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Dreizehntes Kapitel.
Milnas Rückkehr nach Malikowa

Das Pferd, von dem alten Mönch am Zügel geführt, ging nur langsam voran, so daß Milna in ihrer Ungeduld meinte, sie könne rascher gehen; aber sie wagte nicht etwas zu sagen, weil der Prior in seiner Sorglichkeit ihr das Pferd, das er gewöhnlich selbst ritt, zur Verfügung gestellt hatte.

Sie wollte mit dem Mönch eine Unterhaltung anknüpfen und fragte ihn, ob er ihren Vater manchmal gesprochen habe; aber der Mann, der sie offenbar nicht verstand, antwortete lachend etwas mit so sonderbarer Betonung, daß ihn Milna ihrerseits auch nicht verstand und die Unterhaltung aufgeben mußte. Der Weg wurde ihr sehr lang, und sie wunderte sich beständig darüber, daß sie vor kurzem erst die ganze Reise zu Fuß gemacht hatte; denn es schien ihr jetzt fast, als werde sie das Ende gar nicht erreichen; endlich sah sie zu ihrer Freude zunächst die unterirdischen Wohnungen wieder, dann die wohnlicheren Häuschen und zuletzt auch das hölzerne Gebäude, in dem sie die Prinzessin mit der alten Frau gelassen hatte.

Rasch sprang sie aus dem Sattel, lief zu der offenstehenden Thür hinein und hatte schon einen Gruß auf den Lippen, als sie zu ihrem Schreck bemerkte, daß nicht nur Romanowna und Ottekesa sich nicht mehr da befanden, sondern auch alle ihre Sachen verschwunden waren; sie mußten also offenbar ganz weggegangen sein. Aber wohin?

Der alte Mönch sah durch die Thüre halb geistesabwesend auf Milna, deren Unruhe er nicht begreifen konnte.

Milna bedeutete ihm, daß diejenige, für welche die mitgebrachten Speisen bestimmt waren, gar nicht da sei; diese Unannehmlichkeit aber fand der alte Mann sehr unbedeutend und gab dem jungen Mädchen durch Gebärden zu verstehen, sie möge alles mit ihm allein aufessen. Unwillkürlich mußte Milna lachen über die Kaltblütigkeit ihres Begleiters, die einen schroffen Gegensatz zu ihrer eigenen Unruhe bildete. Sie suchte lange nach einer Spur der Flüchtigen und erfuhr endlich, daß die Prinzessin und die alte Frau am vorhergehenden Tag den dem Kloster entgegengesetzten Weg eingeschlagen hatten. Ohne sich die Zeit zu gönnen, etwas zu sich zu nehmen, bat sie den Mönch, in dem kleinen Häuschen auf sie zu warten und bestieg wieder das Pferd. Durch Fußtritte, Zuruf und Anziehen des Zügels brachte sie es endlich, nachdem sie die Stadt im Rücken hatte, in eine Art von Galopp, und kam nun rasch vorwärts. Von Zeit zu Zeit hielt sie an, um die wenigen Fußgänger, die ihr begegneten, zu fragen, ob sie nicht eine alte Frau mit einem jungen Mädchen gesehen hätten, aber die Antworten wurden in der platten Volkssprache gegeben, die Milna nicht verstand, und so mußte sie denn auf gut Glück weiter reiten. Glücklicherweise hielt sie sich zufällig immer auf dem rechten Weg, und so sah sie, viel rascher als sie erwartet hatte, die alte Frau mit der Prinzessin ermüdet am Wege sitzen. Romanowna erschrak vor Freude, als sie Milna sah; sie hatte sich so tief unglücklich gefühlt, als sie beim Erwachen von der alten Frau hörte, daß Milna weg sei. Hätte Ottekesa der Prinzessin gesagt, warum Milna weggegangen, dann hätte sich Romanowna viel weniger beunruhigt, aber die Alte wollte nichts anderes sagen, als daß Milna möglicherweise wiederkomme, wenn ihr kein Unglück begegnet sei, und dergleichen mehr, wodurch das arme Mädchen so geängstigt wurde, daß es sich sogleich aufmachen wollte, Milna zu suchen. Hiergegen sträubte sich Ottekesa mit Gewalt, weil sie Milna versprochen hatte, dafür zu sorgen, daß Romanowna bleibe.

