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Mit etwas verstörten Mienen saßen sich beide am nächsten Morgen gegenüber. Wie es kam, daß selbst Annemarie bei der Erinnerung an diese Nacht ein leises Schuldgefühl nicht los wurde? Weil sie die beschämende Empfindung hatte, in ihrer Hingabe zum erstenmal eine andere gewesen zu sein als sonst. Geweckt von Küssen, wie sie sie noch nie empfangen, von der Glut eines Begehrens, der sie die letzte noch mädchenhafte Scheu geopfert. Oder war es bloß die Scheu der »getauften Sinne« gewesen, wie ihr Gatte einmal halb bedauernd, halb höhnisch gesagt hatte? In der Angst, noch eine andere Schlange in der eigenen Seele zu entdecken, schrak sie vor weiterem Nachdenken zurück. Aber sie fühlte den Schlangenbiß in dieser Seele, das bohrende Schamgefühl einer geheimnisvollen Erniederung.
Und warum konnte auch er ihr nicht in die Augen schauen?
Mit einem scheuen Lächeln hatte sich Wilhelm an dem Frühstückstisch ihr gegenübergesetzt, verlegen, bedrückt. Und wenn sein Blick sich von Zeit zu Zeit zu ihr hinüberstahl, glaubte sie zuweilen etwas wie eine demütige Abbitte darin zu lesen. Aber ihr Schreck wurde nur tiefer daran. Denn diese Blicke kamen wie eine Antwort, die sie sich selbst nicht zu geben wagte.
Während er über seine Zeitung gebeugt sitzen blieb, begann Annemarie mechanisch nach den Blumen zu schauen, die ringsum in Fenstern und Erkern blühten. Die kleine Nickelbrause in der Hand, schritt sie von Zimmer zu Zimmer. Und die langsam wiederkehrende Freude an der Schönheit des eigenen Heimes, die herbe Frische des Septembermorgens, die zu allen Stubenfenstern hereinquoll und den alten Garten draußen wie in eine einzige Goldflut tauchte, begannen langsam die schwüle Beklommenheit zu bekämpfen, die noch auf ihr lag. Daß sie sich nach einem flüchtigen Blick in den kostbaren Venezianerspiegel wieder der eigenen, erlesenen Schönheit zu freuen begann, der großen tiefdunklen Augen, denen die Müdigkeit einer süßen Nacht heute fast etwas Aphrodisisches lieh, der matten Blässe ihres schmalen Antlitzes, aus der die brennenden Lippen wie eine purpurne Knospe hervorblühten, der zarten, noch jungfräulichen Büste, über die der weiche Seidenfluß des weißen Morgenkleides eine entzückende Linie zog.
Ja, sie war schön, war begehrt, war vor Gott und den Menschen dieses einen Mannes angetrautes Weib – und sie liebte, liebte, liebte!
Wie recht hatte Wilhelm, sie eine Törin zu nennen, die sich selbst quälte!
Wie ein jäher Blitzstrahl der Freude schlug das in ihre Seele und nahm auch das letzte Schuldgefühl von ihr; daß sie in hellem Übermut plötzlich ihre Brause über einen einzigen Gladiolenstock ausgoß und dann wie ein Vögelchen durch all die Stuben zurückflog, mitten hinein in des Gatten Arme.
»Du, du, du!«
Er nahm sie auf den Schoß, bog ihr Haupt zurück.
»Willst du endlich beichten?«
Sie schloß die Augen, nickte!
»Also – was war es?«
»Nimm mir's vom Mund!« neckte sie.
Seine Lippen legten sich auf die ihren.
»Nun?«
»Mela!« hauchte es ihm fast unhörbar entgegen.
Gleich darauf schlug sie die Augen auf. Aber sie sah nur noch ein überlegenes Manneslächeln, nicht mehr den blitzartigen Schein, der sich aus dem Blau der weiten Pupille in das Innerste einer Seele zu flüchten schien.
»Daß ich mir's gedacht habe!« lachte er nunmehr laut auf. »Also noch immer diese Eifersucht! Nur möcht' ich mir nächstens ein anderes Objekt ausbitten, meine Gnädige!«
»Sie hat Eindruck auf dich gemacht, ich hab' es bemerkt.«
»Das auch? Nun, ich muß sagen, dann hast du mehr gesehen als ich.«
»Es war nur ein Blick, aber ich hab's gesehen.«
»Der Blick, mit dem wir Männer jede Frau ansehen, die sich so – entkleidet. Man denkt sich sein Teil und hat genug!«
»Du, du,« drohte Annemarie an seinem Ohrläppchen zupfend, »war es auch wirklich bloß so?«
»Sie ist doch geradezu häßlich!«
»Aber ihre Figur?« forschte Annemarie leise weiter. »Diese ›Mardergrazie‹, die ihr immer wieder neue Verehrer zuführt? Und der modernste aller Lyriker hat sie ein Tigerweib genannt –«
»Die Katzen waren nie mein Fall.«
»Zudem hatte sie gestern einen guten Tag,« gab Annemarie versöhnt zu, »dieser seltsame Ton der Haut und die schillernden Augen –«
»Und weil das dir gefällt, glaubst du nun – O Weiber!«
Und ein ganzer Schauer von Küssen fiel über sie ...
