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18. Fluderle auf Schloß Katzenstein

Schon vierzehn Tage weilte Fluderle auf Schloß Katzenstein und lebte da in behaglichem Nichtstun. Zu seiner Bedienung hatte Rolli zwei Rebhühner befohlen, eifrige Tierchen, die jeden Wink ihrer Herrin beachteten und auf jedes Wort rannten und sprangen, um Fluderles Wünsche zu erfüllen.

Es waren bemitleidenswerte Geschöpfe. Als sie noch ganz klein waren, hatte der Kater sie eingefangen und auf sein Schloß gebracht. Damit sie nicht davonflogen, hatte der grausame Rolli einem jeden den rechten Flügel durchgebissen, so daß sie, auf der einen Seite gelähmt, nie mehr ans Fliegen denken konnten. Auf daß es ihnen nie einfalle, etwas auszuplaudern, hatte der tückische Schloßherr ihnen die Zunge herausgerissen. Dazu hatte er noch die höhnische Bemerkung gemacht: »Man muß seine Leute so erziehen, daß man sie im Haushalte gebrauchen kann.«

Schloß Katzenstein sah nach außen alt und verwahrlost aus. Aber Rolli hatte es im Innern so vornehm eingerichtet, daß Fluderle aus dem Staunen über all die Herrlichkeit kaum mehr herauskam. Hier fehlte es an gar nichts. Die Speisekammern waren auf Monate hinaus mit Lebensmitteln versehen. Ein eiserner Kassenschrank, so hoch wie das Zimmer, in dem er stand, war von unten bis oben mit Gold und Silber und kostbaren Edelsteinen gefüllt.

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Rolli, der immer den armen Mann spielte, zeigte Fluderle all seine Schätze und sprach: »Ich führe ein sehr bescheidenes Leben. Das bißchen Hab und Gut, das ich da beisammen habe, konnte ich mir in mühsamer Arbeit und mit unermüdlichem Fleiße ersparen. – Arme Leute dürfte es überhaupt nicht geben. Die Armen sind selbst schuld, wenn sie nichts haben. Arbeiten und sparen kann jeder, wenn er nur will.«

Dabei stahl und raubte der Kater, wann, wie, wo und was er konnte.

Eines Tages kam Rolli, der immer mehr Gefallen an Fluderle fand, von der Jagd nach Hause, trat in Fluderles Zimmer und zog aus seiner Jagdtasche einen Pelz. Er legte ihn dem Hühnchen um den schwarzen Hals, führte es vor den Kristallspiegel, der in schwersilbernem Rahmen an der Wand hing, und fragte: »Gefällt dir das?«

»Wunderbar! – Entzückend!« rief Fluderle in heller Freude aus. – »Gehört das mir?«

Der Kater nickte, und Fluderle sprach: »Ich danke dir, mein lieber Rolli. Du bist wahrhaftig so gut gegen mich, daß ich all das Schwere, das ich in meinem vergangenen Leben durchkosten mußte, bei dir vergesse und mich auf deinem Schloß an Seele und Leib erhole.«

Rolli hatte der Efrosine den lustigen Kanarienvogel aus dem Käfig gestohlen. Sein Hofkürschner, der Iltis, fertigte ihm davon den Pelz. Wunderbar lag das weiche Gelb auf den schwarzen Federn Fluderles. Eine goldene Schließe, die mit mehr als einem Dutzend blinkender Edelsteine besetzt war, verband den Schnabel des Vogelbalges mit den Spitzen der Flügel.

Rolli überließ Fluderle eine Zeit lang der Freude an dem Prachtstücke. Dann griff er wieder in die Jagdtasche und zog zwei Gamaschen heraus. Sie waren von den Federn zweier Distelfinken gearbeitet und glänzten in den bunten Farben dieser zierlichen Vögel. Der Kater hatte etwas Anstoß an Fluderles gewöhnlichen nackten Hühnerfüßen genommen und wollte, daß es diese unter den Distelfinkenfedern verstecke. Die Gamaschen saßen Fluderle wie angegossen.

Wißt ihr, wie Rolli zu den Distelfinken kam? Auf einem Pflaumenbaum hatten zwei Distelfinken ihr Nest und trugen eifrig ihren Jungen Futter zu. Der schlaue Kater versteckte sich im dichten Laub des Baumes, erwischte erst die Finkenmutter, biß sie tot und legte sie beiseite. Dann wartete er, bis der Finkenvater kam, und machte es ihm genau so wie der Mutter. Hernach schaute er ins Nest, bemerkte darin fünf junge Distelfinken, die noch nackt und hilflos dalagen. – »Die armen Vögelchen!« sagte er. »Nun haben sie keinen Vater und keine Mutter mehr und müssen Hungers sterben. Diesen schrecklichen Tod will ich ihnen ersparen.« – Und er fraß die Jungen sofort auf. Die toten Alten brachte er dem Kürschner Iltis, daß er daraus die Gamaschen für sein Fluderle machte.

