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Österreichische Erzherzöge / Erzherzog Rainer / Erzherzog Ludwig Salvator / Erzherzog Joseph / Erzherzog Eugen / Wilde Streiche des Erzherzogs Otto
»Österreichs idiotische Erzherzöge« – mit diesem verächtlichen Ausdruck faßte Bismarck die Säulen des Hauses Habsburg zusammen. Doch müssen wir uns hüten, diese Worte als gültige Definition anzusehen, oder sie als Schmähung auszuspielen.
Die Erzherzöge sind zwar so erzogen, daß sie von dem normalen Menschentypus abweichen, aber ihre Abweichung bewegt sich nicht immer in der gleichen Linie. Glänzendes Wesen und körperliche Schönheit gehen oft mit Dekadenz zusammen. Genie und Wahnsinn können als Verbündete auftreten, und Überspanntheit ist der Vetter von beiden. Die kränkliche Frucht eines kränklichen Stammes scheint oft durch äußere Kraft den Mangel von Mark und Kraft zu ersetzen. Wir werden sehen, wie diese Wahrheit durch die verschiedenen Vorkommnisse innerhalb des Kreises der Erzherzöge ihre Bestätigung findet, und wie Franz Joseph allein unter ihnen dasteht als ein Mensch, der ein schönes Teil Begabungen und Fähigkeiten mit der normalen Durchschnittsart vereinigt.
Als einen solchen Menschen haben wir ihn in der Tat bereits kennen gelernt. In seinem Eheleben haben wir ihn gesehen als den Vertreter des Einfachmenschlichen gegenüber einer Vertreterin des Außergewöhnlichen; wir fanden ihn erstaunt und bestürzt, aber sich selber treu bleibend und seinen geraden Weg bis ans Ende gehend. In seinem politischen Leben fanden wir ihn mehr nachgiebig als starknackig, weise in der Wahl seiner Ratgeber, ihnen jedoch oftmals überlegen, und stets, besonders aber in den reiferen Jahren erfolgreich darin, sich selber vor den Augen der Welt die richtige Positur zu geben: ein Kaiser, der tatsächlich und wahrhaftig »etwas von einem Kaiser an sich hatte«, wie das Volk sagt; prachtliebend, ehrfurchtgebietend, geistig bedeutend und leutselig, wenn auch von einer Leutseligkeit, auf die zu pochen es nicht geraten ist. Mag es sich auch vielleicht da oder dort mehr um sorgfältig gepflegten Schein als um eine Wirklichkeit handeln, die dem Schein ihr Wesen einverleibt, der Eindruck, den man von ihm gewinnt, ist auf alle Fälle der eines Kaisers, dem die Zucht einer strengen Erziehung und frühzeitiger Verantwortlichkeit sozusagen eine Musterprägung verliehen hat.
Aber, wenn der Kaiser eine Musterprägung erhielt, so läßt sich dies von den Erzherzögen keineswegs behaupten. Sie haben getan und gelassen, was ihnen gefiel, sich als Habsburger ziemlich von den andern Menschen unterscheidend, jedoch nicht in der Verfolgung irgendeines gemeinsamen Ideals.
Wir müssen den Blick wieder etwas rückwärts wenden. Denn obwohl die neuerlichen Ereignisse die Erinnerung an die früheren etwas zurückgedrängt haben, so hatte doch Franz Joseph mit seinen Brüdern und Vettern ebensosehr zu schaffen, wie mit seinem Sohn, seinen Neffen und Nichten und seinen Enkeln. Maximilian verwundete, wie wir gesehen haben, sein Gefühl mehr als einmal durch unverhohlene Versuche, sich auf eine für ihn beleidigende Art auf seine Kosten populär zu machen. Karl Ludwig wird von Gräfin Larisch als ein »fetter, alter Mann mit tierischen Instinkten« geschildert, und der Mißhandlung seiner Gemahlin bezichtigt, welche ihrerseits wiederum ein Liebesverhältnis zu ihrem Kämmerer unterhalten haben soll. Das Tun des dritten Bruders, Ludwig Viktor, ist noch in einen Schleier des Geheimnisses gehüllt, den Diskretion besser nicht zu lüften sucht, aber seine Karriere als Berufsschwerenöter fand ein plötzliches Ende durch Franz Josephs kategorischen Befehl, Wien zu verlassen und nach Salzburg überzusiedeln.