Als Wilhelm einige Augenblicke später nach der Stadt fuhr, um für ihre verspätete Hochzeitsreise nach dem Süden das nötige Geld einzuwechseln, sah ihm die junge Frau von der Treppe mit einem seligen Lächeln nach.
Nun sollten sie erst recht beginnen, ihre Flitterwochen! Dort drüben, am blauen Meer, unter den immergrünen Wipfeln der Hesperiden, die Blüten und Früchte trugen, am selben Zweig.
*
Schon am nächsten Tag begann Annemarie mit dem Packen. Und ihre Mutter, die vorausgesehen hatte, daß ihr Rat und ihre Umsicht in dem zerstreuten Geschnäbel des jungen Heims nun wirklich nötig sein werde, kam zum ersten Male heraus.
Annemarie hatte nicht versäumt, die Ihren durch eine ganze Flut von Ansichtskarten über den jeweiligen Stand ihres jungen Glückes zu beruhigen. Ihr gelehrter Gatte war auch ein kundiger Photograph, der diese der Kunst so nahekommende Fertigkeit auf zahlreichen Forschungsreisen schätzen und üben gelernt und es darin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht hatte. So daß alle Gemächer des jungen Heims schon in den ersten Wochen aufgenommen waren und ihre Besitznahme durch die glückstrahlende Hausfrau offenbarten. »Annemarie am Toilettetisch«, kokett und strahlend nach irgendeiner Ecke hinlachend, aus der vermutlich der selige Besitzer ihrer Reize zu ihr herübersah – »Die junge Hausfrau am Frühstückstisch« – »Idyll zwischen Blumen und Büchern« – »Annemarie mit Bijutti«, »Annemarie als Gartenfee«, »Traumstunde«, »Meine schöne Schläferin«, und wie die Bildchen noch alle hießen, die der glücklichen Mutter wie ebenso viele Brieftauben der Liebesgöttin ins Haus geflogen waren. Bis all diese Zeichen weltvergessenen Getändels den nüchternen Sinn Frau Krügers zuletzt doch etwas beunruhigt hatten und sie bewogen, »endlich einmal nach dem Rechten zu seh'n«, wie sie sagte.
Schon der erste Blick zeigte ihr, wie notwendig sie war.
In einem Morgenkleid von weißer Seide und echten Spitzen stand Annemarie zwischen zwei neuen Koffern und sah ziemlich ratlos bald in die Tiefe, bald nach den mächtigen Stößen ihrer kostbaren Batistwäsche, die, auf Stühlen und Tischen aufgehäuft, wie duftige Wolken um sie lagen.
»Um Gottes willen, Annemarie,« rief Frau Krüger – »du wirst doch nicht dein Bestes nach Italien mitnehmen wollen?«
Sie hatte sich in ihrem Eifer kaum Zeit genommen die Tochter zu umarmen und einen Kuß auf die blühenden Lippen ihres Kindes zu drücken, aber doch sofort bemerkt, daß Annemarie ganz seltsam blaß war und aus blau umschatteten Augen abgespannt und müde nach ihr hinsah.
»Warum nicht, Mama?« fragte die junge Frau mit einem flüchtigen Erröten. »Dort ist's ja noch immer warm genug.«
»Aber wie sie dort die Wäsche bloß waschen!« brach Frau Krüger los. »Alles ganz egal. Vom Rinnstein weg. Ich hab' es doch selbst gesehen, wie ich mit deinem Vater dort war. Und die Koffer brechen sie auf, wenn sie nur etwas besseres Zeug drin wittern. Und ich bin noch heut der Meinung, daß sie schon von der Zollwache aus einen Wink bekommen oder irgendein Signalement, wo sich so ein Eingriff lohnt. Du lachst? Na hör' einmal, dazu wären mir all die echten Spitzen und der feine Leinenbatist doch zu kostbar. Das laß daheim, zwischen Lavendel und Veilchen!«
Annemarie warf die Lippen auf, wie schmollend. »Glaubst du, Mama?« Und dann, wie mit einem intimen Appell: »Aber es ist doch unsere Hochzeitsreise, Mama!«
»Ich hab' dir genug feine Leinwand auch noch mitgegeben,« beharrte Frau Krüger. »Und für die Banditenbräute wär' mir das entschieden leid! Und wenn du so viel auch noch mitnehmen willst – wo bleibt dir denn Raum für warme Sachen und Kleider?«
»Das hab' ich mir selbst gedacht,« gab die junge Frau kleinlaut zu.
