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s gibt auch jetzt noch einige Fleckchen deutschen Bodens, über die der Mensch keine Herrschaft ausübt. Noch liegen weite Ländereien vollständig unbenutzt da, Heiden und Moore dehnen sich aus, ohne daß sich die Kultur ihrer bemächtigt. Wo der Boden freilich nur einigermaßen einen Ertrag abgibt, steht er längst unter der Gewalt des Menschen. So ist denn auch der Wald nicht mehr wie in früheren Zeiten sich selbst überlassen, auch ihm ist das Zeichen der Kultur aufgedrückt worden.
Immerhin ist der Wald auch heute noch diejenige Vegetationsform, die auf überhaupt ertragsfähigem Boden am seltensten den Einfluß des Menschen zu spüren hat. Auf den Feldern und den Wiesen erfolgen jedes Jahr zum mindesten einmal, meistens aber häufiger und während vieler Tage, Wochen und Monate menschliche EingRisse. Der Wald bleibt oft jahrzehntelang unberührt.
Je ungeeigneter ein mit Bäumen bestandener Boden für den Landmann ist, um so weniger erfährt er den Einfluß des Menschen.
Es gibt besonders drei Arten von Wäldern, die noch die ganze Ursprünglichkeit der Natur besitzen.
So machen die kleinen Buschwälder, die im mittleren und südlichen Deutschlaud häufig inmitten von Feldern und an steilen Abhängen zu finden sind, in ihrer Ungepflegtheit, ihrer Wirrnis, der Mannigfaltigkeit ihrer Gehölzarten den Eindruck völliger Unberührtheit.
An solchen Abhängen ist Ackerbau unmöglich, mag der Boden im übrigen noch so kräftig sein. Und an dem schnellen Emporschießen von Ahorn, Birken, Rüstern, sogar von Eichen und Buchen, an dem dichten Buschwerk, das die Bäume umgibt, sieht man die Fruchtbarkeit des Bodens.
Diese kleinen Wäldchen befinden sich meist in den Händen von Bauern. Der Pflug kann an diese abschüssigen Stellen nicht heran, und jeder starke Regenguß droht das bearbeitete Land mitsamt der Ernte in die Tiefe zu reißen. Darum bleiben diese Wäldchen erhalten.
Allerdings in einer Zeit, wo dem Landwirt geraten wird, ein kalkulierender Kaufmann zu werden, hat mancher Bauer die Axt an das Waldstück gelegt, das Vater und Großvater unberührt gelassen hatten. Viel Segen ist aus solchen Landstücken nicht gerade gesprungen, aber das Prinzip der »rationellen Wirtschaft« ist gerettet worden.
Dergleichen kleine Waldgebiete bleiben vollständig ungepflegt, doch werden sie oft schon nach einem Zeitraum von fünfzehn Jahren vollständig abgeholzt. Dann werden die Bäume und Sträucher nicht mit den Wurzeln ausgerodet, sondern über der Erde abgehauen. Aus den Stümpfen schlagen dann neue Triebe mit großer Kraft hervor, und nach wenigen Jahren ist ein undurchdringliches Dickicht von übermannshohen Ruten entstanden. Die stärksten von ihnen erringen aber mit der Zeit die Oberhand und wachsen zu Bäumen auf. Neben und unter ihnen wuchert ein dichtes Strauchwerk.
Oft bleibt jedoch solch ein Wäldchen jahrzehntelang von Menschenhand unangetastet und es bildet sich allmählich ein Stück Natur aus, das an den Urwald erinnert. Bei der Abholzung bleiben außerdem oft einige größere Bäume stehen, entweder weil sie nicht gebraucht werden und es zu verschwenderisch wäre, sie als Brennholz zu benutzen, oder weil man sie als Nutzstämme sich noch besser ausbilden lassen will. Oft genug geschieht es auch, daß ein solcher Baum zu mächtig geworden ist und verschont bleibt, weil die Arbeit des Fällens zu viel Zeit und Mühe beauspruchen würde.
So bergen diese Wäldchen oft stattliche Eichen, Pappeln und Eschen.
Für den Landmann ist der Wald ein Holzreservoir, aus dem er jederzeit seinen augenblicklichen Bedarf an Werkzeugholz holen kann.
Von großem Werte aber ist er für die heranwachsende Jugend. Sie verlebt hier manche schöne Stunde, denn der Wald birgt Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren und Haselnüsse, er liefert Stöcke, Bast, der wie Bindfaden benutzt wird, Maiblumen, Pfeifen aus Weidenrinde, Eichelbecher, allerhand schöne Sachen, an denen Kinder Vergnügen finden.
Und wie schärft sich das Auge in der bunten Mannigfaltigkeit des Waldes, wie geschmeidig wird der Körper bei dem Umherschweifen durch und über das Dickicht, wie gesund die Seele in dieser grünen Umarmung des Waldes.
