Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

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Straßenbilder

(1837; 1842)

Berlin ist weniger belebt als andere große Residenzstädte; seine Lage fordert nicht viel zu Spaziergängen auf, das Wetter ist selten recht freundlich, die große Masse der Beamten sitzt im Bureau oder zu Hause am Schreibtische, eben so die pedantischen Gelehrten und die strebenden Jünger der Wissenschaft. Der reichen Cavaliere, welche auf der Straße zu Hause sind, haben wir wenige, und der größte Theil der Kaufleute und Handwerker muß bis spät in den Abend hinein arbeiten, seine kümmerliche Existenz zu fristen. Dazu kommt noch die angebotene Häuslichkeit der Berliner, das Verbot des Rauchens auf der Straße und überhaupt die große polizeiliche Sorgfalt, welche jede Regung eines Sinnes für öffentliches Leben bewacht. Die Kaffeehäuser sind fast sämmtlich in der Belletage, und auch die vielbesuchten Conditorläden ohne alle Correspondenz mit der Straße; eine eigentliche Promenade bieten nur die Linden, welche von der Akademie bis zum Brandenburger Thore drei Alléen bilden: die breite Hauptallée für die Lustwandelnden und zu beiden Seiten dichtbelaubte Passagen für die Reiter. Diesen zur Seite laufen die gewöhnlichen Straßen mit ihren Equipagen und Fußgängern, im buntesten Gewimmel, wenn einmal ein Sonntag seinen Namen rechtfertigt, und warme, freundliche Strahlen über den grünen Thiergarten, über das Monument auf dem Kreuzberge, über die triumphierende Victoria wirft, über die geräumige Casernen, über das Opernhaus und die hohen Kirchen, über das gewaltige, kräftig-schöne Zeughaus und die Ordens-Commission, über die Akademie und das Censurbureau, über das imposante Museum und über das Corps de Ballet, über das alte ehrwürdige Schloß und über Eulner's brillanter Niederlage aller Sorten doppelter und einfacher Branntweine. Aber auch an solchen schönen Tagen bemerkt man hier keine öffentliche Lust. Alles huscht ohne Aufmerksamkeit, ohne Coquetterie aneinander vorüber, nur Wenige finden ihren Genuß im Sehen und Sichsehenlassen, die Meisten wollen erst später genießen, und eilen hinaus nach dem Alpha und Omega unserer Erholungsörter, nach dem grünen erquicklichen Thiergarten.

Am meisten der öffentlichen Lust hinderlich ist das fremde Gegenüberstehen beider Geschlechter in Berlin, vom höhern Bürgerstande bis zur feinsten Gesellschaft hinauf. In den Restaurationen sowohl wie in Kaffeehäusern und Conditoreien ist eine Dame eine sehr seltene Erscheinung, und muß sich gefallen lassen, von allen bewaffneten und unbewaffneten Augen immerfort begafft zu werden: nur die unterste Volksklasse ist so gescheidt, in den Puppenspielen, Tanztabagieen etc. sich ohne Unterschied des Geschlechtes einzufinden, zu spielen, zu singen und zu jubeln auf jede mögliche Weise.

Am langweiligsten ist Berlin in den Monaten Juli und August, wann der Hof und die reichen Leute in Bädern, auf den Landhäusern oder auf Reisen sind. Dann ist seine Physiognomie so indifferent und hypochondrisch, daß das sonst so schöne Brandenburger Thor wie sein Mund erscheint, den es im Gähnen fortwährend geöffnet hält. Zwar tritt Berlins Ausdruck der Vornehmheit durch diese Stille noch deutlicher hervor, und man sieht sich fast gezwungen, im Thiergarten zu antichambriren, allein diese Vornehmheit ist dann nicht wohlthuend. Der gestrenge Herr bewegt keine Miene, schaut gleichgültig zum Fenster hinaus und erwiedert nur in ganz gewöhnlichen Redeformen, welche Seite seines Geistes oder seines Herzens man auch berühren mag. Keine glänzenden Equipagen, keine Hof-Festlichkeiten, keine Assembleen, keine Bälle und großen Concerte, keine Paraden, keine wissenschaftlichen und patriotischen Versammlungen, keine großen Opern und gar keine Ballets! Der Luxus und die Residenzlichkeit sind erloschen, die bleiche Prosa, die nüchterne Alltäglichkeit treten heraus: Berlin hat nach zehn Monaten üppigen Lebens und geistigen Treibens einen physischen und moralischen Schnupfen.