»Also! Laß mich da vorerst Luft machen und dann bring' herbei, was ich dir sage. Du bist doch wohl?«
»Gewiß, gewiß,« beeilte sich Annemarie zu sagen. Wie sie aber nun der Mutter den Rücken kehrte und langsam, fast wie tastend nach dem Schlafzimmer zurück schritt, war etwas in ihrem Gang, was Frau Krüger stutzen machte. »Das wär' wie bei mir!« murmelte sie leise, schüttelte aber gleich darauf den Kopf über den eigenen Einfall. »Sie wird schlecht geschlafen haben und müde sein.«
Dann nahm sie den Hut ab, legte die Jacke weg. Es konnte beginnen. Vorerst schob sie all den Batist zurück und stieß dabei auf einige Leinenhemden. Sie begann zu zählen. »Ein Dutzend genügt.«
»Hemden sind schon da, Annemarie,« rief sie der Tochter nach. »Aber das andere bring! Nachtwäsche, Leibchen und was du etwa in Kartons und Schachteln dazwischen legen willst. Das gibt Halt! Nun?«
Sie horchte nach dem Schlafzimmer, bekam aber keine Antwort, weshalb sie annahm, daß Annemarie wahrscheinlich auch ihr Morgenkleid ablegen wolle.
»Meinetwegen brauchst du dich nicht noch schöner zu machen,« rief sie hinein. »Im Gegenteil. Leg' dein seidenes Hauskleid ab und nimm irgendeinen Voileschlafrock, möglichst dunkel. Beim Packen wird man immer selbst zerknittert.«
Sie begann die Hemden einzupacken. Erst eine Reihe legend, Stück an Stück, dann mit der zweiten beginnend.
Annemarie kam noch immer nicht zurück. Aber sie wollte ihr Zeit lassen, und weil sie doch etwas müde war, ließ sie sich einen Augenblick in einen der weichen Stühle fallen und nahm Bijutti auf den Schoß, der traulich wie einst an ihrem Rocksaum herumschnupperte. Ihre Gedanken kamen und gingen. Muttergedanken.
Wie schön es ihr Liebling hatte! Wie still und vornehm getönt jeder Raum! All die Blumen an den Fenstern. Und drinnen der Duft des jungen Genists ... Mein Gott, aber war es nicht auch bei ihr so gewesen? Einmal, im Anfang? Sie schüttelte wieder das Haupt, wie von etwas unendlich Fernem, unsäglich Traurigem angeweht. »Gott behüte sie!«
Die Pendule im Speisezimmer ging ihren sachten Gang, vor dem offenen Erkerfenster zwitscherten die Spatzen und pickten die Krumen auf, die Annemarie ihnen täglich streute. Draußen lag alles in Glanz und Frieden. Herinnen atmete förmlich hörbar das Glück. Oder war es bloß Bijutti? Wahrhaftig, da lag er in ihrem Schoß und schlief bereits!
»Annemarie!« rief Frau Krüger wieder.
Keine Antwort. Nun machte sie sich selbst auf. Eilends, das schlummernde Hündchen noch immer auf dem Arm.
»Ja, sag' mir nur –«
Mehr brachte sie nicht hervor, denn schon sah sie, was es gab:
In den Lehnstuhl vor ihrem Toilettetisch zurückgelehnt, lag Annemarie mit geschlossenen Augen, totenblaß. Ein scharfer Geruch machte Frau Krüger niesen. Auf dem silbernen Heidschnuckenfell lag ein offenes Flakon.
»Riechsalz und Ohnmacht!« besann sich die erschrockene Mutter. Aber nun wußte sie auch, woran man war.
Bijutti lag im nächsten Augenblick neben dem englischen Lavendelsalz und erwachte mit einem drolligen Niesen zu den Füßen seiner Herrin. Frau Krüger aber begann Annemaries Stirne zu betupfen und zu frottieren.
Groß und wie verwundert schlug das junge Weib endlich die Augen auf.
»Ist dir das heut' zum ersten Male gescheh'n?« begann Frau Krüger ihr mütterliches Examen.
Annemarie setzte sich hoch und strich wie sinnend über ihre Stirne hin. »Schon einige Male – seit zwei Wochen.«
»Und dein Mann hat das nie beachtet?«
Annemarie atmete tief und wie schluckend auf.
»Er war zufällig nie dabei. Und ich hab' ihm nichts sagen mögen.«
»Erlaub' mir ...?«
Ihr Blick irrte nach dem jungen Lager. Annemarie errötete.
»Sowie dein Mann kommt, werd' ich mit ihm sprechen ... Und mit dem Packen hat es nun natürlich sein Ende –«
...?
Groß und erschrocken starrte sie die junge Frau an.
