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Sechzehntes Kapitel.
Eine grausame Enttäuschung

Der Winter und ein großer Teil des Frühjahres gingen vorüber, ohne daß Romanowna ihren Vater wiedergesehen, ja sogar fast, ohne daß sie etwas von ihm gehört hätte; die Berichte, die er ihr nur selten zukommen ließ, waren sehr kurz. Er hatte wohl gesagt, sie möge sich darauf gefaßt machen, längere Zeit nichts von ihm zu hören, aber es war ihr doch sehr schmerzlich, daß er sie so ganz vergessen zu haben schien, und sie machte sich häufig Sorgen darüber, es möge ihm ein Unglück zugestoßen sein.

»O, Milna,« sagte sie eines Tages, während sie mit ihrer Gefährtin in dem prächtigen Gesellschaftssaale saß, »ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das unerklärliche Schweigen meines Vaters beunruhigt. Ich meine, Orenburg, das er jetzt schon so lange belagert, müßte längst eingenommen sein. Ich habe die ganze Nacht so schrecklich geträumt, und immer, wenn ich einschlief, hatte ich wieder denselben Traum.«

»Was hast du denn geträumt?« fragte Milna. »Armes Mädchen,« fügte sie mitleidig hinzu, »du siehst auch so bleich aus, man merkt, daß du wenig geschlafen hast.«

»O, ich träumte, das ganze Heer habe sich empört und meinen Vater gefangen genommen,« sagte Romanowna, »und obwohl ich sehr gut weiß, daß es nur ein Traum ist, bin ich doch so traurig gestimmt, daß es mir ist, als ob sich wirklich etwas Schreckliches ereignet hätte.«

»Wenn das wirklich der Fall sein sollte, würdest du doch gewiß bald Nachricht darüber erhalten; du darfst dich wirklich nicht beunruhigen, daß deinem Vater ein Unglück zugestoßen sei; aber,« fügte sie hinzu, »ich wünschte wohl, daß endlich einmal eine Entscheidung getroffen würde zwischen den Rechten des Kaisers und der Kaiserin, denn dieser Zustand ... ich wollte sagen,« unterbrach sie sich etwas verwirrt, »es würde ein Glück sein, wenn endlich dieser Unsicherheit ...«

Offenbar hatte Milna etwas auf der Zunge, was sie lieber verschweigen wollte; aber Romanowna fiel das nicht auf, denn plötzlich sprang sie auf, lief ans Fenster und fiel Milna ins Wort: »O, ich höre deutlich Pferdegetrappel, mein Vater will mich gewiß überraschen. Ja, ja,« fuhr sie heiter fort, »ich sehe eine große Gesellschaft an der Brücke ankommen. Ach, das ist herrlich, und das gerade heute, als ich so unruhig war. Aber, es ist sonderbar, ich sehe eine Menge Offiziere, nur meinen Vater nicht. O, doch, er reitet in der Mitte, ich sehe deutlich sein langes Kleid; ach nein, das ist ein anderer, ein Priester mit einem langen Bart. Er kommt gewiß, mich auf die eine oder andere schlimme Nachricht vorzubereiten ..., nein, nein, Gott sei Dank, mein Vater ist selbst dabei, aber er ist nicht, wie gewöhnlich, in seinem geistlichen Gewand. Milna, sieh doch einmal, wie gut ihm die Uniform steht.«

Milna, die während Romanownas Selbstgespräch vor dem Spiegel ihr Haar ein wenig geordnet hatte, kam jetzt auch an das Fenster und sagte: »Welch' eine große Gesellschaft, aber, lieber Himmel,« fügte sie leiser hinzu, »was für eine aufgeregte Menge!«

Der Zar eilte gewöhnlich, sobald er ankam, sogleich zu seiner Tochter, und diese kam ihm meistens auf halbem Wege entgegen; noch niemals hatte es einer der Gäste gewagt, unangemeldet bei der Prinzessin zu erscheinen. Erst, wenn die Gesellschaft sich in dem Speise- oder Gesellschaftszimmer befand, wo sie sich erfrischte, meldete ein Diener einen Herrn nach dem andern an, und der Kaiser selbst stellte diejenigen, die um diese Ehre baten, der Prinzessin vor. Pugatscheff legte beinahe noch mehr Wert auf die Befolgung der Etikette, als seine Tochter.

Man kann sich deshalb Romanownas Erstaunen und Bestürzung vorstellen, als sie, aus ihrem Zimmer kommend, um ihren Vater zu begrüßen, nicht nur diesen, sondern seine ganze Gesellschaft in Reitstiefeln und mit Peitschen, lachend und lärmend ankommen sah.

