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s gibt wenige deutsche Laubbäume, die auch im Winter irgendeinen Schmuck aufzuweisen hätten. Und fast nur die Birke mit ihrem blendend weißen Stamm und ihrer purpurn angehauchten Rutenkrone macht zu dieser Jahreszeit einen wirklich freundlichen Eindruck. Aber auch die Linde steht, wenn sie entblättert ist, nicht ganz so kahl und düster da, wie eine Erle, eine Ulme, ein Obstbaum. Die Menge von hellbraunen Früchtchen, die verhältnismäßig großen häutigen Flügelblättchen, die mit den Fruchtsträußen verbunden sind und an den Zweigen hängen bleiben, geben dem Baum einen leichten, aber deutlichen hellbraunen Schimmer. Möglich, daß die meisten im Winter unachtsam an solchen Bäumen vorübergehen, während ihnen ein grellfarbiges Reklameschild schon auf Kilometerentfernung auffällt, aber wer gerade auf die feinen und diskreten Farbenschattierungen achtet, wie sie uns die modernen Maler zu sehen gewöhnt haben, der wird auch in dem hingehauchten Hellbraun der Linde eine angenehme Bereicherung der Winterlandschaft erkennen.
Der warme Sommer freilich ist die eigentliche Jahreszeit der Linde. Wenn er herannaht mit seinen lauen Lüften, dann öffnet sie ihre Blüten. An weichen, schwülen Juniabenden, wenn die Sonne untergegaugen ist und doch die Nacht nicht kommen will, dann erfüllen die süßen Düfte die Luft und umschmeicheln die Sinne der Menschen, die nach des Tages Arbeit den milden Abend genießen wollen. Ein jeder Baum hat seine bestimmte Zeit, in der er sich mit Gewalt dem Menschen kenntlich macht und gleichsam auch dem Stumpfsinnigsten sagt: Hier bin ich! Diese Zeit der Linde sind die warmen Abende des Juni und Juli, sei es, daß dieser Baum, in Alleen angepflanzt, den Promenaden der Städter einen äußerst anheimelnden Reiz verleiht, sei es, daß er in der Mitte eines Dorfes unter seiner hundertjährigen Krone die jungen Burschen und Mädchen versammelt und in diskreter Dämmerung dem Scherz und Ernst der Liebe lauscht, die hier ihren schönsten Schutzort findet. Die Linde ist, obwohl wir ihr am häufigsten in der Gesellschaft des Menschen begegnen, doch ein echter Waldbaum, der über ganz Deutschland verbreitet ist. In zwei Arten tritt bei uns die Linde auf, als Sommer- und als Winterlinde. Die erstere, deren Blätter groß und deren Blüten zu zwei bis drei vereint sind, findet sich nur selten in wildem Zustande in Deutschland. Sie gehört mehr dem Süden an und in Ungarn bildet sie sogar reine Bestände. Die eigentliche deutsche Linde aber ist die Winterlinde, die sich von ihrer Verwandten besonders durch kleinere, unbehaarte Blätter und eine um 8—14 Tage spätere Blütezeit unterscheidet. Sie ist es auch, von der hier im allgemeinen die Rede sein soll.
Die Linde gehört zu unseren anspruchsvolleren Bäumen. Gleich der Buche meidet sie trockene und sandige Gegenden vollständig. Sie will einen fruchtbaren Boden haben, am besten gedeiht sie auf frischem lehmhaltigem Laubwaldlande. Hier häufen sich über dem schweren Erdreich alljährlich die großen Massen von Laub an, das im Vermodern die Nährstoffe an die Bäume abgibt und zugleich den Boden frisch und mürbe erhält. Die Linde sendet ihre Wurzeln sehr tief in die Erde, im Gegensatz zur Buche, die möglichst die kalte Feuchtigkeit des Untergrundes vermeidet. Die Wurzeln verzweigen sich außerdem sehr reich, und so ist die Linde jedenfalls sehr gut verankert, um trotz enormer Höhe und breiter dichter Kronenentwickelung doch allen Stürmen Trotz zu bieten. Im übrigen ist die Linde nicht gerade empfindlich, sie leidet nicht an Krankheiten, und sie hat auch keine spezifischen Feinde, die ihr arg zusetzen könnten. Sind die Wurzeln in gutem Boden, dann verträgt der Baum Wärme wie Kälte ziemlich leicht. Ist er doch in ganz Europa verbreitet, vom Süden an bis weit in den Nordosten, durch ganz Rußland hindurch bis an den Ural, und außerdem im Südosten in den Kaukasusländern. In Deutschland bildet sie nie zusammenhängende Wälder, ist vielmehr immer in einzelnen Exemplaren in den Buchen-, Eichen- oder gemischten Laubwaldbestand eingesprengt. Dagegen gibt es in Rußland, besonders in Estland, reine Lindenwälder.