» Mutter?!«
Da glitt Frau Krüger gerührt an der jungen Madonna nieder. Und während sie wie in Ehrfurcht die Arme um den bebenden Leib ihres Kindes legte und dann weich über die blassen Hände hinstrich, sprach sie feierlich leise, wie in einem Gebete:
»Ja, Annemarie, so wird bald ein – anderes zu dir selbst sagen!«
*
Über Annemarie aber kam ein tiefer Schreck, eine beschämte Trauer. Sie gedachte jenes Abends im Garten, wenige Tage nach ihrer Hochzeit, und wie kühl, ja fast abwehrend der junge, Gatte damals eine solche Möglichkeit von sich gewiesen hatte. Nur die Geliebte wollte er so lange wie möglich besitzen, sie immer wieder umwerben und genießen, in der seligen Trunkenheit selbstsüchtiger Leidenschaft. Nun war sie doch Mutter geworden, und etwas in ihr zitterte vor dem ersten Blick, den er über den Leib hingehen lassen würde, der fortan den Gesetzen eines anderen Lebens untertan war. Eines Lebens, das alle Reize dieses Leibes verunstalten, alle Kraft ihrer Jugend rücksichtslos und gierig an sich reißen würde, um ein Wesen aufzubauen, das ihr noch so fremd und gleichgültig war, daß sie im ersten Augenblick der Gewißheit fast einen dumpfen Haß gegen dieses Geschöpf empfand. Das nur immer nehmen und nehmen würde von ihr und sie mondelang verbrauchen und verunstalten. Selbst seine Geburt war eine Bedrohung ihres Lebens, und blieb ihr Leben auch ungefährdet – ihre erste Blüte war dahin, die Blüte, die der Mann am Weibe liebte, weil sie nur für ihn da war, für ihn allein.
Unter einem Strom von Tränen kam ihr dies alles zu Bewußtsein, und wie eine Erlösung empfand sie es, daß ihre Mutter dem jungen Vater als erste von dem Glücke Mitteilung machen wollte, das für ihn so gar kein Glück bedeutete, wie sie wußte. Aber die Scheu vor dem gesunden Empfinden ihrer Mutter und vor der heiligen Ergriffenheit, die sie gezeigt, versiegelte ihre Lippen.
»Aber sag' es ihm nur recht vorsichtig, Mama,« bat sie.
Frau Krüger lachte auf. »Na, erlaub' mir ... Ein Kind, das in Ehren zur Welt kommt. Das ist ja eine Freude!«
»Doch, doch,« wich Annemarie aus. »Und ich will mich einstweilen hier auf die Chaiselongue legen. Vielleicht kann ich etwas schlafen.«
Es war eine Lüge; zugleich eine Flucht, die ihn zwingen sollte, nach der unerwarteten und unwillkommenen Mitteilung schon etwas vorbereitet das Weib aufzusuchen, das nicht mehr die Geliebte war, sondern die Mutter seines Kindes.
Nicht einmal Bijutti durfte bei Annemarie bleiben. So ganz allein wollte sie sein mit dem, was nun durch ihre Seele ging. Und während Frau Krüger, innersten Jubels voll, in den herbstlich bunten Garten hinabstieg, um ja die erste zu sein, die den jungen Vater mit der großen Botschaft begrüßte, lag Annemarie tränenüberströmt auf ihren Kissen und konnte nicht fassen, was über sie gekommen war. Denn nun wurde ja alles, alles so ganz anders; sie wußte es.
Wie sehr hatte der Geliebte sich nur auf diese Reise gefreut, auf diesen hochzeitlichen Flug, mitten ins Blaue hinein, an die seligen Gestade Sorrents und Neapels, wo die Rosen und Veilchen aufs neue zu blühen begannen, wenn hier schon alles in Frost und Nebel lag.
»Dort liebt man auch ganz anders,« hatte er ihr einmal mit einem dunklen Blick gesagt. »Das wirst auch du dort erlernen. Jeder einzelne Sinn wird dort wieder ein Heide – ein froher, unbekümmerter, göttergleich genießender Heide. Ohne daß man es merkt, und doch wie aus einem innersten Gesetz heraus. Denn alles ist darauf gestimmt. Das Meer, in dem noch die Sirenen zu singen und zu kichern scheinen, die buhlenden Lüfte, die geheimnisvolle Fruchtbarkeit, der heiße Duft der Blumen, die so ganz anderen Linien der Hügel und der Berge. Selbst das Christentum der Italiener ist ein anderes und eigentlich noch immer das mehr oder weniger getaufte Heidentum. Die Sentimentalität, die unserem Katholizismus anhaftet, ist ihm fremd. Ja, selbst die Religion hat dort ihre Sinnlichkeit. Wie herrlich wird es da sein, das alles wieder zu genießen, mit einem Weib wie du!«
Wort für Wort klang ihr das noch in den Ohren. Und nun?
Wilhelms Urlaubsgesuch lag zwar noch unerledigt beim Minister, aber es war nur noch eine Frage weniger Tage, dann bekam ihre Freiheit auch von Amts wegen die Flügel. Und nun! Was würde ihr Gatte tun?
Und wieder kam es wie eine heimliche Scham über sie, die zugleich eine einzige Trauer war.
