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Kein Mensch hätte sich jemals unterstanden, ungerufen und unangemeldet bei der Kaiserin zu erscheinen und noch dazu zu einer so frühen Morgenstunde! Wie herzlich die Kaiserin auch am vorhergehenden Abend gegen Romanowna gewesen war, so stand doch nicht zu erwarten, daß sie es gut heißen werde, wenn das junge Mädchen so gegen alle Form verstoße; aber Romanowna dachte gar nicht darüber nach ging, ohne auf die Blicke der ihr mit Verwunderung nachstarrenden Bedienten zu achten, geradewegs auf das Schlafzimmer der Kaiserin zu.
»Ihre Majestät sind beim Ankleiden,« sagte der Bediente, der vor der Thüre stand.
»Öffnet,« befahl sie hoheitsvoll und sah ihren Befehl sogleich vollzogen.
»Romanowna,« rief die Kaiserin, als sie das junge Mädchen sah, halb verwundert und halb verweisend.
»Es beliebe Eurer Majestät, mein Hereinkommen zu entschuldigen,« sagte Romanowna, das Knie beugend, »aber ...«
»Wie geht es dir?« fragte die Kaiserin, die in dem Augenblick mehr Teilnahme und Mitleid als Zorn gegen das schöne Kind fühlte.
»Schlecht, sehr schlecht,« sagte Romanowna, »denn ...« »Ja, das Tanzen war für dich zu anstrengend.« sagte die Kaiserin, sie abermals unterbrechend, »aber wenn du dich schonst, werden deine Kräfte bald wiederkehren.«
»Eure Majestät verstehen mich nicht,« sagte Romanowna, »meine Gesundheit ist gut, aber die Angst ...«
»Ja, das sagte der Arzt auch; die ausgestandenen Anstrengungen haben dich geschwächt, und darum ist es sehr nötig, die vorgeschriebene Ruhe zu genießen.«
»Ach nein,« sagte Romanowna ungeduldig, über die wiederholte Unterbrechung, »ich beunruhige mich nicht über mich selbst, aber ...«
»Aber, meine liebe Tochter,« fiel ihr die Kaiserin wieder ins Wort, »du mußt entschieden an dich denken, denn der Arzt fand dich sehr abgespannt.«
»Ich bin traurig wegen meines Vaters,« fuhr Romanowna mit fester Stimme fort, »und um ihn ...«
»Darüber später,« sagte die Kaiserin abweisend. »Zuerst müssen wir suchen dich wieder herzustellen, denn du siehst blaß aus, und ...«
»O, ich flehe Sie an,« sagte Romanowna, ohne die Kaiserin aussprechen zu lassen, »mich einen Augenblick anzuhören,« und vor Katharina niederknieend, fuhr sie fort: »Mein Vater sitzt, in schwere Ketten geschlossen, in einem engen Gefängnis und wartet mit ängstlicher Spannung auf sein Kind, das ihm versprach ...«
»Komm', Romanowna, erhebe dich aus deiner knieenden Stellung und begieb dich zur Ruhe, denn du machst dich selbst krank, wenn du immer an Dinge denkst, die dir Schmerz bereiten,« sagte die Kaiserin hastig und beunruhigt, als sie das junge Mädchen von seinem Vater sprechen hörte.
»Nein,« sagte Romanowna, »ich bin fest entschlossen, und sollte es mich auch mein Leben kosten oder ich mir dadurch die kaiserliche Ungnade zuziehen, nicht eher aufzustehen, bis dieses Schriftstück von Eurer Majestät unterzeichnet sein wird«; bei diesen Worten reichte sie der Kaiserin die soeben von ihr verfaßte Urkunde hin.
»Was soll das?« fragte die Kaiserin verwundert.
»Nur ein Federstrich Eurer Majestät unter diese Zeilen, und mein unglücklicher Vater findet noch Zeit, seine Sünden zu büßen,« sagte Romanowna flehend.
Diese Worte schienen die Kaiserin zu rühren; möglicherweise hatte Romanowna gerade die richtige Saite angeschlagen; denn die Kaiserin unterbrach sie nicht mehr, als sie dieselbe Bitte noch inbrünstiger wiederholte.
»Weißt du wohl, um was du bittest?« fragte die Kaiserin leise.
»Um das Leben meines Vaters.« sagte Romanowna feurig.
