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Vor den Richtern steht ein Angeklagter, der betrogen hat. . . . »Sie legen keine Reue an den Tag,« sagte der erste der Richter hart, »Sie geben sich nicht einmal die Mühe, Ihre Verbrechen zu begründen und so um Nachsicht zu bitten«.
Der Betrüger bleibt stumm.
Eine Betrogene wird in den Gerichtssaal hereingeführt.
»Dieser armen alten Frau haben Sie ihre mühselig ersparten Gulden, die sie in schwerer Arbeit erdarbt hat, mit denen sie sich für die Tage der Gebrechlichkeit schützen wollte, leichtsinnig herausgelockt. Verachten Sie sich nicht selbst?«
Die alte Frau wankt hinaus, der Betrüger bleibt stumm.
Eine junge Person in schwarzem Kleid wird hereingebracht.
Schluchzend sagt sie: »Er hat mein Kind auf dem Gewissen. Er bestahl mich, während ich im Wochenbett lag. Die Milch verdarb mir in der Brust und ich hatte kein Geld mehr für eine Amme. Auf dem Lande haben sie mir dann mein Kind umgebracht.«
»Packt Sie nicht die Scham?« fragte der Richter.
Der Betrüger bleibt stumm. Die Weinende wird hinausgeführt.
Nun wurde der Abschiedsbrief eines Kaufmannes verlesen, den der Betrüger hinters Licht geführt hatten »Ich muß sterben,« stand darin, »denn ich war schon daran gewöhnt, das Leben in dem Geschäftsladen, den einst mein Urgroßvater errichtet hat, zu verbringen. Er hat mein Geschäft ruiniert; ihm danke ich die Kugel, die ich mir jetzt ins Herz schieße.«
»Noch ein Menschenleben!« sagte der Richter bedeutungsvoll. »Bereuen Sie noch nicht?«
Der Betrüger bleibt stumm.
»Die anderen Zeugen sind eigentlich nebensächlich,« meinte der Richter. »Unser Urteil steht fest. Es handelt sich auch nur mehr um weniger schwere Verbrechen.«
Alle Zeugen entfernten sich. Nur ein Rentier blieb im Saale und bestand darauf, vernommen zu werden.
Dieser Zeuge sagte im Tone des Bedauerns:
»Mir ist recht geschehen. Er hat mir vor zweiundzwanzig Jahren einen mittelgroßen Betrag entlockt. Damals wußte ich noch nicht, wie die Menschen sind. Ich war noch ein ganz unerfahrener Mensch, ein Idealist, ein grüner Junge und Träumer. Man lernt ja . . .«
Da fiel der Betrüger vor seinen Richtern auf die Knie und schrie: »Verdammt mich für lebenslang! Schickt mich in den finstersten Kerker!«
Erstaunt fragte der Richter: »Plötzlich bereuen Sie? Jetzt?! Und gerade diesem Manne haben Sie einen verhältnismäßig geringen Schaden zugefügt!«
Da errötete der Betrüger sogar und gestand:
»Dies ist meine gemeinste Tat gewesen! . . . O, man soll sich auch die Opfer seiner Sünden aussuchen . . . Es gibt Menschen, denen man einen Dienst erweist, indem man sich an ihnen versündigt. Vor zweiundzwanzig Jahren habe ich diesen Mann um ein Geringes betrogen, aber keiner hat größere Zinsen aus diesem meinem Verbrechen gezogen als er. Meine Sünde ist seine erträgnisreichste Spekulation geworden. Seither ist er kein Träumer mehr, kein grüner Junge, kein Idealist. Seither ist ihm kein leidender Mensch vor Augen getreten, dem er nicht lächelnd geantwortet hätte: Schon gut, ich kenne das . . Vor zweiundzwanzig Jahren . . . So sind die Menschen! Man hat seine Erfahrungen! Was habe ich gesündigt an allen, die vor seine Tür traten! Ich habe diesem Manne zu den wucherischesten Wucherzinsen verholfen. Meine Sünde hat ihn gerechtfertigt! O . .«
Die Richter verhängten über den gemeinen Betrüger die schwerste Strafe.