Blieb es bei dem Urlaub, und er mußte all die langen Wochen zu Hause verbringen – Tag für Tag und Stunde um Stunde an sie und ihre Qual gekettet, Zeuge all des Unschönen und Peinlichen, das mit ihrem Zustand einherging, – Annemarie zitterte davor!
Ließ sich das Gesuch noch in letzter Stunde zurückziehen, wurde es ein Jahr noch einmal so arbeitsreich und arbeitsgrau wie all die anderen, die im Süden zu vergessen der Geliebte sich schon so gefreut hatte. Sie selbst aber saß dann wohl lange Stunden daheim, immer allein mit diesen Gedanken, die so beklommen und todtraurig waren, daß ihre Seele wie gehetzt immer wieder vor ihnen herfloh, in der Angst das eigene Kind hassen zu lernen, bevor es noch geboren.
Und Annemarie fühlte, daß sie niemanden, ja niemanden hatte, dem sie jemals von all dem sprechen konnte. Zuletzt ihre Mutter, die sich aus einer unseligen Ehe so ganz und so selbstvergessen in die Kinderstube geflüchtet hatte.
Draußen knarrte das Gartenpförtchen, dann klang ein fester Schritt unter Annemaries Fenster ... Ein überraschter Gruß flog auf:
»Sie, Mama?«
Es war ihr Gatte.
Wie von einer unwiderstehlichen Gewalt getrieben erhob sich Annemarie und schlich in den Erker, unter dessen Fenster Gatte und Mutter standen. Es war offen, und der gelbseidene Sonnenblender schützte sie vor dem Gesehenwerden.
»Warum tu ich's?« dachte sie. »Was er auch sagen, wie er sich auch gehaben wird, es ist meine Pflicht, ihn zu verstehen.«
Aber da entsann sie sich plötzlich jenes Abends, nach dem Besuche Melas, und sie blieb.
Nicht das, was er jetzt sagen würde, war für ihre Zweifel maßgebend. Annemarie glaubte Wort für Wort vorauszuhören. Die Miene, mit der er dann vor sie hintreten, die Maske, die er vornehmen oder – nicht vornehmen würde, sollte ihr zum ersten Male verraten, ob sie ihm damals unrecht getan?
Und sie blieb stehen.
*
Es war ein klarer Oktobermittag, eine tiefe, fast sonntägliche Stille, in die ihres Gatten Gruß und seine Worte hineinfielen – Worte, die Annemarie nie wieder vergessen sollte ...
»Sie, Mama?«
Annemarie wußte, daß ihr Gatte ihrer Mutter nur in kühler Achtung zugetan war – so hörte sie auch jetzt mehr die Enttäuschung als die Freude aus seiner Stimme.
»Na, vermißt werdet ihr mich gerade nicht haben,« lachte Frau Krüger gutmütig zurück. »Dafür habt ihr euch zu rasch nach einer anderen Gesellschaft umgeschaut.«
»Wie meinen Sie das?« hörte Annemarie ihren Gatten mit etwas unsicherer Stimme fragen.
»Mela!« dachte sie und konnte nicht umhin, einen Augenblick leise vor sich hinzulächeln. Weil ihr schien, als ob ihr Gatte sich auf ein schwiegermütterliches Examen gefaßt machte.
»Mit Ausnahme einer Freundin Annemaries war bis jetzt kein Mensch bei uns,« sprach Wilhelm kühl weiter. »Allerdings haben wir auch niemanden vermißt. Sie verzeihen, Mama, aber –« Er lachte auf. Und Annemarie hörte voll stiller Seligkeit, daß noch immer der alte Jubel aus seiner Stimme klang.
»Das ist nur selbstverständlich,« erwiderte Frau Krüger. »Und wenn mir Annemarie nicht unlängst geschrieben hätte, daß ihr nun ernstlich an eure Abreise denkt, wär' ich noch eine Weile ausgeblieben. Daß ich aber schon so notwendig sei –,« fügte sie mit einem gerührten Zittern in der Stimme hinzu – »davon freilich hatt' ich keine Ahnung.«
»So notwendig?« nahm der junge Gatte mit einem gewissen Staunen ihr Wort auf. »Wie meinen Sie das?«
»Nun ja,« lachte Frau Krüger verständnisvoll. »Es ist immer dasselbe bei den Männern. Sie stellen es bloß an und tun dann, als ob sie nicht verstünden. Mit dem meinen war es genau dasselbe beim erstenmal.« Und wieder lachte sie auf, laut, herzlich, mit einer fast jugendlichen Schelmerei. Es machte ihr sichtlich ein Vergnügen, den berühmten Mann, der so lange auf sie herabgeschaut, nun auch etwas bänglich vor sich zu sehen.
Ein tiefes Schweigen antwortete ihr.
Annemaries Herz begann fühlbar zu pochen.
