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on einem alten ehrwürdigen König, der verstoßen, in zerfetzter Kleidung in Sturm und Gewitter einhergeht, erzählt Shakespeare. Von seiner gefurchten Stirn, die alle Schicksale des Lebens gesehen hat, geht eine Hoheit, eine Größe aus, die jeden unwillkürlich zur Verehrung zwingt. Seine ganze Person, obwohl vom Alter und Unglück bereits gebeugt, atmet eine unbändige Kraft, die fast Furcht erregt. Wenn es erlaubt ist, zu diesem erhabenen Bilde des englischen Dichters ein Gegenstück in unserer Baumwelt zu suchen, so kann man nur an eine alte, altersgraue Eiche denken. Jahrhunderte haben auf solchem Baum gelastet, seine Rinde gefurcht, seine schweren Äste gebeugt und gekrümmt. Nichts von Regelmäßigkeit in seiner Form, nichts von Weichheit und einschmeichelnder Liebenswürdigkeit, alles ist unregelmäßig, ernst und hart. Aber welche ungeheure Kraft dringt aus diesem gewaltigen in tiefen Rissen unregelmäßig gefurchten Stamme, aus diesen gleich ungeheuren stählernen Armen ausgestreckten Ästen hervor. Die Eiche ist eigentlich kein schöner Baum, sie hat nichts Dekoratives, aber trotzdem macht sie durch diese tiefinnerliche männliche Art der Erscheinung, durch ihre viele Jahrhunderte überdauernde Zähigkeit den intensivsten ästhetischen Eindruck, den nur überhaupt ein Baum machen kann. Solch eine altehrwürdige Eiche erzählt uns von dem Glück und den Stürmen alter Zeiten, von all dem Werden und Vergehen der Jahrhunderte, die sie standhaft durchlebt hat und aus denen sie in die kleine Gegenwart hineinragt wie ein altes gigantisches Bauwerk.
Wir besitzen in Deutschland zwei Arten von Eichen, beide unterscheiden sich aber von einander doch nur wenig. Man muß schon nahe an die Bäume herangehen, um zu sehen, ob man eine Sommereiche oder eine Wintereiche vor sich hat. Die erstere, die auch Stieleiche genannt wird, besitzt gestielte Früchte, aber fast stiellose Blätter, die an ihrer Basis meist ohrenartige Anhängsel haben. Die Wintereiche dagegen, die auch Trauben- oder Steineiche heißt, besitzt stiellose Früchte, dagegen länger gestielte Blätter, und zwar geht das Blatt an seiner Basis allmählich in den Stiel über. Manche Botaniker unterscheiden noch eine dritte Eichenart, die weichhaarige Eiche, deren Blätter an der Unterseite weich behaart sind, die aber sonst der Wintereiche gleicht. Jedenfalls sind die Unterschiede in diesen drei deutschen Eichenarten sehr geringfügig, so daß es gerechtfertigt ist, wenn man im Volke nur von einer Eiche spricht.
Die Eiche ist in Deutschland immerhin noch stark verbreitet. In den Wäldern ist sie sogar einer der häufigsten Bäume. Aber nur die Sommereiche bildet hier und da reine Bestände. Im mittleren und südlichen Deutschland sind die kleinen Wäldchen, die Privatleuten gehören, immer reich an Eichen, aber in dem Grade, wie jene in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Terrain verloren haben, sind natürlich auch diese Bäume seltener geworden. In Norddeutschland sind sie fast nur in den spärlich vertretenen Laubwäldern vorhanden. In den mächtigen Kiefernwaldungen und Feuchten Niederungen trifft man sie nur selten an. Im höheren Gebirge fehlen Eichen gänzlich, doch geht die Wintereiche etwas höher auf die Berge hinauf als die Sommereiche. Ebenso reicht die erstere auch weiter polwärts als die letztere. Die Eiche fehlt im höheren Norden, sie dringt auch nicht über den Ural nach Sibirien vor, höchstens überschreitet sie im Süden und Südosten ein wenig die europäische Grenze. Nach diesen Richtungen hin werden unsere Eichen durch eine Reihe südländischer, zum Teil immergrüner Arten verdrängt, nach Norden und dem kälteren Osten zu dagegen findet die Eichengattung ihre natürliche Grenze. Denn die Eichen sind gegen Kälte sehr empfindlich. Ein Spätfrost im Mai zerstört Sofort ihr junges Laub. Vor allem aber sind die Sämlinge leicht der Vernichtung durch Kälte ausgesetzt. So ist denn die Eiche einer unserer empfindlichsten Wald Bäume. Im allgemeinen fühlt sie sich in Deutschland gerade noch recht wohl zu Hause, und der Kälte wegen meidet sie hier nur die Berge von der Nadelwaldzone an. Im übrigen ist die Eiche nicht allzu auspruchsvoll. Sie gedeiht im Gegensatz zur Buche auch noch auf Sandboden, falls dieser nicht zu trocken und steril ist. Sie liebt aber einen tiefgründigen Boden. Denn ihre Hauptwurzel geht senkrecht in die Tiefe hinab. Vermöge dieser Eigenschaft gelingt es ihr häufig, im Untergrunde eine fruchtbare Lehmschicht oder wenigstens feuchtes Erdreich aufzuspüren, so daß ihr dann selbst der trockenste Sand im oberen Boden nichts anhaben kann. Immerhin gehört die Eiche keineswegs zu den anspruchslosen Bäumen, sie ist nicht entfernt so genügsam wie etwa die Birke. Auch meidet die Eiche alle Extreme, sie gedeiht auf feuchtem Land ebenso wenig wie auf ganz trockenem, sie gedeiht nicht auf felsigem und auch nicht auf leichtem, lockerem Boden.
