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Wikentjew hielt Wort. Am nächsten Tage brachte er seine Mutter zu Tatjana Markowna, schob sie durch die Tür des Empfangszimmers und machte sich selbst aus dem Staube. Er wußte nicht, was werden würde, und saß wie auf Nadeln in der Gutskanzlei.
Seine Mutter, eine noch jugendlich aussehende Vierzigerin, hatte dasselbe lebhafte und muntere Wesen wie der Sohn, doch paarte sich damit ein gut Teil praktischer Klugheit. Zwischen ihr und dem Sohn fanden ständig komische Wortkämpfe statt. Sie zankten sich auf Schritt und Tritt, um jede Kleinigkeit, und zwar eben nur um Kleinigkeiten. Sobald es sich um wichtige Dinge handelte, änderte sie im Moment Ton und Blick und brachte ihre Autorität zur Geltung, und wenn er auch anfangs protestierte, so gab er doch schließlich, wenn er einsah, daß sie recht hatte, klein bei.
Anscheinend in ewiger Fehde lebend, harmonierten sie in Wirklichkeit doch ausgezeichnet miteinander.
»Zieh das an!« sagte beispielsweise Marja Jegorowna.
»Nein – ich nehme lieber jenes«, widersprach er.
»Besuch doch einmal Michail Andrejitsch!«
»Ich bitte Sie, Mama, der Mensch ist doch so langweilig!« antwortete er.
»Unsinn, du wirst doch hinfahren.«
»Nein, Mama, um keinen Preis, und wenn Sie mich totschlagen.«
»Wirst du wohl gehorchen, Nikolka?«
»Jederzeit, Mama, nur diesmal nicht!«
Legte sie aber wirklich Wert darauf, daß er hinfuhr, dann tat er es eben doch, wenn auch unter allerhand Protestversuchen, die ihr noch im Ohr klangen, wenn sie ihn längst aus den Augen verloren hatte.
Vom frühen Morgen bis zum späten Abend währte dieser ewige Streit und Zank zwischen ihnen, den nur ab und zu eine laute Lachsalve unterbrach. Waren sie jedoch einmal gar zu einig und friedlich, dann verhielten sie sich mäuschenstill, bis eins von ihnen das Schweigen durch irgendeine Bemerkung unterbrach, die auf der andern Seite unbedingt Widerspruch erregen mußte, und der Streit begann von vorn.
Wikentjews Liebe zu seiner Mutter äußerte sich in derselben stürmischen, fast ekstatischen Weise. Wollte er zärtlich sein, überfiel er sie, legte seine Arme fest um ihren Hals und preßte heiße Küsse auf ihre Wangen. Es gab dann buchstäblich einen Ringkampf zwischen ihnen. Sie packte ihn bei den Ohren und zog kräftig daran, kniff ihn in die Wangen, stieß ihn zurück und rief schließlich die breithüftige, über ein Paar kräftige Fäuste verfügende Haushälterin Mawra herbei, damit sie ihr den »jungen Wolf« vom Halse schaffe.
Nach der Unterredung mit Marfinka war Wikentjew noch in derselben Nacht über die Wolga gefahren, war in das Zimmer der Mutter gestürzt und hatte sie nach seiner Art unter leidenschaftlichen Küssen umarmt. Als sie ihn mit Aufbietung ihrer ganzen Kraft zurückstieß, kniete er vor ihr nieder und begann in feierlichem Ton:
»Schlag mich, Mutter, doch höre mich an! Der entscheidende Augenblick meines Lebens ist gekommen! Ich ...«
»... bin verrückt geworden!« ergänzte sie seine Worte. »Woher kommst du – und in welchem Zustand bist du? Als hättest du dich irgendwo von der Kette losgerissen! Wie darfst du hier so hereinstürmen? Mich so erschrecken, das ganze Haus rebellisch machen! Was ist denn mit dir?« fragte sie, ihn erstaunt vom Scheitel bis zu den Sohlen betrachtend und ihr zerzaustes Haar ordnend.
»Errätst du es nicht, Mutter?« fragte er, nicht ohne im stillen zu fürchten, daß seinen Wünschen noch irgendwelche unbekannte Hindernisse in den Weg treten könnten.
»Du hast wohl irgendeinen dummen Streich gemacht und sollst eingesperrt werden?« fragte sie und sah ihm forschend in die Augen.
Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Vorbeigeraten!« sagte er mit schelmischem Lächeln.