Dieses brüderliche Sündenregister ist gleichsam nur erst die Einleitung zu der Liste, welche die Taten der exzentrischen oder sonstwie mißliebigen Erzherzöge verzeichnet.
1. Erzherzog Rainer, ein entfernter Vetter des Kaisers, war durch lange Zeit hindurch der glänzendste Vertreter habsburgischer Kultur: Ehrendoktor der Philosophie an der Universität Wien, ein halbes Jahrhundert lang Haupt der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, der Veranstalter von mehr als einer internationalen Ausstellung und ein Sammler, welcher die koptischen Klöster der lybischen Wüste nach Papyri durchkramte und zwei ganze Schiffsladungen davon mit nach Hause brachte – eine Sammlung, mit deren Ordnung die Orientalisten bis jetzt noch nicht in Ordnung gekommen sind, obwohl sie schon über 50 Jahre eifrig daran arbeiten. Seine Ehe wühlte keinen Staub auf, denn er verband sich schon frühzeitig mit einer Erzherzogin, welche seine einfachen Neigungen teilte. Denn auch er hatte seine Hinneigung zu dem Alltagsmenschenlos, aber seine Bekundung dieser Sehnsucht nach außen hin schuf wenig Stoff zur Beanstandung. So wie die Kaiserin Elisabeth einstmals die Hofgesellschaft in Aufregung versetzte, dadurch, daß sie bei einem Bankett nach Wurst und Bier verlangte, so soll Erzherzog Rainer bei einer ähnlichen Gelegenheit den Wunsch nach gesottenem Hammelfleisch und Kapernsauce geäußert haben. Aber das war immerhin eine harmlose Sache und ebenso harmlos war seine Leidenschaft, in der Schweiz unter angenommenem Namen zu reisen, an der allgemeinen Gästetafel mitzuspeisen und so aus erster Hand den Klatsch über seine lebenslustigen Verwandten zu hören. Erzherzog Rainer war ein Erzherzog, für den seine Papyrussammlung ein Erzherzogtum aufwog, und er war trotzdem eine Zierde des Hauses Habsburg, so wie es sich jedes andere Geschlecht zur Ehre hätte gereichen lassen können, ihn unter seine Glieder zu zählen.
2. Erzherzog Heinrich – Erzherzog Rainers Bruder – ist hauptsächlich durch seine morganatische Ehe mit der Schauspielerin Leopoldine Hoffmann bekannt. Gerade diese Geschichte ist in höchstem Maße interessant, weil sie einen Einblick in den allmählichen Umschwung von Franz Josephs Verhalten solchen Heiraten gegenüber gibt. Er fügte sich den Tatsachen, als der Bruder der Kaiserin die Schauspielerin Henriette Mandl heiratete; Bayrische Mißheiraten lagen natürlich außerhalb seiner Einflußsphäre, die Habsburger sollten aber nach seinem Dafürhalten einen exklusiveren Standpunkt in Ehefragen einnehmen als die Wittelsbacher. Er verbot ausdrücklich die Ehe des Erzherzogs Heinrich, und es heißt, daß der Priester, welcher sie vollzog, dies nur infolge einer Übertölpelung bei einem Mittagsmahle tat. Wie dem auch sei, der Erzherzog fiel in Ungnade und lebte 15 Jahre lang fern von Wien, zumeist in der Schweiz. Dann wurde er zurückgerufen, aufs neue in Huld und Gnade aufgenommen und in alle Würden wieder eingesetzt, die ihm entzogen worden waren. Zugleich wurden seiner Gemahlin Adelstitel und -rechte verliehen, und als beide nach kurzer Frist verstarben, adoptierte Erzherzog Rainer ihre verwaiste Tochter.
