wochen oder Tagen von mir verlangen wird. Und vielleicht nicht mit so viel Güte und Wärme wie jetzt. Und ich traue mir nicht zu, daß ich den Moment errate, wo ich anfange, Eurer Durchlaucht überlästig zu werden.

Ich denke dabei durchaus nicht nur an mich, wie es den Anschein haben könnte, ich denke an die Prinzessin. Sie ist sich in all den Jahren immer gleich geblieben, sie wird sich auch in diesen nächsten Wochen nicht verändern. Sie ist sich selbst so treu.

Und Durchlaucht einen Moment noch –

Wie denken Sie sich den Mann, der neben so viel Freundschaft, Zartgefühl, Verständnis für sein Allerinnerstes stehen kann und ruhig und kalt sich alle Blumen auf seinen einsamen und dornigen Weg streuen läßt? Der die schönste Seele ihre schöne Hülle langsam sich wieder aufbauen sieht, den blauen Schmetterling, den befreiten, wieder im Sonnenschein seine Flügel breiten –, und der das alles in der richtigen Distanz, wie sie nun einmal zwischen ihm und der jungen Königin besteht, – genießen könnte –!

Wie möchte der beschaffen sein? Haben Durchlaucht schon so einen gekannt?«

»Harro, wollen Sie wirklich in diesem Augenblick, wo ich Ihnen so gut wie ausgeliefert bin, – ich mag nicht und ich will nicht ohne Sie zu meiner Tochter zurückkommen, – ich wiederhole es, sie erträgt keinen Schmerz mehr, wollen Sie mich zu einem Versprechen zwingen!«

»Durchlaucht, nein. Ich weiß, daß ich der größte Narr zwischen hier und Paris bin, – aber ich komme Euer Durchlaucht sofort nach –«

Der Fürst eilt hinunter, plötzlich ist die Sonne hervorgebrochen, tiefblaue Wollen wallen von dem herrlich wogenden Meer hinweg. Wie das funkelt und blitzt von Wellenkämmen zu Wellenkämmen, die Palmen schaukeln ihre Perlengehänge in einem frischen Winde. Eine nasse, weiße Rose bricht der Fürst von einem der Büsche, als er durch den Garten eilt ... Meine Rose, meine weiße Rose.

Leise tritt er herein in das halb dämmerige Gemach, durch dessen Vorhänge die Sonne Pfeile schießt, einer trifft das goldene Haar, das aufglänzt um das weiße Gesicht, wie Goldgrund auf alten Bildern.

Rosmarie fragt nichts. Sie sieht mit einem Blick, was geschehen. Als ob sie nicht gewußt hätte, warum ihr Vater, der sie sonst kaum eine Viertelstunde verließ, so lange blieb. Und nun sagt es ihr ein Blick. Harro hat einen schlimmen Drachen erlegt, der sie in seinem Griff hielt.

»Lieber Vater.« Ihre dünnen Arme legen sich um seinen Hals. »Ach, vergib, vergib. Ich hatte nicht genug Geduld, ich habe gesündigt an der Liebe. O sag, daß du mir vergibst.«

Der Fürst hält ihren Kopf an seiner Brust und küßt ihre Haare, ihre weiße Stirne.

»Meine Rose, meine weiße Rose. Es ist alles vergeben, nur sollst du gesund und froh werden. Willst du deinen Freund sehen?«

Aber Rosmarie will selbst das nicht mehr. Sie fühlt die lange Qual, die jetzt von ihr weicht, noch einmal: wie dem Reiter übern Bodensee, so ist's ihr. Nein, sie muß still liegen und kann nur die weiße Rose, die ihr der Vater gebracht, an ihre schmale, tränennasse Wange drücken und still sein, ganz still.

»Sie hat sich überfreut,« sagt Harro, als er es hört.

