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Ein ganz blauer Himmel, die Tauben sonnen sich auf der Mauer, zwischen Steinquadern gucken die ersten gelben Hungerblümchen. Märt hat den Hof gekehrt, als ob Inspektion wäre. Ein Strauß Schneeglöckchen, kleine verschüchterte Kammermägdlein des Frühlings, stehen auf dem Fensterbrett im Salon. Blitzblank ist der Teekessel, alle Tapetenrollen verschwunden – die Ruine bekommt Damenbesuch. Der Wagen rollt heran, und Harro hebt seine kleine Dame heraus. Ihre Augen strahlen, sieht sie doch zum erstenmal die Ruine, wo ihre Gedanken nun täglich wohnen. »O Harro, dein Brunnen! Einen wundervollen grünen Samtmantel hat er an. O Harro, sag ihm, er soll singen!«
Harro zieht eine Mundharmonika heraus, auf der er in äußerst kunstloser Weise bläst: »Wer hat dich, du schöner Wald.« Und der Brunnen macht ein feines Tongemälde daraus, einige Töne läßt er aus, an anderen klingelt er herum wie Elfenfinger an einem silbernen Saitenspiel!
»Oh, der wunderbare Brunnen! Und dort wohnt der Kaliban.«
Frau von Hardenstein sitzt auf einem Stuhl, den ihr Harro herausgetragen hat. Sie sieht mit andern Augen als das Seelchen die Ruine an. Die hohen Mauern, der finstere Bergfried, Harros aus einem Schuttberg hervorglänzende Fenster.
Endlich sind die Genüsse im Hofe erschöpft, und es geht ins Zimmer. Das Seelchen wird aus ihrem Mantel geschält und taucht ihr Näschen in das Schneeglockensträußchen.
»Es riecht so herrlich bei dir, Harro.«
»So, ich denke nach Terpentin und Lappen.«
»Nein, nach diesem.«
In hohen Krügen stehen frische Tannenzweige, manche mit den schweren Zapfen daran.
»Ah, die Dekoration! Die hole ich mir jede Woche. Etwas muß man doch von seinem Wald haben. Frau von Hardenstein. Ihnen gehört der Amerikaner, für dich, Seelchen, hat der Märt ein Stühlchen gemacht, ausgemessen für deine Größe, und rot angestrichen ist es auch!«
Seelchen muß es ausprobieren und wieder herunterhüpfen und ihre Entdeckungsreise machen. Ist es möglich, daß einige Wochen das Kind so verändert haben. Und wie wird es erst werden, wenn der Frühling kommt! Harro ist heute in strahlender Laune. Das Seelchen steckt ihm ein Schneeglöckchen an seine ganz neu aussehende Joppe, und dann machen sie Pläne, der feine Duft der Schneeglöckchen muß sie hergerufen haben. Wie das Seelchen auf dem Lindenstamm wohnen wird, wenn die Linde grün ist. Und an der Bastei, da wird sie eine Überraschung erleben. Es ist zwischen den Steinplatten eine Schnur mit einer Öse. Die Öse hält ein Pflock zwischen dem Efeu. Nun, das Seelchen kann es morgen probieren, es hilft ja nicht immer, man zieht zuweilen vergeblich daran, es gibt aber auch wunderbare Fischzüge. Vom ersten April an muß das Seelchen täglich nachsehen, und wenn es am wenigsten daran denkt, wird an der Schnur ein blühender Schlehenzweig hängen, dann wird das Frühlingsfest gefeiert. Auch wenn's schneit. Und wie das gefeiert wird?