3. Erzherzog Ludwig Salvator – Johann Orths älterer Bruder – hat für sich eine Art Ruf erlangt als der fleißige Eremit auf den Balearen. Er lebt dort ein einfaches Leben, nach den Angaben seiner Nichte Prinzessin Louise, in Sandalen und weiten Leinenhosen wie ein Bauer mit sonnverbranntem Gesicht in seinem eigenen Weinberg arbeitend, und immer seine Yacht bereithaltend, um mit ihr in See zu stechen, wenn ihn wieder einer seiner Anfälle von Ruhelosigkeit überkommt. Man spricht von ihm, daß er ein Heide sei, ein Sonnenanbeter und Verehrer von wer weiß was sonst noch allem – vielleicht der Huris, denn er ist Junggeselle, vielleicht auch nicht. Einem Privatsekretär, dem er sehr zugetan war, ließ er Denkmäler auf dem Boden seiner geheimnisvollen Besitzung errichten; er hat das Schicksal Schiffbrüchiger durchlebt, und er hat Bücher geschrieben. Die Kaiserin Elisabeth war das einzige Familienglied, welches Sympathie für ihn übrig hatte, da sie sich ihm in mancher Hinsicht als Neigungsgenosse erwies.
»Sie war der einzige Ort,« schreibt er von seiner Yacht, »den ich mein Heim nennen könnte – der einzige Ort, an dem ich mich wirklich daheim fühlte. In all meinen Schlössern in Österreich und Ungarn und sogar auf meiner geliebten Insel Majorca fühlte ich mich wie in einem Hotel und beinah wie in einem
Gefängnis. Es gibt kein Heimatgefühl für mich in solchen Orten – nicht das geringste Gefühl von Heimatlichkeit.«
4. Erzherzog Karl Salvator – auch ein Bruder Johann Orths – floh gleichfalls Prunk und Pracht, aber in einer anderen Richtung. Seine Art, das Alltagslos zu suchen, bestand darin, daß er sich unter das gewöhnliche Volk mischte; er tat es in Wagenabteilen 3. Klasse auf der Eisenbahn und auf den Verdecksitzen der Omnibusse. Er lernte auch ein Handwerk – Ludwigs XIV. Lieblingshandwerk – die Schlosserei, und soll es darin zu einer großen Fertigkeit gebracht haben. Die Polizei liebte ihn nicht besonders, da seine Gewohnheiten ihr viel zu schaffen gaben. Indessen traf niemals eine von ihren Befürchtungen ein. Vielleicht ein Verräter an dem erzherzoglichen Ideal, blieb seine Verräterei auch auf dieses Gebiet beschränkt. Er starb, wie er gelebt hatte – ein harmloser Mensch, der niemals störend in die Kreise der anderen drang.
5. Erzherzog Joseph – ein Vetter des Kaisers – war in mehr als einer Weise klug und tüchtig, denn er gehörte sowohl unter die Gelehrten, als unter die Geschäftsleute. Er galt als Autorität auf dem Gebiet der Wissenschaft vom ungarischen Zigeunertum und war ein schätzenswerter Administrator kommerzieller und industrieller Unternehmungen. Er destillierte einen ausgezeichneten Branntwein, und sein Name figurierte auf der offiziellen Liste der lizensierten Lieferanten. Überdies war er das Titularhaupt eines Casinos an der Donau, in der Nähe von Budapest: kurz ein vielseitiger Erzherzog, der sich überall nützlich zu machen wußte und allgemein Achtung genoß.
6. Erzherzog Eugen – ein Bruder des vorigen – wurde als Soldat erzogen, aber sein besonderes Fach ist die Religion. Er war zugleich Hauptmann und Doktor der Gottesgelahrtheit. Eine Zeitlang trug er sich mit dem Gedanken, sein Amt bei den Husaren niederzulegen, um Erzbischof zu werden, wie weiland Beethovens Gönner, Erzherzog Rudolf. Aber Franz Joseph wollte die Transformation nicht gestatten. Um seinen Neigungen entgegenzukommen, machte er ihn jedoch zum Großmeister des Deutschherrnordens, sobald dieser Posten frei wurde – ein Posten, dessen Antritt an das eigentümliche Gelübde gebunden ist, »so keusch, wie möglich« zu sein. Es heißt, daß Erzherzog Eugen, obwohl er kein Gegner von Lebensfreude ist, sein Gelübde sowohl, als sein Amt sehr ernst genommen hat.
