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Schon mehr als eine Stunde war Fluderle bereit, um mit Rolli nach Burg Fuchsenschroffen zu fahren. – Die armen Rebhühnchen hatten es nicht leicht. Nina stand bescheiden in einer Ecke des Zimmers. Fluderle trat schon zum zwanzigsten Male vor den Spiegel und rief:
»Nina, schau mal her! – Der Pelz sitzt nicht richtig.«
Rasch sprang Nina herbei, zog den Kanarienpelz zurecht, so daß er genau wieder saß wie zuvor.
»Nun geht's«, sagte Fluderle und ging zweimal das Zimmer auf und ab. Es stand still, erhob den rechten Fuß, drehte ihn ein bißchen und tadelte:
»Diese Gamasche scheint mir auch nicht recht anzuliegen.«
Nina zog Fluderle die Gamasche aus und knüpfte sie aufs neue, genau wie sie geknüpft gewesen war. Nun ging's.
»Wo bleibt denn Lisa so lange?« ärgerte sich Fluderle.
Es hatte die andere Zofe weggeschickt, um Rolli sagen zu lassen, daß aufgebrochen werden könnte. Lisa war durch alle Gänge des Schlosses gerannt, bis sie endlich Tunker gefunden hatte. Sie mußte lange deuten, bis dieser die Zeichen des stummen Rebhühnchens verstand. Schließlich sagte Tunker: »Das weiß ich auch nicht, wann es dem Herrn Grafen beliebt aufzubrechen. Ich muß selbst darauf warten.«
Als Lisa zurückkam, schüttelte sie den Kopf, deutete mit dem rechten Fuß nach dem Flügel des Schlosses, auf dem der Herr wohnte, und wollte damit andeuten, daß sie keine sichere Antwort auf die Frage der Herrin erhalten konnte.
»Ihr beide seid dumme Dinger«, bemerkte Fluderle, »kein vernünftig Wort läßt sich mit euch reden.«
Wieder ging sie das Zimmer auf und ab. Wieder stand sie vor dem Spiegel:
»Noch ein wenig Gelb auf meinen Schnabel und eine Idee Rot auf meinen Kamm!« befahl sie ihren Zofen.
Schon standen die beiden Rebhühnchen da und bemühten sich, die Gesichtsfarben der Herrin mit Schminke leuchtender zu gestalten.
Wieder drehte sich Fluderle vor dem Spiegel:
»Die dritte Schwungfeder am linken Flügel ist gegen die Spitze hin etwas zerzaust.«
Die beiden Rebhühnchen zupften und strichen die dritte Schwungfeder am linken Flügel. Nun war auch diese in Ordnung.
Fluderle ging wieder durch das Zimmer und schaute zum Fenster hinaus. Es streckte den Hals, zog die Luft ein, stieß sie wieder aus mit einem gedehnten: oooo!
Behend liefen die beiden Zofen. Die eine hielt Fluderle ein Riechfläschchen unter die Nase, die andere breitete ein seidenes Taschentüchlein vor ihrem Schnabel aus. Fluderle nieste hinein und ließ sich den Schnabel abreiben.
»Vorsicht!« warnte sie, »daß mir das Gelb nicht an Glanz verliert!«
Endlich meldete Tunker, der Herr Graf seien bereit.
Die beiden Rebhühnchen begleiteten Fluderle zum Ausgang des Schlosses. Hier stand Rolli im einfachen grünen Jagdgewand und sprach:
»Entschuldige, liebes Fluderle, daß ich dich so lange warten lassen mußte. Dringende Arbeiten waren noch zu erledigen.« – Er hatte nämlich seinen Mittagsschlaf ziemlich ausgedehnt, weil er des Abends zuvor spät zu Bett gegangen war. – »Ich denke«, fuhr der Graf fort, »daß es dir angenehm ist, den kurzen Weg zur Burg bei diesem schönen Wetter zu Fuß zu machen. – Deine Bedienung kann zu Hause bleiben. Ich möchte mit dir allein gehen.«
Fluderle hatte gehofft, daß Rolli den neuen Wagen vorfahren lasse. Deshalb war sie jetzt enttäuscht. Sie ließ es sich aber nicht anmerken und sprach:
»Ich bin ganz deiner Meinung, verehrter Rolli. Es wäre zwar sehr schön gewesen, im Wagen zu fahren, denn ich vergehe schier vor Neugierde, die alte Burg zu sehen. Aber der Spaziergang durch den schattigen Wald in deiner Begleitung wird mich sehr erfreuen.«
Am Burgtor empfing sie Schlüpfer mit vielen Bücklingen. Er wollte die Herrschaft durch die Räume von Fuchsenschroffen führen, aber Graf Rolli befahl: »Du bleibst hier am Tor, ich werde meine Freundin allein begleiten.«
Sie stiegen die große Steintreppe empor. Die Gelasse, die Fürst Fuchs in den letzten Jahren bewohnt hatte, waren einigermaßen freundlich. Aber auch hier herrschte schauerliche Unordnung.
