Luise Adelgunde Victorie Gottsched
Die Pietisterey im Fischbein-Rocke
Luise Adelgunde Victorie Gottsched

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Vierte Handlung.

Erster Auftritt.

Frau Glaubeleichtin, Frau Zanckenheimin, Frau Seuffzerin.

Frau Glaubeleichtin. Ich höre, daß meine Tochter Dorchen etwas kranck ist; aber es sind nur Kopf-Schmertzen. Luischen hat auch etwas zu thun. Wir wollen uns aber deßwegen nicht stöhren lassen, sondern mit unsern Gottseligen Gesprächen den Anfang machen.

Frau Zanckenheimin. Es ist mir was eingefallen. Ich meyne, wir könnten uns einen Menschen halten, der unsere Unterredungen in ein Buch trüge. Das würde der Kirche ein nützliches Werck seyn; daraus könnten die dunckelsten Theologischen Streitigkeiten entschieden werden.

Frau Glaubeleichtin. Das ist ein unvergleichlicher Einfall!

Frau Seuffzerin. Das wäre freylich schön! Die Kirche würde nicht nur viel Nutzen; sondern auch viel Ehre davon haben: Denn wir müsten unsere Nahmen darunter setzen.

Frau Zanckenheimin. Freylich. Ich habe den Titul darzu schon fertig. Er soll heissen: Sammlung auserlesener Streitigkeiten über die schwersten Religions Artickel, den Doctoren der heiligen Schrifft, und den Theologischen Facultäten zum Nutzen und Unterricht heraus gegeben, von denen Frauen: Glaubeleichtin, Seufzerin und Zanckenheimin.

Frau Seuffzerin. Das ist allerliebst! Aber unsere Herren müsten das Werck erst durchlesen.

Frau Zanckenheimin. Freylich; aber nur die rechten eiffrigen Prediger: Denn die andern sind Dumm-Köpffe; die wissen nichts von hohen Sachen.

Frau Glaubeleichtin. Das ist gewiß ein schöner Vorschlag: Wir müssen ihn noch heute ins Werck richten. Aber welchen Punct wollen wir zuerst vornehmen? Die Wittenberger haben wir schon längst unter die Banck disputirt. Die Gewalt der Geistlichen und die Kirchen-Ordnungen haben wir auch schon ausgemacht. Mich dünckt, wir sind jetzo bey dem Artickel von der Wiedergeburth.

Frau Seuffzerin. Ja! da sind wir geblieben.

Frau Glaubeleichtin. Nun, ich muß ihnen auch meine Gedancken sagen. Ich habe gehöret, daß noch kein eintziger Theologus die Wiedergeburth recht erkläret habe: Und geben dieses vor einen sehr schweren Artickel aus. Wir wollen uns also drüber machen, und diesen Herren zeigen, daß wir klüger sind, als sie.

Frau Seuffzerin. O! das ist sehr schöne. Da werden wir die Sache in sein rechtes Licht setzen.

Frau Glaubeleichtin. Was sagen sie darzu, Madame?

Frau Zanckenheimin. Ich lasse es mir gefallen. Das wird uns einen unsterblichen Nahmen machen.

Frau Glaubeleichtin. Wir müssen also über eine Erklärung eins werden. Wollen sie ihre Meinungen zu erst sagen; oder soll ich anfangen?

Frau Seuffzerin. Fangen sie nur an, Madame.

Frau Zanckenheimin. Wir wollen warten.

Frau Glaubeleichtin. Weil sie es denn begehren; so habe ich die Ehre ihnen zu sagen, daß ich die Wiedergeburth halte, geben sie wohl Achtung! ich halte sie für das süsse Quell-Wasser des Hertzens, welches aus der Sophia urständet, und das himmlische Wesen gebiehret.

Frau Zanckenheimin. Wie war das? das Grund-Wasser? – – –

Frau Glaubeleichtin. Nein! ich sage: das süsse Quell-Wasser des Hertzens! Verstehen sie denn das nicht?

Frau Zanckenheimin. Verzeihen sie; was ist das süsse Quell-Wasser des Hertzens.

Frau Glaubeleichtin. Quell-Wasser? was das ist? Je! das versteht die gantze Welt!

Frau Zanckenheimin. Das Wasser-Bad wollen sie sagen?

Frau Glaubeleichtin. Nein, Madame! Es ist kein Wasser-Bad. Zum Hencker! ich werde doch wissen, was ich rede. Was sagen sie denn davon? Ich möchts doch wohl gerne wissen.

Frau Zanckenheimin. Nach meiner Meinung ists: Die Erbohrenwerdung der himmlischen Wesenheit, aus der Selbstheit der Animalischen Seele, in dem Centro des irrdischen Menschen; und windet sich einwärts wie ein Rad.

Frau Glaubeleichtin. Ach! die Erbohrenwerdung! ah! ha! ha! ha!

