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Franz Joseph und Frau Schratt / Gerüchte einer morganatischen Heirat / Interview mit Frau Schratt / Ehen zur linken Hand
Wenn Herrscher in der Blüte ihrer Jahre stehen und sich von ihren Gemahlinnen entfremdet haben, so pflegen sie sich nicht aus Prinzip alle anderen Liebeströstungen zu versagen, und es liegt kein Grund vor anzunehmen, daß Franz Joseph eine Ausnahme darin gebildet hätte. Aber es läßt sich bei ihm nur in sehr beschränktem Sinne von einer »Flatterhaftigkeit« reden und diese Periode seines Lebens war von kurzer Dauer. Die einzige Frau, deren Name in diesem Zusammenhang erwähnt werden muß, ist Frau Katti Schratt, und die Umstände, durch welche Franz Joseph ihre Bekanntschaft machte, werfen ein aufklärendes Licht auf das Lebensverhältnis, das sich unterdessen zwischen Kaiser und Kaiserin herausgebildet hatte.
»Als im Jahre 1885 das Reisefieber Elisabeth ergriff«, so berichtet Gräfin Larisch, »machte ihr gütiges Herz ihr bittere Vorwürfe bei dem Gedanken, daß der Kaiser in ihrer Abwesenheit vielleicht einsam sein könnte.
›Weißt du nicht eine vertrauenswürdige Frau, die dem Kaiser Gesellschaft leisten könnte und nicht versuchen würde, ihn zu beeinflussen?‹ fragte sie mich eines Tages.
Ich nannte mehrere Damen, die sicherlich nur allzu froh gewesen wären, den kaiserlichen Strohwitwer zu trösten. Doch Tante Sissi lehnte alle ab, und die Angelegenheit wurde nicht weiter berührt, bis sie mir eines Tages plötzlich mitteilte, daß sie die Gesuchte in der Schauspielerin Katrina Schratt gefunden habe, die fern von der Bühne des Burgtheaters immer für interessanter galt als auf ihr. Sie war und ist noch heute eine reizende, einfache Frau, von der Tante sehr hoch dachte … Man verübelte Elisabeth ihre Haltung der Schauspielerin gegenüber sehr; sie hatte aber vollkommen recht mit ihrer guten Meinung von der Frau, die sich seit Tantes Tode Franz Joseph gegenüber als eine ergebene Freundin erprobt hat.«
Dies klingt sehr unwahrscheinlich. Eine Kaiserin, die Weg und Steg nach einem Schutzengel für den Kaiser absucht, schließlich hinter den Kulissen die erwünschte Frau entdeckt und diese mit dem Erfolge hervorholt, daß sie nicht bloß die Freundin des Kaisers, sondern der ganzen Familie wird, und daß dieser durch 30 Jahre hindurch an ihrer Gesellschaft ein unvermindertes Gefallen findet – das ist tatsächlich eine so erstaunliche Geschichte, daß man sie selbst auf die Autorität der Gräfin Larisch hin nicht so ohne weiteres für bare Münze nehmen möchte. Und dennoch scheint sie buchstäblich wahr zu sein.
Des Kaisers Beziehung zu Frau Schratt ist eine offenkundige Sache und so wenig zu bezweifeln, wie seine Ehe selbst. Frau Schratt wurde plötzlich – und ist es seither verblieben – eine Art nationaler Einrichtung, die man in den Hofkreisen anerkennt, wenn auch nicht als völlig zugehörig betrachtet. So wurde es eine ganz selbstverständliche Sache, daß sie, wenn der Kaiser nach Ischl ging, auch dort in ihrer Villa Aufenthalt nahm, und Franz Joseph täglich seinen Tee in ihrer Gesellschaft trank. Von Herrn Schratt ist dabei wenig die Rede; durch ein Amt einkömmlich und nützlich beschäftigt, verhält er sich meist im Hintergrunde. Aber nicht nur zur Teestunde stellte der Kaiser sich bei Frau Schratt ein, sondern er ist auch ein gelegentlicher Abendbesucher, und eine dieser Visiten schloß mit einem höchst dramatischen Zwischenfall. Er war bis nach Mitternacht geblieben und wollte in Rücksicht auf die Gefühle der anderen den Haushalt ohne Störung verlassen. Nicht daran gewöhnt, sich auf Schleichwegen zu bewegen, stieß er irgendwo an und weckte dadurch die Köchin aus dem Schlaf, welche in der Meinung, daß es sich um einen nächtlichen Einbrecher handele, im Nachtgewand und mit einer Kerze in den Händen, mutig die Treppe herunter kam. Sie wollte gerade um Hilfe schreien, als Franz Joseph ihr zuflüsterte: »Sie dummes Ding, sehen Sie denn nicht, daß ich der Kaiser bin!« worauf die Köchin biederen Sinnes, aber in Unkenntnis des Verhaltens, das die Etikette für eine solche Situation vorschreibt, vor ihrem kaiserlichen Herrn auf die Knie fiel und aus vollem Hals zu singen begann: »Gott erhalte Franz den Kaiser!«
Als fester Charakter und treuer Freund ließ sich Franz Joseph nicht von dem Wege abbringen, den er sich trotz aller Skandalgefahr vorgenommen hatte zu gehen. Und dann kam es noch zu einem offenen Familienkampf deswegen. Des Kaisers Töchter Gisela und Valérie erklärten eines Tages, daß sie sich geschmäht und beleidigt fühlten und hielten es für ihre Pflicht, ihren nun schon über 70 Jahre alten Vater von der Gesellschaft zu entwöhnen, die ihm doch so viele Annehmlichkeiten bot. Sie brachten es so weit, daß Frau Schratt eines Tages in aller Eile Ischl verließ, um nach Brüssel zu reisen. Ein Schalk trotzte den Gefahren einer Majestätsbeleidigung, indem er in der »Seufzerspalte« der »Neuen Freien Presse« folgendes fettgedruckte Inserat erscheinen ließ: »Kati, kehre zurück zu deinem tiefbetrübten Franz.«
