Fritz Grünbaum
Die Schöpfung und andere Kabarettstücke
Fritz Grünbaum

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Silbinger, Perl und Buxbaumholz
oder Böse Zeiten!

            Bitte, ist die Frau Silbinger hier?
Noch gestern hat sie versprochen mir,
Sie kommt; das heißt, sie hofft und glaubt,
Daß ihr Mann, der Herr Silbinger, es ihr erlaubt.
Der Mann ist nämlich meschugge geworden.
Er spricht von vergnügungssüchtigen Horden,
Wenn er sieht, daß die Leute sich untersteh'n,
Heutzutag' ins Theater zu geh'n!
Er sagt, es ist eine Frivolität,
Überhaupt – und weil's in der Zeitung steht!
Nämlich der Silbinger hat auf die Zeitungsspalten
Und was drinnen steht, immer sehr viel gehalten,
Und jetzt schreibt auf einmal in der Mittagszeitung
Der Altenberg zur Weiterverbreitung,
Man soll in diesen ernsten Tagen
Sich überhaupt jeglichen Luxus versagen,
Denn der Luxus gehört zu den Schweinerei'n,
Und man soll sich gewöhnen, einfach zu sein!

Nun ist doch der Altenberg schließlich Poet,
Ein gebildeter Dichter, der was versteht,
Und außerdem ist er doch Journalist
Und muß also wissen, was richtig ist,
Und wenn er jetzt sagt, daß der Luxus gemein,
Darf kein besserer Mensch ins Theater hinein.
Das hält auch der Silbinger für seine Pflicht,
Es steht in der Zeitung, drum geht er nicht!

Aber neulich ist er entsetzt gewesen,
Da hat er die »Neue Freie –« gelesen,
Und dort schreibt auf einmal der Hofmannsthal,
Das Theater zu meiden, ist ein Skandal,
Die Schauspieler leiden doch Not, wie bekannt,
Und schließlich sind sie doch auch ein Stand,
Und ihnen zu helfen, ist Pflicht und schön,
Und kurz: man soll ins Theater geh'n!

Da hat der Silbinger, blaß vor Schreck,
Gelegt die »Neue Freie –« weg
Und hat gejammert: »Wo ist jetzt die Pflicht?
Also soll man geh'n, oder soll man nicht?«
Der Peter Altenberg sagt »Nein,
Man soll ins Theater nur ja nicht hinein.«
Und der Altenberg als gescheiter Mann,
Der so schön in der Zeitung schreiben kann,
Ist sicher in Kunstsachen passend als Richter ...
Aber Hofmannsthal ist doch auch ein Dichter?!
Gebildet und tüchtig und weiß, was er spricht,
Und der sagt: »Ins Theater geh'n ist unsre Pflicht!«
Der Altenberg nein und der Hofmannsthal ja?
Wie soll sich der Silbinger auskennen da?!

Aber nicht nur der Silbinger ist jetzt nervös;
Z. B. da geht's auch zwei Freunden so bös.
Ich kenn' die zwei Herr'n schon seit Jahr'n von der Gass',
Sie wohnen am Eck von der Taborstraß'
Und heißen Perl und Buxbaumholz.
Auf die zwei Namen sind sie nicht stolz,
Gewöhnlich gleiten sie flüchtig darüber
Und rufen sich mit ihren Vornamen lieber,
Denn diese sind nobel und passen zum Frack,
Der Perl heißt Henry, der Buxbaumholz Jacques!
Also Jacques und Henry sind immer gesessen
Im »dining-room« beim »dinner«, beim Essen
Vor einem Beefsteak mit Worcestersauce;
Das Fleisch war brillant, der Champagner famos,
Und wenn es zum Weggeh'n gewesen ist Zeit,
Hat der Jacques zum Henry gesagt: »Allright«!
Dann sind sie zusammen weggegangen,
Der Henry im Ulster, in so einem langen,
Und der Jacques elegant im Cut-away,
Und draußen sagt Jacques zum Henry »Adieu«,
Und Henry zu Jacques sagt so ähnlich etwas,
»Good bye!« – am Eck von der Taborstraß'!

Auf einmal ist's aber losgegangen,
Da hat der Rummel angefangen,
Das Englische, das man als nobel gewöhnt,
Ist plötzlich geworden total verpönt,
Und grad so Französisch. Es ist einem jeden
Verboten, ab heut' durch die Nase zu reden!

Da sitzt der Henry mit langem Gesicht:
Der Lendenbraten, der schmeckt ihm nicht.
Schon der Gedanke, sagt er, macht Pein,
Ein Beefsteak soll – inkognito sein!
Da sitzt man im Wirtshaus und fühlt sich verraten.
Was soll man sich vorstell'n bei »Lendenbraten«?
Man schaut auf das Fleisch und hat Grauen vor ihm – – –
Zu was braucht ein Beefsteak ein Pseudonym?
So seufzt der Henry, von Kummer besessen,
»Nicht einmal halbenglisch darf man mehr essen,
Die Haare könnt' ich vom Kopf mir reißen,
Heinrich muß ich statt Henry heißen!«
Und tief empört, ruft er aus, ganz blaß,
»Shocking!« – am Eck von der Taborstraß'!

Aber das ist noch gar nichts. Der arme Jacques
Schifft sich herum als gescheitertes Wrack.
Jahrelang hat er als Jacques sich getragen
Und seinen Jakob diskret unterschlagen.
Plötzlich ist der Boykott gekommen,
Alles Französische ist ihm genommen,
Er fühlt sich als Jakob geradezu nackt
Und spürt: jetzt hat es sich ausgejacqut!
Der arme Kobi, es ist nicht mehr schön,
Gestern hab' ich ihn schleichen geseh'n,
Er hat gestöhnt: »Ich tu' mir etwas,
Fidonc!« – am Eck von der Taborstraß'!

Der Heinrich und Jakob sind nicht mehr zu seh'n.
Es hat keinen Zweck, auf die Gasse zu geh'n;
Denn wenn sich schon wirklich ein Mädel wo zeigt,
Die mancherlei zeigt und sich selbst zeigt geneigt,
Und man sagt ihr auch richtig: »Ich hätt' eine Bitt',
Komm mit,« und sie geht sogar wirklich schon mit,
Dann wird mit dem Herrn sie paar Schritte wohl geh'n,
Zum Schluß aber wird sie ihn gleich lassen steh'n,
Sobald sich auf dringende Frage erweist,
Daß der reizende Gentleman – Koberl heißt!
Da ist dann das Mädel verschwunden verdrossen,
Und Kobi – Jacques – Jakob steht da wie begossen
Und murmelt, im Auge das bittere Naß:
»Mon dieu!« – am Eck von der Taborstraß'!

So leiden die beiden, der Henry und Jacques.
Es wird aber einmal noch kommen der Tag,
Wo die Leute wieder erlauben werden,
Französisch und Englisch zu reden auf Erden.
Dann werden die Freunde nicht trauern mehr brauchen
Und aus der Versenkung empor wieder tauchen,
Dann kommt sich zu steigen der reizende Kerl,
Der Buxbaumholz in Begleitung vom Perl,
Zu seh'n wird in frischgebügeltem Stolz
Der Perl dann sein mit dem Buxbaumholz,
Dann wird man die zwei wieder schau'n auf der Gass',
Au revoir – am Eck von der Taborstraß'!

 


 


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