Luise Adelgunde Victorie Gottsched
Die Pietisterey im Fischbein-Rocke
Luise Adelgunde Victorie Gottsched

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Dritter Auftritt.

Jungfer Dorchen, Jungfer Luischen.

Jungfer Dorchen. Mich dünckt, Schwester, daß du nach dem Lesen dieses Buchs eben kein grosses Verlangen trägst.

Jungfer Luischen. Was soll ich denn lesen? Ich sehe, daß alle die Schrifften immer einerley sagen. Ein erschrecklich Klagen über die Orthodoxen; etliche Sprüche aus der Heil. Schrifft, oder aus Doctor Luthern, wohl oder übel angewandt; ein Hauffen Geschrey vom verborgenen inneren Funcken, und allerley Geschwätze, was ich nicht verstehe; das ist alles, was ich darinnen finde.

Jungfer Dorchen. Was du nicht verstehst. Du must sehr dumm seyn.

Jungfer Luischen. Das kan wohl seyn. Mein Trost ist aber, daß ich hierinnen vielen andern Personen gleich bin, die man doch eben nicht für so gar dumm hält.

Jungfer Dorchen. Ja! aber sie beschäfftigen sich mit lauter Kleinigkeiten.

Jungfer Luischen. Es ist wahr, sie bemühen sich nur, ihre Haushaltung zu bestellen; ihre Kinder zu erziehen; ihre Bediente zu regieren; und auf diese Art theilen sie ihre Zeit in die Häußlichen und Christlichen Pflichten ein: Ich glaube aber, daß man sie deswegen eben so hoch hält, als diejenigen, welche sich bemühen über Dinge zu vernünffteln, die sie nicht verstehen.

Jungfer Dorchen. Meine liebe Schwester, das heisst so viel: daß du lieber mit dem Herrn Liebmann redest, und daß du ihn besser verstehest?

Jungfer Luischen. Es ist wahr! bedencke aber auch, daß ich meines Vaters Erlaubniß dazu habe; welcher mir befahl, den Liebmann als meinen bestimmten Mann anzusehen.

Jungfer Dorchen. Schwachheit!

Jungfer Luischen. Das kan wohl seyn, meine Schwester; aber du kanst sie mir leichtlich vergeben: Die Eigenschafft mit lauter himmlischen Sachen umzugehen, ist nicht allen Leuten gegeben, so, wie dir.

Jungfer Dorchen. Das heisst so viel: Ich könnte gar nicht ans Heyrathen gedencken, wenn ich wolte? O! nein! du irrest dich sehr. Ich halte den Ehestand an sich selbst für keine Schwachheit; sondern das kömmt mir nur nicht billig vor, daß man ihn als eine ernsthaffte und wichtige Sache ansieht, und darüber die Erkänntniß des innern Christenthums aus den Augen setzet.

Jungfer Luischen. Es ist wahr! die irrdischen Gedancken kommen dir gar nicht in den Sinn. Doch hoffe ich nimmermehr, daß du dir auf den Liebmann einige Rechnung machen wirst.

Jungfer Dorchen. Warum nicht? du bildest dir ein wenig zu viel auf deines Vaters Einwilligung ein!

Jungfer Luischen. Wie! Dorchen? willstu mir den Bräutigam abspenstig machen, den mir mein Vater gegeben hat?

Jungfer Dorchen. Das sage ich eben nicht; aber ich verstehe mich wohl. Doch da kommt der Vetter und die Mama. Sie kommen als wie geruffen! Wenn du willst, so wollen wir gehen, und unser Werck zu lesen anfangen.


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