Karl Gjellerup
Die Weltwanderer
Karl Gjellerup

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Dreizehntes Kapitel

Der Yogi

Eine hohe Gestalt stand draußen – purpurviolett gegen das Licht.

So blendend war der Glanz des tropischen Sonnenuntergangs, dessen Safran- und Scharlachfarben in der feurigsten Rosenglut zerschmolzen, die über dem ganzen Himmelsgrund stammte, daß es dem Auge unmöglich war, mehr als die bloßen Umrißlinien zu erkennen. Diese aber verrieten sofort den Inder. Ein Strahlenbund schoß zwischen den Waden herein, die unter dem herabhängenden Zipfel des Gewandes frei waren, und ein hoher Turban krönte diese fremde Erscheinung.

Es war vielleicht zu entschuldigen, wenn Edmunds Nerven durch das Abenteuer, das er unterwegs erlebt hatte, eine Erschütterung erlitten hatten, deren Nachwirkungen noch so weit vorhielten, daß sein unmittelbarer Gedanke bei dem Anblick eines Inders, der plötzlich, wie aus der Erde emporgewachsen, auf seiner Schwelle stand, der an einen Thag war, der im nächsten Moment den geweihten Romal so fest um seinen Nacken geschlungen haben würde, daß selbst sein Todesschrei erstickt worden wäre.

Sofort aber erkannte er beschämt, daß dieser Besuch zwar mit jenem gefährlichen Abenteuer in Verbindung stände, aber in einer ganz anderen als der, die er so reflexmäßig gefürchtet hatte.

Denn schon hatte die Turbanspitze der breiten Schulterlinie Platz gegeben, und die volle, tiefe Stimme, die ihr »Salem, Sahib« sprach, ließ ihm keinen Zweifel darüber, daß er seinen rätselhaften Retter vor sich hatte.

– Willkommen, Fremder! sagte er mit höflicher Verbeugung. Bitte, tretet näher! Verzeiht, wenn im ersten Augenblick diese Überraschung mich aus der Fassung brachte, sie ist aber gar freudiger Art. Daß Ihr Euren Sinn geändert und der Stadt Euch zugewendet habt, gibt mir die Hoffnung, daß ich Euch auch als Gast in meinem Hause begrüßen darf.

– Ich danke Euch, Sahib! antwortete der Fremde mit freundlicher Stimme; doch eines Daches habe ich mich längst entwöhnt.

– Ihr seid ein Wanderer, wohl gar ein Büßer?

– Wer ist nicht Büßer, wer nicht Wanderer? Weltwanderer sind wir, das ist unsere Buße.

– Ihr weicht mir mit weisen Worten aus. Verzeiht, wenn meine Frage lästig war. Es ist verzeihlich, glaube ich, daß ich gerne wüßte, wem ich meine Rettung verdanke.

– Eurem Bruder.

– Nun, Brüder sind wir ja auch alle. Wenigstens sagen die Christen es – und handeln auch danach, wie jenes erste Brüderpaar. Nun, wie Ihr wollt, bleibt in der Nebelkappe, und wenn ich Euch mit irgend etwas dienen kann – – –

– Nicht um bedient zu werden – Euch zu dienen kam ich her.

Edmund lachte lustig.

– Nun, was das angeht, ich sollte meinen, Diener habe ich hier gerade genug.

– Das fragt sich noch, Sahib.

– Auch bin ich schon so tief in Eurer Schuld – –

– O, was Ihr mir bis jetzt schuldig seid, das ist nur sehr wenig.

– Das kann ich nicht glauben. Ich hätte diese Gefahr überschätzen sollen? – Ich habe Euch nur das Leben gerettet.

– Nun ich denke, das wäre doch etwas, lachte Edmund. Freilich weiß ich, daß Ihr Inder das Leben niedrig einschätzt. Es ist Euch nur ein Leiden; ich aber – –

– Verzeiht, Sahib, nicht so habe ich das gemeint. Aber denket Euch, Ihr wäret so reich, daß Ihr den ganzen Boden Indiens mit goldenen Münzen pflastern könntet; nach einer einzigen dieser Münzen streckte ein Dieb die Hand aus, Euer Bruder aber verhinderte den Diebstahl. Würdet Ihr ihm viel zu danken haben? Weniger noch habt Ihr bis jetzt mir zu danken.

– »Bis jetzt«, sagt Ihr? und später werde ich Euch mehr zu danken haben?

– Wenn ich Euch zeige, was ich vermag, und wenn Ihr es versteht.

Edmund sah ihn eine kurze Weile schweigend und prüfend an.

– Ihr seid ein Yogi, wenn ich Euch recht verstehe, und rühmt Euch wohl der magischen Kraft, die Wunder wirkt.

– Was Ihr so Wunder nennt, entgegnete der Fremde in einem geringschätzigen Ton.

