Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Meer lachte.
Es erzitterte unter dem Hauch des glühenden Windes, bedeckte sich mit feinen Kräuselwellen, welche die Sonne glitzernd widerspiegelten, und lächelte mit vielfältigem silbernem Lächeln den blauen Himmel an. Der hohe Raum zwischen Himmel und Meer war vom lustigen Geplätscher der Wellen erfüllt, die eine nach der anderen auf den flachen Strand der sandigen Landzunge rollten. Dieses Rauschen und der tausendfach von der gekräuselten Meeresoberfläche zurückgeworfene Sonnenglanz verbanden sich harmonisch zu einer unaufhörlichen, von lebhafter Freude erfüllten Bewegung. Die Sonne freute sich ihres Scheinens, und das Meer war glücklich, ihr jubelndes Licht widerzuspiegeln.
Liebkosend streichelte der Wind die Atlasbrust des Meeres; die Sonne wärmte sie mit ihren heißen Strahlen, und das Meer, das schlaftrunken unter der zarten Gewalt dieser Liebkosungen atmete, sättigte die heiße Luft mit dem salzigen Aroma seiner Ausdünstungen. Die grünlichen Wellen liefen auf den gelben Sand und warfen ihren weißen Schaum ab, mit leisem Ton zerging er in dem heißen Sande und benetzte ihn.
Die lange schmale Landzunge glich einem Riesenturm, der von der Küste ins Meer gestürzt war. Mit scharfer Spitze sich in die grenzenlose, mit der Sonne spielende Wasserfläche hineinbohrend, verlor sie ihren Grund weit in der Ferne, wo der schwüle Dunst das Land verbarg. Der Wind trug von dort einen schweren Geruch herüber, unbegreiflich und beleidigend hier inmitten der reinen See unter dem klarblauen Himmelsgewölbe.
In den Sand der mit Fischschuppen übersäten Landzunge waren Pfähle gerammt, an denen Netze hingen, die spinnwebartige Schatten warfen. Mehrere große Boote und ein kleines lagen in einer Reihe auf dem Sande; die Wellen, die ans Ufer liefen, schienen sie zu sich locken zu wollen. Bootshaken, Ruder, Körbe und Tonnen lagen unordentlich auf der Landzunge umher, und mitten darin erhob sich eine Hütte, die aus Weidenruten, Baumrinde und Bastmatten zusammengefügt war. Auf einem knorrigen Pfahl vor ihrem Eingang steckten – mit den Sohlen zum Himmel – ein Paar Filzstiefel. Und das ganze Chaos überragte eine lange Stange, an deren Spitze ein roter Lappen im Winde flatterte.
Im Schatten eines der Boote lag Wassilij Legostjew, der Wächter auf der Landzunge, die den vordersten Posten des Fischereibetriebes von Grebenschtschikow bildete. Er lag auf dem Bauch, den Kopf in die Hände gestützt, und sah angestrengt in die Ferne nach dem kaum sichtbaren Küstenstreifen hinüber. Dort bewegte sich ein kleiner schwarzer Punkt auf dem Wasser, und Wassilij sah mit Behagen, wie er näher kommend immer größer wurde.
Er kniff die Augen zusammen vor dem grellen Spiel der Sonnenstrahlen auf den Wellen und lächelte zufrieden: die da fuhr, war Malwa. Sie würde kommen, laut lachen, ihre Brust würde verführerisch wogen, sie würde ihn in ihre weichen Arme schließen, abküssen und mit heller Stimme, daß die Möwen aufschreckten, die Neuigkeiten von drüben, von der Küste erzählen. Dann würden sie zusammen eine gute Fischsuppe kochen, Schnaps trinken, später, wenn es dunkel war, einen Kessel Teewasser kochen, sich satt trinken und leckere Kringel dazu essen und sich schlafen legen . . . So verging jeder Sonntag, jeder Feiertag in der Woche. Früh würde er sie dann über das noch schlaftrunkene Meer in der kühlen Morgendämmerung an die Küste fahren. Im Halbschlaf würde sie am Heck sitzen, und er würde rudern und sie ansehen. Spaßig sieht sie dann aus, spaßig und lieb wie eine satte Katze. Vielleicht würde sie auch von der Bank auf den Boden des Bootes rutschen und dort zusammengekauert einschlafen. Das machte sie häufig . . .
An diesem Tage waren sogar die Möwen matt von der Sonnenglut. Sie saßen mit aufgesperrten Schnäbeln und hängenden Flügeln reihenweise im Sand oder schaukelten ohne einen Schrei oder die gewöhnliche raublustige Lebhaftigkeit faul auf den Wellen.
Es schien Wassilij, daß Malwa nicht allein im Boot war. Sollte sich Serjoshka ihr wirklich wieder angeschlossen haben? Wassilij drehte sich schwerfällig im Sande herum, setzte sich auf und sah, indem er die Augen mit der Hand schirmte, mit Unruhe im Herzen genauer hin, wer da noch gefahren kam. Malwa saß am Heck und steuerte. Der Ruderer war nicht Serjoshka, dieser hier ruderte ungeschickt; wenn Serjoshka dabei wäre, brauchte Malwa nicht zu steuern.
»He!« rief Wassilij ungeduldig.
Die Möwen auf dem Sand fuhren zusammen und merkten auf.
»Hehe!« schallte Malwas klangvolle Stimme vom Boot herüber.
»Wer ist bei dir?«
Als Antwort klang Lachen herüber.
»Hexe!« schimpfte Wassilij halblaut und spuckte aus.
Er wollte zu gern wissen, wer da mitkam; während er sich eine Zigarette drehte, starrte er auf den Hinterkopf und den Rücken des Ruderers. Klangvoll tönte in der Luft das Plätschern des Wassers unter den Ruderschlägen, der Sand knirschte unter den nackten Füßen des Wächters. »Wer ist denn da bei dir?« rief er, als er das vertraute Lächeln auf Malwas hübschem Gesicht erkennen konnte.
»Warte doch, gleich erfährst du es!« erwiderte sie lachend.
Der Ruderer drehte sich zum Ufer und sah Wassilij ebenfalls lachend an.
Der Wächter zog die Stirn kraus und suchte sich zu erinnern, wer dieser Bursche war, der ihm irgendwie bekannt vorkam.
»Kräftiger rudern!« kommandierte Malwa.
Das Boot schob sich mit Schwung und von einer Welle gehoben fast bis zur Hälfte auf den Sand, neigte sich auf die Seite und blieb stecken, während die Welle ins Meer zurückrollte. Der Ruderer sprang an den Strand und sagte: »Guten Tag, Vater!«
»Jakow!« rief Wassilij unterdrückt aus, er war mehr erstaunt als erfreut.
Sie umarmten sich und küßten sich je dreimal auf Mund und Wangen; auf Wassilijs Gesicht mischten sich Verlegenheit und Freude in das Erstaunen.
»Darum eben seh ich . . . Es kam mir schon so vor . . ., und das Herz klopft mir . . . Ach, du – wo kommst du denn her? Sieh mal an! Und ich gucke immerzu: Ist das Serjoshka? Nein, sehe ich, Serjoshka ist das nicht! Und da bist du es!«
Mit der einen Hand strich Wassilij sich den Bart, mit der andern fuchtelte er in der Luft umher. Er hätte gern einen Blick auf Malwa geworfen, aber die lachenden Augen seines Sohnes waren gerade auf sein Gesicht gerichtet, und ihr Glanz machte ihn verlegen. Das Gefühl der Befriedigung darüber, daß er einen so gesunden, hübschen Sohn hatte, kämpfte in ihm mit der Verlegenheit wegen der Anwesenheit der Geliebten. Vor Jakow stehend, trat er von einem Fuß auf den andern und stellte eine Frage nach der anderen, ohne auf die Antworten zu warten. In seinem Kopf ging alles durcheinander, und besonders schlecht wurde ihm, als er Malwas spöttische Worte vernahm: »Nun dreh dich nicht wie ein Kreisel vor lauter Freude! Führe ihn in deine Hütte und bewirte ihn . . .«
Er drehte sich nach ihr um. Um ihren Mund spielte ein spöttisches Lächeln, das er noch nicht kannte, und obgleich sie so rundlich, weich und frisch wie immer war, erschien sie ihm jetzt irgendwie neu und fremd. Sie ließ ihre grünlichen Augen vom Vater zum Sohn schweifen und knabberte mit ihren kleinen weißen Zähnen Wassermelonenkerne. Jakow betrachtete die anderen ebenfalls lächelnd, und ein paar für Wassilij unangenehm lange Sekunden schwiegen alle drei.
»Sofort«, beeilte sich Wassilij plötzlich und ging auf die Hütte zu. »Geht in den Schatten, ich werde Wasser holen . . ., wir wollen Fischsuppe kochen. Eine Fischsuppe werde ich dir zu essen geben, Jakow . . .! Laßt euch indessen hier nieder, ich bin gleich wieder da.«
Er nahm neben der Hütte ein Kesselchen von der Erde auf, ging rasch zu der Stelle, wo die Netze hingen, und verschwand zwischen ihren grauen Faltenmassen.
Malwa und sein Sohn gingen ebenfalls zur Hütte.
»Siehst du, guter Junge, da habe ich dich zum Vater gebracht!« sagte Malwa und betrachtete Jakows stämmige Gestalt von der Seite.
Er kehrte ihr sein Gesicht mit dem lockigen dunkelblonden Bart zu und sagte mit blitzenden Augen:
»Ja, da sind wir . . . Schön ist's hier! Was das für ein Meer ist!«
»Ein weites Meer . . . Nun, ist der Vater sehr gealtert?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich dachte, er wäre grauer, aber er hat noch ziemlich wenig graues Haar. Und kräftig ist er . . .«
»Wie lange habt ihr euch nicht gesehen, sagst du?«
»Fünf Jahre, denk ich . . . Ich war damals sechzehn, als er aus dem Dorf fortging.«
Sie betraten die Hütte. Darin war es schwül, und die Bastmatten rochen nach gesalzenem Fisch. Sie setzen sich – Jakow auf einen dicken Klotz, Malwa auf einen Haufen Bastsäcke. Zwischen ihnen stand eine quer durchgesägte Tonne, die als Tisch diente.
Als sie Platz genommen hatten, sahen sie einander, ohne ein Wort zu sagen, unverwandt an.
»Du willst also hier arbeiten?« fragte Malwa.
»Ja . . ., ich weiß nicht . . . Wenn sich was findet, bleibe ich.«
»Bei uns findet sich schon was«, versicherte Malwa mit Überzeugung, während sie ihn mit ihren geheimnisvollen blinzelnden grünen Augen abtastete.
Er sah sie nicht an, sondern trocknete sich mit den Hemdsärmeln das schweißbedeckte Gesicht.
Plötzlich fing sie an zu lachen.
»Die Mutter hat dir wohl Aufträge und Grüße an den Vater mitgegeben?«
Jakow warf ihr einen Blick zu, zog die Stirn kraus und sagte kurz: »Gewiß . . ., wieso?«
»Ach nichts!«
Ihr Gelächter mißfiel Jakow, es brachte ihn geradezu auf. Der Bursche wandte sich von dieser Frau ab und dachte an die Aufträge seiner Mutter.
Sie hatte ihn zum Dorf hinausbegleitet, sich auf den Flechtzaun gestützt und unter häufigem Blinzeln der tränenlosen Augen zu ihm gesagt: »Sag ihm, Jascha . . . Um Christi willen, sag ihm: Vater, die Mutter ist dort ganz allein! Sag ihm . . ., fünf Jahre sind vergangen, und sie ist die ganze Zeit allein! Sie wird alt, sag ihm! Sag ihm das, Jakowuschka, um Gottes willen. Bald wird die Mutter eine alte Frau sein . . ., und immer allein, allein! Sie steckt immer in der Arbeit. Um Christi willen, sag ihm das . . .«
Und sie war lautlos in Tränen ausgebrochen und hatte ihr Gesicht in der Schürze verborgen.
Damals hatte sie Jakow nicht leid getan, jetzt aber tat sie ihm leid . . . Er warf einen Blick auf Malwa und runzelte finster die Stirn.
»Da bin ich wieder!« rief Wassilij, der mit einem Fisch in der einen und einem Messer in der andern Hand in der Hütte erschien.
Er hatte seine Verlegenheit bereits überwunden und sie tief in seinem Innern begraben. Jetzt sah er beide ruhig an, nur in seinen Bewegungen zeigte sich eine ihm nicht eigene Geschäftigkeit.
»Gleich mache ich Feuer an . . ., und dann komme ich zu euch . . . Und wir unterhalten uns! Ach, Jakow, nicht wahr?«
Und er ging wieder hinaus.
Malwa, die unentwegt Kerne knabberte, betrachtete Jakow ganz ungeniert, während er sich bemühte, sie nicht anzusehen, obgleich er das gern getan hätte.
Da das Schweigen ihm peinlich wurde, sagte er schließlich: »Ich habe ja meinen Sack im Boot gelassen, ich geh ihn mal holen.«
Er erhob sich ohne Eile von seinem Platz und ging hinaus; an seiner Stelle erschien Wassilij in der Hütte, beugte sich zu Malwa nieder und sagte hastig und ärgerlich: »Wozu bist du bloß mit ihm hergekommen? Was soll ich ihm über dich sagen? Was bist du mir?«
»Ich bin eben gekommen, und fertig!« sagte Malwa kurz.
»Ach, du unüberlegtes Frauenzimmer! Wie soll ich mich jetzt verhalten? Soll ich ihm ins Gesicht, so und so . . ., sofort? . . . Ich habe doch zu Hause eine Frau. Seine Mutter . . . Das hättest du dir doch überlegen sollen!«
»Ich habe es gerade nötig zu überlegen! Fürchte ich mich etwa vor ihm? Oder vor dir?« fragte sie und kniff verächtlich ihre grünen Augen zusammen. »Wie du dich aber vorhin vor ihm gedreht hast! Das kam mir wirklich lächerlich vor!«
»Dir war's lächerlich! Aber was mache ich jetzt?«
»Das hättest du dir früher überlegen sollen!«
»Habe ich denn gewußt, daß er so plötzlich aus dem Meer hier auftauchen würde?«
Unter Jakows Schritten knirschte der Sand, und sie brachen ihr Gespräch ab. Jakow brachte seinen leichten Rucksack, warf ihn in eine Ecke und betrachtete von der Seite mit unfreundlichen Blicken die Frau.
Sie knabberte mit Hingebung ihre Kerne, Wassilij aber setzte sich auf den Klotz, rieb sich die Knie mit den Händen und begann lächelnd: »Da bist du also hergekommen . . ., wie bist du denn darauf verfallen?«
»Na so . . ., wir haben dir ja geschrieben . . .«
»Wann? Ich habe keinen Brief bekommen!«
»Wirklich? Aber wir haben geschrieben . . .«
»Dann ist der Brief wohl verlorengegangen«, bedauerte Wassilij. »Ach, hol ihn der Teufel . . ., was? Gerade wenn es wichtig ist, geht der Brief verloren . . .«
»Du weißt also nicht, wie die Dinge bei uns stehn?« fragte Jakow und sah den Vater mißtrauisch an.
»Woher sollte ich? Ich habe keinen Brief bekommen!«
Da erzählte Jakow, daß ihr Pferd gefallen sei, daß sie schon Anfang Februar alles Getreide aufgegessen hätten; Verdienst hätten sie nicht gehabt. Das Heu hätte auch nicht gereicht, die Kuh wäre fast vor Hunger krepiert. Bis zum April hätten sie sich irgendwie durchgeschlagen, dann aber beschlossen, Jakow solle nach der Frühjahrsbestellung zum Geldverdienen auf drei Monate zum Vater fahren. Das hatten sie ihm geschrieben, dann drei Schafe verkauft, Getreide und Heu gekauft, und so war Jakow hergekommen.