Diese kleinen Laubwäldchen machen einen überaus freundlichen Eindruck.
In ihnen herrscht die ganze wohltuende Innigkeit der deutschen Baumwelt. Der Wald trägt zu wenig alte Bäume, um ernst und majestätisch zu wirken, das reiche Buschwerk, die schlanken, nicht allzu mächtigen Stämme atmen Lebenslust, Freude und Milde. Um den Rand eines solchen Wäldchens schlingt sich eine dichte Hecke von allerhand Sträuchern. Hier wuchern Himbeeren, dort Brombeeren, an anderen Stellen Haselnußsträucher und verschiedene Büsche, die im Frühjahr mit schönen Blüten und im Herbst mit schwarzen oder roten Früchten dicht behängt sind. Hier finden viele Sträucher ihr Unterkommen, die im gepflegten Walde, in den Forsten immer seltener werden.
Im Gegensatz zu diesen freundlichen lieblichen Laubwäldchen inmitten fruchtbarer Ackerbaugegenden bietet ein anderer der Natur frei überlassener Wald das Bild vollkommenster Trostlosigkeit.
In den armen Landgegenden der norddeutschen Tiefebene, besonders im östlichen Teile derselben, besitzt jeder kleine Bauer seinen Privatwald, seine »Heide« — Kiefernwälder, die freilich nur selten den Eindruck eines staatlichen Kiefernforstes machen.
Armselig ist ja der Boden in den weiten Landgegenden der Mark überhaupt, aber natürlich hat man dem Walde im allgemeinen das armseligste Land angewiesen.
Es kommt dazu, daß der Bauer das geringe Stroh, das er erntet, verkaufen und dafür aus seiner Heide die Nadelstreu holen muß.
Die einzige Nahrungsquelle, die der Kiefernwald auf diesem öden Boden besitzt, geht ihm also verloren. Infolgedessen gedeiht die Kiefer, die schon viel Trockenheit und Armut vertragen kann, nur schlecht. Bald nach der Aufforstung gehen eine Menge Pflanzen zugrunde, sie vertrocknen, der Bestand wird lückenhaft, jedes Bäumchen steht einzeln und der Wald schließt weite kahle Plätze ein.
An einem solchen Krüppelwald sind Durchforstungen überflüssig, da die Bäume einander nicht im Wege stehen. Und So bleibt der Wald oft viele Jahrzehnte unbeeinflußt von Menschen.
Die Kiefer ist ein düsterer, Schwermütiger, melancholischer Baum, und über diesen Krüppelwäldern der norddeutschen Landgegenden liegt die ganze Hoffnungslosigkeit eines armen und reizlosen Bodens. Die Schwere, die Unbeweglichkeit, das Breite und Horizontale der Ebene lastet auf jedem Kiefernforst. Aber hier auf diesem, von traurigem Schwarzen Moos und silbernen Flechten nur leicht zusammengehaltenen Boden, auf dem ein verkrüppelter Kiefernstrauch oder ein Kieferzwergbaum steht, scheint ein Fluch zu liegen. Da die Kiefer ursprünglich schon in die Breite wächst, als wollte sie nicht gern den Boden verlassen und in die freie ausdörrende Hitze aufsteigen, so wird sie in diesen vernachlässigten Privatwäldern überhaupt nur zu einem viele Meter breiten Busch von nur geringer Höhe. Die Äste kriechen am Boden dahin, als wollten sie ihn bedecken, um etwas Frische in ihm zu erhalten. Allerhand verkrüppelte Gestalten sieht man hier, mehrstämmige Bäume, arme, gabelästige Zwerge, verbogene Kronen, windschiefe niedere Stämme.
Diese verkrüppelten Wälder haben oft eine größere Ausdehnung. Mancher kleine Bauer hat dreißig und mehr Morgen Holzland. In der Regel liegen die einzelnen Waldstücke eines Dorfes zusammen, so daß eine ausgedehnte Waldung entsteht, die meist an allen Stellen trostlos und vernachlässigt ist.
In diesen Krüppelwäldern herrscht in jeder Jahreszeit eine stille Verlassenheit. Der Frühling geht an ihnen fast spurlos vorüber, denn die grauen Jungtriebe, die im Mai sich zu strecken beginnen, sind kurz und an und für sich nicht besonders zierend. Im ersten Frühling singt zuweilen noch eine Goldammer oder ein Fink sein Lied, Sonst herrscht Stille in dieser öden Landschaft. Nur Selten kommt ein Mensch hierher, was hätte er auch hier zu suchen? Sollte er in diesen Wald gehen, um sich zu erfrischen? Wo die Sonne ärger als auf der Flur brennt und der Kienduft der armseligen Kiefern trockener und erschlaffender als der Hauch des offenen Feldes ist? Oder Sollte er hier seelische Erquickung holen, Trost im Leid? Er wäre an eine böse Stätte geraten, denn hoffnungslos starrt ihn die Landschaft an, in dem verdorrten Boden, in dem düsteren Grün der zerfahrenen und verbogenen Aste sitzt die Wehmut und singt ihr trostloses Lied.