– Fast glaube ich Euch, denn ich muß gestehen, als Ihr mir dort oben entgegentratet, ergriff mich wie nie zuvor ein Gefühl des Außerordentlichen. Yogikünste habe ich ja schon viele gesehen. Aus einem Kern, den ich selber in den Topf legte, ließ einer einen Mangobaum aufwachsen und blühen und Früchte tragen, die ich aß. Ein anderer hat sich vor meinen Augen fußhoch in die Luft erhoben, als er Abschied nahm. Solche Künste aber erwarte ich nicht von Euch.

– Und das mit Recht.

Edmund trat einige Schritte zurück und zeigte nach dem Bilde Lord Byrons empor, das in der letzten Tagesglut seltsam auflebte.

– Nun wohl, seht Euch dies Bildnis an. Zehn Jahre sind dahin, seitdem der Mann, der diese Züge trug, die Welt verließ, die noch von seinem Namen widerhallt. Denn er war einer jener Feuergeister, über deren Aschenrest dies greisenhafte Geschlecht jahrhundertelang seine Hände wärmt. Wer aber das Flammenleben mit erlebt hat, wer die Funken sprühen sah, die nachher sternengleich die Völkernacht durchleuchteten, der weiß, was Leben heißt. Und so weiß ich es. Er war mein Freund. Oft saßen wir in später Nacht beisammen und sprachen ernst vom Leben und vom Tod und von dem dunklen Jenseits des Todes und auch wohl davon, ob je von dorther ein Abgeschiedener zurückkehrt und uns Kunde bringen kann. – Yogi! könnt Ihr ihn zur Stelle bringen, so daß ich die mir vertrauten teuren Züge wieder sehe und jetzt wie damals seine Stimme höre?

Gespannt blickte Edmund den Fremden an, atemlos seine Antwort erwartend. Dieser schien nichts Außerordentliches an seiner Forderung zu finden, sondern antwortete mit ruhiger Stimme, in der fast eine leise Heiterkeit durchklang:

– Wenn Ihr verlangt hättet, Euren anderen Freund zu sehen, ihn, dessen Herz Ihr aus den Flammen des Scheiterhaufens gerissen habt, am Gestade der blauen See –

Edmund trat zurück, und mit starrer Bestürzung diesen sonderbaren Inder anblickend, rief er:

– Shelley meint Ihr? Wie könnt Ihr wissen?

– An der Hand, die Ihr mir entgegenstreckt, sehe ich noch das Brandmal. Wenn Ihr ihn zu sehen verlangtet, das dürfte wohl schwerer halten, denn weniger war er mit Erdenrest behaftet. Die Erscheinung Lord Byrons aber konnte wohl ein jeder bannen, der sich mit so niederen Nekromantenkünsten abgibt.

– Niedere Nekromantenkünste! rief Edmund in höchster Erregung. Treibt Ihr Spott mit mir? Niedere Künste! Schaudernd steht die Menschheit noch wie vor Jahrtausenden an dem Abgrund, der Alles oder Nichts in sich verbirgt – ein ewiger Schoß, ein ewiges Grab – wer weiß es? Sie lacht über ihren Glauben und weint über ihren Zweifel. – – – Nur ein einziger Schimmer von dort, nur eine Stimme aus dem Jenseits, ja, bloß ein Laut, wenn er nur nicht ein Echo unserer Seufzer ist – ein Laut, der uns zeigt, daß etwas da ist – wer würde das mit allen seinen Besitztümern zu teuer erkaufen?

Die Erregung des Engländers dem Übernatürlichen gegenüber, die durch Stimmklang und Geberde gleichsam an eine sympathische Saite bei seinem Gast appellierte und deren Mitklingen erwartete, vermochte keineswegs, den seltsamen Fremden anzustecken. Dieser antwortete mit großer Ruhe und in einem Ton, der fast einen traurigen Klang hatte:

– Ja, so gebiert sich die Unwissenheit immer neu, und aus dem kleineren, gewöhnlichen Tagestrug taumelt sie in den größeren der Nacht. Die niederen Elemente der menschlichen Natur, – gleichsam die letzten Kohlen, die noch nicht ganz in Asche zerfielen, weil noch ein Restchen der Lebenskraft in ihnen flackert: – diese Kohlen zu einer trüben Glut angefacht und durch den dumpfen Sinn des Zauberers vergeistigt – geradeso wie ein Vampyr blutsaugend sich versinnlicht: – ein solcher leerer Schemen wäre Euch der einst so liebe Freund, wäre Euer Byron wieder! Ja, noch mehr! denn was war Byron? Ein Mensch, wenn auch ein seltener, dieser aber wäre Euch ein Bote aus der Ewigkeit... Ich schick Euch eine tibetanische Rotmütz', die macht Euch das vor, und um wenig Geld.

Es lag nicht in Edmunds Natur, sich leicht imponieren zu lassen. Aber dieser Inder, der – nachdem Edmund sich, seinem eigenen Gefühl und seinen Vorstellungen nach, zu einer nicht geringen idealistischen Höhe erhoben hatte – ihn fast verweisend behandelte, dieser Inder imponierte ihm unleugbar. Edmund hatte schon von den Rotmützen gehört, von den Lamas der alten, unreformierten Sekten in Tibet, sowie von ihren vielen Zauberkünsten, die wohl auch das nekromantische Gebiet umfaßten, und er empfand recht deutlich, welch mitleidige Geringschätzung die letzten Worte des Fremden enthielten.

