Stefan Großmann
Herzliche Grüße
Stefan Großmann

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Freundschaft

Jeden Morgen saßen die beiden Freunde im Stadtpark auf der Bank unter der Kaiserlinde und ließen die alten Frauen, die Kinder, die Arbeiter und die jungen Mädchen an sich vorüberziehen. Sie sahen in die Gesichter der Leute, sie lachten über die Gangart der Vorüberziehenden, sie erlauschten einige Worte der Passanten und ein Blick genügte den Freunden, um sich über alle Wunderlichkeiten, die sie miteinander sahen, zu verständigen.

Eines Tages kam eine junge Frau vorüber, die hatte dunkles, rostbraunes, wenn die Sonne daraufschien, aufleuchtendes Haar.

»Das ist jetzt in Mode!« lachte der Jüngere, »rotblondes Haar wird heuer nicht mehr getragen. Jetzt färben sich alle das Haar rostbraun. Ist es nicht zu dumm, daß die Weiber sich ihre Haare wie auf ein gemeinsames Kommando verändern?«

»Ich finde es schön,« sagte der Aeltere sorglos, »vielleicht ist es echt.«


Eine Woche später saß der ältere Freund allein auf der Bank unter der Kaiserlinde.

Die Frau mit dem rostbraunen Haar und der jüngere Freund standen vor dem Tore des Stadtparks.

»Bitte,« sagte er zu ihr, »gehen wir nicht durch den Stadtpark!«

»Warum nicht?« fragte sie verletzt.

Er wurde rot im Gesicht und sagte schnell: »Ich will die bösen Schwätzereien der Leute nicht hören.«

Da erinnerte sie sich ganz deutlich an die boshaft zwinkernden Augen, an das gemeine Gesicht des älteren Freundes, der damals an jedem Morgen mit dem jüngeren auf der Bank unter der Kaiserlinde zu sitzen pflegte.


Später sagte sie einmal: »Es ist mir unverständlich, wie ein Mann wie Du mit so einem gemeinen, tückischen Menschen verkehren konnte.«

Er strich ihr besänftigend über das schöne rostbraune Haar.

Sie schwieg eine Weile. Plötzlich fragte sie:

»Haben Dir meine Haare schon damals gefallen?«

»Deine Haare waren das Erste, was ich an Dir sah. Jeden Morgen wartete ich auf den Moment, wo sie am Anfang der Allee aufleuchteten.«

Plötzlich bekam ihr Gesicht einen bösen, fanatischen Zug.

»Ich wette darauf«, rief sie, »daß dieser Mensch nicht einmal meine Haare für echt hielt!«

»Ja«, sagte er ruhig, »er hatte ein Talent, dem andern Eindrücke zu zerstören und Schönheiten zu verekeln.«

Von diesem Tage an brauchten sie über den Freund nichts mehr zu reden.


Nach langer Zeit saßen die beiden Freunde wieder am Morgen beisammen auf der Bank unter der Kaiserlinde.

Eine junge Frau mit rostbraunen Haaren ging am Arm eines fremden Herrn vorüber.

»Du hast wirklich recht,« lachte der jüngere ganz überzeugt, »Du hast schon vor langer Zeit gesagt, daß es nichts Dümmeres gibt, als wenn sich die Weiber plötzlich wie auf ein Kommando ihre Haare rostbraun färben.«

»Habe ich das gesagt?« antwortete der andere sorglos, »ich finde rostbraunes Haar sehr schön. Vielleicht ist es echt.«

»Du bist doch wirklich ein tückischer Bursche,« wollte der andere sagen.

Aber er redete über die ganze Sache lieber gar nichts und blieb nur einfach aus dem Stadtpark weg!


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