»So ist das also!« rief Wassilij aus. »Jaja . . . Aber wie habt ihr denn . . ., ich hab euch doch Geld geschickt . . .«
»War denn das viel? Wir haben das Haus ausgebessert . . . Marja verheiratet . . . Einen Pflug habe ich gekauft . . . Es ist doch fünf Jahre her. Die Zeit ist vergangen!«
»Jaja! Es hat also nicht gereicht? So eine Sache . . . Aber meine Fischsuppe wird überkochen!« Er stand auf und ging hinaus.
Wassilij hockte vor dem Feuer nieder, über dem der brodelnde Kessel hing und den Schaum ins Feuer warf, und versank in Sinnen. Jakows Erzählung hatte ihn nicht besonders tief berührt, wohl aber ein unfreundliches Gefühl gegen Frau und Sohn in ihm geweckt. Wieviel Geld hatte er ihnen im Lauf der fünf Jahre geschickt, und doch waren sie mit der Wirtschaft nicht zurechtgekommen! Wäre Malwa nicht zugegen gewesen, hätte er Jakow schon seine Meinung gesagt. Eigenmächtig, ohne Erlaubnis des Vaters, war er aus dem Dorf fortgegangen – dafür hatte sein Verstand gereicht, aber mit der Wirtschaft hatte er nicht fertig werden können! Die Wirtschaft, an die Wassilij, der bis zu diesem Tage ein leichtes und angenehmes Leben geführt hatte, nur selten gedacht hatte, brachte sich ihm plötzlich wieder in Erinnerung als ein bodenloses Faß, in das er fünf Jahre lang sein Geld geworfen hatte, wie etwas Überflüssiges in seinem Leben, das er gar nicht brauchte. Er rührte mit einem Löffel die Fischsuppe um und seufzte dabei.
Im Sonnenschein sah das gelbliche kleine Holzfeuer bleich und jämmerlich aus. Durchsichtige lichtblaue Rauchfähnchen zogen sich vom Feuer zum Meer den Wellenspritzern entgegen; Wassilij folgte ihnen mit den Augen und dachte daran, daß das Leben für ihn schlechter werden, nicht mehr so frei sein werde. Sicherlich hatte Jakow schon erraten, wer diese Malwa war.
Sie saß indessen in der Hütte und verwirrte den Burschen mit ihren übermütigen, herausfordernden Blicken, in denen unaufhörlich ein Lächeln spielte.
»Du hast wohl 'ne Braut im Dorf zurückgelassen?« sagte sie plötzlich und sah Jakow gerade ins Gesicht.
»Vielleicht«, antwortete dieser unlustig.
»Ist sie hübsch?« fragte sie nachlässig.
Jakow gab keine Antwort.
»Was schweigst du? . . . Ist sie hübscher als ich oder nicht?«
Er sah ihr, ohne daß er es wollte, ins Gesicht. Sie hatte runde gebräunte Wangen und schwellende Lippen; sie zuckten leicht geöffnet in übermütigem Lächeln. Ihre rosa Kattunbluse saß besonders schick und ließ die runden Schultern und die hohe straffe Brust hervortreten. Aber ihre lachenden, arglistig zusammengekniffenen Augen gefielen ihm nicht.
»Warum sprichst du so?« sagte er aufseufzend mit bittender Stimme, obgleich er streng mit ihr reden wollte.
»Wie muß man denn sprechen?« fragte sie lachend.
»Und du lachst noch . . ., worüber?«
»Über dich lache ich.«
»Was habe ich dir denn getan?« fragte er gekränkt und schlug abermals vor ihrem Blick die Augen nieder.
Sie antwortete nicht.
Jakow erriet, was sie dem Vater war, und das hinderte ihn, frei mit ihr zu reden. Diese Vermutung überraschte ihn nicht. Er hatte häufig gehört, daß Männer, die fern von ihrem Dorf einem Verdienst nachgingen, sehr über die Stränge schlugen, und begriff, daß ein so kerngesunder Mann wie sein Vater es schwerlich so lange ohne Frau ausgehalten hätte. Dennoch war es ihm peinlich vor ihr wie vor seinem Vater. Dann gedachte er seiner Mutter, der müden, mürrischen Frau, die dort im Dorf arbeitete, ohne je die Hände in den Schoß zu legen.
»Die Fischsuppe ist fertig!« verkündete Wassilij, der in der Hütte erschien. »Gib mal die Löffel heraus, Malwa!«
Jakow warf einen Blick auf den Vater und dachte: Man sieht, sie ist oft bei ihm, wenn sie schon weiß, wo die Löffel liegen!
Sie holte die Löffel heraus und sagte, daß sie abgewaschen werden müßten und daß sie im Boot noch Schnaps habe.
Vater und Sohn folgten ihr mit den Blicken, und als sie allein waren, schwiegen sie eine Weile.
»Wo hast du sie getroffen?« fragte Wassilij.
»Na, ich fragte im Kontor nach dir, und sie war auch da . . . und sagte: ›Statt durch den Sand zu Fuß hinzugehen, wollen wir lieber im Boot fahren, ich will auch zu ihm.‹ Und so sind wir hergekommen!«
»So-o . . . Und ich habe immer gedacht: Wie mag Jakow jetzt aussehen?«
Der Sohn lachte den Vater gutmütig an, und dieses Lachen machte Wassilij Mut.
»Hm . . ., das Mädchen ist doch nicht übel?«
»Nein«, sagte Jakow unbestimmt und blinzelte.
»Man kann nicht Waldgeist werden, mein Lieber!« rief Wassilij und fuchtelte mit den Händen. »Anfangs habe ich's ausgehalten, aber es geht nicht. Da ist die Gewohnheit . . . Ich bin doch ein verheirateter Mann. Und dann bessert sie mir die Kleidung aus und sonst alles . . . Und überhaupt . . ., ach! Vor den Weibern wie vor dem Tode gibt es keine Rettung!« schloß er aufrichtig seine Erklärung.
»Was geht mich das an?« sagte Jakow. »Das ist deine Sache, ich bin nicht dein Richter.«
Bei sich aber dachte er: So eine wird dir die Hosen flicken . . .
»Und dann bin ich doch erst fünfundvierzig Jahre alt . . . Unkosten macht sie nicht viel, sie ist ja nicht meine Frau . . .«, redete Wassilij weiter.
»Natürlich«, gab Jakow zu und dachte: Sie wird dir schon die Taschen umdrehn!
Da kam Malwa mit der Flasche Schnaps und einer Schnur Kringelchen herein; sie setzten sich zum Essen. Sie aßen schweigend, lutschten die Gräten geräuschvoll ab und spuckten sie in den Sand bei der Tür, Jakow aß viel und gierig; das schien Malwa zu gefallen. Sie lächelte zärtlich bei dem Anblick, wie seine braungebrannten Wangen sich blähten und seine feuchten dicken Lippen sich rasch bewegten. Wassilij aß schlecht, bemühte sich aber, den Anschein zu erwecken, als wäre er vom Essen sehr in Anspruch genommen; das mußte er, um unbemerkt sein Verhältnis zu seinem Sohn und Malwa zu durchdenken.
Die gierigen Schreie der Möwen unterbrachen die schmeichelnde Musik der Wellen. Die Hitze wurde weniger drückend, manchmal strömte schon ein kühler Lufthauch in die Hütte, der vom Duft des Meeres gesättigt war.
Nach der schmackhaften Fischsuppe und dem Branntweingenuß wurden Jakows Augen stier. Er begann albern zu lächeln, stieß auf, gähnte und sah Malwa so an, daß Wassilij es für nötig fand, ihm zu sagen: »Streck dich mal bis zum Tee hier aus, Jaschutka, wir wecken dich dann.«
»Schö-ön . . .« willigte Jakow ein und warf sich auf die Säcke. »Und wohin geht ihr? Hahaha!«
Durch sein Lachen in Verlegenheit gebracht, ging Wassilij schnell hinaus, Malwa aber preßte die Lippen aufeinander, zog die Augenbrauen zusammen und antwortete Jakow: »Wo wir hingehen, ist nicht deine Sache! Wer bist du denn? Du hast noch gar nicht mitzureden! So ist das, Bürschchen!«
»Ich? Schon gut!« rief Jakow ihr nach. »Warte nur, ich werd's dir zeigen! So eine bist du also . . .!«
Er knurrte noch einiges und schlief mit einem trunkenen, satten Lächeln im geröteten Gesicht ein.
Wassilij steckte drei Pfähle in den Sand, band die oberen Enden zusammen und warf eine Bastmatte darüber. Dann legte er sich in ihren Schatten, schob die Hände unter den Kopf und sah zum Himmel empor. Als Malwa sich im Sand neben ihm niederließ, wandte er ihr sein Gesicht zu, und sie bemerkte darin Gekränktheit und Unzufriedenheit.
»Du freust dich wohl nicht sehr über deinen Sohn?« fragte sie lachend.
»Du siehst doch, er lacht über mich . . . nur deinetwegen!« sagte Wassilij verdrossen.
»Wie? Meinetwegen?« wunderte sie sich arglistig.
»Na gewiß!«
»Ach, du Ärmster! Was machen wir denn da? Soll ich vielleicht nicht mehr zu dir kommen, was? Nun, ich laß es bleiben!«
»Sieh mal an, was für eine Hexe du bist!« sagte Wassilij vorwurfsvoll. »Ach, was seid ihr für Menschen! Er lacht mich aus, du auch . . ., dabei seid ihr mir die Allernächsten! Weshalb lacht ihr denn? Teufel!« Er wandte sich ab und verstummte.
Malwa schlang die Arme um die Knie und betrachtete, den Oberkörper leise hin und her wiegend, mit ihren grünen Augen das heitere, glitzernde Meer; dabei lächelte sie jenes triumphierende Lächeln, das eine Frau, die sich der Macht ihrer Schönheit bewußt ist, in so vielen Arten bereit hat.
Ein Segelschiff glitt wie ein plumper großer Vogel mit grauen Flügeln auf dem Wasser dahin. Es war weit weg vom Ufer und entfernte sich noch weiter dorthin, wo Himmel und Meer in blauer Unendlichkeit verschmolzen.
»Was schweigst du?« fragte Wassilij.
»Ich denke nach«, sagte Malwa.
»Worüber denn?«
»Nur so.« Ihre Augenbrauen zuckten und sie fügte nach kurzem Schweigen hinzu: »Dein Sohn ist ein Prachtkerl . . .«
»Was geht dich das an?« fragte Wassilij eifersüchtig.
»Wer weiß . . .«
»Du, nimm dich in acht!« Er sah sie von oben bis unten streng und voller Argwohn an. »Mach keine Dummheiten! Ich bin zwar friedfertig, aber reize mich nicht! Jawohl!« Er biß die Zähne zusammen und ballte die Fäuste, als er fortfuhr: »Du hast heute gleich, als du ankamst, zu kokettieren angefangen . . . Ich schaue noch nicht ganz durch . . ., aber nimm dich in acht! Wenn ich das sehe, geht es dir schlecht! Du hast ein solches Lächeln . . ., und überhaupt . . . Ich weiß, wie man mit euch Weibern umgehen muß . . .«
»Weißt du, Wasja, du mußt mir nicht drohen . . .«, bat sie gleichgültig, ohne ihn anzusehen.
»Na eben, dann mach auch nicht solche Scherze . . .«
»Und du versuche nicht mehr, mir Angst zu machen.«
»Ich werde dich auch verprügeln, wenn du übermütig wirst . . .«, drohte Wassilij erbost.
»Du willst mich schlagen?« Sie drehte sich nach ihm um und sah ihm voll Neugier in das erregte Gesicht.
»Was bist du denn für eine Gräfin? Ich werde dich schon durchhauen . . .«
»Bin ich etwa deine Frau?« fragte Malwa deutlich und ruhig und fuhr sogleich fort, ohne auf eine Antwort zu warten: »Du bist gewohnt, deine Frau um nichts und wieder nichts zu schlagen, und meinst, es mit mir ebenso zu machen? Du irrst dich, ich bin mein eigener Herr und fürchte mich vor niemand. Du aber hast ja vor deinem eigenen Sohn Angst! Eine Schande, wie du vorhin um ihn herumscharwenzelt bist! Und du drohst mir noch!«
Sie schüttelte verächtlich den Kopf und brach ab. Ihre kalten, geringschätzigen Worte erstickten Wassilijs Ingrimm. Noch nie war sie ihm so schön vorgekommen.
»Da ist sie in Fahrt gekommen und krächzt!« murmelte er ärgerlich und entzückt zugleich.
»Und ich will dir noch was sagen. Du hast vor Serjoshka geprahlt, daß ich ohne dich wie ohne Brot nicht leben könnte! Da irrst du . . . Vielleicht liebe ich gar nicht dich und komme gar nicht zu dir, sondern liebe bloß diese Stelle . . .« Sie wies mit einer weiten Handbewegung in die Runde. »Vielleicht gefällt es mir, daß es hier so einsam ist, daß nur Himmel und Meer und keine gemeinen Menschen hier sind. Und daß du hier bist, ist mir ganz gleichgültig . . . Das ist nur eine Art Bezahlung für den Platz . . . Wenn Serjoshka hier wäre, würde ich zu ihm kommen, wenn dein Sohn hier war, zu ihm. Und noch besser wär's, wenn keiner von euch da wäre . . ., ihr seid mir alle zuwider! . . . Bei meiner Schönheit kann ich mir jederzeit den Mann aussuchen, den ich brauche . . .«
»So steht's?« zischte Wassilij rasend und packte sie plötzlich an der Kehle. »So meinst du's?«
Er schüttelte sie, aber sie wehrte sich nicht, obgleich ihr Gesicht rot wurde und ihre Augen mit Blut unterliefen. Sie legte einfach ihre beiden Hände auf seine Hand, mit der er sie an der Kehle würgte, und sah ihm unverwandt ins Gesicht.
»Das steckt also in dir?« röchelte Wassilij immer rasender werdend. »Und dabei hast du geschwiegen, du Vettel, mich umarmt, zärtlich mit mir getan . . ., ich werde dir zeigen!«
Er drückte sie zur Erde nieder und traf mit Genuß einmal und noch einmal ihren Hals mit schweren Schlägen der geballten Faust. Es bereitete ihm ein angenehmes Gefühl, wenn er mit voller Wucht ihren straffen Hals traf.
»Da . . . Was, du Schlange?« rief er triumphierend und schleuderte sie von sich.
Ohne einen Klagelaut, still und ruhig fiel sie auf den Rücken, rot und zerzaust und dennoch schön. Ihre grünen Augen sahen ihn durch die Wimpern mit kaltem Haß an. Prustend vor Erregung und angenehm befriedigt, seiner Wut freien Lauf gelassen zu haben, bemerkte er ihren Blick nicht, und als er sie siegesbewußt anblickte, da lächelte sie. Ihre vollen Lippen zitterten, ihre Augen flammten auf, in ihren Wangen erschienen Grübchen. Wassilij betrachtete sie erstaunt.
»Was hast du? Teufel!« rief er und zerrte sie derb an der Hand.
»Waska . . ., hast du mich geschlagen?« fragte sie flüsternd.
»Nun, wer denn sonst?« Verständnislos sah er sie an und wußte nicht, was er tun sollte. Ob er sie nicht noch einmal schlagen sollte? Aber er empfand schon keine Wut mehr, und seine Hand erhob sich nicht mehr gegen sie.
»Du liebst mich also?« fragte sie wieder, und bei ihrem Flüstern überlief es ihn heiß.
»Schon gut«, sagte er finster. »So muß man dich behandeln?«
»Und ich dachte, du liebst mich nicht mehr . . ., ich dachte: Jetzt ist sein Sohn gekommen . . ., da wird er mich wegjagen.« Sie brach in ein seltsames, überlautes Gelächter aus.
»Dummes Weib«, sagte Wassilij, unwillkürlich mitlachend. »Mein Sohn – muß ich nach seiner Pfeife tanzen?«
Er schämte sich vor ihr, und sie tat ihm leid, aber ihrer Reden gedenkend, begann er streng: »Es handelt sich hier gar nicht um meinen Sohn . . . Aber daß ich dich geschlagen habe, daran bist du selbst schuld, warum hast du mich gereizt?«
»Das habe ich doch mit Absicht getan . . ., ich wollte dich prüfen.« Und sie schmiegte sich mit der Schulter an ihn.