Es ist sonnig heute, und Rosmarie kann auf die Veranda gebracht werden und dort in der Sonne liegen, warm eingebettet. Harro hat sehr kunstvoll einen roten Seidenschal so aufgehängt, daß nur Rosmaries Gesicht beschattet ist und sonst die herrliche Sonne auf sie wirken kann. Sie hat ein weißes wollenes Kleid an, und auf ihr weißes Gesicht fällt ein rosiger Schein von dem sonndurchglühten Tuch. Harro hat im ganzen Hause segensreich gewirkt, den Fürsten in Miß Grangers Zimmer einquartiert, ihm neben der Veranda ein kleines Lesezimmer eingerichtet. Er hat Rosmarie nur auf kurze Augenblicke gesehen, und der Fürst hat sich nicht genug wundern können, wie einfach und ruhig es dabei herging, ganz wie bei alten Freunden, die sich gar nie getrennt haben.

Heute soll nun Harro bei Rosmarie sitzen, und der Fürst will in der kleinen Stube nebenan seine Post erledigen, die immer mehr anschwillt. Aber selbst die wichtigsten Dinge fesseln nicht sein bedrängtes Gemüt. Rosmarie sollte jetzt eine Mutter haben. Eine Mutter, die fühlt und ahnt, wie es um ihr Kind und diesen langen Menschen, diesen sicheren Mann steht, dessen Schatten immer mehr auf ihn zu fallen beginnt. Rosmarie hat ihren Freund vor seinen Augen begrüßt, wie wenn er keine acht Tage von ihr getrennt gewesen wäre. Wie das Seelchen redet sie mit ihm. Sie reden Kunst, sehr viel Kunst. Harro nennt es zwar ›Terpentin reden‹, scheint aber doch darin zu schwelgen. Rosmarie ist unheimlich über alle möglichen Kunstfragen unterrichtet, der Fürst hat nicht leicht so wenig jungmädchenhafte Gespräche gehört. Sind das alles wirklich vor ihm drapierte Blender und reden sie eine andere Sprache, wenn sie allein sind? Eine Mutter würde ja fühlen, würde aus all diesen Luftperspektiven, Stimmungs-, Kirschharzgesprächen sofort den richtigen Ton heraushören. Ist Rosmarie wirklich noch ein Kind und liebt sie den großen Mann eben aus alter Gewohnheit weiter, so wie sie ihn liebt? Der Fürst seufzt und kann dem Memorandum des Domänendirektors keinen Sinn abringen. Und noch andere nicht ganz gelöste Fragen bestürmen sein Herz.

Und er geht mit zögernden Schritten nach der Glastüre, die ihn von dem Vorzimmer trennt, das auf die Veranda führt. Und dann macht er doch geräuschvoll auf. Sie werden es gehört haben, die beiden da draußen, aber wenn er doch ein Wort erhaschen sollte. Die beiden haben es wohl gehört, aber das Zimmer ist erst eingerichtet worden, die fremde Tür sagt ihnen nichts. Sie denken gar nicht daran. Der Fürst ist bei seiner Post ...

Harro sitzt auf einem der grünen Stühle, die in allen Gelenken krachen und deren man sich, wie er sagt, nur auf Kündigung bedienen kann. Er hat sein Skizzenbuch vor sich und zeichnet einen Lazertenkampf, den sein rasches Auge auf dem grünen Dach des Gewächshauses, das unter der Veranda liegt, erspäht hat, und den Rosmarie nicht hat sehen können.

Der Fürst hört das leise klingende Lachen seiner Tochter über der Skizze, wie sie sich freut an der Stellung der beiden erbosten Miniaturdrachen. Also Kunst und wieder Kunst, denkt der Fürst und ergreift das Memorandum mit bedrücktem Gemüt.

Da plötzlich klingt der seltsam eindringliche Ton von Rosmaries Stimme an sein Ohr.

