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XVI. Kapitel

Schicksalsschläge der Habsburger / Vorgeschichte der Tragödie Kaiser Maximilians / Ermordung Maximilians


Die vier großen Daten in der neueren Geschichte Österreichs sind 1859, 1866, 1870 und 1878, das Jahr des russisch-türkischen Krieges. Die Ereignisse dieser Jahre haben allmählich mehr und mehr die Erkenntnis gebracht, daß Österreichs Zukunft weder in Italien noch in Deutschland, sondern im Balkan zu suchen ist, daß sein wirklicher Rivale Rußland ist, und daß es sich für Österreich nicht um die Vorherrschaft in Deutschland, sondern innerhalb der slawischen Völkerschaften der Türkei handelt. Daraus ergab sich als Grundsatz für Österreichs auswärtige Politik, daß für jeden Schritt, den Rußland gegen Konstantinopel hin tat, Österreich einen entsprechenden Schritt gegen Saloniki hin zu unternehmen hatte. Der erste greifbare Ausdruck dieser Politik war der geheime Vertrag, welcher Österreich im Jahre 1878 um den Preis seiner Neutralität gestattete, Bosnien zu besetzen.

Es erforderte ein Heer von 200 000 Mann mit 480 Geschützen, um dieses Fleckchen Land zu unterwerfen.

Es ist nun an der Zeit, von dem Jammer des Kaisers zu sprechen. Die düstere Reihe von Schicksalsschlägen begann höchst merkwürdig in demselben Jahr, in dem Franz Joseph seinen auffallendsten Erfolg als Regent erlebte. Im Jahre 1867 war es ihm gelungen, sein Reich nach dem Unglück von Sadowa wieder auf die Höhe zu bringen, die Ungarn zu versöhnen und in der Kathedrale von Buda durch eine prächtige und feierliche Zeremonie die Krönung zu empfangen. Im gleichen Jahre geschah es, daß sein Bruder, Erzherzog Maximilian, erschossen wurde, weil er Anspruch auf den mexikanischen Kaiserthron erhoben hatte. Und diese Hinrichtung ist die erste in der Reihe jener Tragödien, welche immer wieder den Eindruck erwecken, daß sie im Zusammenhang mit dem Fluch der Gräfin Karolyi stehen und seine Erfüllung darstellen. Wir müssen uns den Wortlaut des Fluches wieder vergegenwärtigen, dieses Fluches einer Mutter, deren Sohn sein Leben als Empörer verwirkt hatte:

»Himmel und Hölle' sollen sein Glück vernichten! Sein Geschlecht soll vom Erdboden verschwinden und er selber heimgesucht werden in den Personen derer, die er liebt! Sein Leben sei der Zerstörung geweiht, und seine Kinder sollen elend zugrunde gehen!«

Und nun halten wir gegen diese Worte einen Zeitungsabschnitt, der von einem Wiener Blatt aus der Zeit der Ermordung der Kaiserin Elisabeth stammt. Es ist eine nackte Aufzählung mit der Überschrift »Der Jammer des Hauses Habsburg« und lautet:

Am 30. Januar 1889 nahm sich Kronprinz Rudolf auf seinem Jagdschloß in Meyerling das Leben. Im Mai 1897 verbrannte in Paris Herzogin Sophie von Alençon, vormals die Braut Ludwigs II. von Bayern. Am 16. Juni 1867 wurde der Schwager der Kaiserin, Kaiser Maximilian von Mexiko, in Queretaro erschossen. Seine Gemahlin, die belgische Prinzessin Marie-Charlotte verlor ihren Verstand und lebt seit 30 Jahren in Gewahrsam auf dem Schloß Bouchout. Erzherzog Wilhelm Franz Karl starb im Sommer 1894 in Baden bei Wien an den Folgen eines Sturzes vom Pferd. Erzherzog Johann von Toscana, der auf seinen Rang verzichtete und den Namen Johann Orth angenommen hatte, verscholl auf See in der Nähe der südamerikanischen Küste. König Ludwig II. von Bayern, der Vetter der Kaiserin, beging am 13. Juni 1886 Selbstmord, indem er sich in einem Anfall geistiger Umnachtung im Starnberger See ertränkte. Graf Ludwig von Trani, Fürst beider Sizilien, der Gemahl der Herzogin Mathilde von Bayern, einer Schwester der Kaiserin, beging Selbstmord in Zürich. Erzherzogin Mathilde, Tochter des Feldmarschalls Erzherzog Albrecht, verbrannte in ihres Vaters Schloß durch eine Flamme, die ihr Ballkleid ergriff. Erzherzog Ladislaus, Sohn des Erzherzogs Joseph, wurde auf der Jagd von einem tödlichen Unfall betroffen, indem sich sein Gewehr unversehens entlud. Und jetzt hören wir, daß die Kaiserin Elisabeth ermordet worden ist.«

Eine in ihrer Einfachheit beredte Liste, welche von nichts als gewaltsamen Todesfällen spricht und deren zehn unter den nächsten Verwandten des Kaisers und der Kaiserin aufzählt.