Uebrigens zerfällt Berlin's Physiognomie in zwei Seiten, in eine vornehme und sorgliche; nur die Friedrichsstadt ist vollkommen aristokratisch, die anderen Stadttheile sind weniger durch breite Straßen und prachtvolle Häuser geschmückt, sondern sind lebendiger durch Handel und Wandel und tragen im Ganzen mehr den Ausdruck des Bürgerlichen. Aber characteristische Eigenthümlichkeiten stoßen dem Fremden in jeder Straße auf, überall sieht man die hervorstechende geistige Richtung der Bewohner, und wer nicht an allen Ecken und Enden nur die Schildwachen, Gensd'armen, Theaterzettel und polizeilichen Bekanntmachungen bemerkt, sondern tiefer in das Leben und Treiben der Spreebewohner blickt, der wird trotz Staub und Sand einen Saamen für weltgeschichtlich-große und schöne Thaten erkennen.

Nun aber zeige ich Euch die Stereotyp-Bilder der Straße und lasse ihr Volksleben deutlicher hervortreten. Ich bin Gott, wecke die Sonne in ihrem Rosenbette, und gebiete ihr, den ersten morgendlichen Strahl über das träumende Berlin zu werfen, nach und nach heraufzuziehen an seinem Horizonte, majestätisch zu glänzen und dann wieder langsam hinabzusinken in das purpurne Bette des Westens.

Es ist vier Uhr Morgens: der alte pelzeingehüllte Nachtwächter pfeift die Nacht aus und überläßt den Tag sich selbst und seinen Launen; die Waschfrauen kommen mit ihren Laternen; die Gasbeamten mit ihren Leitern löschen das künstliche Licht und wundern sich, daß die Sonne gratis brennt. Die Bäckerburschen öffnen das Gewölbe ihres Herrn und bringen den in der Nähe wohnenden Victualienhändlern ihr tägliches Brod, ihre täglichen Semmeln, Milchbrode, Zwiebäcke, Schrippen und Salzkuchen. Die Bauerfrauen der nächsten Dörfer kommen mit ihren Milchkarren, von Hunden oder Pferden gezogen, und bringen das, zu dem die Kuh in der Welt ist. Leise knarrt, als brumme sie über die frühe Störung, hier und dort eine Hausthür auf, Handlanger und Gesellen gehen an die Arbeit. Die Häuser erwachen nach und nach, schütteln die Träume aus den Dächern, gähnen durch die Schornsteine und recken die Glieder; die Riegel der Fenster und Läden klirren auseinander. Alles geht an die Pflicht des Tages, ohne die letzte Schaale Kaffee mit dem Gedanken zu verschlucken, daß man nun ein Stück Weltgeschichte machen helfen muß. Die Stiefelputzer eilen mit Wichse und Bürste von Herrn zu Herrn. Der Barbier drüben aus dem Hause schmeißt den weißen Schaum der Seife aus der blechernen Kapsel auf die Straße und sich selbst in einen burschikosen Gang, damit ihn Unkundige für einen Studio halten; flinker säuselt noch der langbeinige, grauschimmelfarbige Friseur, welcher die kohlschwarzen Haare der schönen Sängerin an der Ecke in zierliche Flechten zu bringen hat. Drüben an dem Bau ist Alles geschäftig; man trägt und karrt und kalkt an einer neuen Hütte, in welcher Menschen geboren werden und sterben sollen, um inzwischen Miethabgaben zu geben. Ein kohlschwarzer Leichenwagen rumpelt langsam vorüber, und knarrt mit seinen breiten Rädern das traurige memento mori; sieben Kutschen mit Menschen und Kummer folgen ihm; sie begleiten ein Stückchen Staub aus der Stadt, das sich nicht mehr putzt und keine Pläne mehr macht. »Verdammter Esel!« schreit ein erzürnter Tischlerbursche, der eine Wiege und ein Hochzeitsbett karrt, und von einem drallen Schusterbuben unsanft gestoßen wurde. Der Rentier steckt die lange Pfeife aus dem Fenster, verpafft ein Paar Blätter der amerikanischen Tabakspflanze, ohne dem Christoforo Colombo dafür zu danken, und sieht zu, welche Eile diejenigen Menschen haben, die nicht Rentiers sind; eine Schwalbe fliegt schnell über seine Nase. Einige trübe Wolken drängen sich zusammen und scheinen die Sonne verdunkeln zu wollen, von Zeit zu Zeit bläst ein kalter Abend über die sandigen Fluren der Mark Brandenburg: ganz in der Ferne läßt sich ein Gensd'arme sehen. Nun wird es lebendiger und immer lebendiger. Die Eckensteher taumeln schon vor den Schnapsläden; die Brauerknechte jagen mit langen Tonnenbeladenen Wagen durch die Stadt und bringen den Tabagiewirthen und Victualienhändlern das vortreffliche Weißbier; auch die Destillateure, die Priester Bachus II., laden ihre Fässer auf und sorgen für Witz und Rohheit; Militair zieht mit lärmender Musik durch die Straßen, zu Fuß und zu Pferde. Die hübschen Tänzerinnen fahren zur Probe, damit sie sich nicht erkälten und Abends ihre Füße nicht heiser werden. Die Zettelankleber, mit kleiner Leiter und Kleisterfaß, benachrichtigen die Berliner durch große Affichen »wat heute los is,« »wat jejeben wird« und »wo se heute den Dollen ausdreiben.«