»Prüfen? Wozu? Nun weißt du's.«
»Macht nichts«, sagte Malwa voller Überzeugung und kniff die Augen zusammen, »ich bin nicht böse – du hast mich doch aus Liebe geschlagen? Ich werde es dir schon vergelten . . .« Sie sah ihn scharf an und wiederholte leiser: »Oh! wie ich es dir vergelten werde!«
Wassilij hörte aus diesen Worten ein Versprechen heraus, das ihm angenehm war, es versetzte ihn in süße Aufregung. Lächelnd fragte er: »Wie denn? . . . Sag doch!«
»Du wirst schon sehen«, sagte Malwa ruhig, aber ihre Lippen zitterten.
»Ach, du mein Liebchen!« rief Wassilij und preßte sie fest wie ein Verliebter in seine Arme. »Aber weißt du, nachdem ich dich geschlagen habe, bist du mir noch teurer geworden! Wirklich! Vertrauter . . . Oder wie soll ich sagen?«
Möwen schossen über ihnen auf und ab. Der sanfte Seewind trug die Wellenspritzer fast bis zu ihren Füßen, und unermüdlich tönte das Lachen des Meeres.
»Ach, was ist das für ein Leben!« seufzte Wassilij befreit auf, während er versonnen die Frau liebkoste, die sich an ihn schmiegte. »Wie ist doch in der Welt alles eingerichtet: was Sünde ist, das ist süß. Du begreifst das natürlich überhaupt nicht . . ., aber ich denke manchmal über das Leben nach, und da kommt mich geradezu Grausen an. Besonders nachts . . ., wenn ich nicht schlafen kann . . . Da sehe ich: vor mir das Meer, über mir Himmel, ringsum so dunkel, so unheimlich . . ., und ich ganz allein! Und man kommt sich dann so-o klein, so klein vor . . ., die Erde schwankt unter einem, und niemand ist da außer einem selbst. Wenn du wenigstens dann bei mir wärst . . ., wären wir doch zu zweit . . .«
Malwa lag mit geschlossenen Augen auf seinen Knien und schwieg. Wassilijs etwas grobes, aber gutes, von Sonne und Wind gebräuntes Gesicht beugte sich über sie, sein gebleichter großer Bart kitzelte ihren Hals. Die Frau rührte sich nicht, nur ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Wassilijs Augen schweiften bald über das Meer, bald ruhten sie auf dieser Brust, die ihm so nahe war. Ohne Hast begann er sie auf den Mund zu küssen und schmatzte dabei so laut, als äße er heißen Grützbrei mit viel Butter.
Wohl drei Stunden verbrachten sie so; als die Sonne begann, im Meer zu versinken, sagte Wassilij mit trauriger Stimme: »Na, ich werde jetzt Teewasser machen, unser Gast wird bald aufwachen!«
Malwa rückte mit der trägen Bewegung eines verwöhnten Kätzchens zur Seite, er stand unlustig auf und ging zur Hütte. Die Frau sah ihm durch die nur wenig gehobenen Wimpern nach und holte tief Luft, wie Menschen, welche eine Last abgeworfen haben, die schwer auf ihnen lag.
Dann saßen sie zu dritt um das Feuer und tranken Tee.
Die Sonne färbte das Meer mit den lebhaften Farben des Sonnenuntergangs, die grünlichen Wellen glänzten wie Purpur und Perlen. Während Wassilij aus einem weißen irdenen Henkeltopf schluckweise Tee trank, fragte er seinen Sohn nach dem Dorf aus und frischte selbst Erinnerungen auf. Malwa hörte ihre langsame Unterhaltung an, ohne sich einzumischen.
»Die Bäuerlein schlagen sich also durch?«
»Ja, so gut es geht . . .«, antwortete Jakow.
»Braucht unsereins denn viel? Das Haus und genügend Brot und feiertags ein Glas Schnaps . . . Aber auch das gibt es nicht einmal . . . Wäre ich denn fortgegangen, wenn ich mich zu Hause hätte ernähren können? Im Dorf bin ich mein eigener Herr, allen gleichgestellt, und hier ein Knecht . . .«
»Dafür wird man hier aber besser satt, und die Arbeit ist leichter . . .«
»Nun, das kannst du auch nicht sagen! Es kommt vor, daß einem alle Knochen weh tun. Und dann arbeitet man hier für einen Fremden und dort für sich.«
»Aber du verdienst hier mehr«, entgegnete Jakow ruhig.
Innerlich gab Wassilij dem Sohn recht. Auf dem Dorf waren Leben und Arbeit schwerer als hier. Er wollte aber nicht, daß Jakow dies wußte. Und er sagte streng: »Hast du den hiesigen Verdienst gezählt? Auf dem Dorf, mein Lieber . . .«
»Ist es wie in einer Grube, eng und dunkel!« lachte Malwa. »Und besonders das Leben der Weiber – nichts als Tränen.«
»Das Leben der Weiber ist überall gleich . . . Und die Sonne ist auch überall ein und dieselbe.« Wassilij warf mit gerunzelter Stirn einen Blick auf sie.
»Nun, das ist nicht wahr!« rief sie, lebhafter werdend. »Auf dem Dorf muß ich heiraten, ob ich will oder nicht. Eine verheiratete Bäuerin ist ihr Leben lang Sklavin: ernten muß sie und spinnen, Vieh füttern und Kinder kriegen . . . Was bleibt denn für sie selbst übrig? Nur die Prügel des Mannes und Geschimpfe . . .«
»Es gibt nicht nur Prügel«, unterbrach Wassilij sie.
»Und hier gehöre ich keinem«, redete sie fort, ohne auf ihn zu hören. »Wie eine Möwe flieg ich, wohin ich will. Niemand wird mir den Weg versperren . . . Niemand wird mich anrühren!«
»Und wenn man dich anrührt?« fragte Wassilij auflachend in mahnendem Ton.
»Nun, ich werde es schon vergelten!« sagte sie leise, und ihr flammender Blick erlosch.
Wassilij lachte nachsichtig.
»Ach du! Gewandt bist du, und doch schwach! Du redest, wie eben ein Weib redet. Auf dem Dorf ist die Frau notwendig fürs Leben . . ., hier aber lebt sie nur so . . ., zur Unterhaltung . . .« Und nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: ». . . zum Sündigen.«
Als ihr Gespräch abbrach, seufzte Jakow gedankenverloren und sagte: »Als ob dieses Meer gar kein Ende hätte.«
Alle drei blickten schweigend auf die öde Fläche vor ihnen.
»Wenn das alles Land wäre!« rief Jakow aus und beschrieb mit dem Arm einen weiten Bogen. »Und Schwarzerde müßte das sein! Und man könnte es pflügen!«
»Sieh mal an!« lachte Wassilij gutmütig und sah mit beifälligem Blick in das Gesicht des Sohnes, das von der Stärke des Wunsches gerötet war. Er hörte aus den Worten seines Sohnes gern die Liebe zur Scholle heraus und glaubte, daß diese Liebe Jakow vielleicht bald und zwingend von den Verführungen des freien Gewerbelebens ins Dorf zurückrufen würde. Und er selbst könnte dann mit Malwa hierbleiben, und alles bliebe beim alten.
»Das hast du gut gesagt, Jakow! So gehört es sich für einen Bauern. Aus dem Boden nimmt der Bauer seine Kraft; solange er auf ihm steht, lebt er; reißt er sich von ihm los, ist er verloren! Der Bauer ohne Land ist wie ein Baum ohne Wurzel: Zur Bearbeitung taugt er noch, aber leben kann er nicht mehr lange, er verfault. Und die Schönheit des Waldes hat er verloren – geschält, behobelt, unansehnlich ist er! . . . Ja, Jakow, da hast du sehr treffende Worte gesagt.«
Das Meer empfing die Sonne in seinem Schoß mit der freundlichen Musik seiner plätschernden Wellen, die von den scheidenden Sonnenstrahlen mit wunderbaren, reich abgestuften Farben geschmückt waren. Der göttliche Urquell des lebensspendenden Lichts nahm Abschied vom Meer durch die beredte Harmonie seiner Farben, um weit entfernt von den drei Menschen, die ihn beobachteten, die schlaftrunkene Erde mit dem freudigen Glanz seiner aufgehenden Strahlen zu wecken.
»Meine Seele schmilzt dahin, wenn ich zusehe, wie die Sonne untergeht, bei Gott!« sagte Wassili zu Malwa.
Sie antwortete nicht. Jakows blaue Augen schweiften lächelnd über das weite Meer. Lange schauten alle drei dorthin, wo die letzten Augenblicke des Tages erloschen. Vor ihnen glimmten die Holzkohlen. Hinter ihnen breitete die Nacht ihre Schatten über den Himmel. Der gelbe Sand wurde dunkler, die Möwen waren verschwunden – alles ringsum wurde still und zärtlich verträumt . . . Und sogar die rastlosen Wellen rauschten beim Auflaufen auf den Sand der Landzunge nicht mehr so lustig und laut wie am Tage.
»Was sitze ich noch?« sagte Malwa, »ich muß gehn.«
Wassilij zuckte ein wenig zusammen und warf einen Blick auf seinen Sohn.
»Wohin willst du so eilig?« murmelte er unzufrieden. »Warte doch, der Mond geht bald auf.«
»Was soll der Mond? Ich habe auch so keine Angst; es ist nicht das erstemal, daß ich nachts von hier fortgehe.«
Jakow warf einen Blick auf den Vater und kniff die Augen zusammen, um ein spöttisches Lächeln zu verbergen; darauf sah er Malwa an, und ihre Blicke begegneten sich; das war ihm peinlich.
»Nun, was? So geh!« entschied Wassilij unzufrieden und mißmutig.
Sie stand auf, verabschiedete sich und ging langsam an dem Strand der Landzunge entlang; die Wellen rollten ihr bis vor die Füße, als wollten sie mit ihr spielen. Flimmernd glommen am Himmel die Sterne auf: seine goldenen Blüten. Malwas grelle Bluse wurde in der Dämmerung immer undeutlicher, je weiter sie sich von Wassilij und seinem Sohn entfernte, die sie mit ihrem Blick begleiteten.
»Komm geschwind, ach Liebster mein,
Schmieg dich an den Busen mein!«
stimmte Malwa mit hoher, schriller Stimme an.
Es schien Wassilij, als ob sie stehenbliebe und wartete. Grimmig spuckte er aus und dachte: Das tut sie absichtlich, um mich zu necken, die Teufelin!«
»Hör nur, sie singt«, lachte Jakow.
Für ihre Augen war sie nur noch ein grauer Fleck in der Dämmerung.
»Schone meine Brüste nicht,
Die beiden weißen Schwäne!«
tönte ihre Stimme über das Wasser.
»Hör nur!« rief Jakow und beugte sich mit dem ganzen Oberkörper vor nach der Richtung, aus der die verführerischen Worte herüberklangen.
»Das heißt, du bist mit der Wirtschaft also nicht fertig geworden?« ertönte Wassilijs rauhe Stimme.
Jakow sah ihn verständnislos an und setzte sich wieder zurecht. Vom Rauschen der Wellen verschluckt, drangen nur einzelne abgerissene Worte des neckischen Liedes an ihr Ohr.
»Ach . . . ich kann nicht schlafen
Allein . . . in dieser Nacht!«
»Es ist so heiß«, rief Wassilij jammernd und drehte sich im Sande hin und her. »Es ist doch schon Nacht . . . und immer noch heiß! So eine verdammte Gegend!«
»Das kommt davon, weil der Sand am Tage so heiß geworden ist«, sagte Jakow, sich zur Seite drehend, und es klang, als stotterte er.
»Was hast du? Lachst du etwa?« fragte der Vater ihn streng.
»Ich?« fragte Jakow unschuldig. »Worüber denn?«
»Das will ich meinen, es ist auch gar kein Grund dazu . . .« Sie verstummten. Doch durch das Rauschen der Wellen erreichten sie Laute, die halb wie Seufzer, halb wie zärtliche leise Rufe klangen.
Zwei Wochen waren vergangen. Wieder war Sonntag, und wiederum lag Wassilij Legostjew neben seiner Hütte im Sand, schaute aufs Meer und wartete auf Malwa. Und das öde Meer spielte lachend mit der sich spiegelnden Sonne, und tausend und aber tausend Wellen entstanden, um auf den Strand zu laufen, ihre Schaumkronen abzuwerfen, ins Meer zurückzurollen und in ihm zu zergehen. Alles war so wie vor vierzehn Tagen. Aber während Wassilij früher seine Geliebte mit ruhiger Zuversicht erwartet hatte, wartete er heute mit Ungeduld auf sie. Am letzten Sonntag war sie nicht dagewesen – heute mußte sie kommen! Er zweifelte nicht daran, daß sie kommen würde, aber er wollte sie recht bald sehen. Jakow würde ihn heute nicht stören: vor zwei Tagen war er mit anderen Fischern hier gewesen, ein Netz zu holen, und hatte gesagt, daß er sich gleich Sonntag früh in die Stadt begeben wolle, um sich Hemden zu kaufen. Er hatte sich für fünfzehn Rubel monatlich als Fischer verdungen, war bereits mehrere Male zum Fischen ausgefahren und sah vergnügt und munter aus. Wie alle Arbeiter roch er nach gesalzenen Fischen, und wie alle war er schmutzig und abgerissen. Beim Gedanken an den Sohn seufzte Wassilij: Wenn er hier nur keinen Schaden nimmt . . . Er wird sich verwöhnen . . . Dann wird er am Ende gar nicht mehr ins Dorf zurückgehen wollen . . . Und dann werde ich selbst hin müssen . . .
Außer den Möwen war niemand auf dem Meer. Dort, wo es durch einen schmalen Streifen vom Himmel getrennt war, erschienen manchmal kleine schwarze Pünktchen, bewegten sich und verschwanden wieder. Das Boot aber kam nicht, obgleich die Sonnenstrahlen schon fast senkrecht ins Meer fielen. Um diese Zeit pflegte Malwa sonst hier zu sein.
Zwei Möwen stießen in der Luft aufeinander und hackten sich, daß die Federn flogen. Ihre erbitterten Schreie zerrissen den fröhlichen Gesang der Wellen, diesen immerwährenden Gesang, der so harmonisch mit der feierlichen Ruhe des leuchtenden Himmels verschmolzen war, daß er nur der Klang des freudigen Spiels der Sonnenstrahlen auf der Meeresfläche zu sein schien. Die Möwen stießen ins Wasser, hackten einander, schrien rasend vor Schmerz und Wut und hoben sich, einander verfolgend, wieder in die Luft . . . Ihre Gefährten aber – ein ganzer Schwarm – fischten gierig, als ob sie diesen Kampf nicht sähen, und schlugen Purzelbäume im glitzernden durchsichtigen grünlichen Wasser.
Das Meer blieb verlassen. Der bekannte dunkle Punkt fern an der Küste erschien nicht.
»Du kommst nicht?« sagte Wassilij laut. »Nun, ist auch nicht nötig! Oder bildest du dir ein . . .?« Und er spuckte verächtlich in Richtung der Küste aus.
Das Meer lachte . . .
Wassilij stand auf und ging in die Hütte mit der Absicht, sich Mittagessen zu kochen; aber er verspürte keinen Appetit, kehrte zu seinem alten Platz zurück und legte sich wieder hin.
Wenn wenigstens Serjoshka käme! rief er in Gedanken aus und zwang sich, an Serjoshka zu denken. Das ist ein strammer Kerl! Alle lacht er aus, auf alle geht er mit den Fäusten los. Gesund ist er, hat Lebenserfahrung, kann lesen und schreiben – aber er trinkt. In seiner Gesellschaft ist es immer lustig . . . Die Weiber sind hin von ihm und laufen ihm alle nach, obgleich er erst seit kurzem hier ist. Nur Malwa hält sich ihm fern . . . Und jetzt kommt sie nicht. So ein verfluchtes Frauenzimmer! Ob sie böse auf mich ist, weil ich sie geschlagen habe? Als ob das was Neues für sie wäre! Wie mögen andere sie schon geprügelt haben! Aber ich werde es ihr jetzt auch heimzahlen!