Maximilian hatte Franz Joseph gelegentlich dessen Rede zur Eröffnung des Reichsrats die Anspielung auf seine Verzichtleistung übelgenommen und an seinen diplomatischen Vertreter in Wien einen empörten Protest gesandt, worin er auseinandersetzte, daß er die bedeutendsten Juristen über den Familienvertrag, den er zu unterzeichnen gezwungen wurde, befragt hätte, und daß ihm von allen einstimmig der Rat erteilt worden wäre, ihn als null und nichtig zu erachten. Der Protest war in einer Wiener Zeitung erschienen, dem auswärtigen Amt jedoch nicht offiziell unterbreitet worden, und der Minister des Auswärtigen hatte inoffiziell verlauten lassen, daß im Fall einer Überreichung des Protests, dem mexikanischen Botschafter die Pässe ausgefolgt würden. Es wäre also für Franz Joseph ein leichtes gewesen, sich vor sich selber zu entschuldigen, wenn er seinen Bruder im Stich gelassen hätte.

Er trug ihm aber nichts nach und tat was er konnte. Der österreichische Gesandte in Washington erhielt sofort den Befehl, eine Intervention der Vereinigten Staaten zu betreiben. Als Garantie dafür, daß Maximilian im Falle seiner Befreiung auf seine Ambitionen endgültig verzichten würde, wollte man ihn in seinen früheren Stand als Habsburger wieder einsetzen und berief zu diesem Ende einen Familienrat. Einer der anwesenden Erzherzöge erhob Einspruch dagegen, indem er auf Maximilians Ambitionen als Prätendent des österreichischen Thrones hinweisend Zwistigkeiten und Unruhen für die Zukunft prophezeite. Allein Franz Joseph wollte nicht darauf hören: »Darum handelt es sich jetzt nicht,« sagte er, »unsere einzige Frage ist, wie wir ein Menschenleben retten können«.

Aber Maximilians Leben war nicht mehr zu retten. Er war in den Händen eines Mannes, dessen Leben er selbst bedroht hatte. Es mochte sein, daß Juarez mit Maximilian spielte, wie es die Katzen mit gefangenen Mäusen tun, aber er würde ihn nicht loslassen. Er führte schöne Worte im Munde über Hochhaltung der Gerechtigkeit und dergleichen. Er lachte – oder vielmehr der Vorsitzende des Kriegsgerichts tat es in seinem Namen – über Maximilians naive Berufung auf die Immunität und die Privilegien, welche unter allen Umständen einem österreichischen Erzherzoge zustehen. Die Indianer und Halbblütler wußten nichts von diesen Vorrechten und kümmerten sich nicht darum. Der österreichische Erzherzog hatte sich das Recht angemaßt, als ihr Kaiser zu gelten, er hatte manche unter ihnen getötet und andere mit dem Tode bedroht, und für diese Missetaten sollte er erschossen werden. Und sie erschossen ihn am Morgen des 19. Juni 1867. Für Charlotte, die hin und wieder lichte Momente hatte, war er »der gute Hirte, der sein Leben für seine Schafe ließ«. Aber für seine mexikanischen Untertanen war er lediglich ein Fremder, der zu ihnen gekommen war, um sich als Kaiser aufzuspielen.

Dies war die erste in der langen Reihe der Tragödien, welche Franz Josephs persönliches Leben umtoben sollten, und es liegt eine ergreifende Ironie in der Tatsache, daß sie zeitlich mit seinem ersten großen politischen Triumph zusammenfällt.

Franz Joseph mußte sich in dieser Stunde sagen, daß der Fluch der Gräfin Karolyi, den er darum auf sich gezogen, weil er selber Feinde wie Verbrecher verurteilen und wie Hunde hatte erschießen lassen, nicht unwirksam geblieben war.

*


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