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Vorwort

Wenn der Endesunterzeichnete diese seine Uebersetzung des ältesten christlichen Mährchen- und Legendenbuches der gelehrten Welt hiermit überreicht, so kann er nicht umhin, vorher wenigstens mit einigen Worten anzudeuten, wie er dazu kommt, ein so altes und Manchem vielleicht kaum dem Namen nach bekanntes Buch durch eine Uebersetzung wieder in die moderne Literatur einzuführen. Seine Freunde haben bereits durch den neulich erschienenen Supplementband seiner Allgemeinen Literaturgeschichte, der sich die Entwickelung der großen Sagenkreise des Mittelalters zur Aufgabe gestellt hat, vielleicht auch durch einige seiner kritischen Arbeiten in gelehrten Zeitschriften wahrgenommen, daß der Endesunterschriebene das Gebiet der romantischen Sage fleißig durchforscht und mit besonderer Vorliebe behandelt hat; es kann ihnen darum nicht auffallen, wenn gerade das vorliegende Buch, die Quelle der meisten romantischen Mythen des Mittelalters, seine Aufmerksamkeit erregte und ihn durch seine kindlich fromme Naivität und originelle Composition täglich mehr anzog. So kam es denn, daß der Verfasser diesen seinen Liebling auch Andern zugänglich machen wollte und auf den Gedanken kam, der außerordentlichen Seltenheit der Ausgaben dieses Buches wegen einen neuen Abdruck des Originals nach unverglichenen Handschriften zu veranstalten und die Quellen und Bearbeitungen der einzelnen Geschichten vollständig dabei anzugeben. Lange schon hatte er hierzu gesammelt und nicht geringes Material zusammengebracht, auch bereits Anstalt gemacht seine neue Textrecension dem Druck zu übergeben, als er las, daß Herr Professor Keller in Begriff sey bei Cotta in Stuttgart gleichfalls eine solche erscheinen zu lassen. Ob ihm nun gleich der alte Spruch wohl erinnerlich war, welcher sagt: quum duo faciunt idem, tum idem non est idem, so meinte er doch, daß ein doppelter Abdruck kaum nothwendig seyn werde, da Herr Keller durch seine Ausgabe der sieben weisen Meister in dem altfranzösischen Gedichte und viele anderen Arbeiten hinlänglich documentiert hat, daß er in jeder Hinsicht, wenn irgend ein Anderer, fähig ist eine solche, critisch und bibliographisch vollständige herzustellen, und gerieth also auf den Gedanken, um nicht alle seine jahrelangen Vorstudien ganz vergebens gemacht zu haben, dabei aber, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, ein neben Herrn Kellers Ausgabe ganz für sich bestehendes und mit diesem durchaus nichts gemeinhabendes Werk zu Stande zu bringen, eine möglichst getreue Übersetzung dieses Buches zu veranstalten, welche nicht blos alle Erzählungen der alten lateinischen Drucke, als auch der englischen, lateinisch noch ungedruckten Redaction enthielte. Vorher hatte ihm noch sein gelehrter Freund, Herr Prof. Jacob Grimm, eine altdeutsche Handschrift von 63 Geschichten der Gesta mitgetheilt, welche nicht allein, wie sich unten ergeben wird, wesentlich von dem lateinischen Originaltext, sondern auch von der durch Herrn Keller gleichfalls aus einer Münchener Handschrift herausgegebenen altdeutschen Uebertragung der Gesta abweicht, außerdem auch mehreres Neue enthält, weshalb der Endesgenannte es nicht für unnütz hielt, das, was bisher noch unbekannt war, gleichfalls aus dieser Handschrift mit in vorliegende Uebersetzung aufzunehmen und als Anhang derselben beizugeben, damit auf diese Weise eine möglichst vollkommene Collection aller unter diesem Titel vorhandenen Erzählungen und Mährchen zusammenkäme. Endlich konnte er sich auch nicht enthalten in einer beigefügten Abhandlung seine Entdeckungen und Meinung über den wirklichen Verfasser dieses Buches anzuhängen, sowie seine bibliographischen Notizen über Ausgaben u. s. w. beizufügen, welches vielleicht manchem nicht ganz unwillkommen seyn dürfte; in den Anmerkungen dagegen hat er nur die nothwendigsten Notizen zu geben für gut befunden, weil hier sicherlich eine Collision mit dem Keller'schen Werke zu fürchten gewesen wäre, welches gewiß in Bezug auf die Darlegung der Quellen und Verbreitung der einzelnen Sagen sich durch nicht geringere Vollständigkeit und Genauigkeit auszeichnen wird, als es bei dessen Ausgabe des Roman des VII Sages und seinem Kaiser Diocletianus von dem Büheler hierbei der Fall gewesen ist. Was endlich den Werth oder Unwerth des Buches selbst angeht, ob es verdient nach so langer Zeit wieder aus seinem Schlafe erweckt zu werden, darüber mögen Andere entscheiden: schwerlich aber dürfte es Jemanden geben, den nicht wenigstens einige dieser einfachen, schmucklosen Erzählungen angenehm berühren sollten und der sich nicht, wenn er sie liest, in das kindliche, treuherzige Wesen der alten guten Zeit versetzt fühlte, der man natürlich manche Verstöße gegen das, was man in unserer Zeit feine Sitte nennt, zu Gute halten muß. Gewiß muß aber Jeder zugeben, daß durchgängig ein gesunder Sinn und eine reine Moral aus allen diesen Erzählungen hervorblickt, so daß also die Freiheit, welche ich mir genommen habe, die Moralisationen wegzulassen, wohl Entschuldigung finden wird. Daß endlich in diesen Erzählungen die schönsten, größtentheils noch nie benutzten Stoffe für größere Novellen liegen, brauche ich wohl nur anzudeuten, da sich jeder Leser selbst genügend davon überzeugen kann. Ich habe daher nur noch hinzuzufügen, daß ich alles Mögliche gethan habe, um in der Uebersetzung so gut als ich konnte, den einfachen, schmucklosen Ton des Originals wieder zu geben, es aber natürlicher Weise Kennern überlassen muß zu beurtheilen, ob mir dieser Versuch geglückt ist oder nicht. Endlich muß ich noch der Bereitwilligkeit und Gefälligkeit meines Herrn Verlegers hiermit die verdiente Gerechtigkeit widerfahren lassen, da dieser trotz der anscheinenden Collision des vorliegenden Buches mit der Kellerschen Ausgabe keine Kosten gescheut hat, diese Uebersetzung so gut als möglich auszustatten, wofür ich ihm hiermit öffentlich meinen Dank sage.

Dresden den 1. August 1842.
Dr. Johann Georg Theodor Gräße.


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