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15. »Nichts ist mir derart verhaßt wie das abscheuliche Lügen«, … sprach Rolli

Rolli Freiherr von Katzenstein begab sich zunächst nach dem Guckinstal. Als er aus dem Wald heraus dem Bauernhof zuschritt, sah ihn Efrosine, die im Garten das Unkraut ausjätete, und rief freudig: »Schau da! unser Bussi kommt wieder! – Komm her, zzzzzzzz … Schon glaubte ich, es sei dir etwas zugestoßen, du gutes Kätzchen.«

Rolli strich ihr freundlich um die Füße und schnurrte dazu wie ein Spinnrad. – Bei Efrosine wollte er es nicht verderben. Sie durfte nie erfahren, welch schlechten Lebenswandel er führte.

Während die Bäuerin im Garten weiterarbeitete, schlich sich Rolli ins Haus, leckte den Rahm über drei vollen Milchtöpfen ab, strich danach durch die Stube, ärgerte sich über den Kanarienvogel, der lustig in seinem Käfig sang, und brummte vor sich hin: »Gelber Schreihals!« Durch das offene Fenster auf der andern Seite des Hauses sprang der Kater davon.

Er fand auf einer Felsplatte ein sonniges Plätzchen, legte sich auf den warmen Stein und fing an zu … überlegen. Unruhig schlug er seinen Schwanz hin und her, ein sicheres Zeichen, daß er tiefe Gedanken durch seinen Kopf gehen ließ:

»Wie soll ich es anfangen? … Der Fuchs ist allerdings alt und ziemlich blöde geworden. Aber der Grafentitel! … Wer weiß! Erben hat der Alte keine. – Ob ich selbst nicht Fürst von Fuchsenschroffen werden könnte? … Rolli, Fürst von Fuchsenschroffen und Graf von Katzenstein! … das ließe sich hören! … Wie kann ich den Kuh-hong in die Falle locken? … Am besten, ich gehe hinüber auf den Hagenberg und sehe mir das Gelände wieder einmal an.«

Im weiten Bogen schlich sich Rolli an Nazis und Karlines Hof heran. Aus den hohen Stengeln eines Fruchtackers beschaute er die Lage. – Putt schlief in seiner Hütte, ein günstiges Zeichen. Bäume standen in der Nähe. Wenn es dem Hunde einfiel, einen Streit anzufangen, immerhin eine Möglichkeit zum Entweichen.

Kuh-hong stand für sich am Ende der Wiese und schaute in die Weite, eine Gelegenheit, wie geschaffen, um mit ihm allein zu sprechen. Rolli machte sich, gedeckt durch das Getreidefeld, näher an ihn heran. Ein Satz, und er befand sich drei Schritte vor Kuh-hong bei einem Mausloch auf der Wiese und sagte: »Schade!«

Kuh-hong erschrak, schaute sich um und sprach: »Was ist?«

»Ach entschuldige, edler Hahn! – Mir ist da gerade ein freches Mäuslein entwischt. – Ich wollte dich nicht in deiner Ruhe stören.«

»Als ob ich je zur Ruhe kommen könnte«, sprach der Hahn und tat einen Seufzer. – »Man hat seine liebe Not, und tausend Sorgen lasten auf der Seele eines Hahnes.«

.

»Ich kann mir's denken«, sagte Rolli und duckte sich neben Kuh-hong in einem trockenen Grüblein nieder.

»Ein Kater hat es besser«, meinte der Hahn, »auch wenn ihm einmal eine Maus entgeht.«

»Wenn du es wüßtest«, sagte Rolli, schloß die Augen und seufzte schwer.

»Was ist dir?« fragte Kuh-hong.

»Ich bin in einer schwierigen Lage«, antwortete Rolli, »aber ich möchte dich, den vornehmen Hahn, der über solche Kleinlichkeiten erhaben ist, nicht damit belästigen. Nun warte ich hier still, ob ich das Mäuslein nicht doch noch erwische. Ich habe ein entsetzliches Kopfweh und sterbe fast vor Schwäche, da ich seit gestern nichts mehr in den Magen bekommen habe.«

Nun wurde Kuh-hong neugierig und sprach: »Vielleicht vergesse ich meine eigenen Sorgen, wenn du mir dein Leid klagen willst.«

»Ach!« sagte Rolli, »es handelt sich nur um Hühner.«

»Um Hühner? – Dann geht es dir genau wie mir. – Aber, wie kommst du zu Hühnersorgen?«