Musikanten, blinde und lahme, gehen in die Höfe und erspielen oder ersingen sich ein paar Pfennige, die ihnen bald aus diesem, bald aus jenem Fenster zufliegen; jener Schneiderbursche, welcher so eben von seiner Meisterin eine Maulschelle empfing und zur Thüre hinausgeworfen wurde, hört zu einer alten Harfe von kreischender Stimme das Lied:

Was soll ich in der Fremde thun?
Es is ja hier so schön!
Sie reichte mir die zarte Hand
Und sprach: nun kannst du gehn!

Die Höker und Hökerinnen rufen ihre Waaren aus, die Männer im tiefsten Basse, die Weiber mit heiser kreischender Stimme; je nachdem die Jahreszeiten wechseln, hört man: »Beeren, Beeren, Beeren!« »Kiirsch, Kiirsch!« »Eepel, Eepel, Eepel!« »Koft Pflaum!« »Radi, Radi, Radi!« »Rüberett, Rüberett!« »Biicklingeeh!« »Stiint, koof Stiint!« »Spandauer Zimmtprätzel, Spandur!« »Flootmeliek!« »Neun-Ogen!« »Fiisch, Fiisch!« »Karebsa Krebs!« Die fortlaufenden Handelsartikel und Ausrufungen dagegen sind: »Koof Beß, Beß!« »Sand, weißen Sand!« »Klamir, Klamm!« »Koof Stitz, Stitz!« »Kien, Kien!« Der Lumpensammler, genannt Plundermatz, karrt seinen Kasten langsam von Haus zu Haus, pfeift und ruft: »Plundern, bring Plun!« Die mit alten zerrissenen Hemden, Tuchflicken und anderen Embryo's der Literatur und Intelligenz herantretenden Weiber und Kinder erhalten von diesem wichtigen Staatsmanne Stecknadeln, Zwirn, Fingerhüte u. s. w. Der Gypsfigurenhändler trägt auf seinem Kopf ein langes Brett, auf welchem die Büsten fürstlicher Häupter, Schiller, Göthe, die medicäische Venus, ein großer Hund, mehrere die Köpfe bewegenden Katzen, und andere Figuren stehen, und schreit: »Figurika, schöne Figurik kaaf!« Auch der Bürstenbinder trägt seine Waaren durch die Stadt und ruft: »Bürst, Bürst!« Der Nadler! »Mausefallen, Brille, Nähnadel, wer kauft,« und der Kesselflicker setzt sich mit seinen rußigen Weibern und Kindern vor einem Hause nieder, schnarrt seinen Spruch: »Ha'n Se nischt zu löthen, Theekessel auszukloopen, Löffel zu gießen, Töpfe zu flechten, Lampen zu löthen?« schnell herunter und klopft und flechtet und löthet dann auf offener Straße mit Hülfe eines Kohlentopfes.

