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och ist Weihnachten nicht lange vorüber, an dem wieder wie alljährlich unzählige Fichtenstämmchen in buntem Schmucke aus den Tischen der Armen wie der Reichen prangten. Als Gruß aus der Natur war der »Tannenbäum« hereingekommen in das festliche Zimmer, um mit seiner Frische, seinem wundervollen Waldesduft, mit feiner grünen Waldschönheit die Festesstimmung zu erhöhen. Er war hereingekommen, aber er hatte uns mit sich hinausgeführt, er hatte unsere Gedanken hinweggeführt in sein Reich, in seine Heimat, in der er wohnt und lebt.
Die Fichte ist ein Kind des Gebirges. Gleich den Bergen, den steilen Hängen und Felsen, aus denen sie steht, hat sie in ihrer Gestalt wie in ihrem Wachstum etwas Aufstrebendes, etwas sieghaft Empordringendes. Stolz und Eleganz zugleich liegt in ihrem Wesen, mehr als in dem irgendeines anderen deutschen Baumes. An Stolz mag mit ihr die Eiche, die Buche wetteifern, an zierlicher Eleganz die Birke sie übertreffen, aber beides zugleich, jenes Gemisch von kühnem, männlichem Hochstreben und formvollendeter Würde kennzeichnet sie allein, die Fichte.
Die Fichte ähnelt noch am meisten der Tanne, der Edeltanne, und im Unterschied zu dieser wird sie auch Rottanne, Pechtanne, Schwarztanne genannt. Im Volksmunde heißen an vielen Orten beide Bäume Tanne, besonders werden die jungen Fichtenbäumchen, die als Weihnachtsbaum bei Jung und Alt bekannt sind, Tannen genannt. Im Hochwalde, wo Fichten und Tannen gemischt sind, gleichen sich beide Bäume derart in ihrer Tracht, daß sie auf den ersten Blick leicht miteinander verwechselt werden können. Der auffälligste Unterschied zwischen beiden Bäumen liegt in ihren Blättern, den Nadeln. Bei der Tanne haben die flachen, platten Nadeln auf der Unterseite zwei silberweiße Längsstreifen, die bei der Fichte fehlen. Dagegen sind bei dieser die ziemlich vierkantigen Nadeln an der Spitze scharf stechend, während die Blätter der Tanne am oberen Ende etwas eingebuchtet sind. Auch die Stellung der Nadeln ist bei beiden Bäumen verschieden. Bei der Tanne sind sämtliche Blätter derart zweireihig an den Zweigen angeordnet, daß sie sämtlich einen ebenen, zweiseitigen Kamm bilden. Bei der Fichte dagegen sind die Nadeln ziemlich regellos um den ganzen Zweig rundum gestellt. Bei der Tanne bleiben ferner die Fruchtzapfen auch nach der Reife aufrecht stehen, während sie bei der Fichte lose von denZweigen herabhängen. Kein anderer Baum hat eine so regelmäßig gebaute Gestalt wie die Fichte. Bis ins hohe Alter hinein behält sie überall, wo sie sich frei entwickeln kann, auch dicht unten am Erdboden, ihre Äste bei, während diese bei anderen Bäumen nach und nach verdorren, So daß bei ihnen ein hoher, freier Stamm entsteht. Die Fichte ist von unten auf mit regelmäßigen Serien von Asten dicht umgeben, dadurch erhält sie die eigenartige, straffe Gestalt einer schmalen Pyramide, die oben in eine lange, speerartige Spitze ausläuft. Wo die Bäume freilich dicht gedrängt aneinanderstehen, da müssen auch ihre Äste unten aus Mangel an Licht und Luft verkümmern und schließlich abfallen. Alsdann bilden sich auch bei der Fichte astfreie, lange Stämme, aber die Krone behält trotzdem ihre strenge Pyramidengestalt bei. Blickt man von oben her auf einen Fichtenwald, so sieht man nicht ein dichtes, ebenes, zusammenhängendes Grün wie bei der Kiefer oder der Buche, da erblickt man vielmehr ein Heer einzelner, gleichsam mit emporstarrenden Spießen bewaffneter Individuen. Das spitzige Aussehen der Fichte rührt vor allem daher, daß ihre Blätter, ihre Nadeln so kurz sind und so dicht An den Zweigen anliegen, daß diese in ihrer ganzen schmalen Länge ausdrucksvoll hervortreten. Der allgemeine Wuchs der Koniferen vertieft aber dieses Merkmal. Denn jeder Nadelbaum bildet im Frühjahr an jedem Ende seiner Zweige einen einzigen, steil aufragenden langen Haupttrieb, der sich nicht verästelt. An seiner Basis aber entspringen quirlartig im rechten Winkel sich abzweigende Seitentriebe. So besteht denn der ganze Fichtenbaum aus starren, spitzen Astquirlen, und weil ein jeder von ihnen mit stechenden, kurzen Nadeln gepanzert ist, darum macht die Fichte einen so ritterlichen, frischen, elastischen Eindruck.