Die Linde ist nicht besonders geeignet, sich leicht zu verbreiten. Gewiß besitzt sie eine große Menge von Samen, und sie übertrifft darin Eiche und Buche immerhin um ein beträchtliches, aber sie steht doch weit hinter anderen Bäumen, Birken, Erlen, Nadelhölzern, zurück. Besonders sind ihre Samen schwer, und sie wären für den Transport durch den Wind gänzlich ungeeignet, wenn der Stiel, der die Samennüßchen trägt, nicht mit einem großen, langen, häutigen Deckblättchen versehen wäre. Ein starker Wind vermag die Samen infolge dieses Flügelapparates doch recht weit fortzutreiben, allerdings weniger in der Luft als über die Erde hin. Dazu ist aber Vorbedingung, daß der Boden zur Zeit des Samentransports kahl ist. Wirklich hängen die Lindenfrüchte mitsamt dem Deckblatt den ganzen Winter über am Baume, und sie hängen so fest, daß sie ein leichter Wind nicht abreißen kann. Erst ein heftiger Sturm vermag die Nüßchen loszuschlagen, und gerade ein solcher starker Wind ist auch imstande, sie weithin über den Schnee, die gefrorene oder kahle Erde fortzutreiben. durch Tiere, die bei der Verbreitung so vieler Bäume stark beteiligt sind, werden die ungenießbaren Samen der Linde wohl kaum verschleppt. Von großem Werte für den Fortbestand der Linde ist ihre Fähigkeit, an der Stammbasis neu auszuschlagen. Wenn sie vom Sturme umgeknickt oder von einem anderen fallenden Baume umgeschlagen wird, schlägt sie doch von neuem aus dem Stamme aus. Von großem Wert ist es aber, daß sie sehr schnell wächst und darin andere ebenso kräftige Bäume, mit denen sie um den Platz streiten muß, besonders Eichen und Buchen, übertrifft. Das schnelle Wachstum ist aber besonders der Grund geworden, daß der Mensch sich ihrer annimmt und für ihre Verbreitung Sorge trägt. Fast in jedem Dorfe, jedenfalls in jedem Städtchen gibt es eine Straße, die mit Linden bepflanzt ist. Allerdings wählt man dazu weniger die Winter- als die Sommerlinde, die wegen ihrer größeren, weicheren Blätter, wegen ihres früheren Laubausbruchs noch beliebter ist. Jedenfalls würden weit seltener Linden gepflanzt, wenn sie so langsamen Wuchs besäßen wie die Eichen.
Der Same der Linde keimt meistens erst im zweiten Jahre. Das hängt damit zusammen, daß er gewöhnlich erst im Frühling vom Baume fällt und nun nicht mehr Zeit genug vorhanden ist, um die dicke Samenschale erweichen und sprengen zu laffen. So liegt der Same den ganzen Sommer hindurch und auch noch den Winter über regungslos auf dem Boden, um erst im nächsten Frühjahre seine Auferstehung zu feiern. Die Keimblätter sind von den späteren herzförmigen Blättern, wie dies ja bei den meisten Pflanzen der Fall ist, sehr verschieden. Während sonst aber die Keimblätter meist eine einfachere Form besitzen als das spätere Laub, sind sie bei den Linden sehr breit, dabei kurz und in eine Menge von Lappen zerteilt. Vielleicht besitzen sie in diesen Keimblättern noch Anklänge an eine frühere Entwicklungsstufe, wo die Linden tiefgebuchtete Blätter hatten gleich