Mit solchen Gedanken über seinen Sohn, über Serjoshka und vor allem über Malwa wälzte Wassilij sich im Sande und wartete immerzu. Die unruhige Stimmung verwandelte sich allmählich in einen finstern, argwöhnischen Gedanken, aber er wollte nicht dabei verweilen. So verbrachte er, da er sich sein Mißtrauen nicht eingestehen wollte, die Zeit bis zum Abend, indem er bald aufstand und im Sand umherging, bald sich aufs neue niederlegte. Das Meer war schon dunkel geworden, aber er beobachtete immer noch den fernen Horizont und wartete auf das Boot.
Malwa kam an diesem Tage nicht.
Als Wassilij sich schlafen legte, schimpfte er enttäuscht auf seinen Dienst, der ihm nicht erlaubte, an die Küste zu gehen; im Einschlafen sprang er noch mehrmals auf. In der Schlaftrunkenheit glaubte er, in der Ferne Ruderschläge zu vernehmen. Dann schirmte er die Augen mit der Hand ab und sah auf das trübe dunkle Meer hinaus. Beim Werk an der Küste brannten zwei Feuer, auf dem Meer aber war niemand.
»Gut, du Hexe!« drohte er. Und dann fiel er in einen schweren Schlaf.
Im Werk aber ging an diesem Tage folgendes vor sich.
Jakow war früh am Morgen aufgestanden, als die Sonne noch nicht so heiß brannte und vom Meer her erfrischende Kühle wehte. Er ging aus der Baracke ans Meer, um sich zu waschen, und als er an den Strand kam, erblickte er Malwa. Sie saß am Heck eines großen Ruderbootes, das am Ufer vertäut war, ließ die nackten Beine über Bord hängen und kämmte ihr nasses Haar.
Jakow blieb stehen und betrachtete sie mit neugierigen Blicken. Die offene Kattunbluse war von der einen Schulter herabgeglitten, und die Schulter war so weiß und verlockend.
Die Wellen schlugen gegen das Heck der Barkasse, Malwa wurde bald emporgehoben, bald sank sie so tief, daß ihre nackten Füße fast das Wasser berührten.
»Du hast wohl gebadet?« rief Jakow.
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, sah ihn flüchtig an und antwortete im Weiterkämmen: »Ja . . ., was bist du so früh aufgestanden?«
»Du noch früher . . .«
»Was für ein Maßstab bin ich denn für dich?«
Jakow antwortete nicht.
»Willst du nach meiner Manier hier leben, wird es dir schwerfallen, den Kopf zu heben!« sagte sie.
»Oho! Sieh mal an, wie fürchterlich du bist!« lachte Jakow spöttisch, hockte sich nieder und begann sich zu waschen.
Er schöpfte das Wasser mit der hohlen Hand, spritzte es sich ins Gesicht und ächzte, als er die Kühle spürte. Während er sich mit dem Hemdensaum abtrocknete, fragte er Malwa: »Was suchst du mir dauernd Angst zu machen?«
»Und was hast du mich anzustarren?«
Jakow konnte sich nicht erinnern, nach ihr mehr als nach den anderen Arbeiterinnen geschaut zu haben, jetzt aber sagte er plötzlich zu ihr: »Ja, wenn du aber wie zum . . . Anbeißen bist!«
»Warte nur, wenn dein Vater von deinen neuen Gewohnheiten erfährt, wird er dir den Kopf waschen.«
Sie sah ihm verschmitzt und herausfordernd ins Gesicht.
Jakow lachte und kletterte auf die Barkasse. Er begriff zwar wieder nicht, von was für Gewohnheiten sie sprach, aber wenn sie das sagte, so hatte er sie offenbar öfter scharf angesehen. Er fand das angenehm und lustig.
»Wie ist das eigentlich mit dem Vater?« sagte er, während er auf dem Bord des Ruderbootes auf sie zuging. »Bezahlt er dich?«
Er setzte sich neben sie und starrte auf ihre nackte Schulter, die halbentblößte Brust, auf ihre ganze frische kraftvolle Gestalt, die nach dem Meer duftete.
»Der reinste Hausen bist du!« rief er voll Entzücken, nachdem er sie genau betrachtet hatte.
»Nicht für dich!« erklärte sie kurz, ohne ihn anzusehen und ohne ihre offenherzige Bekleidung in Ordnung zu bringen.
Jakow seufzte.
Unübersehbar dehnte sich das Meer in den Strahlen der Morgensonne vor ihnen aus. Spielerische kleine Wellen, die unter dem sanften Hauch des Windes entstanden, schlugen leise gegen die Bordwand.
Fern im Meer erschien die Landzunge wie eine Narbe auf seiner Atlasbrust. An ihrer Spitze bohrte sich die Stange wie ein feiner Strich in den weichen blauen Hintergrund des Himmels, und man konnte den Lappen im Winde flattern sehen.
»Ja, mein Bürschchen!« begann Malwa, ohne Jakow anzusehen, »zum Anbeißen bin ich, aber nicht für dich . . . Ich bin nicht käuflich, und deinem Vater bin ich auch nicht untertan. Ich lebe nach meinem eigenen Willen . . . Aber dräng dich mir nicht auf, denn ich will nicht zwischen dir und Wassilij stehen . . . Ich will keinen Zank und mögliche Scherereien . . . Verstanden?«
»Was tue ich denn?« wunderte sich Jakow, »ich rühre dich ja gar nicht an . . .«
»Anzurühren wirst du mich nicht wagen!« sagte Malwa.
Sie sagte das in so geringschätzigem Ton, daß Jakow als Mann wie als Mensch sich gekränkt fühlte. Ein herausforderndes, fast boshaftes Gefühl ergriff ihn, seine Augen loderten.
»Oho! Ich wage es nicht?« rief er und rückte näher.
»Nein!«
»Meinst du wirklich? Und wenn ich dich nun anrühre?«
»Versuch's doch!«
»Und was dann?«
»Dann kriegst du einen Stoß ins Genick, daß du kopfüber ins Wasser fällst.«
»Tu's doch!«
»Versuch's doch!«
Er umfing sie mit heißen Blicken, und plötzlich packte er sie von der Seite mit seinen starken Tatzen und preßte ihr Brust und Rücken zusammen. Durch die Berührung mit ihrem heißen kraftvollen Körper entflammte er ganz und gar, und seine Kehle schnürte sich zusammen, als wollte er ersticken.
»Siehst du! Nun . . . schlage doch! Nun . . .?«
»Laß los, Jaschka!« sagte sie ruhig und versuchte, sich aus seinen zitternden Händen zu befreien.
»Du wolltest mir doch eins ins Genick geben?«
»Laß los! Sieh dich vor, sonst geht es dir schlecht!«
»Hör auf . . ., mach mir keine Angst! Ach du . . . Himbeere!«
Er drückte sich an sie und sog sich mit seinen vollen Lippen an ihrer geröteten Wange fest.
Sie lachte herausfordernd, packte Jakow kräftig bei den Händen und warf sich plötzlich mit einer heftigen Bewegung des ganzen Körpers nach vorn. In gegenseitiger Umarmung stürzten sie als schwere Masse ins Wasser und versanken in Schaum und Spritzern. Danach erschien Jakows nasser Kopf mit erschrockenem Gesicht auf dem bewegten Wasser, und neben ihm tauchte Malwa an die Oberfläche. Verzweifelt mit den Armen rudernd, zerteilte Jakow das Wasser um sich her, heulte und brüllte, während Malwa ihn laut lachend umschwamm, ihm Hände voll Salzwasser ins Gesicht spritzte und wieder tauchte, um seinen weit ausholenden Armbewegungen auszuweichen.
»Teufel!« schrie Jakow prustend. »Ich ertrinke! Hör auf! . . . Bei Gott . . ., ich ertrinke! Das Wasser ist bitter . . . Ach du . . ., ich ertrinke!«
Aber sie ließ schon von ihm ab und schwamm wie ein Mann, mit den Armen weit ausholend, auf das Ufer zu. Dort kletterte sie gewandt in die Barkasse, stellte sich an das hintere Ende und sah lachend zu, wie Jakow hastig auf sie zuschwamm. Die nasse Kleidung klebte an ihrem Körper und zeichnete ihren Körper von den Knien bis zu den Schultern deutlich ab. Als Jakow an das Boot herangeschwommen war, hielt er sich mit der Hand daran fest und starrte diese fast nackte Frau, die ihn lustig auslachte, mit gierigen Blicken an.
»Na, kriech heraus, du Seehund!« sagte sie unter Lachen, kniete nieder und reichte ihm ihre Hand, während sie sich mit der anderen auf den Bootsrand stützte. Jakow ergriff ihre Hand und rief begeistert: »Nun, halte dich fest! Ich bade dich!«
Er stand bis an die Schultern im Wasser und versuchte sie zu sich zu ziehen. Die Wellen rollten über seinen Kopf hinweg, zerschellten am Boot und spritzten Malwa ins Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen und lachte laut, und plötzlich sprang sie aufkreischend ins Wasser und warf durch die Schwere ihres Körpers Jakow um.
Wie zwei große Fische begannen sie von neuem in dem grünlichen Wasser zu spielen, bespritzten einander und kreischten, prusteten und tauchten.
Lachend sah die Sonne auf sie herab, und die Fensterscheiben des Werkes spiegelten die Sonne wider und lachten ebenfalls. Von ihren starken Armen zerteilt, rauschte das Wasser; aufgestört durch die herumtollenden Menschen jagten die Möwen mit durchdringenden Schreien über ihren Köpfen hin und her, die unter den aus der Ferne heranrollenden Wellen immer wieder verschwanden.
Müde kletterten sie schließlich, nachdem sie reichlich Wasser geschluckt hatten, ans Ufer und setzten sich in die Sonne, um sich zu erholen.
»Pfui!« Jakow verzog sein Gesicht und spuckte aus. »Ist das ein dreckiges Wasser! Daher ist auch so viel davon da!«
»Dreckzeug ist immer viel auf der Welt, Burschen zum Beispiel, mein Gott wie viele!« lachte Malwa und drückte das Wasser aus ihrem Haar . . .
Ihr Haare waren dunkel und wenn auch nicht lang, so doch dicht und lockig.
»Darum hast du dir auch einen Alten ausgesucht«, lachte Jakow boshaft und stieß sie mit dem Ellbogen in die Seite.
»Mancher Alte ist besser als ein Junger.«
»Wenn der Vater schon gut ist, muß der Sohn doch noch besser sein.«
»Sieh mal an, wo hast du denn das Prahlen gelernt?«
»Die Mädchen auf dem Dorf haben mir oft gesagt, daß ich durchaus kein schlechter Bursche bin.«
»Was verstehen schon die Mädchen davon! Mich mußt du fragen . . .«
»Was bist du denn? Etwa kein Mädchen?«
Sie blickte ihn scharf an, er lachte schamlos. Da wurde sie plötzlich ernst und sagte heftig: »Ich habe mal ein Kind gehabt.«
»Es paßt, aber es reimt sich nicht«, sagte Jakow und lachte laut.
»Dummkopf!« schleuderte Malwa ihm schroff ins Gesicht und wandte sich ab.
Eingeschüchtert verstummte Jakow und preßte die Lippen aufeinander. Wohl eine halbe Stunde schwiegen beide und drehten sich dabei in der Sonne, damit sie ihre nassen Kleider möglichst schnell trocknete.
In den Baracken, langen schmutzigen Schuppen mit Pultdächern, erwachten die Arbeiter. Von weitem sahen sie einer wie der andere aus: abgerissen, struppig, barfuß . . . Ihre heiseren Stimmen waren bis an den Strand zu hören; irgendwer klopfte auf den Boden einer leeren Tonne, dumpfe Schläge flogen herüber wie das Dröhnen einer großen Pauke. Zwei Frauen zankten sich kreischend, ein Hund bellte.
»Sie wachen auf!« sagte Jakow. »Und ich wollte doch recht früh in die Stadt fahren . . ., und nun habe ich mit dir Unsinn getrieben.«
»Bei mir kommt nichts Gutes heraus«, sagte sie halb scherzhaft, halb ernst.
»Warum versuchst du ständig, mich zu erschrecken?« lachte Jakow verwundert.
»Du wirst schon sehen, wenn dein Vater dich . . .«
Diese Erwähnung des Vaters erboste ihn plötzlich.
»Was wird der Vater? Nun?« rief er grob. »Der Vater! Ich bin kein kleines Kind mehr . . . Als ob das von Bedeutung wäre! . . . Hier sind andere Verhältnisse . . ., ich bin auch nicht blind, ich kann sehen. Er ist selbst kein Engel . . ., er legt sich hier keinen Zwang auf . . ., dann soll er mich auch in Ruhe lassen.«
Sie sah ihm spöttisch ins Gesicht und fragte neugierig: »Er soll dich in Ruhe lassen? Was hast du denn vor?«
»Ich?« Er blies die Backen auf und drückte die Brust heraus, als höbe er eine Last. »Ich, fragst du? Ich kann viel! Ich habe mir lange genug Wind um die Ohren blasen lassen, der hat den Staub des Dorfes von mir weggeblasen.«
»Ziemlich schnell!« rief Malwa spöttisch.
»Na und? Ich mach dich dem Vater abspenstig!«
»Nicht möglich! Wirklich?«
»Glaubst du, ich habe Angst?«
»Wirklich nicht?«
»Hör mal zu«, begann Jakow hitzig und erregt, »reize mich nicht! Ich . . ., nimm dich in acht!«
»Was?« fragte sie ruhig.
»Nichts!« Er wandte sich ab und schwieg mit der Miene eines selbstbewußten schneidigen Burschen.
»Bist du aber heftig! Weißt du, der Verwalter hat doch ein schwarzes Hündchen, hast du es gesehen? Das ist geradeso wie du. Aus der Ferne bellt es und tut, als wollte es einen beißen, und wenn man näher kommt, klemmt es den Schwanz ein und reißt aus.«
»Nun gut!« rief Jakow, in Wut geratend. »Warte nur! Du wirst schon sehen, wer ich bin, du wirst schon sehen.«
Doch sie lachte ihm ins Gesicht.
Langsamen Schrittes, mit wiegendem Oberkörper, kam jetzt ein großer, muskulöser bronzefarbener Mann mit einer dichten Kappe zerzauster feuerroter Haare auf sie zu. Das ungegürtete rote Kattunhemd war auf dem Rücken fast bis zum Kragen zerrissen, und damit die Ärmel ihm nicht über die Hände rutschten, hatte er sie bis an die Schulter aufgekrempelt. Seine Hosen stellten eine Sammlung verschiedenfarbiger Löcher vor, er war barfuß. Im Gesicht, das dicht mit Sommersprossen übersät war, funkelten verwegen große blaue Augen, die aufgestülpte breite Nase gab seiner Gestalt ein unbekümmertes freches Aussehen. Herangekommen, blieb er vor ihnen stehen, daß sie seinen Körper durch die unzähligen Löcher in seiner Kleidung in der Sonne blitzen sehen konnten, zog geräuschvoll durch die Nase hoch, starrte sie fragend an und schnitt eine komische Grimasse.
»Gestern hat Serjoshka ein wenig getrunken, und heute ist in Serjoshkas Tasche so viel wie in einem Korb ohne Boden . . . Leiht mir einen Zwanziger! Ich gebe ihn sowieso nicht zurück . . .«
Jakow lachte gutmütig über seine kecke Ansprache, Malwa lächelte bei der Betrachtung seiner zerlumpten Gestalt.
»Gebt her, ihr Teufel! Für einen Zwanziger traue ich euch, wollt ihr?«
»Ach, du Spaßvogel! Bist du etwa ein Pope?« lachte Jakow.
»Dummkopf! Ich bin in Uglitsch bei einem Popen Hausknecht gewesen . . ., gib einen Zwanziger!«
»Ich will nicht getraut werden!« weigerte sich Jakow.