»Nun, dann sag's doch!«
»Gut, ich will es sagen – aber du darfst keine Einwendungen machen!«
Sie sah ihn nicht ohne Furcht und Bestürzung an und suchte noch immer aus seiner Miene die Wahrheit zu erraten.
»Hast du Schulden gemacht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Willst du etwa wieder zu den Husaren gehen?«
»Nein, nein!«
»Woher soll ich's wissen, was für eine Tollheit du wieder begangen hast? Von dir kann man alles erwarten! Sag also – was ist es?«
»Wirst du auch nichts einzuwenden haben?«
»Sicher werde ich das, denn es ist jedenfalls eine Dummheit, die du gemacht hast. Nun rede also!«
»Ich will heiraten!« sagte er kaum hörbar.
»Was?« fragte sie in einem Ton, als habe sie sich verhört.
»Ich will heiraten!« wiederholte er.
Sie warf ihm einen raschen Blick zu.
»Mawra! Anton! Iwan! Kusjma!« schrie sie dann laut. »Kommt alle rasch hierher, ganz rasch!«
Mawra war die einzige, die dem Ruf Folge leistete.
»Ruf alle Leute zusammen! Nikolai Andrejitsch ist verrückt geworden!«
»Gott steh ihm bei! Ach, wie haben Sie mich erschreckt!« sagte Mawra, mit den Händen in der Luft fuchtelnd.
Wikentjew winkte Mawra, sie möchte sich entfernen.
»Ich scherze durchaus nicht, Mutter!« sagte er, ihre Hand ergreifend, als sie sich erhob.
»Geh fort, rühr mich nicht an!« fiel sie ihm zornig ins Wort und begann erregt im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Ich scherze nicht!« wiederholte er bestimmt. »Morgen muß es entschieden sein. Wie denkst du also darüber?«
»Einsperren laß ich dich ... du weißt, wo!« flüsterte sie sichtlich besorgt.
Er sprang auf, und eins der stürmischsten Wortgefechte entspann sich zwischen ihnen. Bis tief in die Nacht hinein hörten die Leute sie leidenschaftlich streiten, schreien, ja, fast kreischen; dazwischen lachten sie, oder er sprang umher, und dann küßten sie sich, und sie schrie wieder zornig auf, und er gab ihr lustig Antwort – und schließlich trat Grabesschweigen ein, ein Zeichen, daß die vollkommene Harmonie wiederhergestellt war.
Wikentjew hatte offenbar den Sieg errungen – einen Sieg, der übrigens schon vorbereitet war. Als Marfinka und Wikentjew sich über ihre Gefühle noch im unklaren waren, hatten die Großtante und Marja Jegorowna längst begriffen, wozu das führen würde, doch hatten sie weder unter sich noch den jungen Leuten gegenüber auch nur ein Sterbenswörtchen geäußert. Nur ganz für sich, in aller Stille, hatte jede von beiden sich die Sache überlegt und genau erwogen, um schließlich zu dem Resultat zu kommen, daß das eine geeignete Partie wäre. Aber wie einmal die Beziehungen Marja Jegorownas zu ihrem Sohn beschaffen waren, war vorauszusehen, daß er ihre Einwilligung nicht ohne einen heißen, leidenschaftlichen Kampf erhalten würde.
»Es kommt noch darauf an, was Tatjana Markowna sagen wird!« meinte Marja Jegorowna, immer noch gereizt, als ob sie nur wider Willen nachgäbe. Sie saßen bereits im Wagen zur Fahrt nach der Stadt. »Wenn sie deinen Antrag ablehnt, verzeih ich dir die Schande nie! Hörst du?«
»Mach dir keine Sorgen, sie liebt mich mehr als meine leibliche Mutter.«
»Ich liebe dich überhaupt nicht, du wilder Bursche, laß mich in Ruhe!« rief sie aus und sah ihn böse von der Seite an.
Er streckte seine Hand nach ihrem Hals aus, um sie an sich zu ziehen und zu umarmen, sie drohte ihm jedoch mit dem Sonnenschirm.
»Wage es nur! Wenn du mir den Hut zerdrückst, fahre ich nicht hin!« fügte sie hinzu.
Bei dieser Drohung ließ er von ihr ab.
»Auch noch! Heiraten – in so jungen Jahren!« brummte sie.
Er hörte gar nicht hin, sondern stieg vom Wagen aus auf den Bock, nahm dem Kutscher die Zügel aus der Hand und ließ die Pferde ausgreifen, was das Zeug hielt.