»Ja, bist du morgen noch da, Harro?«

»Oh, morgen noch gewiß. Ja, morgen noch.«

»Ich möchte es zuvor wissen, du darfst nicht nur verschwinden, denn ich sehe dich nun viele Jahre nicht mehr. Wenn ich bei den Eltern leben und der Mama in allem zu Willen sein soll ... Und eins mußt du mir versprechen: Du mußt mir immer zu Weihnachten etwas schenken. An Weihnachten sah ich dich zuerst. Du weißt, ein abgerissenes Blatt aus deinem Skizzenbuch, das beglückt mich schon sehr. An Weihnachten muß man sich auf etwas freuen können.«

»Ja, an Weihnachten,« sagt Harro, und seine Stimme klingt seltsam umschleiert. »Ja, da kamst du zu mir.«

»Und vorher. Als du die Prinzessin schnitztest, in dem Zimmer, wo das goldene Geschlinge an der Decke war.«

»Das weißt du, o das weißt du auch!«

Serenissimus hat seine Zeitung fallen lassen, ihn haben sie wohl vergessen, – oder soll er es hören?

»Ich war oft dort und sah dir zu, warum hobest du deine Augen nicht?«

»Ich bin blöde und dickfellig und du bist ... aber wie ist's möglich? Bist du denn nicht in das Gehäuse von Fleisch und Bein eingeschlossen wie ich und die andern? Wer hat dich das gelehrt?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht meine große Sehnsucht, die Einsamkeit. Und du wirst es nur nie versucht haben.«

»Wie ist es denn möglich ...«

»Es ist ganz einfach. Sieh, wenn ich liege, strecke ich mich aus, so lang ich kann, ich schiebe meine Hände unter mein Haar, so – siehst du, und nun fange ich an, mit meinem Geist zurückzugehen in mein Kinderland. Da bist du doch auch dabei. Ich darf an nichts anderes denken, ich muß stark wollen, ich darf nur wenig gegessen haben, ich muß ganz still sein. –

Und nun nehme ich einen Tag, eine Stunde, wie ich sie im Gedächtnis trage, auf die stelle ich mich ein. Dann liegt mir ein Druck auf der Brust, der wird stärker und stärker, dann ein Rauschen, als flöge ich durch Luftmeere. – Harro, hast du mich gesehen, vor einem Jahre?«

»Du hobest die Schale. Ich habe mir einzubilden gesucht, ich sei eingeschlafen und habe geträumt.«

»Da gelang es mir zum erstenmal. Und ich war bei dir in der Ruine ... aber es bedrängte mich so stark, daß ich ohnmächtig wurde. Und dann suchte ich dich, als ich hier in der Einsamkeit und in der Schmach war, und fand dich nicht. Nie fand ich dich, nicht in der Ruine, nicht in den Wäldern, wo wir so oft zusammen waren. Da war ich sehr traurig. Und endlich fand ich dich doch in der Stube, wo das goldene Geschlinge an der Decke war.«

»Ja, es hatte einer mit mehr oder weniger Glück Leonardo da Vincis goldenes Schnurornament nachzuahmen versucht.«

»Es war ein weiter Weg gewesen, schrecklich die vielen dunkeln Ströme, über die man so schwer hinüber kommt. Immer sind sie schwarz und groß und in wildem totenstillem Ziehen, und an ihren Ufern erschauert die Seele, die so zart ist. Aber man muß doch. Und dann fand ich dich. Aber es war wie bei der Königstochter vom gläsernen Berg, du schliefest.« »Und ich war so roh und schlief weiter. Nein, ich weiß, ich träumte von dir ...«

»Und einmal sah ich dich, wie du an den Gänsen schnitztest ... und wie ich wiederkam in die Stube, da war sie leer ... und ich mußte wieder suchen gehen ... Aber ich fand dich nicht.

Und dann konnte ich auch nicht mehr dich suchen gehen, denn ich war krank und litt, und der Leib hielt seine Seele in eisernen Klammern fest.

Aber am Weihnachtsabend, da ließen plötzlich die Leiden von mir, ich lag unter der Braunecker Tanne und war allein und es war auch früher als sonst. Da dachte ich, nun suche ich dich zum letztenmal. Denn ich ahnte, nun kommt die Freiheit, die goldene, und wenn ich bei den andern bin, die mit leichten Füßen gehen, dann wirst du mich nicht mehr sehen und nicht fühlen.«

»Wie hast du's gemacht, daß du endlich meine blöde eingeschlossene Seele berührt hast,« flüstert er.