»Ich verstehe Sie noch immer nicht, Mama.«
»Also,« lachte Frau Krüger aufs neue herzlich auf, nun aber mit einer Stimme, die wie von Tränen durchzittert war. »Gott hat Ihnen ein großes Glück zugedacht, lieber Wilhelm. Annemarie ist Mutter!«
Es war nur ein leichter Windhauch, der gerade in diesem Augenblick einsetzte und den gelbseidenen Sonnenblender ganz sachte vor Annemaries Augen hin und her zu schaukeln begann. Oder war es ein neuer Schwindelanfall? Ihr schien, als müsse sie um sich greifen, sich irgendwo festhalten, recht fest, um nicht zu fallen. Immer tiefer, immer rascher, vielleicht ins Bodenlose –
Denn Wilhelm schwieg noch immer ...
»Sie scheinen mir nicht zu glauben?« hörte sie ihre Mutter nach einer Weile wieder reden.
Und nun ihres Gatten Stimme.
Ein gezwungenes, fast ärgerliches Auflachen: »Nein, in der Tat, Mama! Obwohl ich mir allerdings schon längst hätte denken können, daß Ihnen bei dieser ersten Visite nur das einfallen würde.«
»Aber wenn ich es Ihnen sage –?«
»Unsinn!«
»Sie ist doch vor mir ohnmächtig geworden. Hat mir gestanden, daß es nicht zum ersten Male ist. Schwer übel war ihr –«
Keine Antwort.
»Ich habe ja selbst vier Kindern das Leben gegeben!« ...
»Unsinn!« kam es aufs neue zurück, nun fast barsch.
Zuletzt noch einmal ihrer Mutter Stimme: beschämt, leise, wie von einer jähen Enttäuschung gebrochen:
»Und Sie freuen sich nicht?«
»Auf die Kinderstube, jetzt schon? Nein! Da müßt' ich wahrhaftig lügen. Aber ich will erst Annemarie selbst sehen –«
Sie gingen der Treppe zu. Stimmen und Schritte verhallten.
*
Als der junge Gatte sein Heim betrat, lag Annemarie wieder auf den Kissen ihres Ruhebettes, müde, bleich, mit halbgeschlossenen Augen. Nur die kleinen, blassen Kinderhände bebten leise. Alle Qual und die ganze Enttäuschung ihrer hilflosen Seele bargen sich in das Zittern dieser armen, jungen Sande ... Aber niemand sah es. Aus den Augen ihrer Mutter strahlte noch immer die Freude über den künftigen Enkel. Im Antlitz des Gatten stand der ärgerliche, aber feste Wille, sich dem Augenblick so weit wie möglich anzupassen. Sonst nichts. Keine Rührung, keine Angst. Kaum ein flüchtiges Mitleid. Sie hatte ihm eine Freude verdorben, ihm den Becher vom Munde gezogen, aus dem er in heißen, gierigen Zügen jenes Glück getrunken, das allein er begehrt. Und wenn es auch geradezu lächerlich gewesen wäre, in diesem Falle von irgendeiner Schuld zu sprechen – in seinem verdunkelten Blick stand es geschrieben, daß er nicht übel gelaunt war, sie allein für dies alles verantwortlich zu machen. Und Annemarie empfand mit wachsendem Schrecken, welch eine unsägliche Selbstsucht es sein mußte, die sich so wenig beherrschen konnte, auch wenn es die Selbstsucht der Liebe war ...
Rasch, heftig, ohne Gruß trat er ein. Und während sein forschender Blick fast kühl über sie hinglitt, sprach er mit einem erzwungenen Lächeln:
»Du wirst doch nicht wirklich Ernst machen wollen, Annemarie?«
Ihre Augen öffneten sich, starrten ihn an – groß, fremd, wie einen Menschen, den man zum ersten Male sieht.
»Doch, Wilhelm, es ist Ernst!«
Sein Blick ruhte noch immer auf ihr, kühl, sachlich, glitt von dem blassen Antlitz mit den dunkelumrandeten Augen wie prüfend zu dem zusammengekrümmten Leib herab. ›Nun schaut er mich als Arzt an,‹ dachte Annemarie. ›Und mit dem Bedauern des Ästheten, der mich schon jetzt entstellt und häßlich findet.‹
Und wie ein kalter Schauer brach es von diesem Blick in das Innerste ihrer Seele. Der Abscheu fiel ihr ein, mit dem er einst vor dem Bild eines niederländischen Meisters von »diesem widerwärtigen Anblick« gesprochen, weil der Maler die Eva seines »Sündenfalls« mit gesegnetem Leib dargestellt. Es war dies gleich in der ersten Zeit ihrer Verlobung gewesen, und seine physiologischen Erläuterungen wären weiß Gott wie weit gediehen, wenn nicht ihre Mutter, die unterdes ein anderes Bild jener Galerie besichtigt hatte, wieder zu ihnen getreten wäre. Aber der Ekel, dieses fast persönliche Beleidigtsein des Freundes unversehrter Frauenschönheit hatten sich tief in Annemaries Erinnerung gegraben. Seine Antwort während jener schwülen Liebesstunde im Garten hatte sie nicht in Zweifel gelassen, daß der Geliebte hierin immer der gleiche bleiben würde – auch wenn es ihr eigenes Schicksal werden sollte.