»Um das Leben eines Staatsverbrechers,« verbesserte die Kaiserin.
»O, wenn Eure Majestät alles wüßten,« sagte Romanowna eifrig, »wie mein unglücklicher Vater verführt worden ist, wie er oft gegen seinen Willen ...«
»Ja, meine unerfahrene Tochter sieht sicher in jedem Missethäter einen Unschuldigen und Unglücklichen,« sagte die Kaiserin halb scherzend, halb schmeichelnd.
Der Ton mißfiel Romanowna, und sie sagte, ohne zu überlegen, daß das eigentlich unpassend sei: »Eure Majestät sollten nicht scherzen, dazu ist die Sache zu ernst.«
»Aber Romanowna,« sagte die Kaiserin, ohne sich zu erzürnen, »bitte mich um alles was du willst, und ich werde es dir gewähren, aber diese Sache liegt außerhalb meiner Macht. Jemanden, der sich so viel zu Schulden hat kommen lassen, darf ich nicht begnadigen, denn sein Aufstand, sein Betrug, seine Grausamkeiten, in einem Wort, alles Unheil, das er über das Land gebracht hat – er hat mehr als hundert Ortschaften verwüstet – verdienen jedes für sich schon die Todesstrafe.«
»Mein Vater giebt auch zu, daß er nicht ungerecht bestraft wird,« sagte Romanowna, »aber er möchte noch gern auf Erden bereuen. Die Aussicht auf die ewige Strafe, die seiner wartet, ist so schrecklich.«
Geraume Weile flehte Romanowna in dieser Weise die Kaiserin an, bis diese endlich sagte: »Aber selbst wenn ich wollte, könnte es dir nichts mehr helfen, denn meine Befehle sind bereits abgegangen.«
Romanowna fühlte sich wie mit kaltem Wasser übergossen und fürchtete eine Ohnmacht; mit schwacher Stimme fragte sie, kaum hörbar:
»Wann, Eure Majestät?« und fügte erschreckt aufspringend hinzu, als die Kaiserin ihr den Tag genannt hatte:
»Heilige Mutter Gottes! dann kann das Urteil schon seit drei Tagen in Moskau sein. O, unterzeichnen Sie doch gleich, sonst ist es zu spät.«
Halb mit Gewalt drückte Romanowna der Kaiserin eine Feder in die Hand und sah sich ängstlich nach dem Tintenfaß um, während die Kaiserin ihre Blicke über das Papier gleiten ließ und dann in Nachdenken versank.
»Romanowna,« sagte sie endlich, »ich glaube, das Urteil wird rasch vollzogen werden; aber, um dir eine Freude zu machen, will ich noch gleich einen Kurier nach Moskau senden mit dem Befehl, die Vollstreckung aufzuschieben; dann können wir ja weiter sehen.«
»Kein Kurier wird sich so beeilen, wie ich, der Angst und Liebe Flügel geben werden,« sagte Romanowna; »o, unterzeichnen Sie doch geschwind,« fügte sie hinzu, nachdem sie ein Tintenfaß gefunden und vor die Kaiserin hingestellt hatte, »damit ich sogleich abreisen kann.«
»Willst du mich denn schon wieder verlassen?« fragte die Kaiserin.
»Ich muß,« sagte Romanowna kurz und deutete auf das Schriftstück.
»Nein, du sollst und darfst nicht,« rief Katharina ärgerlich, »einmal bist du mir entflohen, das wird nicht noch einmal geschehen.«
»O Majestät,« sagte Romanowna, während ihre Augen sich mit Thränen füllten, »Sie würden nicht so sprechen, wenn Sie wüßten, wie ich hin- und hergeworfen worden bin, und wie viel ich gelitten habe,« und von der Anspannung überwältigt brach sie in Thränen aus.
»Sieh' da,« sagte die Kaiserin, auf ihrem Gesicht war deutlich mitleidige Liebe zu lesen; sie reichte ihr das Schriftstück; »du kannst es nach deinem Gutdünken verwerten. Ich werde ein für dich geeignetes Fuhrwerk bestellen; aber versprich mir, daß du zu mir zurückkommst, sobald du dein Vorhaben ausgeführt hast.«
»Ist das eine Bedingung?« fragte Romanowna, während sie das Papier mit einer dankbaren Verbeugung nahm.
