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Achtunddreißigstes Kapitel.
Viele Einzelheiten und eine Heirat

Endlich, nachdem der Doktor schon mehrere Tage lang versichert hatte, der Gast könne jeden Augenblick eintreffen, erschien – niemand anders als der Pater Alexius.

Der Doktor hatte ihm einen sehr ausführlichen Brief geschrieben, und der gute Prior hatte ohne Zögern die weite Reise unternommen. Die beiden jungen Mädchen freuten sich sehr über sein Kommen und begrüßten ihn aufs herzlichste. Romanowna besonders war sehr glücklich, als sie Pater Alexius erblickte, weil sie inne wurde, wie Doktor Dimsdale ihrer Bitte in so gütiger Weise entsprochen hatte; sie sprach, als sie einmal mit dem Prior allein war, sogleich über ihren Wunsch.

»O, Vater Alexius,« sagte sie, »wie freue ich mich, daß Sie gekommen sind, denn Herr und Frau Dimsdale drangen in mich, mit ihnen zu gehen und suchten mich zu überzeugen, daß ich nicht gut thue, auf meinem Entschluß zu beharren, mein Leben fortan nur Gott zu weihen.«

»Hat Ihnen Herr Doktor Dimsdale abgeraten, Ihr Leben Gott zu weihen?« fragte Pater Alexius erstaunt.

»Ja, mein Vater,« sagte Romanowna, »der Doktor wollte mich von meinem Vorhaben, in ein Kloster zu gehen, abbringen.«

»Ah so,« sagte der Prior mit einem unmerklichen Lächeln in seinem strengen Gesicht, »aber, meine Tochter, warum wolltest du denn in ein Kloster gehen?«

»Um für alle Sünden zu büßen, die mein Vater und ich begangen haben,« sagte Romanowna niedergeschlagen, »und mich selbst zu heiligen durch gottesfürchtige Gedanken und Gebet.«

»Ah so,« sagte der Prior für sich und fragte dann ruhig: »Und was soll der Nutzen von alledem sein?«

Romanowna schlug die Augen überrascht auf und fragte dann leise: »Verstehe ich Sie recht, mein Vater? fragen Sie mich wirklich nach dem Nutzen eines gottgeweihten Lebens?«

»Ja,« sagte Pater Alexius, »Sie staunen über die Frage, und vor vielen Jahren, als ich noch in Ihrem Alter war, würde ich mich auch verwundert haben, wenn mich jemand so gefragt hätte; aber die Erfahrung langer Jahre hat mir manches in einem anderen Lichte gezeigt, und besonders über das Klosterleben habe ich ganz andere Ansichten bekommen.«

»Hat Herr Doktor Dimsdale Sie gebeten, mir von meinem Vorhaben abzuraten?« fragte Romanowna unüberlegt schnell.

»Die Frage würde mich beleidigen und betrüben,« sagte Pater Alexius bedächtig, »wenn ich sie nicht Ihrem Schmerz und Ihrem durch die Krankheit geschwächten Denkvermögen zuschreiben müßte; denn niemand wird mich vermögen, gegen meine feste und innige Überzeugung zu sprechen.«

Romanowna fühlte sehr wohl das Unpassende ihrer Frage und bat sogleich um Verzeihung, die ihr gern gewährt wurde; aber das Gespräch wurde für diesmal abgebrochen, und wieviel Mühe sich das junge Mädchen auch gab, den Prior wieder zu sprechen, es glückte ihr nicht, Pater Alexius verließ bald das Zimmer und vermied jede weitere Annäherung.

»Soll ich dir etwas sagen, was dich in Erstaunen setzen wird, Milna?« fragte Romanowna.

»Was denn?« fragte Milna.

»Pater Alexius hat mir erklärt, daß er mir vom Klosterleben abrate,« sagte Romanowna.

»Und du stimmtest nicht mit ihm überein?« fragte Milna.

»Ich?« wiederholte Romanowna verwundert, »nein, und du doch gewiß auch nicht, denn wie oft haben wir doch darüber gesprochen?«

»Ja,« sagte Milna, »aber ich will nicht leugnen, daß meine Ideen in Bezug darauf sich sehr geändert haben durch meine Gespräche mit Doktor Dimsdale.«

»Meine Ansichten ändern sich nicht so rasch,« sagte Romanowna etwas enttäuscht.