Und diese unendlich morgenfrische Eigenart der Fichte ist zugleich das Abbild des Bodens, aus dem sie hervorgegangen ist und in dem sie wurzelt. Sie ist die Bewohnerin jener freien Bergeshöhen, in denen die Luft kühler und feuchter ist als in der Ebene. Selbst den Fuß der Gebirge, die Hügel bis zu 600 Meter Meereshöhe, überläßt sie der Buche und anderen Laubhölzern, aber weit oben, wo die Sonne ihre austrocknende Macht verloren hat, wo Wasserdampf fast immer die Luft erfüllt und häufig als Höhenrauch sich in ihren Kronen verdichtet, wo die Quellbäche schäumend und spritzend von den Bergen stürzen und der Waldboden mit Wasser vollgesogen ist, da oben ist ihre eigentliche Heimat. Darum ist sie der Charakterbaum der deutschen Mittelgebirge, des Riesengebirges, der sächsischen Gebirge, Thüringens und des Oberharzes. Aber sie beherrscht auch den größten Teil des Alpengebirges und erreicht in den Pyrenäen und in Serbien ihre Südgrenze. Hier im Süden aber zieht sie sich auf die höchsten Bergzonen zurück, während sie im Harz bis auf die Meereshöhe von etwa 400 Meter herabsteigt. In noch nördlicher oder kälter gelegenen Gebieten treten natürliche Fichtenwälder auch in der Ebene auf. Schon im östlichen Norddeutschland, vor allem aber in Skandinavien und Finnlaud fühlt sich die Fichte auch in der Ebene heimisch. Sie fehlt im Kaukasus, aber sie tritt weiter östlich im südlichen Sibirien wieder auf und dringt bis zum Amurgebiete vor. Obwohl sie ein Baum ist, der eine kühle Temperatur liebt, so bildet sie doch nur in Deutschland die Baumgrenze auf den Höhen der Gebirge. In den Alpen reicht die Zirbelkiefer in höhere Regionen als sie, im Norden steigen Fichte und gemeine Kiefer gleichweit in die Höhe, aber die Fichte dringt nordwärts doch nur bis zum 67.Breitengrade vor, und hier bilden erst unter dem 71. Breitengrade Lärchen und Birken die Baumgrenze. Es scheint demnach, daß die Fichte vor allem ein deutscher Baum sei. Denn nur bei uns beherrscht sie die Gebirge fast ausschließlich und allein.
Dem Leben im Gebirge hat sich die Fichte vor allem durch die Art ihrer BeWurzelnng angepaßt. Der Boden der Gebirge besteht in der Regel aus einem festen Gestein, dessen Oberfläche durch Verwitterung zu einer Schicht von Muttererde umgewandelt worden ist. Aber diese Schicht liegt an den Bergeshängen ziemlich flach, da sie unaufhörlich durch das Wasser zu Tal gerissen wird, und sie ist mit kleinen und größeren Steinen dicht durchsetzt, die der Verwitterung bisher Widerstand geleistet haben. Sie ist häufig sogar mit riesigen Felsblöcken dicht besäet, die von eingestürzten Wänden übrig geblieben sind. Die Fichte sendet nun ihre Wurzeln ganz flach unter der Oberfläche dahin, ohne sie wie andere Bäume in der Tiefe zu verankern.