»Ich fand dich – Harro; vielleicht, weil es Weihnacht war, dachtest du an mich und bist mir ein weniges entgegengekommen. Und meine Augen trafen die deinen ... wie damals über den Rand der Schale hinweg.«

»Ich war wie ein Narr. Ich suchte den Hof mit dem Efeubrunnen ab, der doch keinen Ausgang hatte. Ich lief auf die Straße. Ich kam wieder in mein Atelier zurück und rannte hin und her, bis mein Fuß an meinen Koffer stieß. Da kam ich zur Besinnung. Ich warf meine Sachen in den Koffer hinein. Ich wußte ja, wo du seiest, du bist ja unseren Zeitungen so wichtig. Ich bekam einen Zug, einen Bummelzug schlimmster Sorte, mit dem es ein Elend war zu fahren. Ich weiß selbst nicht, wie mir zumute war, als mich der Zug hier aussetzte. Was wollte ich denn hier? Aber wissen, wo du wohntest, das wollte ich wenigstens. Und da trafen mich die Herren. – O Seelchen, was hast du getan? Das hat dich ein Stück Leben gekostet. Und du findest dich noch nicht recht zurück.«

»Ein wenig Freiheitsluft habe ich gekostet – und nun ist's schwer, und was vor mir liegt, auch.« »Rosmarie, warum? Tut dir dein Vater nicht alles zuliebe? – Der hat ja so an dir gehangen. Sieh doch die schöne Sonne, und wie das warme Rot auf deinen Händen glüht. Und in ein paar Wochen kommt der Frühling übers Meer, dann kannst du ihn sehen, wie er bei sich zu Hause ist.«

»So viel Schönes. Aber ich muß mich erst wieder freuen lernen. So viel Schönheit allein sehen, das bedrängt auch. Und ich überfreue mich gleich, weil ich nichts mehr gewöhnt bin. Und ob ich wieder gesund werde? Es ist mir nicht so zumute. Das wäre ja das schlimmste nicht. Ich müßte dann nicht auf die schrecklichen Bälle und Gesellschaften, vor denen ich mich schon jahrelang fürchte, und bliebe immer in Brauneck. Harro, nicht die mindeste Taille ist an mir zu finden, wo die Schneiderin auch mißt, und meine Entenfüße –!«

Plötzlich lacht Harro sein gutes schallendes Lachen, und ganz fein stimmt ihr klingendes Feenglöckchen mit ein.

»Mama sagt zwar, an Tänzern würde es mir nie fehlen; weil ich eine Prinzessin bin, dürfte ich die Herren befehlen, daß sie mit mir tanzen. Und dann müßte ich doch von jedem denken, wie er sich nun ärgert. Du lachst, Harro, aber wenn du es nicht aus Mitleid tätest und alter Freundschaft, wolltest du denn mit einer Dame tanzen, die keine rechte Mitte hat und auf Entenfüßen geht?«

»Du konntest recht gut tanzen auf deinen Entenfüßen, weißt du nicht mehr, das Finkentänzchen und den Lilientanz?«

»Ja, und, Harro, auf Mama muß ich mich auch wieder einrichten.«

»War sie unfreundlich gegen dich ... ich meine vor der schlimmen Geschichte?«

»Du hast sie gemalt, Harro. So wie sie ist, hast du sie gemalt. Weißt du nicht mehr, das kleine grausame aufsteigende Lächeln? Sie spielt eben Katze und Maus mit mir.«

»Ach, das ist schlimm. Sehr schlimm. Davon wußte ich nichts. Sie kümmerte sich ja nicht gerade viel um dich, aber deinen Willen ließ sie dir doch in erstaunlicher Weise.« »Du meinst, meinen Schuhen und Kleidern? Ja, weißt du, sie fand sie selbst so häßlich und lächerlich, und ich habe alles auch immer mehr ins Plumpe getrieben; so war ich am ehesten vor ihr sicher. Und ich bin ja auch häßlich genug geworden, nur meine Haare sind schön, und wie sie die haßt!