»Was meinst du, wer mehr Gutes thut?« fragte Milna, »jemand, der wie Doktor Dimsdale in der Welt lebt und sich seinen Mitmenschen nützlich macht, oder ein Mönch, der von der Welt abgeschlossen im Kloster seufzt und betet und Gott dient, wie man zu sagen pflegt.«

»Wie man zu sagen pflegt?« wiederholte Romanowna, »Milna, welche ketzerischen Gefühle sind bei dir in der letzten Zeit entstanden?«

»Beantworte mir doch erst meine Frage,« sagte Milna. »Meinst du, Doktor Dimsdale würde besser daran thun, in ein Kloster zu gehen, um zu knieen, zu beten und zu seufzen?«

»O, Milna, wie leid thut es mir, daß du so sonderbare Ideen hast,« sagte Romanowna traurig und brach das Gespräch ab. Sie schloß sich den übrigen Teil des Tages in ihr Zimmer ein und ging am Abend frühzeitig zu Bett; aber sie konnte den gesuchten Schlaf nicht finden, weil ihr Kopf zu voll von alledem war, was sie gehört hatte. »Wie leid thut es mir,« sagte sie, »daß ich Pater Alexius heute morgen so unterbrochen habe, ich hätte so gern noch länger über meine eigene Angelegenheit mit ihm gesprochen und ihn um Rat gefragt.«

Während sie so über sich und Milna und deren veränderte Ansichten nachdachte, wurde es ihr plötzlich im Bett zu enge; sie sprang heraus und sah durchs Fenster nach dem Mond. »O! wenn ich so ruhig wie er wäre!« seufzte sie leise, den bleichen Mond anstarrend, »meine Brust ringt nach Luft, und mein Herz sucht nach einem Mittel, meinem Vater und mir selbst Ruhe zu schaffen, und nun versucht meine ganze Umgebung, auch Milna, mir dieses Rettungsmittel zu nehmen.«

Plötzlich fiel Romanownas Blick auf eine Gestalt, die sich auf der Bank in dem kleinen Gärtchen bewegte. Zuerst erschrak sie, aber bald erkannte sie in dem einsamen Spaziergänger den Pater Alexius und faßte sogleich den Plan, ihn dort aufzusuchen. Schnell wickelte sie sich in einen Mantel und begab sich hinaus.

»O, schicken Sie mich nicht fort,« bat Romanowna, als sie vor dem Prior stand und sich einbildete, er mache eine abweisende Bewegung. »Ich bitte Sie, erlauben Sie mir ein kurzes Gespräch, denn ich bin sehr niedergedrückt.«

»Erleichtern Sie Ihr Herz bei mir, meine Tochter,« sagte der Prior und winkte ihr, sich neben ihn zu setzen.

Doktor Dimsdale hätte es sicher nicht gut geheißen, daß die kaum hergestellte Patientin sich so der scharfen Nachtluft aussetze; aber Pater Alexius kam gar nicht auf den Gedanken, daß das junge Mädchen unvorsichtig handle, und ermutigte es, ihm alles zu erzählen, was es bekümmere. Voll Teilnahme hörte er der Erzählung seines Kummers zu: »Ich fand,« so endete Romanowna, »solche Beruhigung in dem Gedanken, in einem Kloster für die Sünden meines Vaters zu büßen und mein ferneres Leben Gott zu weihen; aber Milna will dann bei mir bleiben und wird, wie ich sie kenne, alles für mich aufopfern und ...

»Hören Sie einmal,« unterbrach sie der Prior, »ich kann Ihre Lage sehr gut begreifen. Sie haben angenommen, daß das einzige Mittel zur Buße in Knieen und Beten und frommem Seufzen bestehe und daß die stille Abgeschlossenheit des Klosters Ihr Gemüt von der drückenden Last der Sünde befreien solle. Nicht wahr?«

Romanowna nickte zustimmend und hörte mit Eifer zu, als der Prior fortfuhr: »Als ich in Ihrem Alter war, dachte ich wie Sie; aber seitdem habe ich viel nachgedacht und vieles gesehen, was meine Ansichten änderte. Wie Sie wissen, bin ich Prior eines Klosters, aber auf Grund langjähriger Erfahrung muß ich Ihnen sagen, daß ich jungen Leuten gänzlich vom Klosterleben abrate. Man macht sich allerhand schöne Vorstellungen davon, die nicht verwirklicht werden, denn unser Geist kann keine Ruhe finden in der Stille der Abgeschlossenheit, und in der Folge leiden wir viel mehr als wir erwarten, wenn wir durch unseren frommen Entschluß angeregt, uns abzusondern beginnen.«

Da Romanowna den Prior noch immer ungläubig ansah, erzählte dieser ihr seine eigne Lebensgeschichte die Romanowna erkennen ließ, daß Pater Alexius aus tief empfundener Überzeugung spreche.

