Fritz Grünbaum
Die Schöpfung und andere Kabarettstücke
Fritz Grünbaum

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Österreichische Revue 1911
Ein geschichtliches Epos

Prolog

        Das 1911er Jahr,
Der Orkus will's verschlingen.
Drum, was es bracht' und was es war,
Der Dichter mag's besingen!
Es war ein Jahr, ereignisvoll,
Ein Jahr der Kraft und Glorie,
Gewitterschwanger, tatentoll,
Ein Jahr der Welthistorie!
Kein ander Jahr ist bald ihm gleich
An Streben und Erraffen,
Und unser liebes Österreich
Hat wacker mitgeschaffen!

 

Erster Gesang
(Der Panther und die Paulin')

      Der Sturm zog auf im Deutschen Reich,
Dort hat es angefangen,
Dort ist der Tanz gewittergleich
Unheimlich losgegangen.
Der »Panther« schwamm gen Agadir,
Wo alles kam ins Wanken,
Und hielt das deutsche Reichspanier
In seinen starken Pranken.
Die Zähne zeigt' er, prachtvoll dicht,
Den beutelust'gen Welschen;
Man sollt' den fetten Bissen nicht,
Marokko, ihm verfälschen!
Und wenn's ihm auch nicht glückte ganz,
Was er sich gern erzwungen –
Ein saftig Stück des schwarzen Land's
Hat er dann doch verschlungen!

Uns indes in Österreich
Glückte auch ein feiner Streich:
Eine bosnische Redoute
Arrangierte unsre gute,
Liebe Fürstin Metternich.
Das ist eine Klass' für sich!
Ziehn geschichtlich keine Spur wir,
Sind im Fasching hors concours wir!

 

Zweiter Gesang
(Der Zug nach Afrika und die Fahrt durch Wien)

        Auch Mariann', la République,
Wo zierlich sonst die Sitten,
Und nur regiert Elan und Chic,
Hat tapfer mitgestritten!
Der elegante Gallierhahn
Legt' Wert darauf zu beweisen,
Daß sein Gekräh' kein leerer Wahn,
Daß er aus Stahl und Eisen.
Er forcht sich nicht im ernsten Zwist,
Benahm sich forsch und förscher,
Heut' kräht auf dem Marokkomist
Er als Alleinbeherrscher!

Uns indes in Österreich
Glückte auch ein feiner Streich:
Drei verschied'ne Autotaxi
Sind bei uns in Wien in Praxi,
Gleich versiegt der Fremdenstrom
Nach dem Monroe-Axiom:
Keiner soll sich hier bereichern,
Österreich den Österreichern!

 

Dritter Gesang
(Die Cyrenaica und die Hermin')

        Italien selbst der Wunsch beschlich,
Zu fliehn die Makkaroni,
Zu holen aus dem Feuer sich
Die heißesten Maroni!
Die Bersaglieri zogen aus
Zu Taten, übergroßen;
Dem Halbmond galt's im harten Strauß
Die Hörner abzustoßen!
Das Kreuz zog aus gen Tripolis,
Wo man im Geist bereits war,
Noch heute weiß man nicht gewiß,
Ob's nicht – ein böses Kreuz war,
Doch ob auch stark die Hand verbrannt,
Die übers Meer sich streckte,
's wird schon Italien in der Hand
Was bleiben im Effekte!

Uns indes in Österreich
Glückte auch ein feiner Streich:
Eine Künstlerin, geachtet,
Hat's Café Reklam' gepachtet;
Sicher so, Italien gleich,
Ist Reklam' für Österreich;
Jenes hat die Bersaglieri,
Aber wir – Hermine Ferri!

 

Vierter Gesang
(Der Halbmond und die Kabinette)

        Aus jahrzehntelangem Schlaf
Wachten auf die Halbmondleute,
Und so schwer es sie auch traf,
Sie bewährten sich im Streite.
Ihre Feinde, wie im Bann,
Saßen nicht sehr fest im Bügel,
Es versetzt der kranke Mann
Ihnen sehr gesunde Prügel!
Ob's nun endet bös', ob gut,
Eins muß man am Türken loben:
Daß gesunken nie sein Mut,
Hat ihm sein Prestige gehoben!

Uns indes in Österreich
Glückte auch ein feiner Streich:
Um die Fleischnot abzukürzen,
Taten wir Minister stürzen,
Machtvoll hat das Volk geschäumt,
Mit Ministern aufgeräumt,
Zwar das Fleisch ist noch nicht billig,
Doch der Geist war stark und willig!

 

Epilog

        Lache, du mein Österreich!
Wieder warst du allen gleich,
Voller Kraft wie immerdar
Warst du auch in diesem Jahr.
Reden machtest du von dir
In der Politik wie früh'r,
Manchen tapfern Männerstrauß
Focht man da im Reichsrat aus!
Ja, bei uns im Parlamente
Kämpft man kühn durch Argumente,
Hei, wie streiten, Gott befohlen,
Da die Deutschen gegen Polen,
Ja, selbst Deutsche gegen Deutsche,
Ja, sogar per Hundepeitsche!
Obenan an Temp'rament
Steht halt unser Parlament!
Dann die Kunstbegeisterung
Stand ja stets bei uns in Schwung!
Was nur an Kulisseng'schichten
Unsre Zeitungen berichten,
Haben wir mit gier'gen Zungen
Heuer wie schon stets verschlungen!
Wenn Soubretten heiser sind,
Weint der Wiener wie ein Kind,
Und er sucht im Zeitungsblatt,
Ob sie sich erholt schon hat,
Er frohlockt, wenn man's getratscht hat,
Wie sie wieder jüngst gewatscht hat,
Und ist selig, wenn er weiß,
Wie dann bei Gericht der Preis!
Denn der Wiener hat bewahrt
Streng sich seine Eigenart:
Nicht die Kriege sind sein Faible,
Nein, sein Freund ist nur – der Lebl,
Seiner Wünsche Feuerwerk
Heißt: Wo speist der Pallenberg?
Nicht die wirtschaftlichen Kämpfe,
Heißen Ringens Pulverdämpfe,
Nicht das Kraftgefühl des Strebens
Ist das Endziel seines Lebens,
Nein, die Fülle des Begehrens
Ist ihm der Friseur der Zwerenz,
Und noch eins ihn int'ressiert,
Wer den Kutschera rasiert?
Schlafe, du mein Österreich,
Denn wer tut's dir darin gleich?
In der wundervollen Ruh',
Welch ein Philosoph bist du!
Denn nur wenn die Wünsche sterben,
Ist das wahre Glück zu erben!
Nichts ersehnen, nichts erringen,
Nichts erstreben, nichts erzwingen,
Nichts erraffen mit Gefahren,
Nur das Alte sich bewahren:
Selige Zufriedenheit,
Österreichs Gemütlichkeit!

 


 


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