Über meinen Haaren ging es auch an in jener Nacht. Ich hätte sie auch nicht herunterlassen dürfen, wenn mir der Kopf auch noch so weh tat: ich wußte ja, wie das sie reizt.

Und das wird nun mein Leben: wenn ich bei meinem Vater bleiben will, muß ich die arme Maus sein. Und übel zerkrallt und zerzaust werd ich da in meinem Winkel sitzen. Und doch muß ich's versuchen, dem Vater zulieb.

Denn leidet er nicht selbst? Hat man je eine Freude oder ein Interesse an den Dingen, die ihn freuen? Ich habe doch von dir einiges gelernt über das schöne Bauen und viele Bücher darüber gelesen und noch mehr sehen gelernt. Und Vater hat von jeher Freude gehabt an seinen alten Schlössern. Aber immer, was ihm gefiel, sollte dann ein Anbau und stillos sein, und da wurde er unsicher, und seine Freude traute sich nicht mehr heraus. Und nun, seit ich mit ihm studiere, – du würdest dich wundern über sein feines Verständnis.

Aber Mama kann nicht von alten Schlössern hören. Alte, häßliche, zugige, geldverschlingende Gespensterburgen sind's. Und alles, was ihn freut, muß ihm vergällt werden. Und so zart ist er mit ihr. Wenn sie einmal zufrieden ist, wie froh ist er. Er bringt auch jedes Opfer und hat immer dabei die stille Hoffnung, es komme mir zugut. Denn er ahnt schon hie und da, wie es mir geht. Aber dann wieder, wenn Mama mit mir zornig ist, so ist's, als gehe das auf ihn über, und das tut mir am allerwehesten. Und er hat ja auch Grund, denn natürlich wäre es ihm lieber, ich wäre wie andere junge Mädchen und hätte Freude an dem, was die freut – an Bällen, und wollte zu Hofe gehen und nicht immer im Winkel sitzen und das häßliche Entlein sein.«

»Was aus dem geworden ist, weißt du?« Rosmarie lachte. »Aus dem nie ein Schwan wird. – Vielleicht wäre doch einer aus ihr geworden, der armen Rosmarie; denn sie ist, – sie hat, – o Harro, nun werd ich rot. Bitte, sieh mich nicht an oder lache wenigstens nicht, Harro ... Sei so lieb!«

»Sie hat, Rosmarie ...?« Aber Harro sieht nicht hinweg, gewiß nicht.

»Nun ...?«

»Es klingt so anmaßend von einem häßlichen Entlein, aber können nicht häßliche Menschen zuweilen auch schön aussehen?«

»Das ist sehr leicht möglich,« versichert Harro ernsthaft.

»So ist's, du weißt immer alles am besten, und darum sage ich es dir. Denke, wie ich erstaunt war, als ich das zum erstenmal merkte. Es war Nacht, und Lisa hatte mir meine Haare gewaschen: das währt immer ein wenig lange, bis sie trocknen, und darüber schickte ich sie zu Bett. So saß ich denn allein da und las und wartete, bis mein Haar trocken genug wäre, daß ich es flechten könne. Ich las ein schönes Buch, das ich liebe: Mörikes Gedichte. Da las ich:

›Augen, was habt ihr, ihr Augen ...
Und du Geist, jetzt noch so wohl behauset da drinnen –‹

Da sah ich plötzlich in die Höhe, denn ich fühlte, daß ich vor meinem Spiegel saß. Und da trafen mich meine Augen, wie die Augen jenes griechischen Mädchens. Und nie lieb ich es, mein Spiegelbild zu sehen, immer bedrängt es mich. Als sähe ein Geist heraus, der ich bin und doch nicht bin. Als öffne sich eine Kluft, in die nicht gut hineinsehen wäre. – Es sind dumme Gedanken.