Der Mittag ist herangekommen, die vornehmere Welt promenirt ein wenig, die Garçons und Studenten gehen in die Restaurationen, Gasthäuser und Weinstuben, ihren Hunger und Durst zu stillen; die Kinder spielen, die eigentlichen immerwährenden Straßenjungen haben sich bei den Küstern der Kirchen erkundigt, wo Hochzeiten, Kindtaufen oder Leichenbegängnisse stattfinden, und verdienen sich ein paar Groschen mit dem Oeffnen der Kutschen, springen hinten hinauf und versehen die Geschäfte der Bedienten. Zwei blau equipirte Beamte, von der Regierung Armenwächter, vom Volke Bettelvoigte genannt, schleichen umher, und suchen Das zu verhindern, was die nothwendige Folge der menschlichen Raub- und Herrschsucht ist: ein armer Handwerksbursche, der sich ein paar Groschen zur Weiterreise erbetteln wollte, wird gepackt und nach der Stadtvoigtei gebracht, eine fürstliche Equipage fährt mit raschen strotzenden Pferden und goldgezierten Bedienten vorüber. Die Torfweiber tragen aus jenem Schiffe das schwarze Brennmaterial auf die Straße, reißen Zoten, schimpfen und prügeln sich, der Briefträger springt mit tausend Hoffnungen, Plänen und Wünschen Treppe auf, Treppe ab, auf der Brücke aber steht ein Unglücklicher und sieht hinunter in die dunkle Spree, welche vielleicht schon morgen über seinem Leichnam hinwegfluthet. Die Colporteure der Journale werfen ihre letzten Blätter in die Läden, ein magerer Censor schleicht gekrümmt und mit Orden geschmückt an den Häusern vorbei, ein Verbrecher gegen die Menschheit, wahrscheinlich ein Dieb, wird von einem Gensd'armen gefaßt, und ein erzürnter Meister giebt seinem Lehrburschen eine gewichtige Maulschelle und ruft: »Dir wird der Deibel schon holen!«

Es ist Abend geworden; die Theater sind erleuchtet, die Straßen werden es so eben; bunt strahlen die Gewölbe der Kaufleute. Ein Posthorn schmettert, der Fiaker schreit, daß man sich nicht überfahren lasse, ein Betrunkener wird mit lautem Jubel verfolgt. In den Restaurationen klappern die Billardkugeln, in den Schnapsläden und Weinhäusern klingeln die Gläser, die Wagen rasseln und rollen, die ästhetischen Thee's und die schlichten, fröhlichen Familienfeste rauben den Straßen nach und nach ihr Leben. Die helle Academieuhr unter den Linden zeigt auf Neun; die bedeutungsvollste Stunde für jene alleinwandelnden Damen, die feurige Blicke aus ihren verglimmenden Augen schießen, und auch wohl die Männer ansprechen, wenn keine Polizei in der Nähe. Um zehn Uhr wird es schon still und leer; der Nachtwächter piept und ruft: »Zehn ist die Glock!« schließt die Häuser und legt sich auf die nahe Treppe, um von seinen Pflichten zu träumen. Der blasse Mond schleicht sich durch die trüben Wolken, welche sich über Berlin zusammenziehen, und kaum ist sein spärliches Licht ganz unterdrückt, so stürzt ein prasselnder Regen herunter, der zackige Blitz theilt die schwarzen Himmelswogen, und grollend und murrend rollt der Donner über die schlafende Residenz.

