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Schlüpfer, das Wiesel, war in großer Aufregung. Er rannte durch alle Gänge der Burg Fuchsenschroffen, stieg die eine Treppe hinauf, die andere wieder herunter, riß eine Türe auf und schaute in ein Zimmer, schüttelte den Kopf, ging weiter, machte es bei einer andern Türe wieder so, setzte sich schließlich auf den Liegestuhl des verstorbenen Fürsten und rief entrüstet aus: »Es geht einfach nicht!«
Der Kammerdiener zündete sich eine Zigarette an, die letzte von denen, die Fürst Fuchs übriggelassen hatte, rauchte und überlegte:
»Alles ist weggelaufen. – Der Koch fort! – Die Putzfrau kommt nicht mehr. – Die Stallknechte sind mit dem letzten Pferd in die Weite gezogen. – Ich sitze allein auf diesem alten Räubernest und soll allein reinemachen. – Ich, der Kammerdiener! – Nein! – Fällt mir gar nicht ein. – Es geht einfach nicht. …
Warum soll gerade ich es sein, der sich abplagen muß? – Der Fürst ist tot. – Es nimmt mich nur wunder, wer daran ein Vergnügen finden mag, in diesen alten Steinhaufen einzuziehen. Auf jeden Fall werde ich bleiben, bis der Nachfolger mir den Lohn bezahlt hat, den mir der Fürst seit sechs Monaten schuldig geblieben ist. – Die andern sind davongegangen und haben mitgenommen, was mitzunehmen war. Was bleibt mir noch übrig? Wurmstichige Tische und Stühle. – Gold und Silber ist fort, die Krone schon längst versetzt. Ein leichtsinniges Leben hat der Alte geführt. Nur gut, daß er abkratzte. Er wäre über kurz oder lang in seinen Schulden ertrunken.
Und nun soll ich allein hier reinemachen? – Es geht einfach nicht.«
Er warf den Stummel seiner Zigarette zum Fenster hinaus und wollte eben noch einmal durch die Burg gehen, um sich die Arbeit anzuschauen, als die Glocke am Burgtor gezogen wurde.
»Zum Donnerwetter!« schimpfte Schlüpfer. – »Überall sollte man sein. Der Torwächter hätte auch noch ein paar Tage dableiben können.«
Er stieg die Treppe hinunter und rief durch das Tor hinaus: »Wer da?«
»Ein Bote des Reichsgrafen von Katzenstein!«
Schlüpfer öffnete den kleinen Schieberladen des Tores und sah vor sich den Fischotter Tunker, den Kammerdiener des Grafen. Der war in eine ganz neue Livree von himmelblauem Tuch gekleidet mit Goldborden und Silberknöpfen. An seiner Mütze glänzte das Wappen des Katzensteiners: ein Silberstreifen neben einem Goldstreifen, schräg über beiden eine Katzenpfote, aus der die Krallen hervorragten. Um das Wappen war die Inschrift zu lesen: Veritati vivo et fidei, das heißt: Ich lebe für Wahrheit und Treue.
Eine gute Weile schaute Schlüpfer zum Schieber hinaus den vornehmen Boten an, bis Tunker ungeduldig wurde und sagte: »Mach doch mal auf!«
Er ließ Tunker ein und fragte ihn: »Seit wann trägst du solch vornehme Livree?«
»Seit gestern«, antwortete Tunker. – »Drüben auf dem Schlosse hat es für alle neue Kleider gegeben. Mein Herr läßt sich nicht lumpen. Und erst die neue Herrin! Ich sage dir, die versteht's! Nun bekommt das Leben Schliff. – Doch hör mal! – Ich bin in der Sonne hier herübergerannt … kannst du nicht irgendwo eine gute Flasche finden?«
»Eine einzige ist noch da, die letzte leider. Dir zu Ehren, alter Freund, will ich sie holen. Ich hatte sie versteckt, weil man doch nie weiß, wann man von der vielen Arbeit erschöpft eine kleine Stärkung bräuchte.«
Schlüpfer kam aus dem Keller mit einer Flasche Waldulmer Roten zurück. Er hatte noch mehrere gute Marken beiseite getan.
Die beiden setzten sich auf die Steinbank beim Ziehbrunnen im Burghof und tranken im Schatten der Linde den vorzüglichen Wein. Immer wieder verglich Schlüpfer seine abgetragene Kleidung mit Tunkers glänzender Livree und dachte: »Wenn Rolli mit seiner neuen Freundin hier als Herr einzöge, gäbe es wahrscheinlich bessere Tage. Ich habe ihn zwar nie recht gemocht, aber ich würde mich auch mit ihm zurechtfinden.«
Die Flasche wurde leer. Schlüpfer warf sie in den tiefen Brunnen, und Tunker sprach: »Schlüpfer, ich habe dir von meinem Herrn zu melden, daß er im Laufe des Nachmittags mit Fluderle, seinem Gaste, hierherkommen wird, um die Burg zu besichtigen. Du hast dafür zu sorgen, daß alle Räume durchgelüftet und in sauberem Zustand vorgezeigt werden können.«
»Unmöglich!« rief Schlüpfer aus. – »Ich bin doch hier ganz allein. Der Graf soll mir von seiner Dienerschaft aus dem Schlosse Aushilfe schicken.«
»Mach keine Dummheiten!« mahnte Tunker. – »Du darfst dich bei meinem Herrn nicht von vornherein in ein schlechtes Licht stellen. – Sieh zu, wie du den Auftrag erledigst. Wie wirst du staunen, wenn Fräulein Fluderle erscheint. Ein Wort von ihr, ein Lob aus ihrem Munde, und du fühlst dich wie im Himmel. – Ich gehe indessen hinunter an den Bach, daß ich der Herrschaft für den Abendtisch einige Forellen erwische.«
Schlüpfer machte ein krummes Gesicht, stieg die Treppe empor und schaute zum Fenster hinaus. Da sah er zwei Eichhörnchen, die auf den Bäumen des Burghofes ihre lustigen Kletterübungen machten.
»Hehda!« rief er ihnen zu. »Ihr könntet mir einen kleinen Dienst erweisen.«
»Warum nicht!« sagte der Eichkater, »was wünschest du?«
»Helft mir die Tische und Stühle abstauben und die Zimmer und Gänge fegen!«
»Gern«, sagten die Eichhörnchen.
»Also gleich los!« rief Schlüpfer. »Jedes von euch bekommt zwölf Nüsse für die Arbeit.«
Sie sprangen über einen langen Ast zum Fenster herein, rannten über Tische, Stühle und Schränke, wedelten in einem fort mit ihren buschigen Schwänzen hin und her und wischten den Staub von allen Möbeln ab. Dann liefen sie durch die Gänge der Burg, fegten mit ihren Kehrbesen den Schmutz links und rechts an die Wände, gingen noch die große Treppe hinunter und machten es ebenso.
Als sie fertig waren, sprach Schlüpfer: »Sobald die Nüsse auf den Bäumen reif sind, darf jedes von euch zu den zwölfen noch eine weitere Nutz dazuholen, dann habt ihr euren Lohn.«
Die Eichhörnchen bedankten sich und sagten, sie hätten eine große Freude an dieser Arbeit gehabt. Dann kletterten sie wieder auf die Bäume und schüttelten den Staub aus ihren Schwänzen.
Schlüpfer warf sich auf den Liegestuhl seines verstorbenen Herrn und wartete nun ohne Sorge auf die Ankunft des Herrn Grafen und dessen Freundin Fluderle.