Und diesmal erschrak ich. Es glitt mir kein dunkler Todespfeil an der Schläfe herunter wie der Sappho. Ich sah, daß ich schön sei. Mein Haar, das so leicht und flaumig war, bauschte sich zu beiden Seiten von meinem Gesicht und floß an den Wangen herunter. Damit es mir nicht ganz über die Augen kam, hatte ich eine alte goldene Spange, die ich mir aus Herrn Domänenrats Schränken geholt hatte, aufgesetzt. Sie ist sehr alt, ganz glatt, und Herr Domänenrat sagte mir, daß in früheren Zeiten die Fräulein um diese Spangen Kränze gewunden hatten. War es nun die Form meines Kopfes, die durch die Spange noch mehr herauskam, oder was es nun war, – ich saß und starrte mein Bild an und verwunderte mich. Und damals fing auch gleich mein Unglück an.

Plötzlich kam Mama herein in ihrer prachtvollen Hoftoilette, Federn und eine Diamantentiara auf dem Kopfe – eben kam sie zurück und fragte, warum ich noch Licht hätte? Und was ich für verrückte Dinge mit goldenen Kronen triebe?

So böse hatte ich sie nie gesehen! Sie war noch schlimmer als dein Bild. Sie riß mir die Spange vom Kopfe herunter und sehr viel Haare mit und warf die Spange auf den Boden und zertrat sie, obgleich ich nicht ein einziges Wort gesagt hatte, als: ich hätte meine Haare gewaschen. Meine arme Spange! In der Mitte war sie zersprungen, aber ein sehr geschickter Mann in Berlin hat sie mir wieder zusammen gemacht, ein Band darauf gehämmert, denn er wollte sie nicht verderben.

Und Mama weiß ganz gut, daß die Diamantentiara mir gehört von meiner Mutter, und ich gönne sie ihr gern, wenn ich nur meine alte Spange habe. Und seither ist es nie mehr auch nur ein wenig gut geworden.«

»Seelchen, das alles darfst du nicht für dich geheim halten.«

»O nein, ich habe es dem Herrn Geheimrat geklagt. Und er sagte mir, wenn er nun meinen Beichtvater abgeben sollte, so müßte er immer alles im Herzen behalten, was ich ihm sagte. Ich fragte nur, was soll ich tun? Ich muß mit Menschen leben, denen meine Qual Freude macht. O Harro, ich habe das rote Feuer mehr als einmal flackern sehen. Und wehren kann ich mich nicht, ich muß es dulden. Ich habe gefühlt, je mehr ich leide, desto mehr wächst die Lust am Quälen.

Aber der Herr Geheimrat – er sieht ein wenig so aus wie der Herr Stiftsprediger, weil sie beide etwas Priesterliches haben – und er sagt mir, daß es nur ein Mittel gäbe zwischen Himmel und Erde, den Haß zu überwinden. Und daß Haß nur mit Liebe überwunden werden könnte.« »Heuchelei, Rosmarie, Heuchelei. Was ist da zu lieben dabei? Wenn die Herren Bibel zitieren, zitiere ich auch: sie legen unerträgliche Lasten auf und rühren sie selbst mit keinem Finger an ... Lieben!«

»Ich habe auch bisher immer nur Haß gehabt. Oh, wie habe ich gehaßt, Harro! Mein ganzes Unglück hier kam doch von meinem Haß. Und der Haß macht so töricht. Ich dachte in jener Gewitternacht, Harro, – als ich am schlimmsten haßte, jenes Kindlein müsse werden wie sie und ihren ganzen Abscheu gegen uns und die alten lieben Dinge mitbringen. Und Vater sagt immer: Wenn nur ein einziges Glied nicht treu ist, so ist die goldene Kette zerrissen, namentlich in unsern Tagen. Alles geht verloren, um was die Alten gekämpft und gelitten haben. Du weißt, Harro, das rote Licht, es muß erlöschen! Und weil ich so schlimme Gedanken gehabt hatte in jener Nacht, konnte ich Tante Helen, die mich ausfragte, nicht in die Augen sehen, und alles, was ich hätte zu meiner Entschuldigung sagen können, blieb mir im Halse stecken. Nein, hassen will ich nie wieder – nie ...«

»Verschwör es nicht. Wer lieben kann, muß auch hassen können. Haß mit Liebe zu erwidern, damit gibt sich niemand ab ...«

Rosmarie unterbrach ihn. »Wenn sonst niemand, so hat es doch Jesus getan. Und du mußt sagen, daß er gesiegt hat. Wenn sie ihn auch haben verschmachten lassen. Und nun knien wir vor ihm, Harro –«

Aber Harro antwortet nicht.