 
Einzelne Bilder

Die Currende

Mehrere Knaben mit schwarzen, dreieckigen Hüten und Mänteln gehen von Haus zu Haus, gruppiren sich um ihren Führer und singen. Inzwischen springt Einer von ihnen zu den Leuten, welche sich nolens volens ansingen lassen müssen, und bittet um eine kleine Gabe. Die Tenore sind ganz kleine Jungen, und die Baritonisten etwas größere; den Baß besorgt der alte versoffene und krummbeinige Führer allein, und läßt sich nur dann in seinem zarten Gebrüll unterbrechen, wenn der Sängerchor unartig wird, oder ein Glied desselben den Verdienst, welcher oft in Materialien besteht, gemüthlich verzehrt.

Führer. (den Ton angebend) Ueb' –

Chor und Führer.

»Ueb' immer Treu und Redlichkeit,
»Bis an dein kühles Grab,
»Und weiche keinen –

Führer. (wackelt auf einen Jungen los, reißt ihm einen Salzkuchen aus der Hand und giebt ihm einen Katzenkopf) Verdammter Bengel, ick schmeiße Dir jleich – (singt wieder im tiefsten Basse:)

»                                 Finger breit
»Von Gottes Wegen ab,
»Von Gottes Wegen ab.«

Lof da rin, Bengel, bei den Schlächter, un seh' zu, wat de krigst.

   »Dann wirst du, wie auf grüner Au,
»Durch's Erdenleben geh'n;
»Dann –

Ein Tenor. Na, det laßt de sind, dummer Schafskopp!

Ein Bariton. Wenn de stoßt, stech' ick dir 'ne Bremse. (er holt mit der Hand aus)

Führer. (auf sie losfahrend) Na wat is hier wieder los! Ruhig, verfluchte Bengels –

            »             kannst du ohne Furcht und Graun
»Dem Tod in's Auge sehn,
»Dem Tod –

(Zu dem Sammler) Infamige Kröte, wirst du die Leberwurst nich anknabbern: Jleich giebste her, Jierschlunk!

      »Dem Bösewicht wird Alles schwer,
»Er thue, was –

Wat stechst Du da in, Reeseler? Mach' mal de Hände uf!

Ein Tenorist. Det sind sechs Dreier, die mir da drinn ein Mann für mir alleene geschenkt hat.

Führer. Wat, vor dir alleene? Willste gleich rausrücken, du Hallunke, Du! Wovor jloobsten, det ick mir hier mit Euch de Ohren vollsinge. (steckt das Geld ein) Schafskopp!

»                         was er thu';
»Das Laster treibt ihn hin und her,
»Und läßt ihm keine Ruh,
»Und läßt ihm keine Ruh.«

Sie nehmen sämmtlich die Hüte ab, und stellen sich vor dem nächsten Hause auf. Unterweges spricht der Führer mit zornglühendem Gesicht zum Chor: Imfamigte Jungens, nu sag' ick euch zum letzten Mal, (er nimmt die Schnapsflasche aus der Tasche und trinkt) wenn Ihr nu nich Allens an Euren Herrn abliefert und Euch orndlich bedragt, so schlag' ick Euch Eure dummen Köppe in, dumme Jungens! (einstimmend:) Laßt –

        »Laßt uns, Ihr Brüder, Weisheit erhöhn,
Singet Ihr Lieder, feurig und schön.«

 
Das gefallene Pferd

Ein Pferd fällt auf die Straße und will, trotz aller Bemühungen des Kutschers, nicht wieder aufstehen. Sogleich versammeln sich eine Menge Bürger, Gesellen, Eckensteher und Straßenjungen; mehrere von ihnen helfen dem fluchenden Kutscher, Andere ergehen sich in Scherzen.

Eckensteher Neumann. (hält die rechte Hand über die Augen und betrachtet das Pferd) Hören Se mal, lieber Fuhrmann, des Pferd is hinjefallen, wenn ick mir nich irre.

Kutscher. (immer mit dem Pferde beschäftigt) Schade, det et Dir nich uf den Kopp jefallen is, da hätten wir Grütze.

Maurergeselle Pesenecker. Kutscherken, dhun Se mir den Gefallen, un lassen Se dieses Pferd liegen; dieses ist über die ersten Jujendthorheiten hinaus, un will sich ruhen. Ruhe ist die erste Pferdepflicht, wir Menschen müssen wat dhun. Dieser Andalusier wird crepiren.

