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Erstes Capitel.
Von der Liebe.

Es gab einen sehr reichen und mächtigen König Pompejus, der eine einzige und sehr schöne Tochter hatte, welche er auf das Zärtlichste liebte. Er bestimmte daher für ihre Bewachung fünf Soldaten, welche sie vor jeder Gefahr unter schwerer Strafe hüten sollten. Diese aber bewachten sie gewaffnet Tag und Nacht und stellten vor dem Eingange ihres Gemaches eine brennende Lampe auf, damit Niemand des Nachts, während sie schliefen oder ohne daß sie es wissen könnten, zu ihr gelangen möchte, hatten auch ein Hündlein, einen tüchtigen Beller, durch dessen Lärm sie aufgeweckt werden wollten. Das Mägdlein aber war sehr zärtlich erzogen worden und sehnte sich gar sehr, die Wunderwerke der Welt zu erblicken. Als sie nun einmal hinaus ins Freie geblickt hatte, da kam ein gewisser Herzog, der, als er kaum seine unkeuschen Augen auf sie geworfen hatte, von Liebe zu ihr ergriffen wurde, denn sie war zu schön und allen Augen angenehm und die einzige Tochter des Kaisers, welche nach dem Tode ihres Vaters durch das Erbrecht das Reich bekommen mußte. Darum versprach dieser Herzog ihr Vieles, damit er ihre Einwilligung erhielte, und sie auf seine Versprechungen hoffend, ertheilte sie auch, tödtete sogleich das kleine Hündlein, löschte die Lampe aus und folgte bei Nacht ihrem Herzog. Früh morgens nun entstand die Frage, was aus ihr geworden sei. Es war aber damals im Palaste des Königs ein tapferer Kämpe, der stets für die Gerechtsame des Reiches stritt. Als der gehört hatte, wie die Tochter den Vater mit dem Rücken angesehn hatte, eilte er ihr behenden Laufes nach. Als ihn nun jener Herzog bewaffnet auf sich loskommen sah, ließ er sich mit ihm in einen Zweikampf ein, allein der Ritter siegte, hieb ihm das Haupt ab und führte das Mädchen in den Palast zurück. Da erblickte sie aber in langer Zeit nicht das Antlitz ihres Vaters, sondern stieß unaufhörlich Seufzer und Wehklagen aus. Dieses hörte ein weiser Mann im Rathe des Kaisers, der immer als Vermittler zwischen dem Kaiser und Andern gesetzt war, und ließ sich von ihrer Frömmigkeit rühren, worauf sie durch ihn mit dem Vater ausgesöhnt und mit einem sehr vornehmen Manne verlobt wurde. Darnach erhielt sie von ihrem Vater verschiedene Geschenke, zuerst ein Kleid, das ihr bis zu den Füßen reichte, vom feinsten Gewebe und auf allen Stellen gestickt war und folgende Worte enthielt: Ich habe Dir nachgelassen, füge nicht mehr hinzu. Von jenem König erhielt sie einen goldnen Kranz, auf dem die Worte eingegraben waren: von mir kommt Deine Würde. Von jenem Kämpen bekam sie einen Ring mit der Inschrift: ich habe Dich geliebt, lerne Du auch zu lieben. Von dem weisen Vermittler empfing sie einen andern Ring, auf dem Folgendes stand: was habe ich gethan, wie viel, warum? Von dem Königssohne bekam sie auch einen Ring, auf dem geschrieben stand: Du bist edel, mögest Du Deinen Adel nicht verachten. Von ihrem eigenen Bruder erhielt sie einen andern Ring, auf welchem geschrieben war: Komm her zu mir, fürchte Dich nicht, ich bin Dein Bruder. Von ihrem Bräutigam erhielt sie ein goldenes Petschaft, durch welches ihr das Erbe desselben versichert wurde. Auf diesem lautete aber die Inschrift so: Nun bist Du mit mir verbunden, wolle nicht mehr auf Irrwegen wandeln. Als das Mägdlein diese Gaben empfangen hatte, bewahrte sie dieselben ihr Lebenlang: sie wurde von Allen geliebt und endete ihre Tage in Frieden.


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