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Sich selbst bewundernd stand dieses immer noch vor dem Spiegel. Es schaute bald über die gelben Kanarienfedern und die kostbare Schließe herab, bald neigte es sein Köpfchen rechts und links zu den Distelfinksgamaschen hinunter, und zwischen durch ließ es einen zärtlichen Blick auf Rolli, den edlen Spender, fallen.

»Ich dachte dir eine Freude zu machen, teures Fluderle«, sagte der Kater. »Ein Hühnchen wie du verdiente in Gold und Silber gefaßt zu werden. – Du mußt wahrhaftig ein trauriges Dasein geführt haben bei den einfältigen Hennen der Karline auf dem Hagenberg.«

»Ach Gott!« sagte Fluderle. »Es war schrecklich. Nur Kuh-hong, der unglückliche Hahn, war nett gegen mich.«

»Und gerade er mußte in den Tod hineinrennen!« bedauerte Rolli. – »Jammerschade! – Was hätte er bei mir eine Stellung bekommen! Zum Oberstschloßhahn wollte ich ihn ernennen und ihm den höchsten Gehalt zukommen lassen.«

»Darüber hätte er sich natürlich gefreut«, meinte Fluderle. – »Aber nun ist er tot, und das ist ihm auch zu gönnen. Wer weiß, ob er sich für die Stellung als Schloßhahn geeignet hätte? Er war immer etwas einfältig und zu nachsichtig mit den Hühnern. – Aber den Toten soll man nichts Böses nachsagen.«

Fluderle schaute wieder an sich herunter und freute sich aufs neue seiner Schmuckstücke.

»Willst du mir nicht ein wenig von deinem bisherigen Leben erzählen?« fragte Rolli.

Fluderle atmete tief und sprach: »Ich kann dir leider nichts Schönes berichten. Alles ist sehr traurig: Ich war in einem Ei eingesperrt, … sehr lang. Dann hat Bengele das Ei aufgeschlagen, und ich flog heraus. – Der Goldkäfer Blinkeblitz ließ mich herunterfallen. Die braune Glucke war zuerst nicht sehr freundlich. Die Küken benahmen sich frech. Die Efrosine, die rote Hexe, hätte es am liebsten gesehen, wenn ich in der Mistlache gestorben wäre. Die Karline hat über den Kater geschimpft, und er hatte mir gar nichts getan. Ich habe immer gesagt, daß ich kein Küken sein wollte. Als ich groß war, wurde ich krank vor Kummer. Auf Kuh-hong konnte man sich nicht verlassen. Er tat schön mit allen Hühnern, wie sie gerade kamen. Und ich wurde so elend, daß ich wie tot auf dem Boden lag. Dann hat er mir geschworen. Ob er es ernst genommen hat, das ist eine andere Frage. Jedenfalls mußte ich mich sehr anstrengen, bis er mit mir wegging, um mit mir auf dein Schloß zu kommen. – Es war ein langer Leidensweg, was ich durchmachte bis zu der Stunde, da ich hierher kam. Nun geht es mir besser. Bei dir ist es schön. Daß ich wieder auflebe, das danke ich dir allein, lieber Rolli.«

Rolli hatte mit Aufmerksamkeit die Geschichte von Fluderles Leben angehört. Er strich sich dabei ein Paar Mal die Pfote über die Augen, um eine Träne abzuwischen, und seufzte, mitleidig mit dem armen Hühnchen, das so viel ertragen hatte. – Fluderle hatte es wohl bemerkt.

»Du armes, unglückliches Kind!« sagte er am Schlusse der Erzählung, »du sollst es besser bekommen. Große Veränderungen stehen bevor. Wie ich erfahren habe, ist Fuchs, Fürst von Fuchsenschroffen, auf einem Streifzug umgekommen. Er war mir ein lieber Freund, eine edle Seele. Sein Tod geht mir furchtbar nahe.« – Rolli machte eine Pause und wischte sich wieder die Tränen aus den Augen. – »Ich war sein treuester Untertan, ihm danke ich es, daß er mich vor wenigen Wochen zum Reichsgrafen von Katzenstein ernannte. Nun starb Fuchs ohne Nachkommen. Die Verhältnisse sind noch nicht ganz geklärt. Aber wenn auch kein Testament vorliegen sollte, werde ich doch wohl als erster Graf seines Reiches der Nachfolger des Fürsten werden. – Dann, liebes Fluderle, ziehst du mit mir als Fürstin auf die Burg.«

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Fluderle sah die Erfüllung seiner schönsten Träume vor sich. Es verneigte sich tief vor Rolli, es machte hundert Kratzfüße mit dem rechten und linken Bein und rief aus: »Du guter, edler, mächtiger Reichsgraf und Fürst, Rolli, mein Glück und mein Leben!«

Und Fluderle hielt seinen Schnabel an Rollis Katzenwangen. Es streifte dabei seinen langen Schnurrbart. Rolli aber schwamm im Glück und schnurrte wie die tiefste Orgelpfeife.


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