Erschreckt und verlegen trat sie einige Schritte zurück; aber ihr Vater näherte sich ihr sogleich, drückte sie wild an sein Herz, küßte sie auf beide Wangen, daß es knallte und sagte dann, aus vollem Halse lachend: »Ha, ha, da sind wir. Teufel, was sieht das Prinzeßchen allerliebst aus, reizend! Kommt, Ihr Herren, reicht dem lieben Kind die Hand.«

Einige Offiziere verbeugten sich ehrfurchtsvoll und verrieten durch Blicke ihr Bedauern, daß man die Prinzessin betrübe; andere aber machten Gebrauch von der angebotenen Erlaubnis und nahmen Romanownas kleine, weiße Hand in die ihre, während sie ihr eine unpassende Schmeichelei zuflüsterten; oder sie küßten die mit Widerwillen gereichte Hand, während sie sich vor der Prinzessin aufs Knie fallen ließen.

»Seine Majestät,« sagte Romanowna in vorwurfsvollem Ton, »werden gewiß erlauben, daß ich mich entferne«; bei diesen Worten ging sie nach der Thüre.

»Nein, nein, du mußt hierbleiben,« war die Antwort des Zaren, während er seiner Tochter in den Weg trat; »denn wir wollen uns hier einen lustigen Tag machen. Aber, Milna, mein süßes Täubchen,« fuhr er im selben Atem fort, »warum siehst du so schüchtern zu?«

»Ich wundere mich,« antwortete Milna mit lauter, fester Stimme, »daß der Kaiser seine Tochter, die ihn so sehr liebt, so schrecklich beleidigt.«

Der Kaiser biß sich auf die Lippen, sagte aber nichts und ließ zu, daß Milna der Prinzessin ihren Arm anbot und sich mit ihr entfernte.

»Die kleine Närrin soll doch bei unserem Gastmahl gegenwärtig sein,« sagte der Kaiser. »Hier, Junge,« befahl er dem Diener, »sorge, daß man rasch ein gutes Essen bereite und bringe uns Wein und Gläser.«

»Du darfst keinen Wein hierher bringen,« befahl der Graf von Solms ruhig.

Der Diener sah den Kaiser zögernd an. »Thu, was ich dir befohlen habe,« schrie dieser mit Donnerstimme.

»Entferne dich und wage es nicht, etwas hierherzubringen, das für uns alle in diesem Augenblick nachteilig ist,« klang der Gegenbefehl.

»Tod und Teufel,« rief der Kaiser, »bin ich denn nicht mehr Herr in meinem eigenen Hause? Bringe Tokaier und Gläser.«

Der Graf von Solms gab dem Diener einen gebietenden Wink, den dieser verstand, und wendete sich dann ruhig zum Kaiser:

»Sie werden es mir später Dank wissen, daß ich mir das Recht anmaßte, für Sie zu handeln, da Sie in diesem Augenblick nicht selbst imstande sind, zu überlegen. Ich ...«

»In des Teufels Namen, ich will ...« unterbrach der Kaiser den Grafen; dieser aber brachte ihn gleich zum Schweigen, indem er sagte: »Ich werde es nicht dulden, daß Ihre Tochter, das schöne, liebe und unschuldige, junge Mädchen beleidigt wird.«

»Wer sie beleidigt, den werde ich ...« fing der Zar wieder an.

»Sie beleidigen Sie selbst durch Ihr Betragen,« sagte der Graf in strengem Ton. »Folgen Sie mir und begeben Sie sich sogleich in Ihre Gemächer, um einige Minuten zu ruhen, ehe Sie wieder vor Ihrer Tochter erscheinen.«

Der Zar schien wieder etwas vorbringen zu wollen und war offenbar nicht willens, diesen guten Rat zu befolgen, aber der Graf fuhr fort: »Gestatten Sie uns, uns ein wenig zu erfrischen und uns zum Essen umzukleiden«; bei diesen Worten nahm er den Zaren am Arm und geleitete ihn in sein Schlafzimmer, obgleich derselbe sich widersetzte.

Beinahe in einem Augenblick war Romanowna aus dem Gesellschaftssaal in ihr eigenes Zimmer geflogen und hatte sich dort auf den ersten besten Sitz niederfallen lassen. Einem Marmorbild gleich saß sie unbeweglich da, als Milna, die ihr etwas langsamer gefolgt war, zu ihr trat. Sie näherte sich der Prinzessin und wollte sie anreden; aber in demselben Augenblick begriff sie, daß die Prinzessin das Bedürfnis habe, allein zu sein und ging wieder hinaus, ohne ein Wort zu sagen.

»Armes, armes Mädchen,« sagte Milna zu sich selbst, als sie sich auf ihr Zimmer begab, »warum muß sie doch so viel Kummer haben?«


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