»Ich muß Ihnen,« schloß der Prior seine Erzählung, »noch etwas erklären, nämlich mein Kommen hierher. Sie –«

»O, mein Vater,« sagte Romanowna lebhaft, »vergeben Sie mir die Worte, die ich heute morgen so unbedacht zu Ihnen sprach.«

»Sie sind vergeben und vergessen,« sagte der Prior, »aber ich will Ihnen doch erklären, warum Herr Doktor Dimsdale mich gebeten hat, hierherzukommen. Der Doktor hat mich auf seiner Reise besucht, und mit ihm habe ich viel über das Für und Wider des Klosterlebens gesprochen. Als Protestant verurteilte er es gänzlich, und darum konnte oder vielmehr wollte er Ihnen seine Meinung nicht aufdrängen, und doch fürchtete er, daß Sie durch die Ausführung Ihres Vorhabens unglücklich werden könnten. Darum schrieb er mir, m der Voraussetzung, daß Sie mich eher für einen unparteiischen Ratgeber halten würden als ihn und seine Frau. Wie Sie sahen, erfüllte ich seine Bitte. Es war für mich eine große Freude, Sie und Wolodnas Tochter noch einmal wieder zu sehen, und eine doppelte Freude würde es mir sein, wenn Sie durch die Erzählung meiner Lebensgeschichte und das Aussprechen meiner Überzeugung von einem Schritt zurückgehalten würden, den Sie später bitter bereuen könnten.«

»Aber, guter Vater Alexius,« sagte Romanowna, fast in Weinen ausbrechend, »muß ich denn nicht für meinen Vater beten?«

»Können Sie das nirgendwo anders, als hinter den Mauern eines Klosters?« war die Gegenfrage.

»Und nicht für ihn büßen?« fragte Romanowna.

»Sollten Sie das nicht auf andere Weise thun können, als durch Fasten und nutzlose Peinigungen,« fragte Pater Alexius.

»Auf welche Weise?« fragte Romanowna.

»Indem Sie sich andern nützlich machen,« sagte Pater Alexius.

»Meinen Sie,« fragte Romanowna, »indem ich Unterricht gebe?«

»Ja, sei es durch Unterrichten, sei es, indem Sie in irgend einer Weise thätig sind. Frau Dimsdale erzählte mir, daß in England viele Anstalten bestehen, in denen gebildete Frauen ihre Talente verwerten, indem sie minder Unterrichtete und Begüterte belehren, und aus der Unterhaltung ist mir noch viel klarer geworden, wieviel mehr wirklich Gutes man thun kann, wenn man im praktischen Leben thätig ist, als wenn man hinter Klostermauern betet und fastet. Immer mehr lerne ich begreifen, daß Absonderung eine ganz verkehrte Lebensauffassung ist.«

Der Prior wurde ganz eifrig bei dem Gespräche, und Romanowna begann endlich einzusehen, daß er Recht haben müsse; noch immer aber war ihr nicht klar bewußt, wie sie handeln müsse, als ihr plötzlich ein Gedanke kam, der einen Schimmer von Freude über ihr ganzes Gesicht verbreitete.

»Mein Vater,« rief sie auf einmal, den Prior unterbrechend, »glauben Sie, ich könne Gott versöhnen, wenn ich mich nützlich zu machen suche für die Kinder, deren Eltern die Opfer dieses verhängnisvollen Feldzuges geworden sind?«

»Ja,« antwortete der Prior mit einem wehmütigen Lächeln über Romanownas Ansicht, Gott durch ihre Thaten zu versöhnen, aber er machte keine Bemerkung darüber, da sie schon so viele neue Ideen in sich aufzunehmen hatte.

»Aber in welcher Weise könnte ich das thun?« fragte sie, nachdem die erste Aufregung über ihren Plan vorüber war.