»Einerlei! Gib her! Ich werde deinem Vater nicht sagen, daß du seiner Dame nachstellst«, beharrte Serjoshka und leckte sich die gesprungenen trockenen Lippen.
»Lüge nur, er glaubt dir auch so . . .«
»Ich werde schon lügen, daß er's glaubt!« versprach Serjoshka, »und dann prügelt er dich durch – und wie!«
»Ich habe keine Angst!« lachte Jakow.
»Na, dann werde ich dich durchprügeln!« erklärte Serjoshka ruhig und kniff die Augen zusammen.
Jakow tat es um die zwanzig Kopeken leid, aber man hatte ihn schon gewarnt, sich mit Serjoshka einzulassen, und ihm geraten, lieber dessen Forderungen nachzukommen. Übermäßig viel fordere er nicht, aber wenn man ihm das nicht gebe, spiele er einem während der Arbeit irgendeinen gemeinen Streich oder schlüge einem um nichts und wieder nichts krumm und lahm. Dieser Lehre eingedenk, griff Jakow seufzend in die Tasche.
»So ist's recht«, ermunterte Serjoshka ihn und ließ sich neben ihm im Sande nieder. »Höre nur immer auf mich, dann bist du klug. Und du?« wandte er sich an Malwa, »gedenkst du nun, mich bald zu heiraten? Entschließ dich rasch – lange warte ich nicht.«
»Abgerissen bist du . . . Nähe erst deine Löcher zu, dann können wir darüber reden«, antwortete Malwa.
Serjoshka betrachtete kritisch seine Löcher und schüttelte den Kopf. »Gib mir lieber deinen Rock!«
»So«, sagte Malwa lachend.
»Ja, wirklich! Du hast doch irgendeinen alten – gib ihn mir.«
»Kauf dir lieber eine Hose«, riet Malwa.
»Na, lieber vertrink ich das Geld.«
»Lieber?« lachte Jakow, der die vier Fünfkopekenstücke in der Hand hielt.
»Wieso denn nicht? Der Pope hat mir gesagt, der Mensch soll sich nicht um sein Fell sorgen, sondern um seine Seele. Meine Seele verlangt nach Schnaps und nicht nach Hosen. Her mit dem Geld! Na, jetzt geh ich saufen . . . Aber deinem Vater werde ich doch von dir erzählen.«
»Erzähle nur!« Jakow winkte mit der Hand ab und zwinkerte Malwa verwegen zu, indem er sie an die Schulter stieß.
Serjoshka bemerkte das, spuckte aus und versprach noch: »Die Prügel bekommst du noch . . . Sobald ich einmal Zeit habe, verwalke ich dich gründlich!«
»Wofür denn?« fragte Jakow beunruhigt.
»Ich weiß schon wofür . . . Na, heiratest du mich also bald?« wandte sich Serjoshka sich wieder an Malwa.
»Erzähl mir erst mal, was wir dann machen und wie wir leben werden, dann will ich darüber nachdenken«, sagte sie ernsthaft. Serjoshka sah mit zusammengekniffenen Augen aufs Meer hinaus, leckte sich die Lippen und erklärte: »Nichts werden wir tun, bummeln werden wir!«
»Und woher nehmen wir was zu essen?«
»Na!« Serjoshka machte eine geringschätzige Handbewegung, »du überlegst genausoviel wie meine Mutter. Wie und was? Als ob ich wüßte, wie und was? Ich geh jetzt trinken . . .«
Er stand auf und ging fort, begleitet von einem eigentümlichen Lächeln Malwas und einem feindseligen Blick des Burschen.
»So ein Kommandeur!« sagte Jakow, als Serjoshka weit genug weg war. »Bei uns auf dem Dorf würde man solch einen Gecken rasch bändigen . . . Wir würden ihm eine gehörige Tracht Prügel verpassen und Schluß . . . Hier dagegen haben sie Angst . . .«
Malwa sah ihn an und murmelte zwischen den Zähnen: »Ach, du Milchbart! Hast du eine Ahnung von seinem Wert!«
»Was heißt hier Wert? Solche kosten einen Fünfer das Bündel, und auch nur dann, wenn hundert aufs Bündel gehn.«
»Denkst du!« lachte Malwa spöttisch. »So viel bist du wert . . ., er aber . . . ist überall gewesen, hat die Erde kreuz und quer durchwandert und fürchtet sich vor niemand . . .«
»Vor wem fürchte ich mich denn?« fragte Jakow tapfer.
Sie antwortete ihm nicht, sondern verfolgte nachdenklich das Spiel der Wellen, die an den Strand rollten und die schwere Barkasse ins Schaukeln brachten. Der Mast schwankte hin und her, das Heck hob sich und fiel klatschend ins Wasser zurück. Es klang laut und gereizt, als wollte die Barkasse sich vom Ufer losreißen und ins weite, freie Meer davonfahren und ärgerte sich über das Tau, das sie festhielt.
»Nun, warum gehst du denn nicht?« fragte Malwa.
»Wohin soll ich denn?« erwiderte er.
»Du wolltest doch in die Stadt . . .«
»Ich gehe nicht.«
»Nun, dann fahr doch zu deinem Vater!«
»Was?«
»Fährst du auch?«
»Nein.«
»Dann fahre ich auch nicht.«
»Willst du mir den ganzen Tag vor den Füßen sein?« fragte Malwa ruhig.
»Ich brauch dich gar nicht . . .«, antwortete Jakow gekränkt, stand auf und ging.
Aber er hatte sich getäuscht, als er behauptete, er brauche sie nicht. Ohne sie wurde es ihm langweilig. Nach dem Gespräch mit ihr entstand bei ihm ein sonderbares Gefühl: ein verworrener Protest gegen den Vater, eine dumpfe Unzufriedenheit mit ihm. Gestern war das noch nicht gewesen, auch heute vor der Begegnung mit Malwa noch nicht . . . Jetzt dagegen schien es ihm, als wäre der Vater ihm im Wege, obgleich er sich doch dort fern im Meer, auf diesem dem Auge kaum wahrnehmbaren Streifen Sand befand. Später schien es ihm, daß Malwa sich vor dem Vater fürchtete. Wenn sie sich nämlich nicht fürchtete, käme er bei ihr ganz anders voran.
Er schlenderte durch den Betrieb und sah sich die Leute an. Im Schatten einer Baracke saß Serjoshka auf einer Tonne, klimperte auf einer Balalaika und sang unter komischen Grimassen:
»Sie, Herr Schutzmann, bitte drum,
Gehn Sie höflich mit mir um,
Führen Sie mich von hier weg,
Sonst fall ich noch in den Dreck.«
Er war von zwanzig ebenso zerlumpten Gesellen umringt, und alle rochen, wie alles hier, nach gesalzenem Fisch und Salpeter. Vier schmutzige häßliche Weiber saßen im Sand und tranken Tee, den sie sich aus einer großen blechernen Teekanne eingossen. Und ein Arbeiter, der trotz der frühen Stunde schon betrunken war, mühte sich, im Sande auf die Beine zu kommen und fiel immer wieder hin. Irgendwo weinte winselnd eine Frau, die Klänge einer verstimmten Harmonika drangen herüber, und überall schimmerten Fischschuppen.
Um die Mittagszeit fand Jakow ein schattiges Plätzchen zwischen einem Haufen leerer Fässer, legte sich hin und schlief bis zum Abend; als er aufgewacht war, streifte er wieder durch den Betrieb und fühlte sich unbewußt irgendwohin gezogen.
Als er wohl zwei Stunden so umhergewandert war, fand er Malwa weit entfernt unter einer Gruppe junger Weiden. Sie lag auf der Seite, hielt ein zerfetztes Buch in den Händen und sah ihm lächelnd entgegen.
»Hier bist du also!« sagte er und setzte sich neben sie.
»Suchst du mich schon lange?« fragte sie ihn, dessen gewiß.
»Habe ich dich etwa gesucht?« rief Jakow und erkannte plötzlich, daß es sich so verhielt: er hatte sie gesucht. Verlegen schüttelte der Bursche den Kopf.
»Kannst du lesen?« fragte sie ihn.
»Ja, aber schlecht, hab schon alles vergessen . . .«
»Ich kann auch nur schlecht . . . Hast du es in der Schule gelernt?«
»Ja, in der Gemeindeschule.«
»Und ich hab es allein gelernt . . .«
»Wirklich?«
»Ja. Ich war in Astrachan Köchin bei einem Rechtsanwalt; sein Sohn hat mir das Lesen beigebracht.«
»Also doch nicht allein«, erklärte Jakow.
Sie sah ihn an und fragte wieder: »Und liest du gern Bücher?«
»Ich? Nein . . ., wozu?«
»Aber ich, ich lese gern. Da hab ich mir von der Verwaltersfrau ein Buch ausgebeten.«
»Worüber?«
»Über den Gottesmann Alexej.«
Und nachdenklich erzählte sie ihm, wie der Jüngling, der Sohn reicher und angesehener Eltern, sie und sein glückliches Leben verließ und später bettelarm und zerlumpt zu ihnen zurückkehrte und bei den Hunden auf dem Hof lebte und ihnen bis an seinen Tod nicht sagte, wer er sei. Dann fragte sie leise: »Warum hat er das getan?«
»Wer kann das wissen?« antwortete Jakow gleichgültig.
Sanddünen, die von Wind und Wellen zusammengetragen waren, umgaben sie. Aus der Ferne klang hohler, dumpfer Lärm herüber – das waren die Arbeiter im Betrieb. Die Sonne war im Untergehen, auf dem Sand lag der rosige Widerschein ihrer Strahlen. Die dürftigen Weidenbüsche zitterten mit ihrem spärlichen Laub kaum merklich im leichten Seewind. Malwa schwieg, als horchte sie auf etwas.
»Warum bist du denn heute nicht dorthin gefahren, auf die Landzunge?«
»Was kümmert's dich?«
Jakow sah immer wieder mit lüsternen Blicken die Frau von der Seite an und überlegte, wie er ihr das Notwendige sagen sollte.
»Wenn ich allein bin und es so still ist . . . dann möchte ich weinen . . . oder singen. Nur kenne ich keine hübschen Lieder, und zu weinen schäme ich mich . . .«
Er vernahm ihre leise freundliche Stimme, aber was sie sprach, berührte ihn innerlich gar nicht, sondern verlieh seinem Wunsch nur größere Heftigkeit.
»Weißt du was?« begann er dumpf, ihr etwas näher rückend, aber ohne sie anzusehen. »Hör mal, was ich dir sagen will . . ., ich bin doch ein junger Bursche . . .«
»Und dumm, du-umm!« Voll Überzeugung dehnte Malwa das Wort und schüttelte den Kopf.
»Meinetwegen dumm!« rief Jakow ärgerlich. »Ist denn dazu Verstand nötig? Dumm – na schön! Aber hör mal . . ., willst du mit mir . . .«
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Darum!«
»Du, mach keinen Unsinn . . .« Er faßte sie vorsichtig an der Schulter. »Überleg doch . . .«
»Mach, daß du wegkommst, Jaschka!« sagte sie rauh und schüttelte seine Hand ab. »Geh!«
Er stand auf und blickte um sich.
»Nun, wenn du so bist – ich pfeif drauf! hier sind genug andere . . . Meinst du, du bist besser als die anderen?«
»Du bist ein junger Hund«, sagte sie ruhig, stand auf und schüttelte den Sand von ihrem Kleid.
Dann gingen sie nebeneinander zum Betrieb. Sie gingen langsam, weil ihre Füße im Sand einsanken.
Jakow versuchte sie in grober Weise zu überreden, seinem Wunsch nachzugeben; sie lächelte ruhig darüber und antwortete ihm mit spitzen Worten.
Als sie schon dicht bei den Werkbaracken waren, blieb er plötzlich stehen und packte sie an der Schulter.
»Du versuchst mich doch absichtlich zu reizen! Weshalb tust du das? Ich werde dir – paß auf!«
»Laß mich in Ruhe, sag ich!« Sie entwand sich seiner Hand und ging; da kam ihr um die Ecke einer Baracke Serjoshka entgegen, schüttelte seine Feuermähne und sagte unheildrohend: »Ihr seid spazierengegangen? Na gut!«
»Geht allesamt zum Teufel!« schrie Malwa böse.
Jakow dagegen blieb vor Serjoshka stehen und sah ihn finster an. Sie standen etwa zehn Schritt voneinander entfernt.
Serjoshka sah Jakow fest in die Augen. Nachdem sie so, wie zwei Böcke, die bereit sind, mit den Köpfen zusammenzukrachen, fast eine Minute gestanden hatten, gingen sie schweigend nach verschiedenen Seiten auseinander.
Das Meer war still und vom Sonnenuntergang gerötet. Über dem Werk lag dumpfer Lärm, und deutlich hob sich davon eine betrunkene Weiberstimme ab, die sinnlose Worte hysterisch hinausschrie:
»Ta-agarga, matagarga,
Matanitschka mein!
Betrunken, verprügelt,
Zersaust!«
Und diese wie Kellerasseln ekelhaften Worte verbreiteten sich über das vom Geruch nach Salpeter und fauligen Fischen durchtränkte Werk – und beleidigte das Tönen der Wellen.
Das weite Meer schlummerte ruhig im zarten Glanz der Morgenröte und spiegelte die perlmutterfarbenen Wolken wider. Auf der Landzunge hantierten verschlafene Fischer und packten ihre Gerätschaften in ein Ruderboot.
Die graue Netzmasse glitt über den Sand in die Barkasse und häufte sich auf ihrem Boden.
Serjoshka, wie immer ohne Mütze und halbnackt, stand am Heck und trieb die Fischer mit vom Alkohol heiserer Stimme zur Eile an. Der Wind spielte mit den Fetzen seines Hemdes und seinen roten Haarbüscheln.
»Wassilij, wo sind die grünen Ruder?« schrie einer der Männer. Düster wie ein Oktobertag war Wassilij damit beschäftigt, das Netz in der Barkasse richtig hinzupacken; Serjoshka schaute ihm auf den gekrümmten Rücken und leckte sich die Lippen, ein Zeichen für seinen Wunsch, sich durch ein Gläschen zu stärken.
»Hast du Schnaps da?« fragte er.
»Ja«, sagte Wassilij dumpf.
»Na, dann fahr ich nicht mit . . ., ich bleibe am trockenen Ende.«
»Fertig!« rief man von der Landzunge.
»Stoß ab! Vorwärts!« kommandierte Serjoshka und verließ die Barkasse.
»Fahrt los, ich bleibe hier. Gebt acht, fahrt recht weit hinaus, daß das Netz sich nicht verheddert! Und werft es gleichmäßig aus, macht keine Schlingen!«
Die Barkasse wurde ins Wasser gestoßen, die Fischer stiegen über die Bordwand hinein, griffen ein Ruder und hielten es in die Luft, bereit, es ins Wasser zu tauchen.
»Eins!«
Die Ruder fielen alle zugleich in die Wellen, und die Barkasse flog vorwärts über die schimmernde weite Wasserfläche.
»Zwei!« kommandierte der Steuermann, und wie die Füße einer Riesenschildkröte hoben sich die Ruder zum Bootsrand . . . »Eins! . . . Zwei!«
Bei dem trockenen Ende des Netzes waren fünf Mann am Ufer geblieben: Serjoshka, Wassilij und noch drei. Einer von diesen ließ sich im Sande nieder und sagte: »Ich schlafe noch etwas . . .«
Die beiden andern folgten seinem Beispiel, und drei Körper in schmutzigen Lumpen rollten sich im Sande zusammen.
»Warum bist du Sonntag nicht gekommen?« fragte Wassilij, während er mit Serjoshka zur Hütte ging.
»Ich konnte nicht . . .«
»Warst du betrunken?«
»Nein, ich habe auf deinen Sohn aufgepaßt und auf seine Stiefmutter«, teilte Serjoshka in aller Ruhe mit.