Frau Zanckenheimin. Ja! freylich! Verstehen sie das nicht? Das ist ja Sonnen-klar!

Frau Glaubeleichtin. Ich versteh es nicht.

Frau Zanckenheimin. Das wundert mich! Da sie doch wissen, was das süsse Qvell-Wasser des Hertzens ist.

Frau Glaubeleichtin. Alle Menschen verstehen das. Aber die Erbohrenwerdung? Das ist Phantastisch!

Frau Zanckenheimin. Das süsse Qvell-Wasser? Thorheit!

Frau Glaubeleichtin. Thorheit sagen sie?

Frau Zanckenheimin. Phantastisch sagen sie?

Frau Seuffzerin. Ey! ey! erzürnen sie sich nicht!

Frau Glaubeleichtin. Ach! das ist ein grosser Unterscheid! Phantastisch ist Phantastisch; aber Thorheit?

Frau Zanckenheimin. Umgekehrt Madame! Thorheit ist Thorheit; aber Phantastisch?

Frau Seuffzerin. Ach liebe Schwestern! was wollen sie denn?

Frau Glaubeleichtin. Mich so zu schimpfen?

Frau Zanckenheimin. Sie haben angefangen.

Frau Glaubeleichtin. In meinem Hause?

Frau Seuffzerin. Ey! versöhnen sie sich doch!

Frau Zanckenheimin. Warum soll ich Phantastisch reden?

Frau Seuffzerin. Sie hat recht. (Leise zur Frau Glaubeleichtin) Sie wissen daß es ein wunderlich Weib ist.

Frau Glaubeleichtin. Thorheit?

Frau Seuffzerin. Sie hat unrecht. (Leise zur Frau Zanckenheimin.) Man muß von solchen Dingen lieber nicht reden.

Frau Glaubeleichtin. O! ich weiß schon, was ich thun will.

Frau Seuffzerin. Ach! ich bitte sie drum. Man muß seinen Nächsten etwas zu gute halten. Verzeihen sie ihr die Thorheit; sie wird ihnen die Phantasterey verzeihen.

Frau Zanckenheimin. Gut, ich wills thun.

Frau Glaubeleichtin. Nein, ich kanns nicht vergessen!

Frau Seuffzerin. Ey! thun sie doch nur so, des Wohlstands wegen. Hören sie: Weil sie sich nicht vergleichen können; so will ich ihnen meine Erklärung von der Wiedergeburth sagen: Vielleicht gefällt sie ihnen besser. Und denn ist der Streit aus.

Frau Glaubeleichtin. Meinetwegen.

Frau Zanckenheimin. Ich lasse mirs gefallen.

Frau Seuffzerin. Nun hören sie! Nach meiner Meynung ist die Wiedergeburth, die Urständung des wahren Bildnisses der edlen Perle, die aus dem Magischen Seelenfeuer gebohren, und in den ewigen Sabbath eingeführet wird. Oder, wenn ichs noch deutlicher geben soll: Sie ist eine himmlische Tinctur, wodurch die neue Seele das vegetabilische Leben der vier Elementen wegwirfft, und die Magische Seele als eine Gottheit in seiner Gleichheit nach dem Modell der Weisheit in alle Dinge einbildet. Das ist eine klare Erklärung! damit wird man allen Theologis das Maul stopffen können.

Frau Glaubeleichtin. Das Maul stopffen?

Frau Seuffzerin. Ja! haben sie was darwider einzuwenden?

Frau Zanckenheimin. Etwas.

Frau Seuffzerin. Das möcht ich sehen.

Frau Glaubeleichtin. Mir gefällts gar nicht.

Frau Zanckenheimin. Mir auch nicht.

Frau Seuffzerin. Das macht ihr Quell-Wasser, und ihre Erbohrenwerdung ist ihnen angenehmer; ists nicht wahr? Und ich sage es ihnen ungescheuet unter die Augen: In ihren Erklärungen ist kein menschlicher Verstand. Meine ist die Rechte.

Frau Glaubeleichtin. Madame! Madame! nehmen sie sich in acht.

Frau Seuffzerin. Thun sies nur selbst.

Frau Zanckenheimin. Sie reden sehr nachdrücklich.

Frau Seuffzerin. Ja! das schickt sich auch vor mich; wenn ich mit ihnen rede. Verstehen sie das? Wusten sie wohl das geringste von der Theologie, wie ich anfieng ihnen das Verständniß zu eröffnen? Wer hat ihnen alles gesagt? Bin ichs nicht? Es steht ihnen gewiß nicht an, mich zu hoffmeistern. Sie müssen wissen, daß ich meine Erklärung gegen alle Theologische Facultäten von der Welt behaupten will. Und wenn unsere Leute es nicht annehmen; so werde ich wohl gar Orthodox, und will euch alle tolle machen.

Frau Glaubeleichtin. Ach! da kömmt der Herr Magister Scheinfromm. Er kömmt als wie gerufen.


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