Sein Auge hatte sich nun daran gewöhnt, den Mann, mit dem er sprach, zwischen sich und dem starrenden Abendlicht zu haben, auch war letzteres jetzt beträchtlich erblaßt. So konnte er nun ohne Schwierigkeit die Gesichtszüge seines Gastes unterscheiden, vor allem aber die großen, tiefen Augen, deren Blick er dem Indologen gegenüber mit dem geheimnisvollen Glitzern des Schlangensteins verglichen hatte. Dieser Blick schien sich in sein Gehirn hineinzubohren, Herz und Nieren zu durchleuchten, sein ganzes Wesen aufzurütteln und seinen Geist zu bannen. Unwillkürlich dachte er an den berühmten Vers in Coleridge's: » The rime of the ancient mariner« –

» He holds him with his glittering eye«-

Hatte dieser ungeladene Gast auch seine Geschichte, die er erzählen wollte und mußte? und war sie von ebenso schauriger Natur, wie diejenige, die der alte Seemann dem unwillig lauschenden Hochzeitsgast berichtet? Würde er selbst wie dieser als »ein traurigerer und weiserer Mann« von hinnen gehen?

Diese Fragen dämmerten im Hintergrund seiner Seele, als er sich endlich so weit faßte, daß er mit etwas unsicherer Stimme fragen konnte:

– Wenn Ihr mit solcher Geringschätzung von diesen geheimnisvollen Dingen sprecht, um des Himmels willen, Mensch – wenn Ihr anders ein Mensch seid – was könnt denn Ihr?

– Ihr wünschet, Euren Freund zu sehen, antwortete der Fremde, – ist denn ein Freund Euch näher als Euer eigenes Selbst? Warum begehrt Ihr nicht, Euch selbst zu sehen?

Edmund wandte sich unwillkürlich etwas ab – könnte ihm doch in diesem Augenblick nichts Unerwünschteres passieren, als daß ihm von fremder Hand sein eigenes Innerstes entschleiert würde. Aber er wandte nur den Körper ab, denn es war ihm nicht möglich, seinen Blick von dem des Fragenden loßzureißen:

» He holds him with his glittering eye« –

– Mich selbst? fragte er in einem gezwungenen, scherzenden Ton, – nun, ich denke dazu genügt ein Spiegel.

– Ja, wenn Euch der Spiegel genügt, den Euch ein Glaser macht. Nun aber der ungeheure Vergrößerungsspiegel heroischer Vergangenheit? – Gelüstet es Euch nicht, darin Euch selbst zu sehen, und das, was Ihr seid, durch das, was Ihr wart, zu erkennen?

Edmund versuchte nicht mehr dem Blick des Fragenden zu entgehen. Ein neues Interesse war in ihm geweckt, ein stürmisches Verlangen regte sich in der Tiefe seines Gemüts.

– Verstehe ich Euch recht? fragte er eifrig, Ihr könnt –?

– Ich kann den Schleier lüften, der ein früheres Leben deckt.

– Und das sagt Ihr mir so ruhig, wie ich Euch sage, daß ich auf dreißig Schritt mit der Pistole eine Kerze putzen kann!

– Könnte ich es sonst tun?

– Nun, wenn Ihr das könnt, verlangt von mir, was Ihr wollt – wenn Ihr mir das große Mysterium enthüllet, mir ein früheres, von mir gelebtes Leben zeigt, ja mehr noch – mich es erleben laßt, so erleben, daß ich es untrüglich fühle: ja, ich war es, ich bin es – derselbe jetzt und damals, trotz der Zeit: – verlangt von mir, was Ihr wollt –

Er war in seiner Erregung mit hervorgestreckten Händen dem Fremden näher getreten. Dieser aber erhob beschwichtigend seine Hand.

– Geduld verlange ich, bis die Stunde kommt. Bis dahin auf Wiedersehn!

Und er wandte sich zum Fortgehen.

– Dies eine saget mir noch: Als Ihr mir dort oben in den Dschangeln begegnetet, war das ein Zufall?

– So nennt Ihr es, nicht ich.

– Doch warum ginget Ihr fort und kamet jetzt wieder?

– Ich hatte Euch damals noch nicht erkannt.

– Ihr habt mich aber in der Zwischenzeit nicht mehr gesehen.

– Wohl sah ich Euch, Sahib.

– Wo?

– Dort, wo Ihr Euch selber sehen werdet, wenn die Stunde kommt.

Der Inder trat auf die Veranda hinaus und war schon daran, die Stufen nach links hinunter zu schreiten, als Edmund ihm nachrief:

– Was wird Euch aber zeigen, wann diese Stunde gekommen ist? Auf den oberen Stufen stehend, wandte der Inder sich um, und, ihn noch einmal mit seinem Blick durchbohrend, antwortete er mit voller, klarer Stimme zwei Worte:

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