»Meine Tochter,« sagte der Prior, »das ist eine Frage, auf die nicht so leicht eine Antwort zu geben ist; aber,« fügte er nach einiger Überlegung hinzu: »wissen Sie, was ich Ihnen raten würde? Sie sind noch viel zu jung, um ganz allein etwas Derartiges zu unternehmen, außerdem ist Ihre Gesundheit ... mein liebes Kind,« unterbrach er sich selbst, »ich habe gar nicht daran gedacht, daß die kühle Nachtluft Ihnen schädlich sein könnte.«

»Beruhigen Sie sich, mein Vater,« bat Romanowna mit einem schwachen Lächeln, »ich habe einen warmen Mantel an, und Ihr Gespräch hat mich mehr gestärkt, als ich Ihnen sagen kann. Ich könnte beinahe glücklich sein, jetzt, da ich die Aussicht habe, daß man mich nicht zurückhalten wird in meinem Bedürfnis zur Buße, und die Buße, die Sie mir vorschlagen, wird, das fühle ich, mein Herz viel mehr befriedigen; aber was wollten Sie sagen?«

»Ich? o ja, daß Ihre Kräfte nach allen ausgestandenen Leiden noch nicht hinreichen werden, jetzt gleich ein so mühevolles, anstrengendes Leben zu beginnen. Darum ist mein Rat: nehmen Sie vorläufig das Anerbieten von Herrn und Frau Dimsdale an, gehen Sie mit Ihren Freunden nach England, und lernen Sie dort die Einrichtungen kennen, von denen Frau Dimsdale sprach; und wenn Sie dann in einigen Jahren gesund, stark und erfahren zurückkommen, bitten Sie die Kaiserin, die günstig für Sie gesinnt zu sein scheint, um ihre Mitwirkung, um hier auch eine ähnliche Einrichtung zu treffen.«

»Ich möchte am liebsten gleich anfangen, mein Leben für andere nützlich zu machen,« sagte Romanowna, »aber ich fühle, daß Ihr Rat gut ist; morgen will ich den Doktor fragen, ob er mich noch mitnehmen will.«

»Ich brauche Sie wohl nicht zu fragen,« sagte der Prior, »ob Sie ganz aus freiem Entschlusse handeln? ich habe Herrn Doktor Dimsdale versprochen, Sie nicht zu zwingen, sondern nur mein möglichstes zu thun, Sie zu überzeugen.«

»Ich bin vollständig davon überzeugt, daß Sie Recht haben,« versetzte Romanowna, »und ich bin Ihnen sehr dankbar für die Mühe, der Sie sich unterzogen haben; aber jetzt, guter Vater, helfen Sie mir auch, Milna zu überreden, den Antrag des Herrn Lowitz anzunehmen.«

»Das wird nicht sehr schwer sein,« sagte der Prior, »denn Milna hat versprochen, sich an demselben Tag zu verloben, an dem Sie den Entschluß fassen würden, sich unter Doktor Dimsdales väterlichen Schutz zu stellen.«

»Also noch heute?« sagte Romanowna nachdenklich.

»Ja, aber jetzt, meine liebe junge Freundin, müssen Sie sich sogleich zur Ruhe begeben, denn ich fürchte, der Doktor wird mir schon Vorwürfe machen, daß ich so wenig an Ihre Gesundheit gedacht habe.«

Mit großer Rührung erfaßte Romanowna die Hand des Priors und drückte ihre brennenden Lippen auf dieselbe; wer das heitere Lächeln gesehen hätte, das Pater Alexius' Mund umspielte, würde gewiß nicht geglaubt haben, daß er sonst so streng aussehe.

»Schlafe ruhig, meine Tochter,« sagte er leise; darauf verschwand Romanowna und lag eine Viertelstunde später in tiefem Schlaf. Der Prior blieb noch eine Zeit lang im Freien und kniete bald zum Gebete nieder, bald versank er in fromme Gedanken, häufig aber dachte er an das junge Mädchen, das ihn soeben verlassen hatte.

»Welch' schwere Last,« meinte er, »wird bald auf den jugendlichen Schultern ruhen. Wird sie derselben gewachsen sein? Habe ich nicht zu viel von ihr verlangt? Ich fürchte für sie, denn die Welt wird wahrscheinlich ihre guten Absichten nicht erkennen, und sehr, sehr häufig wird sie dort Widerstand finden, wo sie ihn am wenigsten erwartet hat. Sie geht einem schweren Kampfe entgegen, und doch, wenn ich noch so jung wäre wie sie, würde ich einen solchen Kampf gerne aufnehmen. Gottes Segen wird gewiß auf ihrem frommen Vorhaben ruhen, und ich werde immer für sie beten.«

Und das Gebet des frommen Mönches stieg zu Gottes Thron empor und wurde erhört, denn Romanowna wurde in ihrem ferneren Leben immer Gottes Beistand zu teil.

