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Schwarzenberg-Windischgrätz / Erhebung der Ungarn und Polen / Unterdrückung und Greueltaten / Zynismus bei Hofe / Gräfin Karolyis Fluch
Die herrschenden Zustände, die Franz Joseph bei seinem Regierungsantritt vorfand, waren kurz diese. In Wien war alles wieder vorüber bis auf gelegentliche Ausschreitungen und Schießereien; Tirol – diese Vendée Österreichs – war wie immer treu gesinnt; in Böhmen hatte Windischgrätz den Aufstand wie eine Nuß zerknackt, nur Italien und Ungarn waren noch in Gärung und mußten wieder erobert werden.
In Italien erneuerte sich der Kampf. Die bei Custozza geleistete Arbeit mußte bei Novara wiederholt werden, worauf Karl Albert – sich an Kaiser Ferdinand ein Beispiel nehmend – zugunsten seines Sohnes, des berühmten Viktor Emanuel, abdankte. In Ungarn hatte das Eroberungswerk kaum erst begonnen. Obgleich Jellacic die Ungarn vor den Toren Wiens zurückgeschlagen hatte, befanden sie sich doch in einer so günstigen Stellung, daß sie ihn mehrmals aufzuhalten vermochten, ehe er Budapest erreichte. Auf diese Weise war die Lage außerordentlich kritisch.
Es war vorschnell gewesen, zu behaupten, daß Franz Joseph in Ungarn beliebt sein werde. Zwar war er einmal als Vertreter des Kaisers dort gewesen, hatte in fließendem Ungarisch eine Ansprache gehalten und war darauf mit jauchzenden Hochrufen begrüßt worden. Seine etwas frühreife Bonhomie hatte zweifellos einen guten Eindruck hervorgerufen, allein in einer Zeit, wo die alten ungarischen Privilegien und die neue Verfassung heiß umstritten auf dem Spiele standen, genügte sie nicht. Die Leutseligkeit des Herrschers war seinen Untertanen kein Ersatz für fehlende Rechte, und die Ungarn wollten dem österreichischen Kaiser ihre Liebe und Treue nur »bedingungsweise« entgegenbringen.
Ihre Forderungen aber waren unerfüllbar. Der in der Schule Metternichs aufgewachsene Franz Joseph hätte sie aus sich heraus kaum bewilligt, und die Männer, die neben und über ihm standen – solche Männer wie Schwarzenberg und Windischgrätz –, würden unter keinen Umständen nachgegeben haben, auch wenn er es selber gewollt hätte. So brachten sie ihm ihre Wünsche derart bei, daß der Kaiser wohl am Steuer saß, sie aber den Hebel handhabten.
Eine gute und gesunde Politik bestand nach ihrer Auffassung darin, die Ungarn als Halsabschneider für die Italiener, und die Kroaten als Halsabschneider für die Ungarn zu verwenden, während sie selbst als Oberdirektoren das Reich einigten und germanisierten.
Die Ungarn waren jedoch eine trotzige Nation, die nicht im geringsten dazu neigte, sich germanisieren zu lassen. Sie betrachteten sich als unabhängiges Volk, dessen Verhältnis zu den Habsburgern durch die Statuten von 1723 geregelt war, und sie wollten Franz Joseph nicht eher anerkennen, als bis er durch ihren Erzbischof zu Pest die Krönung empfangen und geschworen hätte, die Gesetze des Königreichs St. Stephani zu achten. Dies schleuderten sie Franz Joseph zur Antwort entgegen, als er in einer Proklamation seine Absicht kundgab, »alle Länder und Völker der Monarchie zu einem einheitlichen Staate zu vereinigen«. Ungarn sei kein Teil eines Staates, sondern ein Staat für sich allein und müsse dies auch bleiben. Indem die Habsburger den Versuch machten, sie Österreich einzuverleiben, seien sie »Verräter an den Freiheiten Ungarns« und darum auf ewig von seinem Boden zu verbannen. So begann der Krieg im Jahre 1849.
