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Wer auch das Programm dieser Schaustellung entworfen hatte, jedenfalls war er darauf bedacht gewesen, durch Kontraste zu wirken.
Nach dem stimmungsvollen Nautsch folgte als Gegensatz eine derbe, volkstümliche Clownszene: Zwei angebliche Pferdehändler aus Pendshab begegneten sich als gute Freunde, gerieten aber wegen der verschiedenen Vorzüglichkeiten ihrer lebendigen Ware in einen Streit, der das ganze reichhaltige Schimpfvokabular der indischen Volkssprache weidlich ausnutzte und nahe daran war, in Tätlichkeiten überzugehen, als sie sich plötzlich wieder versöhnten, sich bezechten und Arm in Arm unter dem heiteren Beifall der lachlustigen Zuschauer die Bühne verließen.
Die jetzt auftretenden Akrobaten setzten durch ihre halsbrecherischen Künste fortwährend Amanda in große Angst, und sie atmete erst wieder recht auf, als diese Gleichgewichtskünstler mit ihren mastenhohen Bambusstangen wieder das Feld räumten, und eine gar seltsame Figur die Arena betrat: ein Malaye, nach der Hautfarbe zu urteilen, mit einer Krone von Vogelfedern auf dem Kopf und einem kurzen Röckchen aus demselben fröhlichen Material – ein wahrer Papageno. In der Hand trug er einen langen, dünnen, weißen Stab. Er war von drei Knaben begleitet, deren jeder einen Käfig aus Bambusrohr auf den Boden hinstellte.
Kala Rama beugte sich etwas gegen Edmund vor:
– Wenn die vorhergehende Leistung, edler Sahib, Ihnen vielleicht etwas minderwertig erschien, obwohl sie in ihrer Art wohl eine vorzügliche zu nennen ist, so werden Sie jetzt, glaube ich, reichlich entschädigt werden. Denn dieses ist etwas so Eigenartiges, daß es sich wohl lohnt, die Aufmerksamkeit eine Viertelstunde lang darauf zu richten, und sie werden es nicht leicht anderswo in solcher Vollkommenheit sehen. Der Taubenabrichter der Rani wird uns seine Künste zeigen und die seiner geflügelten Untertanen.
Edmund stutzte: – Was für eine Botschaft hatte ihm die Rani an den Brahmanen-Löwen mitgegeben? »Wo die weißen Tauben kreisen.«
Der eine Käfig wurde geöffnet. Eine Schar kupferbrauner Tauben – etwa zwanzig an der Zahl – flog heraus, und zum größten Erstaunen der europäischen Gäste gehorchten sie der Stimme und dem Stabe des gelben Papageno: bald in Zirkeln, bald in langgedehnten Elipsen, bald in kunstvollen Schleifen, bald niedriger, bald höher, kreisten sie über den Köpfen der entzückten Zuschauer. Ein Wink, und der zweite Käfig öffnete sich. Eine ebenso große Schar von schieferblauen Tauben wirbelte heraus, und in ihrem Eifer, die Höhe zu gewinnen, mischten sie sich mit der schon in der Luft schwebenden braunen Schar, bis alles ein verworrenes Durcheinander war. Es schien hoffnungslos, hier wieder Ordnung hineinbringen zu wollen. Aber einige durchdringende Kehllaute Papagenos, von magischen Bewegungen des weißen Stabes unterstützt, zauberte sehr bald eine merkliche Veränderung in die Bewegungen der Vögel hinein. Anstatt des ziellosen Hin- und Herflatterns trat bewußtes Sich-Suchen und Sich-Fliehen, bis die blaue und die braune Schar getrennt nebeneinander schwebten, sich in Reihen ordneten und nun in zwei Kolonnen – die blaue zuerst – über der Arena kreisten.