Und sie kam zurück, auf Umwegen zwar, aber im Triumph und ehrenvoll erwartet. Der Pariser Siècle schrieb damals:
»Jedermann in Österreich kennt die freundschaftlichen Beziehungen, welche die ehemalige Hofburgschauspielerin Frau Schratt an die kaiserliche Familie binden. Vor kurzem erfuhr man in Wien zur allgemeinen Überraschung, daß sie die Absicht habe sich zurückzuziehen und von Bayern aus eine Reise zu machen, als deren Endziel Rom bezeichnet wurde. Bald darauf berichteten die Blätter, daß sie von Rom zurück sei und den päpstlichen Segen empfangen habe. Nun scheint es, obwohl die Sache noch der völligen Aufklärung bedarf, daß der Papst Frau Schratt, die sich in Gesellschaft der Gräfin Trani, der Schwester der verstorbenen Kaiserin, befand, nicht nur eine väterliche Audienz bewilligt, sondern auch ihrem durch eine diplomatische Aktion unterstützten dringenden Ersuchen nachgegeben hat, die Ungültigkeit ihrer Ehe mit dem Baron Kisch zu erklären.«
Gerüchte verlauteten damals, daß man darin die ersten Anzeichen zu einer morganatischen Eheschließung zwischen dem Kaiser und der Schauspielerin zu erblicken habe. Morganatische Ehen sind ja bekanntlich eine schöne Erfindung, um eine sich über alle Schranken hinwegsetzende menschliche Leidenschaft ins Gleichgewicht mit einem Familienstolz zu bringen, der dies nicht vermag. Aber die Gerüchte bestätigten sich diesmal nicht. Der »Berliner Lokalanzeiger« ließ durch einen Berichterstatter persönliche Erkundigungen einziehen, und was Frau Schratt bei dieser Gelegenheit frei und offen aussprach, bestätigt die von uns zunächst mit Zweifel aufgenommenen Angaben der Gräfin Larisch. All das Geschwätz über ihre Ehe mit dem Kaiser sei Unsinn, so sagte sie, und wer es weiter verbreite, der kenne weder sie noch den Kaiser. Und dann kam sie auf die Rolle zu sprechen, welche die Kaiserin in dieser Angelegenheit spielte:
»Diese hochsinnige und edle Frau war meine huldvollste Protektorin und Freundin. In ihrer durch seelische und körperliche Leiden hervorgerufenen Ruhelosigkeit war es ihr ein Trost zu wissen: da ist eine gemütvolle und frohherzige Frau, die ihren Gatten aufheitert und ihm manche harmlos vergnügte Stunde durch Plaudern und Erzählen von Anekdoten und Geschichten aller Art verschafft, die ihn auf seinen Morgenspaziergängen im Schönbrunner Park begleitet, während er sein Karlsbader Wasser trinkt, und die dabei ihre außergewöhnliche Stellung nie dazu mißbraucht, um Intrigen zu spinnen oder Vorteile für Schützlinge herauszuschlagen. Die Kaiserin selber hat in ihrer Abneigung gegen das steife Hofleben meine Stellung geschaffen, welche ich dann dank dem gütigen Vertrauen und der Erkenntlichkeit des Kaisers weiterbehielt. Im Frühling war ich jedesmal die erste, die der Kaiserin, wo sie auch immer weilte, die ersten Veilchen brachte, und stets mußte ich ein paar Tage bei ihr bleiben. Eine Kaiserin, mag sie auch noch so hochsinnig und großmütig sein, bleibt in gewissen Fragen dennoch vor allem Frau, und sollte man wirklich glauben, daß mich die Kaiserin mit ihrer Huld und ihrem Vertrauen in so außerordentlichem Maße beehrt hätte, wenn für ihr Denken auch nur die leiseste Möglichkeit vorhanden gewesen wäre, ich könnte nach ihrem Tode den Kaiser heiraten?«
Sicher ist dies eine sehr bemerkenswerte Kundgebung, von der man selbstverständlich nicht behaupten darf, daß Frau Schratt ihre ganze Seele darin enthüllt hätte.
Über diese Episode der Ehescheidung – vielleicht sogar über die ganze Angelegenheit – hätte ein strenger, unbeugsamer Moralist allerdings einiges zu sagen, und auch der Papst käme nicht zum besten dabei weg. Indessen – Päpste sind stets nach dem Grundsatz verfahren, daß die gewöhnlichen Regeln des Sittengesetzes zugunsten der katholischen Potentaten umgangen werden dürfen, und ein hervorragender französischer Moralphilosoph hat es als Regel hingestellt, daß eine »liaison« durch ihre Dauer Würde und Wert einer Ehe erreichen könne.
Wir wissen natürlich nicht, ob Frau Katti Schratt bei ihren traulichen Teestündchen dem Kaiser die sentimentalen Balladen vorsingt, welche diese und ähnliche Sagen feiern, – aber warum sollte sie nicht, vorausgesetzt, daß sie ihr bekannt sind.
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