»Auch eine Aufgabe!« lachte Wassilij säuerlich. »Sind sie etwa kleine Kinder?«
»Schlimmer als das . . . Er ist ein Esel, und sie ist beschränkt . . .«
»Malwa soll beschränkt sein?« fragte Wassilij, und seine Augen flammten vor Wut. »Seit wann denn?«
»Ihre Seele paßt nicht zum Körper, Bruder . . .«
»Sie hat eine gemeine Seele.«
Serjoshka sah ihn von der Seite an und schnaubte verächtlich.
»Gemein? Ach, ihr . . . stumpfschnäuzigen Erdwühler! Einen Dreck begreift ihr . . . Für euch brauchen die Weiber nur fette Zitzen zu haben, nach ihrem Charakter fragt ihr nicht . . . Und dabei steckt im Charakter das Beste des Menschen . . ., ein Weib ohne Charakter ist wie Brot ohne Salz. Kann dir eine Balalaika Vergnügen machen, die keine Saiten hat? Du Köter!«
»Zu was für Reden du dich bei deiner Trinkerei aufschwingst!« stichelte Wassilij.
Er hätte sehr gern gefragt, wo und wie Serjoshka Jakow und Malwa am Tage vorher gesehen habe, aber er genierte sich.
In die Hütte gekommen, goß er Serjoshka ein Teeglas Schnaps ein in der Hoffnung, daß Serjoshka nach solch einer Portion benebelt sein und ihm von sich aus über jene erzählen werde.
Aber Serjoshka trank es aus, krächzte und setzte sich, völlig klar geworden, in die Tür der Hütte, reckte sich und gähnte.
»Das ist, als ob man Feuer schluckt!« sagte er.
»Du hast aber auch einen Zug!« rief Wassilij, betroffen von der Schnelligkeit, mit der Serjoshka den Schnaps hinuntergegossen hatte.
»Das verstehe ich . . .«, nickte der Barfüßige mit seinem roten Kopf, wischte sich den nassen Schnurrbart mit der Hand ab und begann schulmeisterhaft: »Das verstehe ich, Bruder! Ich mache alles schnell und geradezu. Ohne Umschweife, direkt drauflos, das ist es! Und wohin man gelangt, das ist ganz einerlei! Von der Erde kann einer immer nur auf die Erde springen.«
»Du wolltest in den Kaukasus gehen?« fragte Wassilij, sachte auf sein Ziel losgehend.
»Ich gehe, wenn ich Lust habe. Wenn ich Lust habe, geht es bei mir eins, zwei, und fertig! Entweder geht es nach Wunsch, oder ich schlage mir eine Beule in den Kopf . . . Sehr einfach!«
»Wirklich einfach! Du lebst, als hättest du keinen Kopf . . .«
Serjoshka sah Wassilij spöttisch von der Seite an.
»Es ist doch gut, daß die Obrigkeit bei euch den Verstand mit Ruten von hinten nach vorn treibt . . . Ach, du! Nun, was kannst du mit deinem Kopf schon anstellen? Und wohin wirst du mit ihm gelangen? Und was kannst du dir schon ausdenken? Na eben! Ich aber zwänge mich ohne Kopf gerade durch, und weiter nichts. Und sicherlich werde ich weiterkommen als du«, prahlte der Landstreicher.
»Das – könnte schon sein!« lachte Wassilij. »Du kommst auch noch nach Sibirien . . .«
Serjoshka brach aufrichtig in schallendes Gelächter aus. Wider Wassilijs Erwarten wurde er nicht betrunken, und das ärgerte ihn. Ihm noch ein Glas anzubieten, tat ihm leid, aber in nüchternem Zustand war bei Serjoshka nichts zu erreichen . . . Doch der Landstreicher kam ihm selbst zu Hilfe.
»Warum fragst du denn gar nicht nach Malwa?«
»Was geht sie mich denn an?« sagte Wassilij gleichgültig gedehnt und erbebte in einem unbestimmten Vorgefühl.
»Sie ist doch Sonntag nicht hier gewesen . . . Frag doch, wie sie den Tag verbracht hat . . . Ich glaube, du bist eifersüchtig, alter Satan.«
»Von denen gibt es genug!« Wassilij winkte geringschätzig ab.
». . . gibt es genug!« äffte Serjoshka ihn nach. »Ach, ihr Tölpel, ihr Bastschuhbauern, ob man euch Honig oder Teer gibt, ihr versteht doch nur Roggenteig daraus zu machen . . .«
»Was lobst du sie dauernd? Willst du um sie werben? Ich habe sie schon längst satt«, spottete Wassilij.
Serjoshka musterte ihn und schwieg eine Weile. Dann legte er die Hand auf Wassilijs Schulter und sagte mit Nachdruck: »Ich weiß, daß sie mit dir lebt. Ich habe dich daran nicht gehindert, es war nicht nötig . . . Aber jetzt schwarwenzelt dieser Jaschka, dein Sohn, um sie herum – prügle ihn grün und blau! Hörst du? Sonst verprügle ich ihn . . . Du bist ein guter Kerl . . ., dumm wie ein Klotz . . . Ich bin dir nicht im Wege gewesen, denke daran . . .«
»Was? Du bist auch hinter ihr her?« fragte Wassilij dumpf.
»›Auch‹! Wenn ich das wüßte, würde ich euch alle nacheinander aus dem Wege räumen, und Schluß . . . Aber so, wohin soll ich mit ihr?«
»Was mischst du dich denn dann ein?« fragte Wassilij argwöhnisch.
Serjoshka schien diese einfache Frage zu überraschen.
Er sah Wassilij mit großen Augen an und fing an zu lachen.
»Was mische ich mich ein? Ja – weiß der Teufel, weshalb. Es ist eben so – sie ist ein Frauenzimmer mit Pfeffer, sie gefällt mir. Aber vielleicht tut sie mir auch leid . . .«
Wassilij sah ihn mißtrauisch an, aber er hatte das Gefühl, daß Serjoshka sprach, wie ihm ums Herz war.
»Wenn sie ein unberührtes Mädchen wäre, dann könnte man meinetwegen mit ihr Mitleid haben. Aber so – ist es etwas verwunderlich!«
Serjoshka schwieg und sah zu, wie die Barkasse weit draußen auf dem Meer einen großen Bogen machte und den Bug der Küste zukehrte. Serjoshkas Blick war offen, der Ausdruck seines Gesichts war schlicht und gut.
Wassilij wurde bei seinem Anblick weicher.
»Darin hast du recht, sie ist ein prächtiges Weib . . . Nur so wetterwendisch! . . . Jaschka? Dem werd ich's geben! Solch ein junger Hund!«
»Er ist nicht nach meinem Geschmack«, erklärte Serjoshka.
»Er sucht sich bei ihr einzuschmeicheln?« fragte Wassilij durch die Zähne und strich sich den Bart.
»Du wirst ja sehen, er will sich zwischen euch drängen«, sagte Serjoshka mit Überzeugung.
In der Ferne flammte über dem Meer der rosige Fächer des Sonnenaufgangs auf. Durch das Rauschen der Wellen klang von der Barkasse der schwache Ruf herüber: »Zi‑iehen!«
»Aufstehen, Jungens! He, ans Netz!« kommandierte Serjoshka.
Und bald darauf zogen sie alle fünf schon ihre Netzseite. Ein langes Seil spannte sich im Wasser straff wie eine Sehne bis zur Küste. Die Fischer hakten ihre Ziehriemen hinein und zogen so ächzend das Seil.
Das andere Ende des Netzes brachte das Ruderboot über die Wellen gleitend zum Ufer.
Prachtvoll, in blendender Helle stieg die Sonne über dem Meer empor.
»Wenn du Jakow siehst, sag ihm, daß er morgen kurz zu mir kommen soll«, bat Wassilij Serjoshka.
»Schön.«
Die Barkasse stieß ans Ufer, die Fischer sprangen auf den Sand und zogen weiter an ihrem Netzende. Beide Gruppen näherten sich allmählich einander, so daß die auf dem Wasser hüpfenden Schwimmklötzchen des Netzes einen Halbkreis bildeten.
Am späten Abend desselben Tages, als die Arbeiter des Betriebes gegessen hatten, saß Malwa müde und in Gedanken versunken auf einem beschädigten umgekippten Boot und sah auf das in Dämmer gehüllte Meer hinaus. In der Ferne blitzte ein Licht; Malwa wußte, daß es das von Wassilij angezündete Feuer war. Einsam und wie verirrt in der Weite des dunklen Meeres flammte das Licht bald hell auf, bald erlosch es, als hätte es keine Kraft. Es stimmte Malwa traurig, nach diesem roten Pünktchen hinzusehen, das verloren in der Öde, im rastlosen Tosen der Wellen leise zitterte.
»Was sitzt du hier?« ertönte Serjoshkas Stimme hinter ihrem Rücken.
»Was kümmert's dich?« fragte sie, ohne ihn anzublicken.
»Es interessiert mich!« Er machte eine Pause, betrachtete sie, während er sich eine Zigarette drehte, sie anzündete und sich rittlings auf das Boot setzte. Dann sagte er freundlich: »Ein wunderliches Frauenzimmer bist du: bald läufst du von allen fort, bald wirfst du dich beinah jedem an den Hals.«
»Habe ich mich dir an den Hals geworfen?« fragte sie gleichgültig.
»Mir nicht, aber Jaschka.«
»Bist du neidisch?«
»Hm . . . Wollen wir gerade und offen miteinander reden?« schlug Serjoshka vor, indem er sie auf die Schulter klopfte. Sie saß seitlich von ihm, und er konnte ihr Gesicht nicht sehen, als sie ihm kurz antwortete:
»Rede!«
»Wie steht's, gibst du Wassilij auf?«
Sie schwieg einen Augenblick. »Ich weiß nicht«, antwortete sie dann. »Aber was geht dich das an?«
»Na – so . . .«
»Ich bin jetzt böse auf ihn.«
»Weshalb?«
»Nicht möglich? Das hätte er getan? Und du? Hast du denn das zugelassen? Oh, oh!«
Serjoshka war erstaunt. Er versuchte von der Seite verstohlen in ihr Gesicht zu sehen und schmatzte spöttisch mit den Lippen.
»Wenn ich gewollt hätte, hätte ich es nicht zugelassen«, entgegnete sie heftig.
»Also was hast du denn?«
»Ich wollte nicht.«
»So heiß liebst du deinen Kater?« spottete Serjoshka und hüllte sie in den Rauch seiner Zigarette. »Das sind ja Sachen! Und ich habe immer gedacht, daß du nicht zu diesen gehörst . . .«
»Keinen von euch liebe ich«, sagte sie jetzt wieder gleichgültig und wehrte mit der Hand den Rauch ab.
»Das ist doch nicht wahr?«
»Warum sollte es nicht wahr sein?« fragte sie, und an ihrer Stimme erkannte Serjoshka, daß ihr wirklich nichts daran lag zu lügen.
»Aber wenn du ihn nicht liebst, wie kannst du ihm dann erlauben, dich zu schlagen?« fragte er ernsthaft.
»Weiß ich's? Warum bist du so aufdringlich?«
»Seltsam!« sagte Serjoshka kopfschüttelnd.
Darauf schwiegen beide lange.
Die Nacht brach herein. Von den Wolken, die sich langsam am Himmel bewegten, legten sich Schatten auf das Meer. Die Wellen tönten.
Das Licht auf der Landzunge bei Wassilij war erloschen, aber Malwa sah immer noch dorthin. Serjoshka dagegen sah sie an.
»Hör zu!« sagte er. »Weißt du überhaupt, was du willst?«
»Wenn ich es nur wüßte!« antwortete Malwa sehr leise mit einem tiefen Seufzer.
»Du weißt es also nicht? Das ist schlimm!« erklärte Serjoshka mit Überzeugung. »Ich weiß das immer!« Und mit einem leisen Unterton von Wehmut fügte er hinzu: »Nur möchte ich selten etwas.«
»Ich möchte immer etwas«, begann Malwa versonnen. »Aber was, weiß ich nicht. Manchmal möchte ich mich in ein Boot setzen und weit, weit aufs Meer hinausfahren. Daß ich niemals mehr Menschen zu sehen bekäme! Und manchmal wieder möchte ich jeden Menschen so lange drehen, daß er wie ein Kreisel um mich herumtanzt. Und ich würde zusehen und lachen. Bald tun mir alle leid, am meisten aber tu ich mir selbst leid, bald möchte ich alles Volk erschlagen. Und nachher mich selbst . . ., einen schrecklichen Tod . . . Einmal ist mir so schwer ums Herz, und ein andermal lustig . . . Die Menschen sind alle wie Klötze.«
»Ein verkommenes Volk«, stimmte Serjoshka bei. »Das ist es eben, ich sehe dich an und merke, du bist weder Katze noch Fisch, aber auch kein Vogel . . ., doch steckt all das in dir drin . . ., du bist nicht wie die andern Weiber.«
»Gott sei Dank«, lachte Malwa.
Hinter einer Dünenreihe links von ihnen erschien der Mond und übergoß das Meer mit silbernem Schimmer. Groß und mild stieg er langsam am blauen Himmelsgewölbe empor, der helle Glanz der Sterne erbleichte und zerschmolz in seinem träumerisch gleichmäßigen Schein.
Malwa lächelte.
»Weißt du, manchmal stelle ich mir vor, wenn man die Baracke in der Nacht ansteckte – das gäbe mal ein Durcheinander!«
»Und was für eins!« rief Serjoshka begeistert.
Plötzlich stieß er sie an die Schulter. »Weißt du was . . . Ich sage dir was, wie wir einen lustigen Streich spielen! Willst du?«
»Nun?« fragte Malwa interessiert.
»Den Jaschka hast du doch wohl – gründlich aufgestachelt?«
»Er ist Feuer und Flamme«, lachte sie.
»Hetz ihn auf den Vater! Bei Gott, das gibt einen Spaß! . . . Wie die Bären werden sie aufeinander losgehen . . . Heiz dem Alten tüchtig ein, und diesem hier auch . . . Und dann lassen wir sie beide aufeinander los . . ., was?«
Malwa drehte sich nach ihm um und sah ihm aufmerksam in das braunrote, fröhlich lachende Gesicht. Im Mondschein sah es weniger bunt aus als am Tage bei Sonnenlicht. Weder Bosheit noch sonst etwas war darin zu bemerken, außer einem gutmütigen, etwas spitzbübischen Lächeln.
»Weshalb magst du sie nicht leiden?« fragte Malwa mißtrauisch.
»Ich? . . . Wassilij ist ganz annehmbar, ein guter Kerl. Aber Jaschka ist ein Lump. Ich kann nun mal die Bauern allesamt nicht leiden . . . Gesindel! Sie stellen sich wie die Waisenkinder, und dabei bekommen sie Brotgetreide und überhaupt alles! . . . Sie haben ihren Semstwo, und der tut alles für sie . . . Sie haben ihre Wirtschaft, Grund und Boden, Vieh . . . Ich habe bei einem Semstwo-Arzt als Kutscher gedient und habe sie mir genau angesehen . . . Nachher bin ich lange umhergestreift. Kam ich in ein Dorf und bat um Brot, schnapp! griffen sie mich. ›Wer bist du? Was suchst du hier? Zeig deinen Paß . . .‹ Wie oft haben sie mich verprügelt . . . Entweder hielten sie mich für einen Pferdedieb oder auch einfach nur so . . . Ins Kittchen haben sie mich gesteckt . . . Sie barmen und stellen sich an, aber sie haben doch zu leben; sie haben doch einen Rückhalt: das Land. Und was bin ich gegen sie?«
»Bist du denn kein Bauer?« unterbrach ihn Malwa, die ihm aufmerksam zugehört hatte.
»Ich bin Kleinbürger!« verriet Serjoshka mit einigem Stolz. »Kleinbürger der Stadt Uglitsch!«
»Und ich stamme aus Pawlisch«, teilte Malwa nachdenklich mit.
»Ich habe niemand, der für mich eintritt! Die Bauern, diese Teufel, die können leben. Sie haben den Semstwo hinter sich und dergleichen.«
»Der Semstwo – was ist das?« fragte Malwa.