»Aber, du bist doch fortgegangen,« bemerkte Milna. Romanowna wollte erst nicht recht mit der Sprache heraus, warum sie davongegangen seien; aber später erzählte sie ihr unter verlegenem Erröten, daß sie sich von Ottekesa habe bestimmen lassen, einen Sterndeuter über ihren Vater und Milna zu befragen. »Mutter Ottekesa erzählte mir so viele Wunderdinge von dem berühmten Wisby,« sagte Romanowna entschuldigend, »daß ich in meiner tiefen Niedergeschlagenheit wirklich einige Hoffnung auf den Zauberer setzte. Aber ich schämte mich unterwegs des ganzen Unternehmens doch wieder ein wenig und bin recht froh, daß du uns eingeholt hast, ehe wir ihn erreicht haben.«

Offenbar war die alte Ottekesa darüber nicht erfreut, denn sie machte ein sehr enttäuschtes Gesicht und sagte gar nichts.

Milna wollte Romanowna, als diese sich ein wenig beruhigt hatte, überreden, das Pferd zu besteigen, aber diese sagte, ihre Freundin am Arm fassend: »Nein, nein, ich will mich in dem fremden Land nicht wieder von dir trennen, und ich bin auch viel zu neugierig zu erfahren, wo du all' die Zeit, die ich dich entbehrte, gewesen bist.«

»Du hast doch meine Botschaft erhalten?« fragte Milna, »und das Obst und das Brot, das der Prior dir geschickt hat?«

»Zu mir ist keine Botschaft gekommen,« sagte Romanowna.

»Die Prinzessin hat sich von suchary nähren müssen,« bestätigte entrüstet die alte Frau, »aber wenn doch keine von Ihnen das Pferd besteigt, darf ich es denn benützen?«

Die jungen Mädchen konnten nicht umhin, über die Bitte zu lachen, gewährten sie aber gern und halfen der alten Frau beim Aufsteigen, das nicht ohne Mühe gelang. Endlich glückte es Ottekesa doch, von dem Baumstamm, auf den sie sich gestellt hatte, in den Sattel zu gelangen; aber dann erst kam das Ärgste; die alte Frau, die in ihrem ganzen Leben noch nicht zu Pferd gesessen hatte, fand den Sitz lange nicht so bequem, wie sie sich vorgestellt hatte und wollte sogleich wieder herunter. Das Pferd aber schien sie ärgern zu wollen, wenigstens ging es in gestrecktem Galopp vorwärts, und die vor Angst schwitzende Frau bewahrte sich vor dem Fallen nur dadurch, daß sie sich mit Händen und Füßen am Bauch und an den Mähnen festhielt. So viel Mitleid Romanowna und Milna auch mit Ottekesa hatten, mußten sie doch herzlich lachen über den komischen Anblick, den diese Amazone bot; die alte Frau aber beschloß, in ihrem ganzen Leben kein Pferd mehr zu besteigen.

Romanowna vergaß ihre Ermüdung gänzlich, als sie Arm in Arm mit Milna zurückwanderte und den Erzählungen ihrer Freundin lauschte, die ihr so viel Gutes zu berichten hatte. Milna hatte gerade jenen einflußreichen Priester gefunden, von dem Romanowna sich so viel versprach; und nun hatte derselbe gelobt, sich für die Befreiung des edelen Gefangenen zu bemühen und den beiden jungen Mädchen eine sichere Zuflucht angeboten. Vorläufig waren damit alle vernünftigen Wünsche erfüllt. Milna freute sich über Romanownas Zuversicht; sie that alles, die Freundin in der heiteren Stimmung zu erhalten und sagte ihr natürlich auch nicht, daß Pater Alexius einige Zweifel hege, ob Pugatscheff wirklich der Zar sei.