»Sehr einfach! – Man kann nicht immer nur von Mäusen leben. Es gelüstet einen auch manchmal nach einem Ei oder einer Mehlspeise. Nun habe ich mir dieses Frühjahr auf Schloß Katzenstein sechs Hühner kommen lassen und, ich Tor, bestellte sie mir direkt beim Kaiser von China. Sie kamen aus der kaiserlichen Zucht in Peking, und ich sage dir, Hühner sind das, rassig, vornehm, gescheit! Aber nun wollen sie keine Eier mehr legen. Sie erklärten rundweg, wenn ich ihnen nicht einen Hahn von gleichwertigem Adelsblut beischaffe, würden sie sofort in einen Eierlegestreik eintreten. Ich bin überzeugt, daß sie mir diese Schande antun, wenn ich ihren Wunsch nicht erfülle. Aber wo soll ich einen kaiserlich-chinesischen Hahn auftreiben? Bis meine Bestellung beim Kaiser in Peking eingelaufen ist und bis der Hahn hierher kommt, vergeht ein Jahr. – Nun habe ich einen Haufen Geld ausgegeben und dafür Hühner auf mein Schloß bekommen, die nicht legen. – Ist das nicht traurig?«

Mit Spannung hatte Kuh-hong die Erzählung Rollis angehört. Nun trat er von einem Bein auf das andere und murmelte vor sich hin: »Das wäre etwas für mich. – Welch glücklicher Zufall!«

Der Kater tat, als merkte er nichts, und schloß seine Rede: »Nun weißt du es, erlauchter Hühnerfürst. – Du kannst mir auch nicht helfen.«

»Das frägt sich doch sehr«, sprach der Hahn, »bin ich nicht selbst aus kaiserlich-chinesischem Geblüte? … Du glaubst nicht, lieber Rolli, was ich leide in diesem engen Kreis von gewöhnlichen Bauernhühnern. O China, mein Heimatland! Ewig denke ich dein, kaiserlicher Hühnerstall von Peking. Wahr ist es, was unser großer Dichter Lei-pu-tsching gesungen hat:

‹Kein größer Leid in kummervollen Tagen
Als Glückserinnerung im Herzen tragen!‹«

Kuh-hong schaute sehnsüchtig hinaus ins weite Land, als könnte er bis China blicken.

»Würdest du tatsächlich nach Schloß Katzenstein kommen?« fragte Rolli. – »Eine solche Lösung der Frage, die mir gegenwärtig die schwersten Sorgen macht, würde alle meine Erwartungen übertreffen. Ich müßte den Tag glücklich preisen, an dem mir das Mäuschen entgangen ist.«

»Der Entschluß fiele mir in der Tat nicht schwer«, entgegnete Kuh-hong, »zumal …«, er stockte, denn da steckte ja eben noch ein Hindernis, von dem Rolli nichts wußte, … »aber, ich müßte eine von den Hennen mitnehmen.«

»Nur eine?«

»Ja, denn diese will unbedingt mit.«

»Ist sie von chinesischem Adel?«

»Das gerade nicht. Aber sie ist so gebildet und vornehm, daß sie hinter keiner Chinesin zurücksteht. – Sie muß mit.«

»Ich habe nichts dagegen einzuwenden«, meinte Rolli, »die Hauptsache ist, daß du auf mein Schloß kommst.«

»Ich komme sicher.«

»Wann?«

»In der nächsten Vollmondnacht mit Fluderle, meiner Freundin.«

»Ich werde euch beide abholen. – Aber Vorsicht, daß Karline nichts merkt, und Putt, der Teufel, uns das Spiel nicht verdirbt.«

»Dem habe ich schon einmal meine Sporen gezeigt.«

»Besser in aller Stille davongehen!«

»Allerdings! – Ich werde die Sache mit Fluderle besprechen. Aber merke dir, mein lieber Freiherr von Katzenstein: wenn du mit Fluderle zu reden kommst, sag ihr ja nichts von den sechs Hühnern, die schon auf dem Schloß sind. Sonst fällt der ganze Plan ins Wasser.«

»Wie du wünschest, kaiserlicher Hahn, aber ich muß dir gestehen, es fällt mir sehr schwer, zu lügen. Mein Leben lang habe ich nach dem Grundsatze gehandelt: Die Wahrheit über alles!«

»So rede überhaupt nicht von den Schloßhühnern, und die Wahrheit ist gerettet.«

»Das läßt sich machen«, meinte Rolli nach einigem Besinnen. »Nur keine Lüge! – Nichts ist mir derart verhaßt wie das abscheuliche Lügen.«

»Übermorgen ist Vollmond«, sprach Kuh-hong. »Wenn der Mond über dem Schlosse aufsteigt, wirst du uns abholen. Beim Haselstrauch am Bache erwarten wir dich.«


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