In der europäischen Geschichte hat man ihn beinah schon vergessen; dennoch war er in ganz besonderem Maße verheerend und sein Ausgang schwankte lange ungewiß hin und her. Der heldenhafte Görgey, dessen Name damals in aller Munde war, erwies sich als ein gefährlicher Gegner für den polternden Banus von Kroatien, und es schien zeitweise fast, als wären auch im Falle der Unterwerfung Ungarns die Tage Österreichs gezählt. Dieser Ansicht war beispielsweise auch Palmerston, der im englischen Unterhause den Ausspruch tat, daß Österreich sich seinen eigenen rechten Arm zerschlüge, wenn der Krieg bis zum Äußersten geführt werden und Ungarn schließlich unterliegen sollte.
Aber Palmerston blieb im Unrecht. Wie man die Türkei den »kranken Mann« zu nennen pflegt, so hat man Austria »die kranke Frau von Europa« genannt. Aber die kranke Frau scheint beim Schicksal in hoher Gunst zu stehen und zeigt eine wunderbare Elastizität in ihrer Konstitution. Wieder und wieder bietet sie uns das Schauspiel, wie »disjecta membra« sich sozusagen aufs neue in den Rumpf einfügen, so daß sie wieder imstande ist, sich zu erheben und ihren Weg fortzusetzen.
So war es auch im Jahre 1849, als eine Erhebung der Polen zugunsten der Ungarn einsetzte, und die Russen, wohl wissend, was sie selber von den siegreichen Polen zu befürchten hätten, die Grenze überschritten, um Franz Joseph zu Hilfe zu kommen. Dieses Ereignis gab gerade zur rechten Zeit den Ausschlag und den Schluß bildete eine Schlächterei. Ein skandalöses Blutbad – nichts anderes war der Feldzug Haynaus, der den Beinamen die »Hyäne« führte, weil er in einer ganz scheußlichen Art und Weise an den Qualen seiner wehrlosen Opfer sich weidete.
In den ersten Tagen der revolutionären Bewegung hatten einige Ausschreitungen stattgefunden, denen u. a. auch der Kriegsminister Latour zum Opfer gefallen war. Diese Exzesse wurden nun gerächt und zwar nicht nur am Pöbel, sondern auch an der mittleren Schicht der Bevölkerung und den Magnaten. Ungarische Offiziere von Adel wurden als gemeine Soldaten in österreichische Regimenter gesteckt mit der unverhohlenen Absicht, sie klein zu kriegen und ihren Lebensmut zu brechen. Sogar gegen Glieder der hervorragendsten ungarischen Häuser wie die Esterhazy und Batthyany wurde so verfahren, und ein in die Artillerie eingereihter Adliger, Baron Podmanitzky, wurde unter dem absurden Vorwande auf der Straße ausgepeitscht, daß er einen seiner Obhut anvertrauten Sack mit Korn verloren habe.
Selbst Frauen erlitten dieses Schicksal.
Generale und Hauptleute der ungarischen Armee, desgleichen Mitglieder der Deputiertenkammer wurden nacheinander zur Strecke gebracht – teils gehenkt, teils erschossen –, bis kaum einer mehr übrig war, und diese Überbleibenden wurden fast durchweg zu langen und schweren Kerkerstrafen verurteilt.
Die größte und am meisten berüchtigte aller Grausamkeiten aber war die Hinrichtung des ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Ludwig Batthyany. Er war ein Enkel jenes Batthyany, der die große Maria Theresia, als sie vor Friedrich dem Großen auf ungarisches Gebiet geflohen war, dadurch gerettet hatte, daß er in den Ruf ausbrach: Moriamur pro rege nostro. Doch die Erinnerung an diesen Dienst vermochte ihn nicht zu retten. Es ist nicht richtig, daß er sich (wie auch Gräfin Larisch in ihrem Buch angibt) durch Vergiftung dem Henker entzog. Er versuchte vielmehr, sich mit einem stumpfen Messer den Hals zu durchschneiden und wurde dann erschossen statt gehenkt, weil es einen zu großen Skandal verursacht hätte, den Schwerverwundeten zum Galgen zu schleppen. – Seine Witwe ließ ihren Sohn einen Eid schwören, daß er unter keinen Umständen mit Franz Joseph sprechen noch ihn jemals anerkennen werde, und der stattliche Elemer Batthyany hielt seinen Schwur. Noch viele Jahre später pflegte er den Kaiser auf der Jagd zu »schneiden«, während er hinter seinem Rücken der Kaiserin den Hof machte.