Sie gingen die mit Sandsteinplatten belegten Gänge entlang, öffneten da und dort eine Türe. Muffige und moderige Luft kam ihnen überall entgegen. Da gab es viel mehr zerbrochene als ganze Fenster. Die Tapeten hingen in Fetzen von den Wänden. In einem Zimmer stand nichts als ein alter Tisch auf morschen Beinen, in einem andern drei alte Polsterstühle. Der Polsterstoff aber hing in allen möglichen Figuren davon. Die Bilder an den Wänden waren vom Staub und Schmutz nicht mehr erkenntlich. Die Rahmen zerbrochen, die Bilder selber durchlöchert und durchschnitten.
Fluderle entrüstete sich:
»Entsetzlich diese Unordnung! – Hier sieht es aus, als hätte seit hundert Jahren niemand mehr gewohnt. – Schauerlich! Ich bekomme Gruseln. – Wärest du nicht dabei, lieber Rolli, mich triebe die Angst aus diesem grausigen Bau hinaus. – Komm, wir wollen wieder ins Freie!«
»Wie du willst, meine Freundin, aber würdest du nicht zuvor noch ein einziges Gemach anschauen? Es ist der Raum, den ich dir zugedacht habe, wenn wir hierher ziehen.«
Das wollte Fluderle gern. Rolli führte sie in ein Eckzimmer auf jenem Flügel des Schlosses, der neben dem Eingangstore lag. Der Raum hatte einen weitvorstehenden Fenstererker, von dem aus man den Zugangsweg zur Burg weit unten her vom Tale bis vor das Burgtor verfolgen konnte. Fluderle schaute zum Fenster hinaus und rief freudig: »Ja, hier wäre es schön. Diese prächtige Aussicht!«
Sie dachte nämlich gleich daran, daß sie in diesem Erker sitzend alles, was in der Burg aus- und einging, begucken und überwachen könnte.
Rolli versprach ihr, daß er dies Gelaß ganz nach ihren Wünschen ausstatten und einrichten lassen werde.
Fluderle dankte ihm und bat ihn, daß er nun mit ihr wieder in den Burghof hinabsteige. Sie möchte die Burg doch lieber erst dann wieder sehen, wenn die notwendigsten Wiederherstellungen ausgeführt und die jetzt so greulichen Räume wohnlich eingerichtet seien.
Sie kamen in den Burghof, wo Schlüpfer sich auf die Steinbank neben dem Ziehbrunnen gesetzt hatte. Er rannte eiligst herbei. Graf Rolli erklärte ihm:
»Es ist lobenswert, mein Schlüpfer, daß du dich schon sehr fleißig um die Reinlichkeit in der Burg bemüht hast. Du kannst in nächster Zeit beweisen, daß du dem Nachfolger des verstorbenen Fürsten, meines lieben Freundes, mit der gleichen Treue und ebensolchem Eifer dienen willst. Es werden morgen schon die Handwerksleute erscheinen, um hier alles auszubessern. Du wirst die Aufsicht über die Arbeiten übernehmen und darauf achtgeben, daß alles richtig gemacht wird, damit bei dem Einzug des fürstlichen Nachfolgers die ganze Burg im besten Zustande vorgefunden wird.«
»Ja, ganz unbedingt!« fügte Fluderle bei. – »Eine derartige Lotterwirtschaft, wie sie bisher hier herrschte, kann auf keinen Fall weiter geduldet werden.«
Sie schaute Schlüpfer mit einem durchdringenden Blick an und verließ mit Rolli die Burg.
» Die ist mir die richtige!« brummte Schlüpfer, als er das Burgtor hinter den beiden schloß. Mit dem Rolli ließe sich allenfalls auskommen. Aber diese hochmütige Bibbe! … Bewahre uns Gott vor ihr!«