»Was? Weiß der Teufel, was das ist. Für die Bauern ist das eingerichtet, ihre Verwaltung. Pfeif drauf . . .! Sprich von der Sache, arrangier einen Zusammenstoß, ja? Weiter wird ja nichts dabei herauskommen, sie werden sich bloß prügeln! Wassilij hat dich doch geschlagen? Na, mag doch sein Sohn ihm die Schläge heimzahlen.«
»Meinst du?« lachte Malwa. »Das wäre gut . . .«
»Überleg doch nur . . ., ist es nicht angenehm zuzusehen, wie die Leute deinetwegen einander die Knochen brechen? Nur, weil du ein paar Worte sagst? . . . Du machst ein – zwei Zungenschläge und fertig!«
Lange schilderte ihr Serjoshka hingerissen, wie reizvoll ihre Rolle wäre. Er spaßte und sprach zugleich im Ernst.
»Ach, wenn ich ein hübsches Weibsbild wäre! Wie würde ich alle Welt aufeinanderhetzen!« rief er zum Schluß, faßte sich mit den Händen an den Kopf, preßte ihn kräftig, kniff die Augen zusammen und sagte nichts mehr.
Der Mond stand schon hoch am Himmel, als sie sich trennten. Ohne sie wurde die Nacht noch schöner. Jetzt waren nur noch das feierliche, vom Mond versilberte grenzenlose Meer da und der sternenübersäte dunkelblaue Himmel. Es waren noch die Dünen mit Weidenbüschen zwischen ihnen und zwei schmutzige lange Gebäude auf dem Sande, die gewaltigen, schlecht zusammengeschlagenen Särgen glichen. Aber dies alles war klein und jämmerlich im Angesicht des Meeres, und die Sterne, die darauf herabschauten, hatten einen kalten Glanz.
Vater und Sohn saßen in der Hütte einander gegenüber und tranken Schnaps. Der Sohn hatte ihn mitgebracht, damit es nicht langweilig werde, und um den Vater zu begütigen. Serjoshka hatte Jakow gesagt, daß sein Vater Malwas wegen auf ihn böse sei und daß er gedroht habe, Malwa halbtot zu schlagen; daß Malwa von dieser Drohung wüßte und deshalb ihm, Jakow, nicht zu Willen sein wolle. Serjoshka machte sich über ihn lustig:
»Heimzahlen wird er dir deine Streiche. Die Ohren zieht er dir einen Arschin lang! Komm ihm lieber nicht unter die Augen!«
Die Spötteleien des unangenehmen rothaarigen Menschen erweckten in Jakow heftige Erbitterung gegen den Vater. Zudem spielte Malwa die Unschlüssige, indem sie ihn bald neckisch, bald betrübt ansah und dadurch den Wunsch, sie zu besitzen, bis zum Schmerz verstärkte . . .
Und so sah Jakow, als er zu seinem Vater kam, diesen als Stein auf seinem Wege an, als Stein, den er weder überspringen noch umgehen konnte. Da Jakow aber vor seinem Vater durchaus keine Furcht empfand, sah er ihm selbstbewußt in seine finsteren, bösen Augen, als wollte er ihm sagen: Versuch nur, mich anzurühren!
Zweimal schon hatten sie ihre Gläser geleert, ohne etwas zu sagen, außer einigen unbedeutenden Worten über das Leben im Betrieb. Aug in Auge inmitten des Meeres häuften sie den Grimm in sich auf, und beide wußten, daß er bald auflodern und sie verbrennen werde.
Die Bastmatten der Hütte raschelten im Wind, die Rindenstücke klapperten, der rote Lappen an der Spitze der Stange plapperte irgend etwas. Alle diese Laute waren zaghaft und klangen wie fernes Geflüster, das unzusammenhängend, unentschlossen um etwas bat.
»Und Serjoshka trinkt immer noch?« fragte Wassilij mürrisch.
»Ja, er ist jeden Abend betrunken«, antwortete der Sohn und goß noch einmal Schnaps ein.
»Er richtet sich zugrunde . . . Das kommt von dem freien Leben ohne . . . Furcht! Und dir wird es ebenso gehen . . .«
Jakow antwortete kurz: »Mir nicht!«
»Nicht?« sagte Wassilij und runzelte die Brauen. »Ich weiß, was ich sage . . . Wie lange lebst du jetzt hier? Über zwei Monate, bald wirst du nach Hause zurück müssen, und nimmst du vielleicht viel Geld mit?« Ärgerlich goß er sich den Schnaps aus der Tasse in den Mund, umfaßte den Bart mit der Hand und zerrte daran so stark, daß sein Kopf hin und her geschüttelt wurde.
»In so kurzer Zeit kann man hier nicht viel verdienen«, antwortete Jakow mit Bedacht.
»Wenn das der Fall ist, brauchst du dich hier nicht herumzutreiben, geh aufs Dorf!«
Jakow sagte nichts und lächelte.
»Was hast du zu grinsen?« rief Wassilij drohend, ergrimmt über die Ruhe seines Sohnes. »Dein Vater redet mit dir, und du lachst! Sieh dich vor, daß du dir nicht zu früh was herausnimmst! Daß ich dich nicht an die Kandare nehme . . .«
Jakow goß sich Schnaps ein und trank ihn aus. Die groben Nörgeleien kränkten ihn, aber er nahm sich zusammen, da er nicht so sprechen mochte, wie er gern wollte, um den Vater nicht in Wut zu versetzen. Er hatte ein wenig Angst vor seinen Augen, die streng und hart funkelten.
Als Wassilij bemerkte, daß sein Sohn allein trank, ohne auch ihm einzuschenken, wurde er noch wütender.
»Dein Vater sagt dir, du sollst nach Hause gehn, und du lachst darüber? Am Sonnabend läßt du dir auszahlen, und marsch ins Dorf zurück! Hörst du?«
»Ich gehe nicht!« sagte Jakow fest und schüttelte halsstarrig den Kopf.
»Was soll das heißen?« brüllte Wassilij und erhob sich, die Hand auf die Tonne gestemmt. »Rede ich mit dir oder nicht? Was hast du Hund deinen Vater anzuknurren? Hast du vergessen, was ich mit dir tun kann? Hast du das vergessen?«
Seine Lippen zitterten, Krämpfe verzerrten sein Gesicht; die beiden Adern an den Schläfen schwollen an.
»Nichts habe ich vergessen«, sagte Jakow halblaut, ohne den Vater anzusehen. »Aber hast du alles behalten? Denk mal nach!«
»Du hast mich nicht zu belehren! Ich schlage dich in Stücke . . .«
Jakow wich der Hand des Vaters aus, die dieser über seinen Kopf erhoben hatte, und erklärte mit zusammengebissenen Zähnen: »Rühr mich nicht an, wir sind hier nicht im Dorf!«
»Schweig! Ich bin überall dein Vater!«
»Hier kannst du mich nicht im Amtsbezirk durchpeitschen, hier gibt es keinen Amtsbezirk«, lachte Jakow geradeheraus dem Vater ins Gesicht und stand ebenfalls langsam auf.
Wassilij, dessen Augen mit Blut unterliefen, reckte den Hals nach vorn, ballte die Fäuste und hauchte dem Sohn seinen heißen Branntweinatem ins Gesicht; Jakow lehnte seinen Oberkörper zurück und verfolgte wachsam und finsteren Blicks jede Bewegung des Vaters, bereit, die Schläge abzuwehren; er war äußerlich ruhig, aber ganz in Schweiß gebadet. Zwischen ihnen stand die Tonne, die ihnen als Tisch gedient hatte.
»Ich kann dich nicht auspeitschen?« fragte Wassilij heiser und krümmte den Rücken wie ein sprungbereiter Kater.
»Hier sind alle gleich . . . Du bist ein Arbeiter, und ich auch.«
»So-o?!«
»Ja, was denkst du dir? Weshalb bist du über mich hergefallen? Glaubst du, ich begreife das nicht? Erst hast du selbst . . .«
Wassilij brüllte auf und holte so schnell mit der Hand aus, daß Jakow nicht rechtzeitig ausweichen konnte. Der Schlag traf ihn am Kopf; er schwankte und fletschte die Zähne gegen das vertierte Gesicht des Vaters, der schon wieder die Hand gehoben hatte.
»Sieh dich vor!« warnte er und ballte die Fäuste.
»Ich werde dir – mich vorsehen!«
»Laß das, sage ich!«
»Ha . . ., du! . . . Du willst den Vater? . . . den Vater? . . . den Vater . . .?«
Es wurde ihnen zu eng, Salzsäcke, die umgeworfene Tonne, der Sitzklotz kamen unter ihren Füßen durcheinander.
Mit den Fäusten die Schläge abwehrend, wich Jakow, bleich und schweißbedeckt, mit zusammengebissenen Zähnen und glühendem Wolfsblick langsam vor dem Vater zurück; dieser drang mit wütend schwingenden Fäusten auf ihn ein, blind in seinem Zorn und plötzlich seltsam zerzaust, wie ein rasender Keiler, dem sich die Borsten sträuben.
»Laß ab . . ., genug . . ., hör auf!« sagte Jakow drohend, aber ruhig, indem er aus der Tür der Hütte ins Freie trat.
Der Vater drang brüllend auf ihn ein, aber seine Schläge trafen nur die Fäuste des Sohnes.
»Siehst du wohl . . ., siehst du wohl . . .«, hänselte ihn Jakow im Bewußtsein seiner größeren Gewandtheit.
»Warte . . ., bleib stehn . . .«
Aber Jakow sprang zur Seite und rannte zum Wasser.
Wassilij stürzte mit geneigtem Kopf und vorgestreckten Armen ihm nach, stolperte aber und fiel vornüber in den Sand. Er erhob sich schnell auf die Knie und hockte sich hin, die Hände auf den Sand gestemmt. Er war von der Balgerei völlig entkräftet und heulte jämmerlich im brennenden Gefühl der ungesühnten Kränkung, im bitteren Bewußtsein seiner Schwäche.
»Sei verflucht!« röchelte er, den Hals nach Jakow hinreckend, und spie den Wutschaum von seinen zitternden Lippen.
Jakow lehnte sich ans Boot und beobachtete den Vater scharf, während er sich mit der Hand den getroffenen Kopf rieb. Der eine Ärmel seines Hemdes war auch zerrissen, die schweißbedeckte weiße Brust glänzte in der Sonne wie mit Fett eingeschmiert. Er empfand jetzt Verachtung für den Vater; er hatte ihn immer für stärker gehalten; als er jetzt den Vater zerzaust und jämmerlich im Sande sitzen und mit den Fäusten drohen sah, lächelte er das nachsichtige kränkende Lächeln des Stärkeren.
»Verflucht seist du von mir in alle Ewigkeit!«
Wassilij hatte den Fluch so laut geschrien, daß Jakow sich unwillkürlich nach dem Meer umsah, als glaubte er, daß man dort im Betrieb den ohnmächtigen Schrei hören könnte.
Aber dort waren nur Wellen und Sonne. Da spie er zur Seite aus und sagte: »Schrei nur! . . . Wen willst du damit ärgern? Nur dich selbst . . ., aber wenn es zwischen uns so weit gekommen ist, dann sage ich dir . . .«
»Schweig! Mir aus den Augen! Fort!« schrie Wassilij.
»Ins Dorf gehe ich nicht . . ., ich bleibe den Winter über hier . . .«, sagte Jakow, während er unablässig die Bewegungen des Vaters verfolgte. »Ich habe es hier besser – das sehe ich doch, ich bin kein Dummkopf. Hier ist es leichter . . ., dort würdest du immer kommandieren, wie es dir einfiele, aber hier – probier es doch!«
Er zeigte dem Vater einen Vogel und lachte, nicht gerade laut, aber so, daß Wassilij von neuem in Wut geriet, auf die Füße sprang, ein Ruder ergriff und auf ihn losstürzte.
»Dem Vater? Dem Vater? Ich schlage dich tot . . .«, schrie er dabei heiser.
Aber als er blind vor Wut das Boot erreichte, war Jakow schon weit fort, er rannte, daß der abgerissene Hemdsärmel im Luftzug hinter ihm flatterte.
Wassilij schleuderte das Ruder nach ihm, aber es erreichte ihn nicht. Den Mann verließen wieder die Kräfte, und er kippte mit der Brust vornüber ins Boot, kratzte mit seinen Nägeln das Holz und sah dem Sohn nach. Der aber schrie ihm von ferne zu: »Du solltest dich schämen! Hast schon graue Haare und wirst eines Weibes wegen so wild . . . Ach, du! Aber ins Dorf gehe ich nicht zurück . . . Geh selbst hin . . . Hier hast du nichts zu suchen . . .«
»Jaschka! Schweig!« brüllte Wassilij, um die Worte des anderen zu übertönen. »Ich schlage dich tot, Jaschka! . . . Hau ab!«
Jakow ging, ohne sich zu beeilen, weiter.
Mit stumpfen, irren Blicken sah der Vater ihn dahingehen. Jetzt wurde er immer kürzer, als ob seine Beine im Sande versänken . . . Er verschwand darin bis zum Gürtel . . ., bis an die Schultern . . ., bis über den Kopf. Er war nicht mehr zu sehen . . . Aber nach einer Minute erschien ein Stück entfernt von der Stelle, wo er verschwunden war, zuerst wieder der Kopf, dann die Schultern, schließlich die ganze Gestalt, winzig geworden. Jetzt drehte er sich um, blickte zurück und rief etwas.
»Sei verflucht! Verflucht! Verflucht!« erwiderte Wassilij auf den Ruf des Sohnes. Jener machte eine geringschätzige Handbewegung und ging weiter . . . und verschwand wieder hinter einer Düne.
Wassilij schaute noch lange in jene Richtung, bis ihm der Rücken von der unbequemen Haltung, in der er halb liegend am Boot lehnte, weh zu tun anfing. Ganz zerschlagen stellte er sich auf die Füße und wankte vor dumpfen Schmerzen in allen Knochen. Der Gürtel war ihm bis unter die Achseln hinaufgerutscht; mit steifen Fingern band er ihn auf, hielt ihn sich unter die Augen und warf ihn in den Sand. Darauf ging er zur Hütte, blieb unterwegs vor der Vertiefung im Sande stehen und dachte daran, daß er hier an dieser Stelle hingefallen war, sonst hätte er den Sohn gepackt. In der Hütte war alles durcheinander geworfen. Wassilij sah sich suchend nach der Branntweinflasche um, fand sie zwischen den Bastsäcken und hob sie auf. Der Pfropfen saß fest im Flaschenhals, der Schnaps war nicht ausgeflossen. Wassilij angelte den Pfropfen langsam heraus, steckte sich den Flaschenhals in den Mund und wollte trinken. Aber das Glas schlug gegen seine Zähne, und der Schnaps floß ihm aus dem Mund über den Bart und die Brust hinunter.
Wassilij brummte der Kopf, das Herz war ihm schwer, der Rücken schmerzte ihm.
»Ich bin doch alt!« sagte er laut und ließ sich am Hütteneingang im Sande nieder.
Vor ihm lag das Meer . . . Die Wellen lachten, lärmend und spielerisch wie immer. Wassilij schaute lange auf das Wasser und erinnerte sich an die gierigen Worte seines Sohnes: »Wenn das alles Land wäre! Und Schwarzerde! Und man könnte es pflügen!«
Ein bitteres Gefühl ergriff ihn. Er rieb sich kräftig die Brust, blickte sich um und seufzte schwer. Der Kopf sank ihm tief herab, und sein Rücken wurde krumm, als hätte sich eine Last daraufgelegt. Erstickungsanfälle schnürten ihm die Kehle zu. Wassilij hustete, sah zum Himmel empor und bekreuzigte sich. Ein schwerer Gedanke bemächtigte sich seiner . . . Dafür, daß er um einer Dirne willen seine Frau verlassen hatte, mit der er in ehrlicher Arbeit mehr als anderthalb Jahrzehnte zusammen gelebt hatte, dafür strafte Gott ihn jetzt mit der Auflehnung seines Sohnes. Ja, mein Gott, so ist es!