Man steckt den Zweig ins Wasser und macht die Augen zu, dann kommt der Duft über einen, zuerst ganz fein und leise, und dann ist man auf einmal auf einer blühenden Halde, wo alles weiß ist über grauem Stein. Das zweite Frühlingsfest wird aber draußen gefeiert. Das Zeichen ist ein frisch grüner Buchenzweig mit einem Schlüsselblumensträußchen. Da geht man den Reitweg zur Römerwiese. Da öffnet sich ein Waldweg, grün vergrast ist er. Tannen strecken ihre langen Arme darüber, und dazwischen stehen in ihren Festkleidern lichtgrüne Buchen. Der Sonnenschein liegt auf dem Weg in großen goldenen Flecken, und ein Schmetterling, ein Schwalbenschwanz fliegt langsam den Weg herunter, wie eine selige Seele auf dem Himmelsweg. Und ein Maiblumenfest gibt's, wo man in die lichten Eichen geht und dicke Sträuße nach Haus bringt. Und ein Sommerfest. Da ist das Feld golden, und man muß einen Weg gehen, wo die Ähren einem über dem Kopf zusammenschlagen. Ehe man den Weg nicht gefunden hat, der jedes Jahr wo anders ist, kann das Sommerfest nicht sein. Roter Mohn und blaue Kornblumen und steife purpurne Raden, die sich nicht mit den andern Blumen vertragen und immer einen Strauß für sich wollen, blühen darin. Das Seelchen trägt einen Kornblumenkranz. Man geht zu dem heimlichen Ort, wo man nichts sieht als Ährengold und den schwer graublauen Himmel darüber. An dem uralten Stein, worauf die Braunecker Hirschstangen eingegraben sind, da liegt im Gras ein zinnerner Krug, glänzt wie mattes Silber, und darin ist Most, und in einem Körbchen sind Stachelbeeren, von den kleinen süßen, und Bauernbrot und in frischgrüne Kohlblätter eingeschlagen kühle, frische Butter. Das ist das Festmahl. Einen silbernen Becher bringst du mit, Seelchen. Wenn der Weg und das Goldhäuschen gefunden ist, hängt zum Zeichen das Kornblumenkränzchen an der Schnur.
Jetzt kommt ein feierlicher Tag! Es wird nicht verraten, was an der Schnur hängt – die läßt sich an diesem Tag nicht lumpen! Der Lilientag – mehr wird nicht gesagt.
Dann gibt's ein Herbstfest. Es könnte sein, daß Kartoffeln gebraten werden im Feuer, das eine so wundervolle Rauchfahne wehen laßt, an der man sich gar nicht satt sehen kann, und daß das Seelchen sich schwarze Finger und ein schwarzes Näschen holt.
Dann kommt die Abschiedsfeier. Dazu braucht man hohe Stiefelchen, einen Wettermantel, ein grünes Samtkäppchen. Das Zeichen ist ein Leinwandsäckchen mit Haselnüssen. Dann geht man hinaus in den weißen Nebel. Man sieht immer nur ein kleines Stückchen von der Welt. Jetzt nur das Stoppelfeld, auf dem die Mäuschen mit nassen Fellchen huschen; jetzt nur den Hohlweg, wo die Brombeerranken mit den allerletzten schwarzglänzenden Beeren hängen. Immer ist die Welt so heimlich, als schlösse der weiße Schleier einen ab von allem. Es kommt eine Wiese, smaragdgrün glänzt sie durch den weißen Schleier. Auf der Wiese stehen viele blasse Herbstkinderchen nackt und bloß, amethystenblau mit goldenen Herzen, in Trüppchen beisammen. Nun zerreißt der Schleier ein weniges, – eine Waldmauer, – zwei hohe dunkle Tannen als Wächter davor. Immer herrlicher wird das Fest. Durch den Nebel schimmert ein Gold, der Buchenwald, zwischen den Stämmen die Nebel wie mattgoldene Schleiertücher, – alle Bäume sind wie verzaubert, einer hat sich gelb gemacht, dunkelgrün war er vorher, der rot, und jetzt zerreißen alle Schleier, ein Sonnenblitz fährt auf den Weg und bewirft ihn mit Perlen und Diamanten. Die Birke ist reines Gold geworden, der Ahorn wie Blut so rot. Und zwischen den schwarzen Tannenzweigen leuchtet das Himmelsblau. Der Weg ist mit goldenen Blättern bestreut, auf denen man leise geht, daß das Reh einen hat gar nicht kommen hören und nun erstaunt gucken muß. Immer weiter geht man durch flammenden Purpur und Gold, und smaragdgrüne Wiesen leuchten durch Tannenzweige, bis man an eine graue, hohe Mauer kommt. Über die Mauer nickt eine Linde mit gelber Krone im Sonnenschein. Jetzt ist der Himmel ganz blau und glänzend wie weiche Seide.