den vielen tropischen Lindengewächsen, von denen die bekannte Zimmerlinde (Sparmannia) ein oft gesehener Repräsentant ist. Wird die Linde von Menschen aufgezogen, so wachsen die auf gut gepflegtem Boden ausgesäten Pflanzen sehr bald heran. Nach zwei Jahren werden die Sämlinge verpflanzt, um zu einer verstärkten Wurzelbildung angeregt zu werden. In zwei oder drei Jahren werden die jungen Bäumchen in sorgfältig geführten Baumschulen in der Regel noch einmal umgepflanzt. Nach etwa fünf Jahren sind sie dann soweit gediehen, daß sie als Alleebäume Verwendung finden können. Auch im Walde wächst die Linde unter günstigen Umständen etwa in derselben Zeit zu einem kleinen Baum heran, während in ebensoviel Jahren Eichen und besonders Buchen noch kleine, nur erst manneshohe Stöckchen sind. Schon in jungen Jahren bekommt die Linde eine breite schattige Krone, darum stellt sie sehr bald etwas vor, sie sieht gewissermaßen respektabler aus als eine dreimal so hohe Pappel, deren Krone aus zwei, drei langen Ruten besteht. Mit zunehmendem Alter wird die Linde immer stattlicher und breiter, ihre Krone, an und für sich zu breiter Wölbung geneigt, gleicht schließlich einem gewaltigen Dom, unter dessen Kuppel Tausende von Menschen Platz finden können. Der Stamm, in der Jugend glatt und von schwärzlicher Farbe, wird borkiger, schließlich bekommt er dicke Furchen und dabei nimmt er an Umfang mächtig zu. Die Linden werden sehr hoch, sie können eine Größe von 25—30 Meter erreichen. Aber ihre Höhe wird dennoch nicht so fühlbar wie etwa bei alten Schwarzpappeln, deren Stamm leicht zu übersehen ist. Bei der Linde imponiert die Gesamtgestalt, diese nach allen Verhältnissen gleichmäßig stark ausgebildete Baumnatur. Die Linde hat nicht die an wilde Leidenschaft erinnernde Stärke der Eiche, nicht die stolze Form- und Farbenpracht der Rotbuche, ihre Kraft ist mehr diejenige gefestigter Verhältnisse, sie hat etwas großväterlich oder noch besser großmütterlich Solides, ihre Größe ist mit Milde, mit Freundlichkeit, mit Märchenpoesie vereint. Die Vorstellungen, die von jeher mit Bäumen verbunden worden sind, und die man auch heute noch unwillkürlich mit ihnen verbindet, hängen zum großen Teil mit der Form der Bäume zusammen. Die Linde mit ihren weichen lichten Herzblättern, ihrer reichen allseitigen Verzweigung, ihrem süßen Blütenduft, ihrem ehrwürdig gefurchten Stamm, das alles muß auch in unserem Gefühl diesem, wenn auch noch so gewaltigen Baum etwas mütterlich Fürsorgliches, Treues, Liebenswürdiges geben. Die Eiche mag an die unbändige Kraft der alten Germanenrecken bei unverfälschter Treuherzigkeit erinnern, die Buche an die stolzen, gewaltigen Ritter des Mittelalters, die Linde hat ohne Zweifel etwas Bürgerliches, allerdings jenes Bürgerliche vergangener Zeiten, wo es noch Solidität in der Welt gab, jener Zeiten der Holzschnitzkunst und des Lukas Kranach, wo mit tüchtigem Können ein froher Sinn und eine Liebe zu Kunst- und Gedankenvertiefung verbunden war.
