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Einundsechzigstes Capitel.
Wie man Alles vorausbedenken müsse.

Es gab einen König Claudius, der eine einzige reizende und sehr anständige Tochter hatte: wie er nun einmal auf seinem Bette lag, dachte er mit großer Bewegung über seine Tochter nach, wie er sie versorgen könnte. Er sprach aber bei sich: wenn ich sie einem reichen Thoren zur Frau gebe, werde ich meine Tochter ins Unglück stürzen: gebe ich sie aber einem weisen Armen, so wird ihr derselbe vermittelst seiner Klugheit alle Bedürfnisse im Ueberflusse verschaffen. Nun war aber damals in jenem Reiche ein gewisser Philosoph mit Namen Socrates, den der König sehr hochschätzte: diesen berief er zu sich und sprach zu ihm: mein Lieber, beliebt es Dir meine Tochter zur Frau zu nehmen? Jener aber erwiederte: eiwohl, bester Herr. Und jener versetzte: ich will sie Dir also unter der Bedingung geben, daß, wenn meine Tochter während ihrer Verbindung mit Dir stirbt, Du das Leben verlieren mußt. Wähle also, ob Du sie nehmen willst oder nicht. Jener aber entgegnete: mir ist es ganz recht, sie unter dieser Bedingung zu nehmen. Nun feierte der König mit großer Pracht ihre Vermählung und einige Zeit hindurch brachten sie ihr Leben in vollkommener Ruhe und Wohlsein hin. Nachher aber wurde die Gattin des Socrates auf den Tod krank und wie Socrates dieses vernahm, ward er sehr traurig, ging in einen Wald und weinte bitterlich. Während er nun so ganz in seinem Schmerz versunken war, jagte zufällig der König Alexander in demselben Walde. Ein Krieger Alexanders erblickte den Socrates, ritt an ihn heran und sprach zu ihm: mein Lieber, wer bist Du denn? Und jener entgegnete: ich bin der Mann eines solchen Herren, daß der, welcher ein Sclav meines Herren ist, noch Herr des Deinigen ist. Da sagte der Krieger: In der ganzen Welt giebt es keinen größern Herrn als den meinigen, aber weil Du so gesprochen hast, will ich Dich zu meinem Herrn führen und wir wollen hören, wer denn Dein Herr ist, von dem Du so Vieles und so Großes behauptest. Als er aber vor den König Alexander gebracht worden war, sprach dieser zu ihm: mein Lieber, wer ist denn Dein Herr, von dem Du solches sprichst, daß sein Sclav noch mein Herr seyn soll? Jener aber sprach: mein Herr ist die Vernunft, der Sclave desselben aber der Wille. So ist es auch in der That, denn Du hast zeither Dein Reich nicht nach der Vernunft, sondern nur nach Deinem Willen regiert. Darum bist Du ein Sclav meines Herrn: denn der Wille ist Dein Herr. Wie das Alexander hörte, sprach er zu ihm: mein Lieber, Du hast weise geantwortet, gehe hin in Frieden. Von diesem Tage aber fing der König an, sein Reich nach der Vernunft, nicht nach seinem Eigenwillen zu regieren. Socrates aber ging wieder in den Wald und weinte wegen seiner Gattin bitterlich. Da kam ein Greis zu ihm und sprach: O lieber Meister, weshalb ist Deine Seele so bekümmert? Und jener entgegnete: ich habe die Tochter des Königs unter der Bedingung zur Frau bekommen, daß, wenn sie nur während ihrem Zusammensein mit mir stirbt, ich mein Leben verlieren soll. Nun liegt sie jetzt auf den Tod darnieder und das ist der Grund meines Schmerzes. Darauf sprach der Greis: folge meinem Rath und es wird Dich nicht reuen. Deine Frau ist aus königlichem Blut; wenn der König eingeschlafen ist, dann möge Deine Frau ihre Brust und Brüste mit dem Blute ihres Vaters bestreichen. Dann wirst Du in diesem Walde drei Kräuter finden: von einem mache ihr einen Trank, von den beiden andern aber ein Pflaster und das lege sie da auf, wo sie Schmerz empfindet: und so Du dieser meiner Lehre folgst, wird sie die vollkommenste Gesundheit wiedererlangen. Socrates erfüllte Alles und seine Gattin genaß von jeglicher Unpäßlichkeit. Wie aber der König vernahm, daß Socrates so bekümmert und sorgsam wegen der Krankheit seiner Tochter gewesen sey, erhob er ihn zu großem Reichthum und Ehrenstellen.


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