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Hundertundachtundzwanzigstes Capitel.
Ueber Menschen, welche fremdes Eigenthum in Besitz haben, wird bei ihrem Ende ein schweres Gericht gehalten werden.

Einst herrschte Maximianus, in dessen Reiche zwei Ritter lebten: der eine von ihnen war gerecht und gottesfürchtig, der andere aber habsüchtig und reich, und suchte der Welt mehr zu gefallen denn Gott. Nun hatte aber der gerechte Ritter ein Gut, welches an das des Habsüchtigen grenzte und welches dieser durchaus zu besitzen trachtete. Darum begab er sich öfters zu dem gerechten Ritter und bot ihm Silber und Gold an, so viel er nur begehre, wenn er ihm diese Besitzung verkaufen wolle. Jener aber schlug es ihm fortwährend ab, und so mußte er mißvergnügt seine Straße ziehen, dachte aber bei sich nach, wie er ihn betrügen könne. Es begab sich aber, daß der Gerechte starb, und wie das der Habsüchtige hörte, ließ er sich unter dem Namen des Verstorbenen eine Urkunde aufsetzen, nach welcher der Verstorbene während seiner Lebzeit ihm das Gut, welches er so sehr begehrte, für eine gewisse Geldsumme verkauft hatte. Hierauf dung er drei Leute für Geld, daß sie ihm dabei als Zeugen dienten. Mit diesen begab er sich zu dem Todten und fand das Siegel desselben in dem Gemache, wo derselbe lag: er ließ Alle, seine Zeugen ausgenommen, hinausgehen und steckte dann, in Gegenwart der Zeugen, das Siegel in die Hand des Todten und drückte dessen Daumen auf das Petschaft, so daß er mit dem Daumen der Leiche seine Urkunde untersiegelte, und sprach: sehet her und bezeuget mir das. Diese sprachen: wir sind Zeugen, und der Ritter nahm also das Gut als sein Eigenthum in Besitz. Da sprach der Sohn des Verstorbenen zu ihm: warum nimmst Du mein Gut in Besitz? Der aber antwortete: Dein Vater hat es mir verkauft. Darauf entgegnete jener: Du bist mehrmals zu meinem Vater gekommen und hast ihm für diese Besitzung Geld geboten, aber mein Vater hat sie niemals verkaufen wollen. Sie gingen also selbander zum Richter. Der Habsüchtige zeigte die mit dem Petschaft des Verstorbenen besiegelte Kaufsurkunde vor und stellte seine Zeugen, welche darüber ihr Zeugniß abgaben. Darnach sprach der Sohn des Verstorbenen zu ihm: ich weiß, daß das meines Vaters Siegel ist, aber ich weiß auch, daß er Dir das Gut niemals verkauft hat; wie Du aber zu dem Siegel gekommen bist, verstehe ich nicht, Du mußt also darüber ein Zeugniß abgeben. Nun ließ der Richter jene drei Leute von einander trennen und eben so auch den Ritter von ihnen entfernen und den älteren derselben vor sich führen und fragte ihn, ob er das Vaterunser auswendig wisse, und ließ es ihm vom Anfang bis zu Ende hersagen, der aber konnte es gut. Er ließ jenen hierauf an einen abgesonderten Ort führen, den zweiten vor sich bringen und sprach zu ihm: mein Lieber, vor Dir war Dein Geselle hier, der mir die Wahrheit so gesagt hat, wie ein Paternoster. So Du mir also die Wahrheit, die ich von Dir wissen will, nicht sagen wirst, werde ich Dich an den Galgen hängen lassen. Der aber dachte bei sich: mein Geselle hat Alles erzählt, wie der Ritter den Daumen des Todten nahm und sein Petschaft und damit seine Urkunde besiegelt hat, wenn ich nicht die Wahrheit sage, bin ich ein Kind des Todes. Hierauf erzählte er Alles nach der Reihe, und wie das der Richter gehört hatte, ließ er ihn besonders einsperren und den Dritten vor sich führen und sprach zu ihm: mein Lieber, Dein erster Kamerad hat mir die Wahrheit hergesagt wie ein Vaterunser und eben so auch der zweite: darum sollst Du, so Du mir die Wahrheit verhehlen wirst, den schimpflichsten Tod sterben. Jener aber dachte bei sich: meine Gesellen haben alle Geheimnisse des Ritters erzählt, es dürfte wohl gut seyn die Wahrheit zu sagen. Hierauf berichtete er dem Richter Alles von Wort zu Wort, wie es geschehen war, und der Richter ließ auch ihn besonders einsperren. Hierauf berief er den Ritter vor sich, sah ihn mit grimmigen Blicken an und sprach: o Du Verfluchter, Deine Habsucht hat Dich verblendet: sage mir, auf welche Weise der verstorbene Ritter Dir das Gut, welches Du in Besitz hast, verkauft hat. Der aber, welcher nichts von dem Geständniß seiner Zeugen wußte, gab vor, er habe es mit Recht im Besitz. Darauf sprach der Richter zu ihm: Vermaledeiter, Deine Zeugen haben wider Dich ausgesagt, daß Du nach dem Absterben jenes Mannes seinen Daumen und sein Siegel genommen und so Dein Papier besiegelt hast. Wie das der Ritter hörte, fiel er zur Erde nieder und flehte um Erbarmen, der Richter aber sprach: das Erbarmen, welches Du verdient hast, soll Dir werden, und er ließ die Zeugen an Pferdeschweifen nach dem Galgen schleifen und da aufhängen gleichwie den Ritter. Die Großen des Reichs aber priesen die Weisheit und das Gericht des Königs, daß er so klug die Wahrheit ergründet hätte: er aber gab Alles, was jener Ritter besaß, dem Sohne des Verstorbenen. Der aber dankte dem König und erhielt somit sein Erbtheil wieder.


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