Aber die Wurzeln stützen den Baum trotzdem oder vielleicht gerade dadurch vorzüglich. Sie laufen nach allen Seiten lang unter der Oberfläche dahin, umklammern dabei in eigentümlicher Weise die Steinblöcke und suchen selbst im harten Fels in tiefen Ritzen und Spalten Halt. So bilden sie denn für den Baum gewissermaßen elastische Streben, die ihm auch am steilsten Hang und beim wütenden Angriff der Gebirgsstürme einen sicheren Stand gewähren. Wo die Fichten gesellig stehen, da verflechten sich ihre Wurzeln derart ineinander, daß jeder Baum an dem andern eine feste Stütze findet. Zugleich aber ist diese Art der BeWurzelnng, wie sie die Fichte besitzt, vorzüglich geeignet, den flachen Boden kräftig auszunutzen. Da die Wurzeln in dem harten Gestein der Tiefe keine Nahrung erschließen können, so breiten sie sich flach in dem oberen mürben Boden aus, der durch Verwitterung in eine fette, lehmartige Erde übergegangen ist, die alle nötigen Nährstoffe in reicher Menge enthält. Auch in der Ebene bevorzugt die Fichte solch schweren Lehmboden, in ihm kann sie sich bei ihrer flachgehenden BeWurzelnng auch besser festhalten, als in leichteren Erdarten. Zudem hält der Lehmboden die Feuchtigkeit sehr gut in sich zurück, und Feuchtigkeit ist das Lebenselement dieses Baumes. In trockenem Boden, in trockener Lage verkümmert er in kurzer Zeit.
Auf dem Gebirge ist die Fichte ein höchst widerstandsfähiger Baum. Hier unterdrückt sie schließlich alle anderen Bäume, die mit ihr in Wettbewerb treten. Dabei ist sie jedoch in ihren ersten Lebensjahren gegen die meisten anderen Baumarten insofern viel ungünstiger gestellt, als sie nur sehr langsam wächst. In den ersten vier Jahren wird sie kaum einige Zoll hoch, Gräser und Sträucher machen ihr in dieser Zeit eine schwere, oft vernichtende Konkurrenz. Wo die Wälder sich selbst überlassen bleiben, wachsen die jungen Fichten besonders unter uralten Exemplaren auf, unter deren Riesenkronen die nicht allzu lichtbegierigen Sämlinge vor Überwucherung durch andere Pflanzen am besten geschützt sind. Wo der Mensch aber seinen Einfluß Auch auf den Gebirgswald geltend macht und der Forst parzellenweise durch Kahlhieb ausgerodet und wieder aufgeforstet wird, da überzieht sich der ganze Schlag in kurzer Zeit mit Gras und Kräutern. Diese würden die junge Fichtensaat völlig unterdrücken, und so bepflanzt man denn die Waldschläge gewöhnlich mit mehrjährigen Fichtensämlingen, die man in einem besonderen, ganz unkrautfrei gehaltenen Saatkamp anzieht. Natürlich verschwinden auch hier zunächst die Sämlinge fast gänzlich in der üppigen Vegetation des Waldschlages, der sich bereits im zweiten Jahre nach der Abholzung in eine Art Wiese umgewandelt hat, in der neben hohen Gräsern schöne Gebirgsblumen, roter Fingerhut, Enzian und Habichtskraut sich entfalten. Aber nach dem vierten und fünften Jahre kommt in die jungen Fichtenpflanzen ein neuer Lebenstrieb. Nun wird aus dem wiesenähnlichen Holzschlag eine junge Schonung. In langen, grünen Reihen treten die jungen Nadelbäumchen hervor, in wenigen Jahren berühren sich auch die Reihen, die Fichten Stehen nun in der ganzen Schonung Schulter an Schulter, sie haben »Schluß« bekommen. Jetzt bilden sie ein so finsteres, undurchdringliches Dickicht, daß aller Graswuchs jäh erstirbt. Braune Nadeln bedecken nunmehr den Waldboden mit einem dichten, gleichförmigen Teppich auf Jahrzehnte hinaus.
So schießen die Fichten im Wettbewerb miteinander Schnell empor und erst später, nachdem entweder von Menschenhand oder durch unterliegen der Schwächeren Platz geworden ist, wird der Fichtenwald wieder etwas lockerer und luftiger. Nun sprießen Moose und zierliche Farne, Sauerklee und Heidel- und Preißelbeergestrüpp aus dem Boden hervor.