»Und der Herr Geheimrat sagte auch, daß es sehr schwer sei, und darum auch die höchste Ehre dabei, die doch nur bei den ganz schweren Dingen zu holen sei.«

»Nun, du kannst mir ja sein Rezept sagen, da wäre ich doch gespannt, oder ließ er dich mit der allgemeinen Vermahnung sitzen?«

»Nein, aber so schön und gelehrt wie er mir das sagte, kann ich es dir nicht sagen. Ich habe es mir ausgedacht.«

»So höre ich es auch lieber, Rosmarie – also dichte wieder!« »Zuerst muß man den Haß begraben. Er macht doch recht unglücklich, der Haß.«

»Findest du? Er kann auch wärmen, so ein rechter, solider Haß.«

»Mich macht er unglücklich. Hat man ihn aber begraben, er liegt noch ziemlich lebendig in seinem Grabe, jeden Augenblick bereit, wieder aufzustehen ...«

»Du hast bereits einen Fehler gemacht, Rosmarie, in deiner Dichtung, und hast eine Etappe übergangen, – aber ich bescheide mich – weiter –«

»Aber auch solange er da unten liegt – ja die Leere, die es dann gibt. Und dann muß man suchen, wie man auf dem Grab ein Kräutlein Liebe pflanzen kann. Zuerst steht's recht jämmerlich. Am besten ist's, man pflanzt ein kleines Mitleid. Das geht am leichtesten auf in dem Boden, unter dem der Haß liegt. Ist der nicht sehr unglücklich, der andere nicht sehen kann, ohne daß es ihn verlangt, sie zu quälen?«

»O warum? Es gibt solche, die sich vergnüglich am Höllenfeuer wärmen.«

»Vielleicht doch nicht so viele. Und dann. Kommt denn nicht jeder Stein, den man nach einem andern wirft, zurück auf den, der ihn wirft?«

»Kommt er wirklich zurück, Rosmarie? Es ist mir doch zweifelhaft. Es gedeihen manche in ihrem Bosheitselement ganz gut.«

»Ach, nie für immer, Harro. Du kannst sicher sein, auch in kleinen Dingen kommen die Steine zurück. Sieh, Mama ärgert sich, weil ich eines Abends in meinem Morgenkleid und meinen offenen Haaren nicht häßlich bin, sie muß mir meine arme Spange herunterreißen. In dem Augenblick wird sie so häßlich, eine Furie, die doch so schön war in all ihrem Schmuck. – Und in jener Nacht! Ach Gott, wie sind die Pfeile zurückgekommen. Eine Wolke von Pfeilen. Ihr Kind hat sie verloren, es hätte vielleicht ihr Herz auch weicher gemacht. Und so wächst das Kräutlein Mitleid, man muß es freilich mit Tränen begießen. Und allein ist man auch nicht. Es kommt einmal ein goldener Regen auf das Grab.«

»Seelchen, ich lasse dich nicht mit Gewalt zu einer Heiligen machen, ich will mit deinem Vater sprechen, – ich ...«

»Aber, Harro, sei doch nicht so ungestüm! Wer tut mir denn jetzt etwas zuleide! Und willst du ihm nicht sein bißchen Seelenfrieden hier gönnen die kurze Zeit?«

In seinem sonnigen Winkel sitzt der Fürst regungslos, die beiden Seelen da draußen müssen ihn vergessen oder gar nicht gewußt haben, daß er da war. Seine Zeitung ist ihm entglitten.

Ach, sein armer Seelenfriede.


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