Sein Sohn hatte ihn beschimpft, seinem Herzen weh getan. Totgeschlagen müßte er mindestens werden dafür, daß er die Seele seines Vaters so gequält hatte. Und weshalb? Wegen eines gemeinen Frauenzimmers, das ein anstößiges Leben führte! . . . Es war eine Sünde, daß er als älterer Mann sich mit ihr eingelassen und seine Frau und seinen Sohn vergessen hatte . . .
Und nun hatte der Herr in seinem heiligen Zorn ihn gemahnt, er hatte durch den Sohn ihn ins Herz treffen lassen mit seiner gerechten Strafe . . . Ja, mein Gott, so war es!
Wassilij saß zusammengekrümmt da, bekreuzigte sich und blinzelte häufig, um mit den Wimpern die Tränen zu vertreiben, die ihn blind machten.
Die Sonne sank ins Meer. Leise erlosch am Himmel die purpurne Abendröte. Aus der lautlosen Ferne blies ein warmer Wind in das tränennasse Gesicht des Mannes. In Reuegedanken vertieft saß er da, bis er schließlich einschlief.
Einen Tag nach dem Streit mit seinem Vater fuhr Jakow mit einer Abteilung Arbeiter auf einer Barke im Schlepp eines Dampfers dreißig Werst weit zum Störfang. Nach fünf Tagen kam er allein im Segelboot zum Betrieb zurück, Proviant zu holen. Er kam um die Mittagszeit, als die Arbeiter nach dem Essen ausruhten. Es war unerträglich heiß, der glühende Sand brannte an den Füßen, die Schuppen und Fischgräten stachen. Jakow schritt vorsichtig auf die Baracken zu und fluchte im stillen, daß er keine Stiefel angezogen hatte. Zum Boot zurückzukehren, war er zu faul, außerdem hatte er es eilig, etwas zu essen und Malwa wiederzusehen. Während der langweiligen Zeit auf dem Wasser hatte er oft an sie gedacht. Jetzt wollte er erfahren, ob sie seinen Vater gesehn und was er ihr gesagt hatte . . . Vielleicht hatte er sie verprügelt? Das könnte nichts schaden, sie würde dann zahmer werden! Denn sie war doch wirklich schon zu herausfordernd und keck . . .
Das Werk lag still und verlassen. Die Fenster der Baracken waren geöffnet, und diese großen Holzkästen schienen vor Hitze ebenfalls zu vergehen. Im Büro des Verwalters, das zwischen den Baracken versteckt lag, schrie ein Kind. Hinter einem Fässerhaufen waren leise Stimmen zu hören.
Jakow ging kühn darauf zu: er glaubte Malwa sprechen zu hören. Als er aber herangekommen war und einen Blick hinter die Tonnen geworfen hatte, trat er zurück und blieb mit finsterem Gesicht stehen.
Im Schatten der Tonnen lag, die Arme unter dem Kopf, der rote Serjoshka auf dem Rücken. Auf der einen Seite saß der Vater, auf der anderen Malwa neben ihm.
Jakow dachte: Weshalb ist der Vater hier? Er wird sich doch nicht von seinem ruhigen Posten hierher haben versetzen lassen, um Malwa näher zu sein und mich nicht an sie heranzulassen? Teufel auch! Wenn die Mutter von all diesem Treiben wüßte! . . . Soll ich hingehen oder nicht?
»So!« sagte Serjoshka, »also du willst fort? Nun, meinetwegen! Geh und buddle in der Erde . . .«
Jakow zwinkerte erfreut.
»Ja, ich gehe«, sagte der Vater.
Da trat Jakow forsch vor und grüßte: »Guten Tag, ehrenwerte Herrschaft!«
Der Vater sah ihn flüchtig an und wandte sich ab, Malwa zuckte mit keiner Wimper, Serjoshka aber zappelte mit dem Fuß und sagte mit tiefer Stimme: »Da ist aus fernen Landen unser geliebter Sohn Jaschka zurückgekehrt!« und fügte in gewöhnlichem Ton hinzu: »Zieht ihm wie einem Hammel das Fell über die Ohren zu einer Trommel . . .«
Malwa lachte leise.
»Heiß!« sagte Jakow und setzte sich. Wassilij aber warf erneut einen Blick auf ihn.
»Ich habe schon auf dich gewartet, Jakow«, begann er.
Seine Stimme erschien Jakow leiser als sonst, und auch sein Gesicht sah anders aus.
»Ich muß Proviant holen . . .«, erzählte er und bat Serjoshka um Tabak für eine Zigarette.
»Du bekommst von mir keinen Tabak, Dummkopf«, sagte Serjoshka und rührte sich nicht.
»Ich geh nach Hause, Jakow«, sagte Wassilij nachdrücklich, während er mit einem Finger im Sand bohrte.
»Wie, so plötzlich?« Der Sohn sah ihn unschuldig an.
»Nun und du . . ., willst du hierbleiben?«
»Ja, ich bleibe hier . . . Was sollen wir beide zu Hause?«
»Nun, ich sage nichts dazu . . . Wie du willst . . . Du bist kein Kind mehr! Aber denke daran, daß ich es nicht mehr lange machen werde. Am Leben bleiben werde ich ja vielleicht, aber wie ich arbeiten soll, das weiß ich noch nicht . . . Ich bin die Landarbeit nicht mehr gewohnt, glaub ich . . . Denk daran, daß deine Mutter noch da ist.«
Das Sprechen fiel ihm wohl schwer: es war, als blieben ihm die Worte zwischen den Zähnen stecken. Er strich sich den Bart, seine Hand zitterte.
Malwa sah ihn unverwandt an. Serjoshka hatte das eine Auge zugekniffen, das andere weit aufgerissen und starrte Jakow ins Gesicht. Jakow war hocherfreut, aber aus Furcht sich zu verraten, schwieg er und sah auf seine Füße nieder.
»Vergiß die Mutter nicht . . . Denk daran, du bist der einzige. Sie hat nur dich«, redete Wassilij.
»Wozu das?« sagte Jakow zusammenzuckend. »Ich weiß.«
»Schön, wenn du es weißt!« sagte der Vater und sah ihn mißtrauisch an. »Ich sage nur, vergiß sie nicht, sage ich.«
Wassilij holte einmal tief Luft. Einige Minuten schwiegen alle vier. Dann sagte Malwa: »Es wird bald wieder zur Arbeit läuten . . .«
»Nun, ich gehe!« erklärte Wassilij und stand auf. Die anderen erhoben sich ebenfalls.
»Leb wohl, Sergej . . . Wenn du zufällig mal an die Wolga kommst, vielleicht besuchst du mich? . . . Im Dorf Maslo, Kreis Simbirsk, Amtsbezirk Nikolo-Lykowskij . . .«
»Gut«, sagte Serjoshka, ihm die Hand schüttelnd, und während er sie in seiner muskulösen, mit rotem Haarwuchs bedeckten Tatze hielt, warf er einen lächelnden Blick in Wassilijs bekümmertes, ernstes Gesicht.
»Lykowo-Nikolskoje ist ein großes Dorf . . ., es ist weit und breit bekannt, und wir sind vier Werst von da ab«, erläuterte Wassilij.
»Schon gut . . ., ich besuche dich mal – wenn es sich trifft . . .«
»Leb wohl!«
»Leb wohl, du lieber Kerl!«
»Leb wohl, Malwa!« sagte Wassilij dumpf, ohne sie anzusehen.
Sie wischte sich ohne Hast die Lippen mit dem Ärmel ab, legte ihre weißen Arme auf seine Schultern und küßte ihn schweigend und ernst dreimal auf Wangen und Mund.
Er wurde verlegen und brummte etwas Unverständliches. Jakow senkte den Kopf, um sein spöttisches Lächeln zu verbergen. Serjoshka sah gen Himmel und gähnte leise.
»Du wirst es heiß haben beim Gehen«, sagte er.
»Das macht nichts . . . Nun leb wohl, Jakow!«
»Leb wohl!«
Sie standen einander gegenüber und wußten nicht, was sie tun sollten. Das traurige Leb wohl!, das in diesen Augenblicken so häufig und einförmig ertönt war, weckte in Jakows Herzen eine warme Empfindung für den Vater; aber er wußte nicht, wie er sie ausdrücken sollte: ob er den Vater umarmen sollte, wie Malwa es getan, oder ihm die Hand drücken wie Serjoshka. Wassilij kränkte die Unschlüssigkeit, die sich in des Sohnes Haltung und Gesicht ausdrückte, und außerdem empfand er etwas wie Scham vor Jakow. Dieses Gefühl war durch die Erinnerung an die Szene auf der Landzunge und durch Malwas Küsse in ihm geweckt worden.
»Also denk an deine Mutter«, sagte Wassilij schließlich.
»Ja, schon gut!« rief Jakow und lächelte warm. »Sei unbesorgt, ich werde schon!« Und er nickte.
»Na . . ., das wäre alles! Laßt es euch gut gehen, der Herr stehe euch bei . . ., behaltet mich in gutem Andenken . . . Also den Kochtopf habe ich im Sand unter dem Heck am grünen Boot eingescharrt, Serjoshka!«
»Wozu braucht er den Kochtopf?« fragte Jakow schnell.
»Er bekommt meine Stelle . . . dort auf der Landzunge!« erklärte Wassilij.
Jakow sah Serjoshka an, warf einen Blick auf Malwa und senkte den Kopf, um den frohen Glanz in seinen Augen zu verbergen.
»Also lebt wohl, Freunde . . ., ich gehe!«
Wassilij verbeugte sich vor ihnen und ging. Malwa folgte ihm.
»Ich begleite dich ein Stückchen . . .«
Serjoshka legte sich in den Sand und packte Jakow, der gerade Malwa nach wollte, am Bein.
»Halt! Wohin?«
»Warte! . . . Laß mich!« Damit wollte Jakow sich losreißen. Aber Serjoshka ergriff auch sein anderes Bein.
»Bleib bei mir sitzen . . .«
»Nu-un! Was machst du für Unsinn?«
»Ich mache keinen Unsinn, setz dich nur!«
Jakow setzte sich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Was willst du von mir?«
»Warte! Sei mal still, ich denke nach und sag es dir dann . . .«
Er sah den Burschen mit seinen frechen Augen drohend von oben bis unten an, und Jakow fügte sich ihm.
Malwa und Wassilij gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander. Sie sah zuweilen von der Seite sein Gesicht an, und ihre Augen funkelten eigenartig. Wassilij hatte die Stirn finster in Falten gezogen und schwieg. Ihre Füße versanken im Sand, sie kamen nur langsam vorwärts.
»Wasja!«
»Was?«
Er sah sie an und wandte sich sofort ab.
»Weißt du, ich habe dich absichtlich mit Jakow verzankt. Ihr hättet auch ohne Zank hier leben können«, sagte sie ruhig und gelassen.
»Warum hast du denn das getan?« fragte Wassilij nach einer kleinen Weile.
»Ich weiß nicht – nur so!« Sie zuckte lachend die Achseln.
»Da hast du was Schönes angerichtet! Ach du!« sagte er vorwurfsvoll in bösem Ton.
Sie antwortete nicht.
»Du verdirbst mir den Burschen, gänzlich verdirbst du ihn mir. Oh, eine Hexe bist du, eine wahrhaftige Hexe . . . Du fürchtest nicht einmal Gott. Du hast keine Scham . . . Was tust du?«
»Was muß man denn tun?« fragte sie ihn. Halb Unruhe, halb Ärger klangen aus ihrer Frage.
»Was? Ach du!« rief Wassilij, in heftiger Wut gegen sie aufbrausend. Er hätte sie leidenschaftlich gern geschlagen, sie zu Boden geworfen und in den Sand getrampelt, mit den Stiefeln ihre Brust und ihr Gesicht getroffen. Er ballte die Faust und sah sich um.
Dort bei den Fässern sah er Jakow und Serjoshka sitzen, und ihre Gesichter waren ihm zugekehrt.
»Geh weg, geh! Ich möchte dich in Stücke schlagen . . .«
Fast flüsternd warf er ihr Schimpfworte ins Gesicht. Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Bart zitterte, und seine Hände streckten sich unwillkürlich nach ihren Haaren, die unter dem Kopftuch hervorquollen.
Sie aber sah ihn mit ihren grünen Augen ruhig an.
»Totschlagen müßte ich dich, du Straßendirne! Warte nur . . .! Du kommst auch noch mal dran! Dir werden sie noch den Schädel einschlagen!«
Sie lächelte, schwieg eine Weile, holte dann tief Luft und sagte kurz: »Genug! . . . Leb wohl!«
Damit wandte sie sich jäh um und ging zurück.
Wassilij knurrte noch etwas hinter ihr her und knirschte mit den Zähnen. Malwa aber bemühte sich, beim Gehen in Wassilijs tiefe Fußtapfen im Sand zu treten und verwischte mit ihrem Fuß jedesmal sorgfältig hinter sich die Spur. So ging sie langsam bis zu den Fässern, wo Serjoshka sie mit der Frage empfing: »Na, hast du ihn verabschiedet?«
Sie nickte und setzte sich neben ihn. Jakow sah sie an und lächelte zärtlich; dabei bewegte er seine Lippen, als flüsterte er etwas, das nur er hörte.
»Nun, hast du ihn verabschiedet, ist dir weh ums Herz?« fragte Serjoshka noch einmal mit den Worten eines Liedes.
»Wann gehst du dorthin nach der Landzunge?« fragte sie dagegen und wies mit dem Kopf zum Meer hin.
»Heute abend.«
»Ich komme mit . . .«
»Großartig! . . . So was gefällt mir!«
»Ich komme auch!« erklärte Jakow entschlossen.
»Wer hat dich gebeten?« fragte Serjoshka mit zusammengekniffenen Augen.
Da ertönte der zitternde Klang einer gesprungenen Glocke, das Zeichen für den Arbeitsbeginn. Die Glockenschläge tönten schnell hintereinander und erstarben im fröhlichen Rauschen der Wellen.
»Sie wird mich bitten!« sagte Jakow und sah Malwa herausfordernd an.
»Ich? Wozu brauche ich dich?« wunderte sie sich.
»Wir wollen offen reden, Jaschka . . .«, sagte Sergej hart und stand auf. »Wenn du ihr nachstellst, schlage ich dich kurz und klein! Und rührst du sie mit einem Finger an, schlage ich dich wie eine Fliege tot. Ich haue dir über den Schädel – und du bist gewesen! Bei mir geht das ganz einfach!«
Sein Gesicht, seine ganze Gestalt und die nervigen Hände, die nach Jakows Kehle strebten, gaben deutlich zu verstehen, wie einfach das alles für ihn sei.
Jakow trat einen Schritt zurück und sagte gepreßt: »Aber sie hat doch selbst . . .«
»Kusch, und die Sache ist erledigt! Was bist du denn? Du Hund bekommst keinen Hammel zu essen; sei dankbar, wenn du die Knochen abnagen darfst. Nun? Was machst du noch für Glotzaugen?«
Jakow warf einen Blick auf Malwa. Ihre grünen Augen lachten ihm beleidigend und demütigend ins Gesicht, und sie schmiegte sich so zärtlich mit der Hüfte an Serjoshka, daß Jakow der Schweiß ausbrach.
Sie gingen Seite an Seite fort, und als sie ein Stück weg waren, brachen beide in lautes Lachen aus, Jakow drückte den rechten Fuß fest in den Sand und blieb wie erstarrt in dieser angespannten Haltung stehen.
In der Ferne bewegte sich eine kleine dunkle menschliche Gestalt über die kahlen gelben Dünenwellen. Rechts von ihr glänzte das heitere gewaltige Meer in der Sonne, und links dehnte sich bis an den Horizont die einförmige, trostlose Sandwüste . . . Jakow betrachtete den einsamen Menschen, blinzelte verlegen und gekränkt und rieb sich mit beiden Händen kräftig die Brust.
Im Werk wurde flott gearbeitet.
Jakow hörte Malwa mit ihrer klangvollen, tiefen Stimme laut rufen: »Wer hat mein Messer genommen?«
Die Wellen rauschten, die Sonne strahlte, das Meer lachte . . .