7. Erzherzog Wilhelm, der Onkel Erzherzog Eugens, und zugleich auch sein Vorgänger in der Großmeisterwürde, scheint für sich die Keuschheitsmöglichkeit auf ein Mindestmaß eingeschränkt zu haben, wie aus den zahllosen Histörchen hervorgeht, die über ihn im Umlauf sind. Manche davon entbehren nicht einer gewissen Ergötzlichkeit, wie folgende: Ein Hotelier war einstmals so stolz auf den hohen Besuch, dessen sich eines seiner Liebeskabinette erfreute, daß er, uneingedenk der Folgen, die dadurch entstehen könnten, einem Freunde sein Geheimnis verriet. Und die Folgen ließen auch nicht auf sich warten: als der Erzherzog mit seiner Dame sich wieder in die Oberwelt begab und seinen Wagen betreten wollte, da empfing ihn vor der Türe des Hotels eine habsburgertreue Volksmenge, um ihm ihre Ovationen darzubringen – eine Situation, die vielleicht noch peinlich-komischer wirkte, als jene verwandte in Frau Schratts Villa, wo Franz Joseph, bestrebt im Morgengrauen heimlich davonzuschleichen, die treue Köchin aus dem Schlaf störte und dann ihren Gesang der Nationalhymne, auf den Knien vor ihm herausgeschmettert, über sich ergehen lassen mußte.
8. Erzherzog Leopold, ein Bruder des Erzherzogs Rainer, war seinerzeit Generalkommandant der Genietruppe. Eines Tages war er plötzlich verschwunden, und man wunderte sich, was wohl aus ihm geworden sein könnte. Des Rätsels Lösung war die, daß Epilepsie – jener Fluch des Hauses Habsburg – ihn betroffen hatte. Er wurde nach dem entlegenen Schloß Hornstein verbracht, wo er bis zu seinem Tode in der Abgeschlossenheit eines geistig Invaliden gehalten werden mußte.
9. Erzherzog Otto, der Bruder des in Bosnien ermordeten Thronerben, und folglich ein Neffe Franz Josephs, war der »erstaunlichste« von allen Habsburgern, derjenige, welcher die augenfälligste Illustration zu der allgemeinen Meinung über die Degeneration der Habsburger bietet. Beim Volk genoß er große Beliebtheit, denn er hatte das negative Verdienst, nicht stolz zu sein und war im großen und ganzen ein toller, fröhlicher Kumpan von jener Sorte, der die Herzen des gewöhnlichen Volkes entgegenschlagen, solange keine moralischen Erwägungen dabei im Spiele sind. Es gab jedoch Leute genug, die eine andere Ansicht von ihm hatten, und das Land war voll von den Geschichten seiner bösen Streiche und der dadurch hervorgerufenen Unannehmlichkeiten und Mißstimmungen.
Als er einst auf einem Spazierritt einem Leichenzug begegnete, veranlaßte er, daß dieser hielt und der Sarg niedergesetzt wurde, worauf er mit seinem Pferd über denselben hinwegsetzte. Mehr als einmal vollführte er vor den Gästen eines eleganten Wiener Kaffeehauses in betrunkenem Zustande einen Tanz, angetan mit Mütze, Säbelgurt und Handschuhen als einzigen Bekleidungsstücken.
Sein ärgstes Stück aber war, daß er einst um 2 Uhr morgens seine Frau, die nahe vor der Entbindung stand, mit seinen Genossen zu einem Überraschungsbesuch in ihrem Schlafzimmer überfallen wollte, und daß er dabei einen seiner Freunde mit Schlägen traktierte, weil dieser, der noch einigermaßen Nüchternheit und Anstandsgefühl bewahrt hatte, mit dem Säbel in der Hand die Türe der Erzherzogin vor den Eindringlingen verteidigte. Die Sache wurde ruchbar, und da es für den beleidigten Offizier unmöglich war, seine Ehre zu rächen, weil er ein Mitglied des kaiserlichen Hauses nicht zum Duell herausfordern konnte, so nahm der Kaiser die Sache selber in die Hand. Wie es heißt, dankte er dem Offizier in Ottos Gegenwart für sein verdienstvolles Eingreifen, dem Erzherzog aber versetzte er vor den Augen des Offiziers einen Backenstreich und diktierte ihm eine Arreststrafe zu.
Damit möge es in bezug auf diese Geschichten sein Bewenden haben. Für unsere Zwecke genügt es vollauf, wenn wir noch hinzufügen, daß Otto in jungen Jahren an den Folgen seiner Ausschweifungen starb.
Und damit sei auch dieser catalogue raisonné der Erzherzöge abgeschlossen.
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