Ein Straßenjunge. Jott, wat hat det Pferd vor schöne Knochens! Sagen Se mal, Fuhrmann, warum haben Se denn diesem arabischen Schimmel heute keen Fleesch anjezogen?

Posamentier Reetzel. Sie schmeicheln sich einer Irrung, lieber Junge der Straße. Dieses ist kein arabischer Schimmel, sondern ächtes Kyritzer Vollblut, – Mutter: Hektor, Vater: Birchpfeiffer.

Zweiter Straßenjunge. Pfui Deibel, det Thier schlägt aus! Nanu wird et bald Frühling werden. Ach Jott, ne, ick habe mir versehen: et deklamirt man blos. Et denkt jetzt: leb' wohl, du theures Land, das mir jeboren!

Eckensteher Neumann. (hält die rechte Hand über die Augen und betrachtet das Pferd) Hören Se mal, lieber Fuhrmann, des Pferd is hinjefallen! Man sollte es wieder versuchen in de Höhe zu bringen!

Alle. Nanu, nanu, jetzt steht et uf! Ne! da fällt et wieder hin! Nanu! Ne, da liegt et wieder!

Kutscher. Kotz Schock Schwerenoth! Na du kömm' mir zu Hause! –

Ein Betrunkener. Hören Se 'mal, machen Se 'mal hier Platz! Machen Se 'mal hier Platz, machen Se 'mal! Ick komme! Hören Se , mal, das Pferd... (er lächelt und bringt den begonnenen Gedanken nicht zu Ende) Meine Ansicht is...

Ein Straßenjunge. Haben Se ooch noch 'ne Ansicht? Ick jloobe, Sie werden schief über die Sache urtheilen!

Der Betrunkene. Det Beste is – det Beste is – man bringt det Pferd wieder zum Stehen! Wie? Insofern kann es – kann es denn nachher loofen, denn kann es nachher loofen. Wohin es will, kann es...

Mehrere Straßenjungen. Na hören Se, Sie können sich verziehen, besoffner Jüngling! Wissen Se wat, jehen Se da nach den Rennsteen, un lejen Se sich in's Bette.

Eckensteher Neumann. Ja, det dhun Sie, Jeistesverwandter! Wenn det Pferd ufjestanden is, werden wir Ihnen wecken.

Handlanger Schneeke. (schreit) Herrjees! Platz da! des Pferd jeht durch! (geht ruhig weiter)

Posamentier Reezel. Hör'n Se mal, Kutscher, dieses Vollblut scheint doch am Ende aus Rußland zu seind: es hat noch keine Façon, un is en tück'scher Racker. Wissen Sie was, verabfolgen Sie ihm die Knute.

Ein Straßenjunge. Ne, ne, det hilft nischt! Kutscherken, ick wer Ihn'n 'ne span'sche Flieje holen, denn springen Se blos uf de Deichsel und halten se über det Pferd.

Colporteur Wipp. Ne, det hilft ooch nischt, die Spanier ziehen jetzt nicht mehr. Wissen Se wat? Hier haben Se sechs Spenersche Zeitungen; legen Se die den patriotischen Wallach unter, denn springt er uf. Ick sage Ihnen, Kutscher, dhun Se't! Sie kennen die Politik in de Spenersche nich! Det hält keen Pferd aus!

Alle. Nanu, jetzt, hü, brrr! Da! Da richtig, nanu steht et!

Colporteur Wipp. Sehen Se woll, Kutscher, wat ich Ihnen sagte! Des Pferd hat Angst jekricht. So'n Thier is klug.

Eckensteher Neumann. (hält die Hand auf) Na, wie is et denn, Fuhrmänniken? Krieg' ick keen Bierjeld?

Kutscher. (ist auf den Wagen gestiegen, treibt die Pferde an, und fährt schnell fort; sich umdrehend) Dämliche Package, Alle zusammen! Witze können Se machen über Allens, aber dhun dhun se nischt!

Der Betrunkene. (ihm nachtorkelnd) Nu fährt der Kerrel, fährt er jradezu immer weiter, immer weiter, ohne mir mitzunehmen. So'n schafsdämlicher Kerrel is mir in meinen janzen Leben noch nich vorjekommen.

 


 


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