In einem ziemlich späten Alter, erst nach 50 und mehr Jahren, fängt die Fichte an zu blühen und zu fruchten. Alsdann schüttelt der Wind im Frühjahr den gelben Staub aus den männlichen Blütenstauden, es entstehen mitunter wahre Wolken von Staub, die die Veranlassung zur Sage vom Schwefelregen gegeben haben. Der Blütenpuder gelangt auf die weiblichen Blütenstände, die bekannten Fichtenzapfen. Diese entwickeln bereits bis zum folgenden Winter ihren Samen, der jedoch im darauffolgenden Frühjahr aus den Zapfen herausfällt, soweit er nicht bis dahin den Spechten, dem Kreuzschnabel und anderen Waldvögeln als Winterfutter gedient hat. Immer noch wächst der Baum weiter, so daß er schließlich eine Höhe von 40-50 Metern, ausnahmsweise sogar eine solche von mehr als 60 Metern erreicht. Die Fichte kann bis über dreihundert Jahre alt werden. Wo sie aber Gegenstand der Forstkultur geworden ist — und das ist sie fast überall — da läßt man die Bäume nie über 120 Jahre alt werden. In der Gegenwart, wo Zeit angeblich Geld ist, wollen einige Forstmänner herausgerechnet haben, daß die Fichtenkultur bei nur 80jährigem Umtrieb den höchsten Ertrag liefere. Meist gönnt man aber den Bäumen hundert Jahre.
Am wertvollsten wird uns die Fichte durch ihr Holz. Sie liefert in ihren geraden, glatten Stämmen ein vorzügliches Bauholz. So stammen Balken, Bretter, Dachschindeln, alles, woraus die schmucken Häuser der Gebirgsdörfer bestehen, von der Fichte. Das Holz dient auch zu Möbeln und zu allerhand Geräten, doch ist es für feinere Sachen zu leicht spaltbar und wenig widerstandsfähig. Auch als Brennmaterial taugt es nicht allzuviel und steht darin nicht nur dem der Buche und Birke, sondern auch dem der Kiefer erheblich nach. Es ist fast selbstverständlich, daß die quirlförmigen Zweige der Fichte zu Kücheuquirlen verarbeitet werdend Aus dem Baume wird ferner Harz, Terpentin, Teer, Pech und Ruß gewonnen. Ein nicht unbeträchtlicher Gewinn erwächst neuerdings, wo Forstdiebstahl strenger bestraft wird oder vielmehr Forstdiebe leichter ertappt werden, der Waldwirtschaft auch durch den Verkauf der jungen Fichten als Weihnachtsbäume. Früher holte sich fast ein jeder sein Bäumchen selbst aus dem Walde, heute werden zur Weihnachtszeit die Fichten in die immer volkreicher werdenden Städte zu Hunderttauseuden gebracht und verkauft.
Wo Fichten stehen, da erhält die Landschaft einen frischen, stolzen Zug. Unsere Gebirge, auf denen die Fichte zusammenhängende Wälder bildet, sind ohne diesen Baum kaum denkbar. In den unteren Bergregionen, in denen er sich mit Buchen häufig vergesellschaftet, steht er wie ein einsamer, stolzer Mann unter der heiteren Menge der Laubbäume. Weiter oben dann, wo er nur seinesgleichen oder eine Tanne um sich sieht, entstehen jene ernsten, kühlen, stolzen Wälder, die den Geist der gewaltigen Gebirgsmassen atmen, die Kraft der Höhenluft und der Wassergewalt, die an dem Gebirge unaufhörlich arbeitet. Die Fichten füllen die Täler aus, in denen zu ihren Füßen der Sturzbach rauscht, und sie machen die Schluchten finsterer und enger. Sie lassen die Felsen, an denen sie in schwindelnder Höhe hängen, noch steiler und grausiger erscheinen, und sie erhöhen die Bergspitzen, auf denen sie Fuß gefaßt haben. Doch wenn wir dann in die höchsten Zonen der Gebirge gelangen, dann schwindet auch allmählich die Kraft und der Stolz der Fichten. Sie werden kleiner und kleiner, auf dickem aber kurzem Stamm eine schwächliche Spitze. Die Kälte und vor allem der Wind hindern da oben das Wachstum. Der Wald löst sich allmächlich auf in einzelne glieder, wie ein Trnpp Soldaten vor dem Feind. Und man sieht den einzelnen, kurzen Bäumen an, daß der Kampf ein harter ist. Auf der Windseite fehlen ihnen alle Zweige, ihre Spitzen sind wiederholt geknickt worden, und bei dem Versuch, sie zu erneuern, hat der Baum zwei, drei und mehr Gipfeltriebe entwickelt, er ist zu einem Busch geworden. Ganz oben stehen noch ein paar einzelne Bäumchen, gleichsam als Vorposten, sie sind mit dichten Flechten besetzt, ihre Zweige sind gebrochen, sie sind kaum höher als das Dickicht von Heidelbeeren, Heidekraut und Gräsern, in dem sie stehen. Die Herrschaft der Fichten ist hier zu Ende. Hier oben gedeihen nur noch niedrige Gewächse, denen Wind und Kälte nichts anhaben können.