Johann Wolfgang von Goethe
Naturwissenschaftliche Schriften 1792 - 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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Von den achromatischen Gläsern

Wie nämlich Refraktion zu erhalten, die Farbenerscheinung aber aufzuheben sei.

 
1.

Betrachte ich durch ein Prisma a einen Gegenstand ganz nahe, so daß das Prisma auf dem Gegenstande aufliegt, so ist er farblos. 365

Zeichnung: Goethe

 
2.

Rücke ich mit dem Prisma hinweg, so erscheinen die Ränder g[elb] und b[lau], g[elbrot] und b[lau]r[ot].

 
3.

Diese werden immer breiter, und zwar dergestalt, daß das Gelbe stark ins Weiße herab, das Blaue wenig ins Weiße hinauf, das Gelbrote wenig ins Schwarze hinauf, das Violette stark ins Schwarze herunterstrahlt.

 
4.

Bei weiterer Entfernung kreuzt sich das Gelbe und Blaue, das Weiße wird zugedeckt und es entsteht das Grüne.

 
5.

Bei noch weiterer Entfernung vermischen sich die blau und gelbe Farben völlig und man sieht das Gelbrote durch das Grün vom Blauroten getrennt. Dieses ist das Maximum der Farbenerscheinung:

 
6.

Diese Farbenerscheinung in allen ihren Graden ist zusammengesetzt:

  1. Aus der Breite des weißen Bildes.
  2. Aus der Masse des Glases, die hier durch Winkel bestimmt wird.
  3. Aus der Entfernung des Prismas vom Gegenstand.
  4. Aus einer besondern farbenverbreiternden Eigenschaft des Glases, die von der Refraktion unabhängig ist.

 
7.

Diese letzte Eigenschaft hat, sobald sie entdeckt war, die Verbesserung der Fernröhre sogleich möglich gemacht. Sie muß, wenn man die Refraktions-Kraft des Glases auch 366 schon kennt, noch durch besondere Versuche ausgefunden werden.

 
8.

Man kann also sagen

  1. Je schmäler das Bild ist, desto geringer braucht der Winkel, die Entfernung, die farbenverbreitende Kraft sein.
  2. Je stärker der Winkel des Prismas ist, desto geringer kann die Entfernung, die farbenverbreitende Kraft und desto breiter das weiße Bild sein und so
  3. Je größer die Entfernung
  4. Je größer die farbenverbreitende Kraft pp.

 
9.

Es ist bekannt, daß die Prismen in umgekehrter Stellung die Farbenerscheinung umgekehrt zeigen. Es ist bekannt, daß zwei Prismen aneinandergelegt, das weiße Bild farblos zeigen.

Aus diesem und dem obigen folgt, daß ein Auge, das durch das Prisma a und b nach dem Gegenstande m sähe, den Gegenstand gefärbt und zwar nach dem Gesetze des Prismas a sehen müßte, weil es dem widersprechenden Prisma b an Winkeln gleich, an Entfernung aber um die Hälfte überlegen ist.

Zeichnung: Goethe

Das Prisma a würde also die Farbenerscheinung in m sehen nach der Ordnung wie vorher, nur – der Kraft des Prismas b verbunden mit der Entfernung b m.

 
10.
Versuch

Man setze statt des gleichen Prismas b ein doppeltes A in die Hälfte, so wird das Bild m farblos erscheinen. Daraus folgt: daß größre Winkel über der Hälfte dem Gegenstande näher, 367 der unter der Hälfte weitergerückt werden müsse, wenn das Auge, das durch beide Prismen sieht, den Gegenstand farblos sehen soll.

Zeichnung: Goethe

 
11.

Es fragt sich noch, ob die Entfernungen zu den Winkeln der Prismen oder zu den Sinus dieser Winkel ihr Verhältnis haben, welches durch Versuche ausgemacht werden muß.

 
12.

Man sieht nun leicht, daß man zu dem widersprechenden Prisma A eine Glasart nehmen könne, die stärker an farbenverbreiternder Energie ist, und daß man alsdann die Winkel kleiner als das Doppelte von a zu machen habe.

 
13.

Ferner, daß man Prismen von dergestalt stärker energischen Gläsern nach allerlei Entfernungen vom Prisma a stellen und daß dadurch immer der Gegenstand m farblos erscheinen müsse.

 
14.

Es ist mir nicht bekannt, daß man bei den bisherigen Versuchen mit den verschiednen Glasarten auch die Entfernung in Betracht gezogen. Aus dem vorigen scheint zu folgen, daß: wenn man einmal ein achromatisches Objektivglas nach dollondischer Art gefertiget hat, man die Okulare auch aus verschiednen Glasarten schleifen und nach berechneten Entfernungen dergestalt anbringen könne, daß das Sehrohr auch von seiten der Okulare nicht die mindesten Farbenerscheinungen erdulden dürfe. 368

 


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