Es geht durch ein Tor, ein altes Försterhaus mit Hirschgeweihen, eine Steintreppe windet sich zwischen dunkeln Efeuwänden hinauf zum Schloßhof. Nun ist man in Schloß Schweigen. Das gehört dem Seelchen. Es darf in jedes Zimmer hineingehen, darf aus den goldenen Täßchen trinken, die mit Silber eingelegten Schränke aufmachen, vielleicht sogar in dem Himmelbett schlafen mit der wackeligen Fürstenkrone und den wunderbaren seidenen Vorhängen, die mit allen Blumen bestickt sind, die es gibt und nicht gibt. Wenn es sich nicht fürchtet natürlich, denn ein bißchen grauslich ist so ein altes Himmelbett immer. Es ist ein uraltes Spiegelein da, in grünlichem Bronzerahmen, darin kann es sein Näschen betrachten, es ist gut gegen die Eitelkeit. Ein Erker ist da, worin das Seelchen auf einem hohen steifen Stuhl sitzen kann. Der Erker geht auf goldpurpurne Waldberge hinaus und hat ein Fenster nach der Abend- und eins nach der Morgensonne, umarmt von Efeugeranke. Eine Ranke ist sogar ins Zimmer hereingewachsen. Dies ist das schöne Abschiedsfest!
»Ach Harro, du sprichst ja gar nicht von der Welt, du sprichst immer vom Himmel.«
»Närrchen, was weiß ich vom Himmel! Das Schöne ist alles da, man muß es nur zu finden wissen!«
Das Seelchen, das wie verzaubert auf seinem roten Stühlchen saß, die Milchtasse in den Händen, erwacht wieder zum Leben und schüttelt betrübt ihre goldene Mähne.
»Wenn das Korn golden ist, muß man lernen, und den Most aus dem Silberkrug darf man nicht trinken, weil es gemein ist. Das tun nur die Bauern. Unterwegs essen darf man nur bei einem Picknick, und da verzanken sich die Leute, weil die Mücken stechen und der Koch die Sauce einzupacken vergessen hat.« »Ja Seelchen, meinst du denn, man könne mit allen Leuten Feste feiern? Weit gefehlt. Wenn man mit den falschen Leuten in den Wald geht, kommen immer Mücken und bricht der teure neue Sonnenschirm ab und ist der Weg schrecklich weit, viel weiter als man gedacht, und hinter den Himbeerbüschen verliert man das schönste Armband, daß es ist, als habe die Erde es geschluckt. Und es kommt sogar ein Gewitter, an dem man schuldig ist: man hätte es längst sehen müssen.«
Dies ist aus Harros Schatz der Erfahrungen.
»Aber wer sind die rechten Leute?«
»Wir drei. Komm, darauf stoßen wir an mit unseren Teetassen.«
Aber das Kind ist noch nicht zufrieden.
»O Harro, ist nur eins davon wahr, von all dem? Der Schlehenzweig ist wahr.«
»Aber Seelchen, haben wir nicht mit vieler Mühe die Schnur festgemacht? Haben wir das umsonst getan?«
»Und der Lilientag? Wird das so?«
»Immer kommt noch etwas Neues hinzu. Das ist gerade das Feine. Man muß sich überraschen lassen.«
»Oh, das tu ich gern!«
»Das wird sich weisen, ob du die nötigen Springfedern für die Überraschungen hast. Aber du wirst sehen, nicht einmal der Zinntrug mit Most wird sich als Fata Morgana erweisen. Wie der gemein sein sollte! Im Walde sich über einen Koch und eine fehlende Sauce verzanken, das ist gemein! Selbstverständlich müssen da Mücken kommen, in Scharen, in Wolken jagen die Waldgeister sie auf, daß sie ihren Wald bald wieder von der Gesellschaft gesäubert haben.«
Hellauf lacht das Seelchen: »Ich habe einen silbernen Becher, den nehme ich mit.«
»Nur eins! Überfreuen darfst du dich nicht. Das mußt du dir abgewöhnen!«
Das Kind verspricht das beste, und Frau von Hardenstein sagt: »Ich bin gespannt, was wir alles tun werden, aber nun, Harro, zeigen Sie uns endlich die große Hauptsache. Wir wollen Ihr Bild sehen!«