Die Eiche wächst nur langsam in die Höhe. Wie alle Wesen, die zu großer Kraft und reicher Individualität heranreifen, so hat auch dieser Baum eine sehr langsame Jugendentwicklung. Die Eiche schießt keineswegs gerade in die Höhe, sie verzweigt sich sehr bald, eventuell schon als einjähriger Sämling. Und die Verzweigungen entwickeln sich fast ebenso kräftig wie der Leittrieb, ja es kommt häufig vor, daß eine der ersteren diesen überholt und daß dadurch der Wuchs des jungen Bäumchens erst recht schief und sparrig wird. Bei lichtem Stande stellen die jungen Bäume nach dem ersten Jahrzehnt noch recht unschöne kleine Büsche vor, erst später und besonders bei dichterem Stande tritt die Astreinigung ein, der Stamm wird schlanker und erhält eine Krone. Es kommt dann die Zeit, wo die Eiche den Verhältnissen des Waldes sich unterwerfen und zu einem einigermaßen regelmäßigen Baume heranwachsen muß. Solche Eichen von 25—100 Jahren haben in ihrem Gesamtaussehen noch nicht dieses Breite, Individualistische, Malerische der alten Bäume. Ihre Rinde ist noch nicht sehr tief gefurcht und auch ihre Äste sind noch nicht so verbogen und verkrümmt. Immerhin zeichnen sich auch diese Bäume bereits durch eine eigenwillige Verzweigung und durch ein dunkles, ernstes Kolorit ihrer Rinde und ihres Laubes aus. Erst in einem Späteren Alter, nachdem der Baum sich allseitig Platz gemacht hat, nachdem seine altersschwachen Nachbarn vor seiner jährlich zunehmenden Größe und Breite sich haben ducken müssen, dann erst erhält die Eiche jene charakteristische, gewaltig erhabene Form. Der Stamm verdickt sich, ohne an Höhe zuzunehmen, der Baum bekommt eine untersetzte Gestalt, wie sie dem Starken eigen ist. Die Krone gliedert sich in eine Anzahl mächtiger hin- und hergebogener Äste, die wie die Arme eines kämpfenden Riesen sich ringen und strecken. Trotz aller Würde und Erhabenheit des Baumes geht von diesen ringenden, wie gegen das Schicksal sich auflehnenden Armästen eine feurige, in unbändiger Kraft sich verzehrende Leidenschaft, ein in Sturm und Wetter erprobter trotziger Geist aus. Die Eichen erscheinen infolge ihres breiten Umfanges weniger hoch, die Wintereiche ist überhaupt kein allzu hoher Baum, dagegen kann die Sommereiche die stattliche Länge von nahezu 60 Metern, und damit überhaupt das größte Maß unserer einheimischen Bäume erreichen.