Und wieder quoll es wie ein dumpfer Haß gegen das keimende Leben in ihr empor. Denn wie bitter sie der Gatte auch enttäuschte in dieser Stunde, ihn liebte, ihn kannte sie, ihm allein wollte sie gefallen! Um ihn litt sie, was sich nicht aussprechen ließ, in dieser einen, entsetzlichen Stunde!
»Dir war schon einige Male übel, sagt deine Mutter?«
Ein Arzt hätte nicht kühler fragen können.
Sie schloß die Augen, nickte. »Erst zuvor wieder –«
»Von einer Reise kann da natürlich keine Rede sein,« wurde nun auch die Mutter laut.
Er biß sich in die Lippen. »Richtig, das auch noch! Damit die Annehmlichkeiten kein Ende nehmen. Denn nun muß ich mein Gesuch natürlich zurückziehen. So monatelang daheim zu sitzen, mit einem Urlaub im Sack, den man nicht genießen kann, wäre doch allzu ärgerlich ...«
Er erhob sich, machte einige rasche Schritte durch das Zimmer, blieb zuletzt mit geblähten Nüstern stehen.
»Was riecht denn da so widerwärtig?«
»Das Lawendelflakon! Es wird noch offen sein,« hauchte Annemarie. »Ich mußte es wieder brauchen und war schwindlig.«
Frau Krüger hatte das Fläschchen schon aufgenommen und versichert. Annemarie, die mit müden Blicken nach der Mutter sah, merkte, daß ihre Hand bebte, während sie das Flakon auf die Glasplatte der Toilette stellte.
Ein feiner, zitteriger Ton irrte durch den Raum, als die beiden Glasflächen sich berührten. Etwas unsäglich Zartes, fast Seelenhaftes lag darin. Als beginne eine ganz fremde, ganz ferne Stimme da zum ersten Male zu ihnen allen zu sprechen:
»Gebt acht auf mich – ich bin euer Glück! Mit einem einzigen Wort könnt ihr mich jetzt töten.«
Sie fühlten es alle drei – und alle drei schwiegen –
Als ihre Mutter nach einigen Augenblicken mit hastigen Worten Abschied nahm, begleitete sie der junge Gatte hinaus.
Annemarie blieb allein zurück. Aber so groß auch ihre Qual war, so tief ihre Enttäuschung – der Schrei, der von ihren Lippen kam, war so leise wie das Erklingen jenes Glases.
Nur Bijutti hörte ihn, und er sprang zu seiner jungen Herrin empor und sah mit großen, besorgten Augen nach ihr hin – stumm, treu in der alten Liebe und Bewunderung.
Für ihn war sie noch immer dieselbe.
*
Die Hochschule öffnete wieder ihre Hallen, und auch Annemaries Gatte verschwand nun täglich für einige Stunden in seinen Hörsaal. Er las das besuchteste Kolleg, hatte Hunderte von Schülern, die zum Teil sogar über das Weltmeer kamen, um die Jünger des unerschrockenen Forschers zu werden, für den es, wie er sagte, kein Geheimnis gab zwischen Himmel und Erde, das die menschliche Vernunft nicht einmal in eine natürliche Formel kleiden würde – keine andere Ehrfurcht als jene vor der »Berufung des obersten Tieres zur Herrschaft über die Welt«.
Annemarie, die keine Ahnung von den letzten Folgerungen seiner Weltanschauung hatte, zählte daheim mit strahlendem Antlitz die »Indices« nach. Fast tausend Hörer waren es, die im ersten Semester die Vorlesung ihres Gatten besuchen wollten, Amerikaner, Inder, Japaner waren darunter, selbst ein junger Mohr, den Wilhelm einmal scherzweise »einen abgefallenen Enkel der heiligen drei Könige« nannte. Annemarie lachte nicht mit. Ihr Glaube verbot es, der, schon halb verloren, mit dem Kinde unter ihrem Herzen wieder schüchtern aufzublühen begann. Doch sie konnte nicht umhin, den Gatten mit einem stolzen Blick zu betrachten – ihn, dessen Namen sie trug. Und die Angst über den Abgrund, der zwischen den Welten lag, in denen ihre Seelen dahinlebten, griff immer seltener an ihr Herz. Sie beschied sich, ihn ganz der Gnade Gottes zu empfehlen, an den er doch auch irgendwie glauben mußte, weil er ihn vor ihr noch niemals verleugnet hatte. Und wußte sie, was sonst noch in dem Reich vorging, in dem er lebte und webte? Die Welt mußte unterdes doch ganz andere Erkenntnisse gewonnen haben als jene, die allein die Kirche gelten ließ. So mußte er auch selbst wissen, wie er auf all den Wegen, die er beschritten hatte, wieder zum heiligen Urgrund aller Dinge zurückfand. Und dann waren es auch sonst so ganz andere Empfindungen, die sie jetzt beschäftigten.