Harro errötet. »Niemand hat es noch gesehen. Dies ist ein Moment! Und tadeln dürfen Sie zuerst nichts, ich flehe Sie an, ich bin noch wie ein schalenloses Ei. Ich schicke das Bild erst fort, wenn ich abgehärtet bin. Ich kann jede Quantität Lob vertragen. Sie brauchen vor nichts zurückzuschrecken. Ich weiß nicht, ob die Damen es bemerkt haben, daß auf mir eine gewisse Feierlichkeit liegt? Die Dekoration« – er zeigte auf die Tannenzweige – »das Blumenarrangement« – er wies auf die Schneeglöckchen – »für Eingeweihte selbst meine Montur. Ich bitte zu beachten, neue grüne Aufschläge auf der Joppe deuten auf etwas Besonderes hin. Es ist nämlich auch heute ein Fest. Daß es ein Fest ist, wenn die liebe Frau Mutter zum erstenmal meine väterlichen Hallen betritt, ist selbstverständlich. Und daß dies freudige Ereignis mit etwas Besonderem begangen werden muß, ist klar. Darum ist heute Enthüllungsfest. Du, Seelchen, darfst an der Schnur dort ziehen, aber ums Himmelswillen nicht schief.«
Er erhob sich mit dem erwartungsbleichen Seelchen und sagte feierlich: »Seelchen, dir verdank ich's, du sollst leben. Nun zieh!«
Die Hülle fällt. Da steht das Bild schon im Goldrahmen, tief und warm leuchten seine Farben und adeln die werktägliche Hofstube mit ihrer festlichen Glut. Das Kind steht davor, und es ist fast zu fürchten, daß es sich überfreut. Sie soll daran teil haben, an dem herrlichen Bilde, die arme Kleine, die sonst immer nur zum Kummer und zur Last für alle da ist! Frau von Hardenstein hat ihren Stuhl herbeigeholt und setzt sich vor der Leinewand nieder.
»Harro, wunderschön, sonderbar schön, aber was bedeutet es?«
Das Kind dreht sich herum und sagt vorwurfsvoll: »Das sieht man doch!«
Es schlingt seine Ärmchen um Harros herabhängenden Arm und lehnt ihr goldenes Köpfchen daran. »Wenn du es so gut weißt, Seelchen, so sag es.«
»Das sieht man doch gleich, daß es der Ehrensaal ist! Darin all die stehen, die in der Gruft schlafen und ihre Bilder für sich wachen lassen. Sieh, wie die Augen schauen! Die Augen der Ritter und der Frauen in den seidenen Kleidern, die in ihren weißen Händen Nelken halten. Alle sehen sie herunter nach mir. Auch die goldenen Tiere auf den weißen Säulen horchen und halten den Atem an. Die müssen das Haus auch bewachen und sorgen, daß nichts hereinkommt, was lügt und sein Wort bricht. Und da geht ein Seelchen und trägt das rote Licht in den Händen in dem Becher, und weil es so schwer zu tragen hat, ist es so dünn und leidet. Und alles sieht auf sie, ob sie es nun fallen läßt, daß das rote Licht erlischt und es aus ist mit allem. Und darum halten auch die goldenen Tiere den Atem an.«
Harro legt seinen Arm um die zarte Gestalt, und seine Hand drückt das goldene Köpfchen sanft an sich.
»Warum streckt das Seelchen so flehend die Hände mit dem Kleinod aus?«
»Wenn ihm niemand hilft, so muß es den Becher ja fallen lassen, Harro: darum sucht es mit seinem roten Licht, und geht auf nackten Füßen und sucht.«
»Es wird ihn nicht fallen lassen, solang es lebt!«
»Meinst du, Harro? Aber wenn es tot ist? Dann zerschellt's, und alles ist dunkel. Die Tiere schlafen ein und wachen nicht mehr auf, und es kann alles herein, was will.« Harro beugt sich herab und küßt wie ein Hauch den goldenen Scheitel.
»Ich dank dir, Seelchen. Nun ist das Bild geweiht.«