Am Abende desselben Tages wechselte der Prior die Ringe von Milna und Lowitz, und wenige Tage später standen die beiden jungen Leute vor dem Altar, auf dem eine prächtige Decke von karmoisinroter Seide lag, als Zeichen des Reichtums des jungen Paares.

Beide antworteten mit lauter Stimme: »Ja,« als der Prior, ihre Hände fassend, fragte, ob sie sich immer lieben wollten; und sie waren sehr glücklich, als der würdige Pater, nachdem er jedem einen Kranz von Laub um das Haupt gewunden und ihre Hände ineinander gelegt hatte, die Trauung für vollzogen erklärte.

Die junge Frau Lowitz ruhte nicht eher, als bis Doktor Dimsdale ihr fest versprochen hatte, mit seiner Frau und Romanowna einige Tage bei ihr in Petersburg zuzubringen, ehe sie Rußland verließen; und dem freundlichen Bitten wurde nachgegeben, um so mehr, da Romanowna auch der Kaiserin einen Besuch machen wollte.

Der Aufenthalt bei Milna war wunderschön. Die junge Frau war mit ihrem Manne so glücklich, daß es eine wahre Freude gewährte, sie anzusehen. Mit kindlichem Vergnügen zeigte sie Frau Dimsdale und Romanowna alles und war sehr befriedigt, als diese ihr schönes Haus, ihren hübsch angelegten Garten und ihre geschmackvolle Einrichtung bewunderten; und wahrhaftig, Milna hätte sich dies alles nicht schöner wünschen können.

»O, Romanowna, sagte sie, als sie mit derselben einmal behaglich auf dem Sofa saß, »was war ich früher doch so thöricht, mich nach Pracht und Reichtum zu sehnen, denn jetzt, da ich das alles habe, fühle ich recht, daß das wahre Glück nicht darin besteht.«

»Bist du denn nicht glücklich?« fragte Romanowna enttäuscht.

»Ich?« fragte Milna. »Ich fürchte manchmal, daß ich zu glücklich bin, Lowitz liebt mich ebenso aufrichtig, wie ich ihn und kommt meinen kleinsten Wünschen zuvor; aber nach den unruhigen Tagen, die über mich wie über dich hingezogen sind, ist mir manchmal, als dürfe ich nicht so sorglos genießen. Ich wollte, du bliebest bei mir, dann hätte ich doch jemand, für den ich sorgen könnte; denn Lowitz ist immer so beschäftigt und hat selbst gar keine Bedürfnisse. Darum bleibe bei uns,« fügte sie hinzu, und Lowitz, der unbemerkt ins Zimmer getreten war, vereinte seine Bitten mit denen seiner Frau.

»Nein,« sagte Romanowna, »Ihr wißt, ich habe einen andern Beruf; aber wie weit ich auch weggehe, immer werde ich mit Dank an Euch beide und an Euer herzliches Anerbieten denken.«

Die Kaiserin befand sich in Zarsko-Selo, und da Romanowna keine besondere Lust hatte, sie dort aufzusuchen, schrieb sie ihr einen Brief, in dem sie ihr die Absicht, sich vorläufig nach England zu begeben, mitteilte.

Wenige Tage später brachten Lowitz und seine Frau ihre Gäste auf das Schiff, das bereits segelfertig dalag, und die beiden Freundinnen nahmen herzlichen, rührenden Abschied, mit dem festen Versprechen, einander recht oft zu schreiben; aber, wie das gewöhnlich geht, wurde der Briefwechsel erst eifrig begonnen, dann erlahmte er mehr und mehr und ging endlich ganz ein, bis Frau Lowitz einige Jahre nach dem eben Erzählten den folgenden Brief erhielt, mit dem wir dieses Buch schließen wollen.

»Liebste Milna!

Mit herzlicher Teilnahme hörte ich dieser Tage, daß Du vollkommen gesund und glücklich bist im Besitz Deines Gatten und Deiner lieben Kinder. O! wie gern möchte ich Dich einmal wiedersehen; aber meine Thätigkeit ist derart, daß ich unmöglich die Zeit finden kann, mir selbst einmal eine Erholung zu gönnen. ›Deine Thätigkeit?‹ höre ich Dich fragen, denn möglicherweise weißt Du noch nicht, daß ich mich vor einem halben Jahre hier niedergelassen habe, und deshalb will ich Dir eine treue Schilderung meines Schicksals geben, für das Du Dich so herzlich interessierst.