»Wie herrlich wird deine Liebe für mich belohnt,« sagte Romanowna, als Milna von ihrem Vater erzählte, »hättest du nicht meinetwegen das Kreuzchen verkaufen wollen, so würdest du deinen Vater wahrscheinlich nicht wiedergefunden haben. Aber welche bittere Enttäuschung für dich, daß du ihn sogleich wieder verlieren mußtest.«

»Ich bin sehr dankbar dafür, daß ich meinen Vater noch einmal sehen durfte, und ich hätte wohl gewünscht, Gott möchte ihm noch einige Lebensjahre schenken, aber ich kann doch jetzt mit wehmütiger Freude seiner denken und fühle das Scheiden natürlich lange nicht so, wie du es im gleichen Fall thun würdest,« sagte Milna.

»Ach,« seufzte Romanowna, bei dem entsetzlichen Gedanken erbleichend, »ich glaube nicht, daß ich das überleben werde; o! diese Tage der Trennung finde ich schon schrecklich. Sage, Milna, ist Pater Alexius schon nach Kasan?«

»Ich glaube verstanden zu haben, daß er sich erst nach dem Begräbnis auf die Reise begeben wollte,« antwortete Milna.

»Wann wird das stattfinden?« fragte Romanowna.

»Sobald wir zurück sind,« sagte Milna.

»O, dann wollen wir noch heute abend ins Kloster zurückkehren,« sagte Romanowna; aber als sie eine Weile ruhig in dem kleinen Häuschen gesessen hatte, fühlte sie sich zu ermüdet, um zu Pferd oder zu Fuß weiter reisen zu können. Der Mönch, der sie schlafend erwartet hatte, erhielt nun den Auftrag, sich nach dem Kloster zurückzubegeben und dort zu sagen, daß die jungen Mädchen erst am nächsten Tage kommen würden.

»Ich bin der Ansicht,« sagte Milna, als der Mönch fort war, »daß er kein Wort von seinem Auftrag verstanden hat«; und sie irrte sich nicht in dieser Voraussetzung; es zeigte sich am nächsten Tag, daß er allerhand verworrene Berichte gegeben hatte.

Am Abend des folgenden Tages fand das Begräbnis des alten Wolodna statt. Der Sarg, der jeden Tag von dem Prior mit Weihwasser besprengt worden war, wurde in die Mitte der Kapelle gestellt, wobei Pater Alexius die gewöhnlichen Kirchengebete und Segenswünsche sprach. Darauf trugen acht Mönche den Sarg mit dem schwarzen Tuch zum Grabe hin. Dann folgte der Prior mit dem Bilde des heiligen Nikolaus, hinter ihm gingen Milna und Romanowna und die übrigen Mönche, immer zwei und zwei, mit brennenden Wachskerzen in der Hand. Am Grabe wurde das Tuch wieder weggezogen, damit jeder den Toten noch einmal ansehen könne. Milna blickte lange und aufmerksam in das bleiche Gesicht, auf dem ein dankbares Lächeln lag, und Thränen entströmten ihren Augen, weniger, weil sie so betrübt war über den Tod des alten Mannes, als weil sie dabei an ihre Mutter dachte und ihr einfiel, wie viel Leid der lieben, zarten Frau hätte erspart werden können, wenn sie nicht durch den Krieg von ihrem Mann getrennt worden wäre. In diese Gedanken versunken, blieb sie unbeweglich bei dem Sarge stehen, bis der Prior sie sanft am Arm faßte und ihren Blick nach oben richtete, während er zugleich den Mönchen einen Wink gab, ihre Arbeit zu vollenden. Unter dem Anstimmen eines Klageliedes wurde der Sarg geschlossen, in das Grab hinuntergelassen und mit Erde bedeckt. Der Prior besprengte dann auch noch das Grab mit Weihwasser und begab sich mit den jungen Mädchen wieder ins Kloster zurück.


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