Kaum war aber diese musterhafte Ordnung hergestellt, als eine weiße Schar aus dem dritten Käfig so ungestüm hervorbrach, daß alles wieder in ein Chaos zurückfiel. Etwa siebzig Tauben taumelten kaleidoskopisch durcheinander. Aber es gelang der Stimme und dem unermüdlichen Stabe Papagenos, sie wieder in drei Kolonnen zu ordnen, die jetzt auf sein Kommando und seinen Wink allerlei Luftevolutionen ausführten. Die weiße Schar stürzte wie zum Kampfe auf die braune los, durchbrach die geflügelte Phalanx, machte Kehrt und griff den in Unordnung geratenen Feind wieder an, bis dieser nach allen Seiten davonfloh, worauf dann die blauen Tauben den Kampf mit den Siegern aufnahmen; dann sammelten sich auf ein neues Signal die blauen und die braunen in je einen dichten Klumpen und stiegen wechselweise senkrecht auf und ab, wie zwei Eimer in einem Brunnen, dessen weißer Marmorrand von den sie umkreisenden weißen Tauben gebildet wurde. Aber ein neuer Ruf mit dazugehörender Stabbewegung ordnete nun alle drei Scharen in einen horizontalen Plan. Es war, als ob eine mächtige, dreifarbige PankhaDie Pankha ist ein unter der Decke befestigter, langsam schwingender, großer Fächer, von ca. zwölf Fuß Länge. über dem Theater gespannt wäre, langsam sich hebend und senkend mit der Regelmäßigkeit tiefer Atemzüge und einem erfrischenden Rauschen und Klappern von hundert kleinen Flügeln. Ein leises Murmeln allgemeinen Entzückens belohnte diese Hauptleistung Papagenos.
Dieser schwang nun seinen Stab dreimal über dem Kopf und stieß drei aufgeregte Schreie aus.
Sofort stiegen die Tauben in drei getrennten Scharen in die Höhe, deren jede ihre eigene Richtung einschlug, als ob sie nun ganz von dannen fliegen wollten. Die weiße folgte der Allee, zwischen den Zypressenwipfeln fliegend, bis sie an deren Ende den glitzernden Pagodenturm des Parktores umkreiste. Beleuchtet von den Strahlen der Abendsonne schwebte sie lange über der krönenden Tonnenwölbung des hochragenden Bauwerkes gleich einer rosigen Abendwolke, die sich wechselweise entzündete und erlosch, je nach der gleichzeitigen Drehung aller Taubenflügel. –
Und in den Ohren Edmunds sang es mit der summenden Singsangstimme der Rani: »Wo die weißen Tauben kreisen – wo die weißen Tauben kreisen«.
Er wußte, daß draußen irgendwo versteckt Jang Kafur und seine fünfhundert Krieger diesem Taubenflug mit gespanntem Blick folgten und aus ihm ihren Weg erkannten, um in diesen friedlichen Festpark hineinzurücken und ihn als Herrn in den alten Rajapalast einzuführen, der hinter ihm seine zinnengekrönten Bastionen und Türme erhob.
Und er wagte es kaum, Kala Rama anzublicken, als dieser ihn fragte, wie ihm dieses zierliche Taubenspiel gefallen habe. Es war ihm, als müsse der alte Staatsmann in seinen Gesichtszügen lesen können, wie wenig spielerisch ihm dieser Taubenflug war, wie fern er sich von der unbefangenen naiven Freude Amandas befand, die ihren Widerwillen gegen etwas, was von der Rani kam, vollkommen vergessen hatte und mit kindlichem Entzücken in die Hände klatschte.
Sein Blick suchte den Oberpriester und Chandra Singh. Er erwartete sie in vollkommen gleichgültiger Haltung zu finden, gar zu erhaben, um dieses weibische Taubenspiel auch nur eines Blickes zu würdigen. Aber ganz im Gegenteil; sie waren die Erregtesten, zeigten mit den Händen umher, riefen sich quer über die Arena zu: sie wetteten, wie es zwei echten Indern bei einer solchen Gelegenheit gebührte. Wahrscheinlich wetteten sie darum, welche von den drei Scharen zuerst zurückkehren würde, und als ein schnell sich näherndes Flügelsausen die Rückkehr einer Taubenschar verkündete, während die weißen Tauben sich erst nur anschickten, den Gipfel des Torturmes zu verlassen, gebärdete sich Chandra Singh wie einer, der eine Wette – und zwar eine recht hohe – verloren hat.
»Bei Jupiter« – dachte Edmund – »diese Inder sind uns doch voraus.«