Zuerst das geheimnisvolle Werden, das so unauflöslich mit ihrem eigenen Sein verbunden war. Noch hatte sich ihre Abneigung gegen den allzufrühen Eindringling nicht in Liebe verwandelt. Aber wenn auch die Seele der Mutter noch nicht ihre Madonnenaugen aufgeschlagen hatte, ihr Leib verwuchs täglich inniger mit dem keimenden Leben. Die Gesetze, die sie aneinander banden, banden sie zu gleichem Heil oder Unheil. Wie sie diesem Kinde das Leben oder den Tod geben konnte, so konnte auch dieses Geschöpf für sie selbst der Anfang eines neuen Glückes oder der – Tod sein ... Es war Gott selbst, der da in ihr schuf und wirkte. Bis in die letzte Faser ihres Leibes fühlte sie das oft.
Daneben schlich ihre heimliche Angst, über diesem keuschen Hoffen und Erwarten die Liebe des Gatten zu verlieren. Sie kannte die Glut seiner Sinne, die ganze Rücksichtslosigkeit seines Begehrens. Und je mehr sie sich von ihm lossagen mußte, desto quälender wurde die Sorge, daß während dieser Zeit irgendein neuer Rausch seine Sinne umgarnen könne. Halbe Nächte schlief sie darüber nicht. Bewachte voll heimlicher Eifersucht jede Miene des neben ihr Schlummernden, jeden Laut, den er im Traum vor sich hinsprach. Sowie er aber aus dem Kollegium heimkam, wich sie nicht mehr von seiner Seite.
Kam er über das, was er einmal »das Widerwärtige dieses Anblickes« genannt, hinüber? Annemarie wußte es nicht. Nach dem, was sie an jenem Oktobertag erlauscht, war es ihr aber allmählich doch ein Trost geworden, daß Wilhelm sich so gar keine Mühe nahm, sich in dem zu verstellen, was den innersten Kern seines Wesens ausmachte. Er war ja unsäglich brutal gewesen damals. Aber die Rücksicht und Zärtlichkeit, mit der sie der Wissende jetzt umgab, schienen ihr eben deshalb geradeso echt und unverstellt.
»Du hast heute dem Ästheten einiges verzeihen müssen,« hatte er ihr nach jenem ersten Aufflackern seiner Selbstsucht damals reuig gestanden. »Aber der Naturforscher wird sich darum nur noch mehr bemühen, wieder gutzumachen, was er sofort hätte verstehen müssen.« Und seither hatte er ihr mit keiner Miene mehr wehgetan.
Ihr aber schien, als müsse sie mit ihrer fortwährenden Nähe schon jetzt den schlummernden Instinkt des Vaters in ihm wecken. Wenn ihr Zustand den jungen Leib auch von Tag zu Tag mehr entstellte, ihr Antlitz immer blässer und schmäler wurde – gerade diese Blässe gab ihr einen neuen Reiz, die gleichsam erschöpfte Müdigkeit ihrer Bewegungen zog, wie der Gatte ihr einmal nach einem plötzlichen, heißen Kusse gestand, seine Sinne ganz seltsam hinter ihr her. Ihre großen Augen schwammen in einem Dämmerlicht, das schon die verhüllte Innigkeit der Mutter verkündete. In ihre Stimme war das leise Erbeben des Geschöpfes gekommen, das sich bewußt ist, auf Tritt und Schritt eines Schutzes zu bedürfen. Auch das machte ihn allmählich ganz merkwürdig weich. Und was er sonst an ihr geliebt hatte, war ihm noch immer dieselbe Augenweide: ihr herrliches Haar, das, ganz lose hinaufgenommen, wie leuchtende Bronze in dem feinen Nacken lag und wie Seide knisterte, wenn seine Hand im Ungestüm einer lang unterdrückten Liebkosung darüber hinfuhr. Der Duft ihres jungen, wohlgepflegten Leibes; ihre herrlichen Arme, die sie absichtlich nur halb unter dem wogenden Geriesel der weiten Japanärmel verbarg – all die Seide, die so geheimnisvoll um sie rauschte, die bei jedem Schritt an ihrem Leib erzitternden Spitzen, in die sich Annemarie bis zu den schmalen Füßen herab zu kleiden pflegte ...
Ja, sie war schön, trotz alledem, noch immer schön! Nicht nur der Spiegel, auch die Augen des Gatten sagten es ihr, die oft so heiß, so qualvoll erlöschend in die ihren tauchten, der Blick, der sie suchte und doch immer wieder fliehen mußte, weil ihr Leib jetzt heilig war und geweiht.