Wenn man Franz Joseph für diese Greuel persönlich verantwortlich machen könnte, müßte man ihn für einen finsteren Bösewicht halten, der inzwischen aus einem hartherzigen Jüngling zu einem hartherzigen Greis geworden ist. Allein er war – und das läßt sich wohl mit Gewißheit annehmen, da er damals noch kaum 19 Jahre zählte – nur der Strohmann einer blutdürstigen Kamarilla, und der gehorsame Sohn einer hartherzigen, ehrgeizigen und selbstgerechten Mutter. Dennoch stellte er sich selber, ob bewußt oder unbewußt, dadurch in ein schlechtes Licht, daß er unnachsichtlich blieb und selbst dann Gnade versagte, wenn Mütter, denen es gelungen war zur Audienz vorzudringen, sich weinend ihm zu Füßen warfen und um das Leben ihrer Söhne flehten. So wirkte auch der bekannte zynisch-harte Ausspruch, den er gelegentlich einer ihm zugunsten des verurteilten Ludwig Batthyany gemachten Vorstellung tat: »Ich habe mein kaiserliches Wort verpfändet, daß jeder österreichische Untertan ohne Unterschied vor den Gesetzen gleich gilt«.
Der Zynismus erreichte in dem Bestreben, auch während dieser Schreckenszeit bei Hofe eine fröhliche Stimmung hervorzukehren, seinen Höhepunkt. Doch man wird sich wohl hüten müssen, auch hierin dem Kaiser die Verantwortung aufzubürden. In folgender Schilderung der Baronesse von Beck finden wir ein vortreffliches Spiegelbild der Stimmung jener Tage:
»Ball folgte auf Ball, Soirées wurden angekündigt und Gesellschaften wurden veranstaltet; aber Rahel weinte immer noch um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen. Der Lloyd veröffentlichte Tag um Tag hochtrabende Berichte über die Hoffestlichkeiten, lange Listen der Schönheiten, die daran teilnahmen, und Beschreibungen der prunkvollen Kostüme, die sie trugen. Aber sie wurden ohne jede Teilnahme gelesen. Sie waren nicht am Platze, denn die Stadt war voller Trauer; solche phantastischen Versuche zur Heiterkeit waren nicht zeitgemäß, denn sie drängten sich wie Mißtöne in das Gefühl des Publikums. Wenn sie zuweilen auf einen Augenblick Gnade vor den Augen der Leser fanden, so wirkte es wie das Lächeln einer Witwe, dem schnell ein Schamerröten darüber, daß sie ihren großen Kummer auf Minuten vergessen konnte, folgte.«
Wenn Erzherzogin Sophie ausfuhr, geschah es nicht selten, daß der Pöbel ihren Wagen umdrängte, ihr die Namen derer in die Ohren schreiend, die man in Ungarn hingemordet hatte. Ja, Gräfin Karolyi, deren Sohn dem Schreckensregiment zum Opfer gefallen war, schreckte nicht davor zurück, den Kaiser in Worten, die alle Töne menschlichen Hasses umfassen, zu verfluchen!
»Himmel und Hölle sollen sein Glück vernichten! Sein Geschlecht soll vom Erdboden verschwinden und er selber heimgesucht werden in den Personen, die er am meisten liebt! Sein Leben sei der Zerstörung geweiht und seine Kinder sollen elendiglich zugrunde gehen!«
Ein denkwürdiger Fluch fürwahr, den man als Motto über Franz Josephs Lebensgeschichte schreiben könnte; denn die Zeit hat ihn allmählich zwar, aber stetig und ohne Unterlaß erfüllt. Die Tragödie in Queretaro, wo sein Bruder den Gewehren republikanischer Urteilsvollstrecker gegenüberstand; die Tragödie im Vatikan, wo bei seiner Schwägerin der Wahnsinn zum Ausbruch kam; die Tragödie in Meyerling, bei der sein einziger Sohn in Schmach und Schande umkam; die Tragödie in Genf, bei der seine Gemahlin durch die Hand des Meuchelmörders fiel – all diese Ereignisse und noch viel andere mehr könnte man als Etappen in dem unermüdlichen und unabwendbaren Lauf der Nemesis betrachten, als Teilerfüllung dieses schrecklichen Fluches und als Erläuterung zu dem bekannten Sprichwort:
»Raro antecedentem scelestum
Deseruit pede poena claudo«.
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