England ist ein herrliches Land. Erinnerst Du Dich noch der alten Spinnfrau in Simbirsk, die uns sagte, daß die Engländer ›Menschen‹ wären? Sie hatte Recht. Die Engländer haben viel mehr Verstand als die Russen. Ich kann darüber urteilen, denn ich bin auf Doktor Dimsdales Rat selbst in einer englischen Schule thätig gewesen, und bin jetzt damit beschäftigt, meine dort gemachten Erfahrungen hier zu verwerten. Von der Kaiserin habe ich sogleich auf meine Bitte die nötigen Mittel erhalten, um hier eine Schule zu errichten. Und wo glaubst Du, daß ich bin? Im Schlosse Tatischtschewa. Ja, dort, wo mir die erste Aufklärung über meinen unglücklichen Vater wurde, bin ich damit beschäftigt, mich nützlich zu machen für die Kinder, deren Eltern in dem Kriege umgekommen sind; und der Gedanke, daß derselbe Name, der hier so gehaßt wurde, einmal gesegnet werden könnte, ist ein herrlicher. Es ist viel Geduld und Ausdauer nötig, aber ich bin gesund und kräftig, und hoffe, viel Gutes thun zu können. Wie sehr hätte ich gewünscht, daß Pater Alexius es noch erlebt hätte, zu sehen, wie glücklich ich durch das Befolgen seines guten Rates geworden bin. Vor allem wünschte ich, ihm noch sagen zu können, wieviel besser ich jetzt verstehe, was er mir durch sein Beispiel zeigen wollte: daß Gott durch Bußübungen nicht zu versöhnen ist. Doktor Dimsdale hat mich allmählich bekehrt, wenn ich es so nennen darf. Es hat lange gedauert, ehe ich begriff, daß meine Ansichten verkehrt waren, aber jetzt habe ich das lebendige Gefühl, daß Gott ein Gott der Liebe ist.

Wie ruhig macht mich die große Wahrheit; denn jetzt weiß ich, daß ich für meinen Vater auf Vergebung der Sünden hoffen darf, ohne den drückenden Gedanken, daß seine Sündenschuld durch mich gebüßt werden muß. Ach! könnte ich Dir noch mehr darüber schreiben. Es ist eine Sache, von der ich so ganz durchdrungen bin; aber meine beschränkte Zeit erlaubt mir keine eingehende Auseinandersetzung.

Oft bin ich mit meinen Gedanken noch in der Vergangenheit, und manchmal kann ich es kaum begreifen, daß die frühere Prinzessin Romanowna jetzt arme Kinder unterrichtet.

Eine Einzelheit will ich Dir noch mitteilen, nämlich die, daß Grerowitz mein Aufwärter ist, und daß ich seine drei Kinder unter meiner Leitung habe. Seine Frau ist tot, und mit betrübtem Tone erzählt er mir manchmal, daß er eine gute, brave Frau begraben habe und teilt mir viele ihrer besonderen Tugenden mit.

In sehr vertraulichen Augenblicken sagt er mir aber, es sei gut, daß alles so gekommen, da sie ihm zu viel über gewesen sei. Der arme Mensch hat in Petersburg lange gefangen gesessen wegen seines Eindringens in den Palast, ohne daß man ihn zu Wort hatte kommen lassen.

Gerne schriebe ich noch mehr. Aber meine Zeit ist, wie ich schon sagte, sehr beschränkt, denn ich muß immer selbst in den Stunden sein, weil ich meine Schüler nicht mit Schlägen erzogen haben will, und meine englischen Lehrer und Lehrerinnen nicht mit mir übereinstimmen und behaupten, daß es unmöglich sei, russischen Kindern ohne Schläge etwas beizubringen. Ich hoffe, die Zukunft wird lehren, daß ich mit meiner Ansicht Recht habe, daß Züchtigung kein gutes Mittel ist, um den Verstand zu wecken.

Lebe wohl, meine liebe Milna, Gottes Segen sei mit Dir und den Deinen, darum fleht

Deine Dich herzlich liebende Freundin
Romanowna Pugatscheff.«


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