Von wieder anderer Art sind die Wälder der oberen Bergregionen an der Grenze des Baumwuchses.
An diesen hochgelegenen Punkten ist die Holzwirtschaft mühsam und wenig lohnend, andererseits sind diese in die Höhe vorgeschobenen Wäldchen ein Schutz für die tiefer gelegenen, und schon darum liegt es im Interesse der Anwohner, sie möglichst unberührt zu lassen.
So findet man in den deutschen Alpen wie auf den höheren deutschen Mittelgebirgen, auf dem Riesengebirge oder dem Harz, in der Nähe der Baumgrenze Fichtenwälder, die vollständig sich selbst überlassen bleiben.
Sie haben ein sehr eigenartiges Gepräge.
In diesen Höhenlagen ist die Temperatur so niedrig geworden, der Boden lange Zeit des Jahres gänzlich, und auch im Sommer bereits in geringer Tiefe gefroren, so daß sich in ihm keine Pflanzen von hohem Wuchse entwickeln können. Die Fichten sind darum nur kleine Exemplare und stehen in diesem kalten Boden, aus dem der Nahrungsstrom nur langsam und spärlich fließt, nie sehr dicht. Die kleinen HochlandSträucher, die Preißel-, Heidel- und Rauschbeeren, wuchern üppig zwischen den isoliert stehenden Fichten und bilden einen hohen, angebräunten Rasen. Neben der Kälte haben sich diese Bäume noch mit einem andern schlimmen Feinde ihr Leben lang zu plagen: mit dem Winde. In jenen freien Höhen rast der Wind mit toller Wut über die kahlen Hänge und wirft sich in übermächtiger Leidenschaft auf die Bäume, die ihm die Stirn bieten wollen. Wie Truppen nach der Schlacht sehen die Fichten aus. Sie sind zerzaust, geknickt, die Äste beraubt. Der Wind knickt besonders alle Äste ab, die sich schräg zu seiner Richtung stellen, dagegen hat er nicht ganz die Macht über die Zweige, die von ihm abgewandt sind. So streckt denn mancher dieser Fichtenbäume seine wenigen Aste alle nach einer Himmelsrichtung, mancher hat nur einen Ast, er gleicht einem Krüppel, der den einzigen Arm, der ihm geblieben ist, hilfesuchend ausstreckt.
Aber es steckt trotz alledem nicht die zehrende Sehnsucht, die düstere Melancholie in diesen Fichtenwäldern, wie in den verkrüppelten Kiefernbeständen. Verkrüppelt sind auch diese Fichten, aber sie bewahren noch etwas von dem Stolze, von dem Streben in die Höhe, von der eleganten Geradheit des Wuchses ihrer Brüder auf den tiefer gelegenen Abhängen. Was ist die Fichte für ein stolzer, aufrechter, in allen Trieben unbeugsam aufstrebender Baum, ein kraftvolles, hochsinniges Kind der Berge! Die Ungunst der Verhältnisse läßt das Heer der silbernen Flechten aufkommen, die Stamm und Äste oftmals dicht umschlingen. In der reinen, klaren Bergluft ragen ihre spitz zulaufenden, astarmen Stämme kühn und trotzig in die Höhe. Und selbst wenn der Höhenrauch sie umzieht und der Nebel nur einen kleinen Teil des Waldes überschauen läßt, machen sie doch kaum einen düsteren Eindruck, eher möchte man in ihnen Scharen von Lanzenträgern erblicken, die, unbekümmert um Wind und Wetter, über die Berge ziehen. Denn Bewegung liegt in den kleinen, stämmigen Bäumen, dieselbe unruhige, kraftvolle, abwechslungsreiche Bewegung, die das Gebirge im Gegensatz zur Ebene kennzeichnet.
Kaum eine Blume blüht in diesen von Beerensträuchern überwucherten Höhenwäldern, kaum bemerkt man ein Tier, aber die Einsamkeit ist doch nicht niederdrückend, wie in den düstern Kieferwäldern, welche die Seen der Mark umrahmen.
Diese Einsamkeit hat etwas Erhabenes, auf diesen stolzen Bergeshöhen atmet ein Hauch der Ewigkeit, der das Gemüt erhebt; der Kampf der Fichten wirkt erfrischend, die Unberührtheit der Natur faßt uns hier mit unsichtbaren Zauberhänden und senkt einen Schatz von Kraft und Trost und Freude in unsere kulturmüde Seele.