Die Linde erwacht im Frühjahr ziemlich früh, allerdings treibt die Winterlinde später aus als die Sommerlinde, die in unseren Städten meist angepflanzt ist. Jedenfalls geht sie in der Laubentfaltung der Buche und Eiche weit voraus. Ihr erstes Laub ist ungemein zart, es hat jene lichtgrüne Farbe der jungen Birkenblätter. Wenn sie auch nicht die Zierlichkeit, dies frühlingsduftige Kleid der Birke hat, so ist sie doch mit der Fülle ihres Laubes ein Abbild der von Schöpferkraft überfließenden Frühlingsnatur. Ihre Blätter selbst haben in ihrer Herzform etwas Anziehendes. Übrigens ist die Herzgestalt in den Lindenblättern nicht ganz ideal ausgeprägt, sie sind nicht ganz symmetrisch gebaut, man bezeichnet ihre Form deshalb in der Botanik als schief herzförmig. Im Gegensatz zu fast allen anderen Bäumen Deutschlands blüht die Linde erst lange Zeit nach dem Laubausbruch. Die anderen sind ja fast alle — Ausnahmen sind besonders die Obstbäume, Eschen und Ahorn — Kätzchenträger. Die Linde entwickelt dagegen einzelne, vollständig ausgebildete Blüten. Zwar in dem dichten Laube können die Blüten nicht so leicht zur Geltung kommen, ihre Farbe ist deshalb ein unscheinbares Gelblich-weiß, aber die Blütenfarbe wird ersetzt durch den ungemein lebhaften Blütenduft, der in der Anlockung von Insekten wenigstens ebenso wirksam ist wie jene. In der Blütezeit sind denn auch die Bäume meist von Bienen stark umschwärmt. Und das hat noch für den Menschen einen besonderen Vorteil. Denn der Nektar, den die Bienen hier einsammeln, liefert einen vorzüglichen Honig. Die Imker sind darum immer sehr glücklich, wenn sie sich in der Nähe einer Lindenallee mit ihren Bienenstöcken ansiedeln können. Im Sommer bleibt die Belaubung des Baumes verhältnismäßig hell. Die Linde gibt einen reichen dichten Schatten, so daß sie zu den vorzüglichsten Promenadenbäumen gehört. Im Herbst hält sie ihre Blätter freilich nicht allzulange; besonders in dem Staub und Sonnenbrand der großen Städte macht die Linde schon in der zweiten Hälfte des Septembers einen traurigen Eindruck. Das ist auch der Grund, daß man neuerdings unsere deutschen Linden vielfach durch eine ausländische, die Krimlinde, ersetzt, die ihr Laub viel länger in den Herbst hinein bewahrt. Im Oktober, wenn der Laubwald ein buntes Kolorit bekommt, färben sich auch die Blätter unserer Linde gelb, ohne indes die tiefe Färbung des Ahorns oder der Birke zu erhalten.
Die Linde ist ohne Frage ein nützlicher Baum. Daß sie überall als Alleebaum Verwendung findet, entspricht zwar zunächst nur einem ästhetischen Bedürfnis der Menschheit. Aber da dieses Bedürfnis so allgemein verbreitet ist, so schließt dies schon an und für sich die Wertschätzung des Baumes in sich. Als Forstbaum dagegen ist die Linde nicht allzusehr geschätzt. Ihr Holz reicht durchaus nicht an die Güte des Eichen- und Buchenholzes heran, und doch macht die Linde ebenso große Ansprüche an den Boden wie die besten Forstbäume. Allerdings wächst sie bedeutend schneller als diese. Das Holz ist weich und leicht, der Brennwert ist nicht eben bedeutend. Am besten eignet sich das Holz zur feineren Bearbeitung für Tischler und Drechsler. Es läßt sich leicht schneiden, ohne zu spalten oder sich zu werfen. Es eignet sich ganz besonders zu Holzschnitzereien, und weil früher vor allem die katholischeu Heiligen und die Kruzifixe daraus geschnitten wurden, so nannte man es auch Heiligenholz. In Rußland, wo Linden viel häufiger sind als bei uns, werden auch Möbel häufig aus Lindenholz gebaut, für welche es wegen seiner ebenmäßigen Struktur und seiner ansprechenden rötlichweißen Farbe recht gut geeignet ist.
Die Linde ist der Baum, der am ältesten werden kann von allen deutschen Bäumen. Sie kann ein Jahrtausend ruhig überstehen, ohne an Altersschwäche zugrunde zu gehen. Viele Linden gibt es, viele auch in Deutschland, die schon seit langen Jahrhunderten stehn, die schon im Mittelalter standen, und schon damals als große Bäume bekannt waren. Eine der ältesten ist die Linde, die in der Nähe des Tores von Neustadt am Kocher in Württemberg steht. Sie war schon im Jahre 1252 bekannt, also vor mehr als 600 Jahren und im Jahre 1558 war sie bereits weit und breit als ein Baum von gewaltigem Umfang bekannt. Jetzt hat sie einen Stammumfang ' von über 12 Meter. Die Linde, die in Donndorf bei Bayreuth stand und die 1899 zusammenknickte, muß, nach ihren Jahresringen zu schließen, mehr als 1230 Jahre gestanden haben, sie muß also in jene alte germanische Zeit zurückgereicht haben, wo das Christentum noch nicht eingeführt war und wo ein gesundes Volk seine Gottheit in der Natur suchte, der nun auch wir wieder unsere huldigende Verehrung darbringen.