»Eine Bitte,« sagte Katharina, »deren Erfüllung, wie ich mir schmeichle, dir hoffentlich nicht schwer werden wird.«
Romanowna überlegte einige Augenblicke und sagte dann leise: »Gnädigste Kaiserin! so lange ich lebe, werde ich nie vergessen, was Eure Majestät immer und hauptsächlich heute für mich gethan haben; aber ich fürchte, es wird meine Bestimmung nicht sein, mein ferneres Leben am Hofe zuzubringen.«
»Deine Bestimmung?« wiederholte die Kaiserin. »Habe doch nicht so thörichte, kindische Einfälle, Romanowna.«
»Darf jetzt mein Vater mein einziger Gedanke sein?« bat Romanowna schmeichelnd. »Ich gelobe heilig, daß ich keinen wichtigen Schritt thun werde ohne das Vorwissen Eurer Majestät; aber ich habe jetzt nur Gedanken für meinen Vater, der, wenn ich nur eine Minute zu spät komme, nicht mehr am Leben sein wird.«
Die Kaiserin hatte den Mut nicht, dem jungen Mädchen zu sagen, daß sie sicher zu spät kommen werde, und sie widersprach nicht, als Romanowna sich zum Weggehen anschickte.
»Wenn ich noch rechtzeitig ankomme, werde ich mit meinem Vater zusammen leben und Gott bitten, daß er Eurer Majestät fortdauernd zu allem Seinen Segen geben möge,« sagte Romanowna, in herzlicher Umarmung von der Kaiserin entlassen.
»Sei überzeugt, daß du mich stets bereit finden wirst, dir jede Bitte zu gewähren,« rief Katharina ihr nach.
Auf Befehl der Kaiserin wurde für Romanowna ein bequemes Fuhrwerk mit starken Pferden bespannt, auch erhielt sie ein ansehnliches Geldgeschenk. Christine reichte ihr mit verständnisvollem Nicken hinter Milnas Rücken die erbetene Adresse, die von Romanowna halb mechanisch genommen und in die Tasche gesteckt wurde.
»Ich bin verwundert,« sagte Milna bei der raschen Abfahrt zu Romanowna, »über den Erfolg deines gewagten Schrittes. Ich fürchtete sogar, eine Verbannung nach Sibirien könne dein Los sein. Denn Christine hat mir erzählt, die Kaiserin sei in der letzten Zeit so streng und unnahbar gewesen, daß jeder sich vor ihr gefürchtet habe.«
»Gott hat mir also sichtlich beigestanden,« sagte Romanowna, »denn die Kaiserin war so herzlich und liebevoll gegen mich, daß der Gedanke, sie nie wiederzusehen, mich wirklich betrübt.«
»Wirst du sie denn nicht wiedersehen?« fragte Milna.
»Welche Frage?« war die Antwort, »wenn wir noch rechtzeitig nach Moskau kommen, dann werde ich immer nur bei meinem Vater leben, und kommen wir zu spät, dann ... o nein, daran darf ich gar nicht denken,« sagte sie und versank in trübes Sinnen.
»Sonderbar,« sagte die Kaiserin im Verlauf desselben Tages zu ihrer Vertrauten, »daß die Tochter eines Mannes, der mir so viel Ärger bereitet hat, so viel über mich vermag, daß ich ihr nichts abschlagen kann; eigentlich ist es doch nicht gut. daß Pugatscheff die Freiheit geschenkt wird.«
»Eure Majestät ist doch überzeugt, daß der Mann nicht mehr unter den Lebenden weilt, wenn Romanowna in Moskau ankommt,« bemerkte die Hofdame.
»Ich fürchte es,« antwortete die Kaiserin, »aber glauben Sie mir, es wird mir herzlich leid thun, wenn ich höre, daß das Urteil bereits vollzogen ist, denn Romanowna wird sich sehr unglücklich fühlen, wenn ihr Vater nicht mehr lebt.«
Prinzessin Daschkoff antwortete nicht, aber sie zuckte beinahe unmerklich die Achseln, da sie nicht gewöhnt war, die Kaiserin in solch' liebevoller Stimmung zu sehen. Diese aber meinte diesmal aufrichtig, was sie sagte, und begleitete in Gedanken ihre Pflegetochter auf der Reise.