Die Eiche schlägt sehr spät im Frühjahr aus. Ihrer starken Frostempfindlichkeit entsprechend, entwickelt sie ihr Laub gegen Mitte Mai zu einer Zeit, wo die Frostgefahr im allgemeinen vorüber ist. Wenn fast alle Bäume schon grün sind und nur die Pappeln und Akazien noch völlig kahl stehen, bricht aus den dicken braunen Knospen der Eichen das junge zarte Laub hervor. Besonders eigenartig sieht dieses bei der Sommereiche aus, hier hat es einen ganz gelblichen, fast bräunlichen Farbenton, der ganz der Stimmung der weichen Frühlingsnatur angepaßt ist. Später wird das Laub ganz grün, neben Birken, Linden, selbst neben Buchen erscheint es sehr dunkel und ernst. Das Blatt der Eiche ist immerhin sehr stattlich zu nennen, es ist bedeutend länger als breit und erhält durch die wellenförmige Ausbuchtung seines Randes die allbekannte charakteristische Form. Mit dem Ergrünen des Laubes zeigen sich auch die Blüten. Die Eiche gehört, wie viele unserer Bäume, zu den Kätzchenträgern, und zwar bildet sie mit der Rotbuche, Edelkastanie und dem Haselstrauch die Familie der Becherfrüchtler. Die Blüten vereinigen sich in kleinerer oder größerer Anzahl und jede Vereinigung bildet einen ziemlich unscheinbaren Blütenstand. Jedes Individuum besitzt männliche und weibliche Blütenstände. aus den letzteren gehen die Früchte, die bekannten Eicheln, hervor. Sie sind am Grunde von einem Becher — daher Becherfrüchtler — umgeben, der aus einer blattartigen Wucherung der Blütenachse entsteht. Gegen den Sommer hin leiden die Blätter der Eiche anßerordentlich vom Insektenfraß, es sind an 200 Tierarten, die auf diesem Baum ein Schmarotzerleben führen. Da gehört die Kraft und Widerstandsfähigkeit der Eiche dazu, um mit diesem Wuchererpack fertig zu werden. Im Spätsommer sind freilich oft ganze Zweige von Raupen und Käfern zerfressen und übersponnen. Bisweilen machen dann die Eichen, besonders jüngere Exemplare, noch einen späten Trieb, der mit seiner baumgrünen oder frischgrünen Belaubung eigentümlich gegen das verschlissene, verstaubte und verdunkelte ältere Blattwerk absticht. Im Oktober reifen die Eicheln und fallen dann bald in Mengen von den Bäumen. Die Sommereichen lassen ihre Früchte bereits im Anfang des Monats, die Wintereichen einige Wochen später fallen. So empfindlich das Laub der Eiche im Frühling ist, so abgehärtet erscheint es im Herbst. Noch den ganzen Oktober hindurch behält der Baum gewöhnlich sein dunkles Grün, erst Ende des Monats oder im November werden die Blätter gelb. Diese Gelbfärbung geht aber sehr bald in ein schlichtes Erdbraun über, das unseren Eichen durchaus eigentümlich ist. Es ist nicht etwa das wunderbar schöne Rostbraun der Buche, sondern ein helles, aber doch abgestumpftes Lederbraun. In diesem düsteren, erdfarbenen Kleide nehmen die Eichen eine finstere Hoheit an, die im Einklang steht zu den traurigen, nebeligen, sonnenarmen Tagen des Novembers. Viele Bäume behalten dieses neue Kleid den ganzen Winter hindurch, besonders an Stellen, die dem Winde weniger ausgesetzt sind. Viele verlieren es aber auch noch im November, und dann tritt die kahle, gedrungene, knorrige Gestalt des Baumes erst voll und ganz hervor. Ja, im Winter gerade macht die Eiche vielleicht den tiefsten Eindruck. Wie nns bei einem Athleten die ganze Größe seiner Kraft gerade aus dem Spiel der Mnskeln erst fühlbar wird, so übt auch die blätterlose Eiche mit ihren kahlen Riesenarmen eine überwältigende Wirkung aus den Beschauer aus. Das Urbild der Stärke, die auf alles Dekorative verzichtet, jene stille und doch im Innern leidenschaftliche Größe, das verkörpert am besten eine alte, viele Jahrhunderte zählende Eiche, die im Winter mit ihrem tiefgefurchten Stamm und ihren gewaltigen Ästen blätterleer dem Winde und der Kälte trotzt.
Das Gefühl der Kraft, das wir mit der Eiche verbinden, wird verstärkt durch die anßerordentliche Zähigkeit, Schwere und Dauerhaftigkeit des Holzes. Dieses nützliche Material wird zu Wasserbauten und zum Schiffbau, zu Möbeln, allerlei Werkzeugen und Maschinen benutzt, bei denen es auf große Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit ankommt. Von großem Nutzen ist auch die Eichenrinde, die bekanntlich als Lohe beim Gerben benutzt wird. Die Eicheln sind ein vorzügliches Futter für Schweine, es kommt wohl aber heutzutage nur noch ausnahmsweise vor, daß dem edlen Borstentiere dieses für seine Beleibtheit so ersprießliche Futter vorgesetzt wird. Wegen ihres vortrefflichen Holzes und ihrer Rinde gilt die Eiche als einer der wertvollsten Forstbäume, die aber nur auf besserem Boden wirklichen Ertrag liefert. Das Laub der Eiche wird als Symbol des Sieges in Spiel und Kampf getragen, der Baum selbst ist mit Sage und Dichtung, mit der Geschichte wie mit dem Naturempfinden unseres Volkes so eng verbunden, daß wir alle ihm eine unvergleichliche, fast verehrungsvolle Sympathie entgegenbringen.