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Den 27. Januar. Endlich an Bord – nach langer langer Pilgerfahrt das Schiff betreten, was mich der Heimath wieder entgegenführen sollte – ich will meinen Lesern zu dem neuen Jahr nur Allen das Gefühl wünschen, das die Brust des armen, wegemüden Wanderers durchglüht, wenn er zuerst die Schritte wieder heimwärts – heimwärts – o wie süß das Wort schon klingt – lenken darf. Alles liegt dahinten was das Menschenherz gelitten und getragen – alle Entbehrungen, alle Gefahren – all die einsamen Tage und traurigen, ewig langen Nächte, und vor uns das herrlichste Ziel dem der, Wanderer nur entgegenstreben kann – das Vaterland; was sind da die wenigen tausend Meilen Salzwasser, die uns noch von den theuern Küsten trennen, was die Stürme und Klippen die dazwischen liegen? in dem einen Gedanken der Heimfahrt schwinden sie zu einem Nichts zusammen, und das Herz ist schon Daheim, während der Körper noch, von schwellenden Segeln geführt, dem, o so lang, so heiß ersehnten Lande entgegenfliegt.
Vaterland? – und haben wir armen Deutschen denn wirklich ein Vaterland? – müssen wir nicht in jedem fremden Welttheil specificiren ob wir von Anhalt-Dessau oder Sachsen-Coburg, von Preußen, Oestreich oder Lippe-Detmold sind? stecken die schwarzrothgoldenen Flaggen nicht etwa nur traurig und versteckt in den Privatwohnungen und hinter den Spiegeln einiger wenigen – o so weniger Deutschen in fremden Welttheilen, anstatt von den Gaffeln unserer Schiffe, von den Dächern unserer Consuln stolz und lustig hinauszuflattern, als die Farben eines einigen starken Volkes? – Vaterland – du schöner Traum; neben mir liegen deutsche Zeitungen, und was steht darin? – Ordensstiftungen und Verleihungen, Truppensendungen, und Neid und Eifersucht zwischen den Staaten, die gerade mit festverschlungenen Händen fest und verschlungen zusammenstehen sollten. Ja, fest sind wir, und verschlungen auch, aber leider in einem anderen Sinne als dem rechten, und ein Theil der Völker – aber fort fort mit all den traurigen Bildern die mir das Leben nicht jetzt, nicht in dieser Zeit verbittern sollen – nicht das politische Deutschland ist es nach dem ich mich sehne, dem ginge ich, wäre das irgend möglich, lieber noch ein Paar Seemeilen aus dem Wege, nein die Menschen, die guten Menschen sind es, zu denen ich zurück will, zu den alten liebgewonnenen und ach so liebbehaltenen Bäumen, Städten und Straßen, zu den Lerchen und Schwalben, zu dem tiefblauen Himmel und den nordischen Gestirnen der Heimath will ich zurück, und das haben sie mir doch hoffentlich gelassen wie es war und nicht auch zu Tode gedrückt mit ihren Gesetzen und Verordnungen, ihren Beglückungs- und Rettungsversuchen.
Und dem zieh' ich entgegen, die Segel blähen, das schöne mächtige Schiff zieht fröhlich durch die schäumende Fluth, rechts und links gleiten die üppiggrünen Inseln der Sundastraße vorüber, unsern Weg kreuzen die wunderlichen schnellen Prauen der Eingeborenen – und bleiben zurück; rechts dehnt die Küste von Sumatra, links die von Java, und der fröhliche Gesang der Matrosen – lauter Deutsche die ja auch zu den Ihrigen zurückkehren – zieht mir schon wie ein Vorbote kommender Lust durch die Seele.
Die Bremer Barke Herder, Capitän von Hagen, ist ein stattliches vortrefflich eingerichtetes Schiff – und segelt auch, wie sich jetzt ausweist, ebenso. Die Cajüte ist höchst elegant eingerichtet, und der Capitän sieht darauf den sauber polirten Mahagoni so blitzend und blank zu erhalten wie möglich. Das Schiff ist dabei vollgeladen, geht 17 Fuß tief und hat überhaupt 600 Tonnen, fährt also auch nicht so kopfunter und über als ob es in Ballast ginge, und mit nur irgend günstigem Wetter dürfen wir wohl mit Recht auf eine gute und schnelle Reise rechnen.
Den 30sten. Noch laviren wir in der Sundastraße gegen den West-Monsoon und die gewaltige, mit diesem natürlich laufende Strömung an; die anderen Schiffe, die Hamburger Brigg Christian, die preußische Barke Rika, und eine holländische Barke, die keinen Namen am Heck führt, haben wir lange überholt. Heute Morgen umsegelten wir die nach Norden am weitesten sich ausstreckende Spitze Java's, das Cap Nichols, und kamen in die Nähe von Anger, das wir schon liegen sehen konnten. Hier kommt gewöhnlich ein Postboot an Bord um nach Batavia Name und Bestimmung des Schiffes rapportiren zu können. Vor dem aber, von der kleinen Insel dwars in den weg, die wie des alten seligen Martin Haase »ihren Namen in der That mit Recht führt,« hatte uns schon ein schwer beladenes Fruchtboot angesegelt, und die Malayen, die unter Schreien und Jauchzen, aber immer im Tact zu ihren Ruderschlägen, herangekommen waren, kletterten nun an Bord und boten in einem schauerlichen Gemisch von Sprachen, auf das sie sich nicht wenig gutzuthun schienen, ihre Waaren feil.
Sie hatten süße Kartoffeln, Bananen, Ananas, Tamarinden, Zwiebeln und Pompelmus oder Schaddok, und außerdem noch Hühner, Affen, Zwerghirsche, Vögel, eine Art Marder und Muscheln. Wir kauften ihnen noch wenigstens die halbe Bootsladung ab, dem zu Folge wir jetzt eine förmliche Colonie von sieben Affen, fünf Zwerghirschen und Gott weiß wie vielen Dutzend Reisvögeln, Fasanen, Hühnern, Enten etc. an Bord haben. Es ist eine förmliche Menagerie, und der große prächtige Newfoundländer, der dem Capitän gehört, ging zwischen all dem Zeug und den schnatternden Malayen ganz ernsthaft herum, beschaute sich bald das eine und bald das andere, und stieg dann endlich kopfschüttelnd wieder auf's Quarter-Deck hinauf, als ob er hätte sagen wollen – »kurioses Zeug die Menschen – was sie Alles für Bedürfnisse haben!« – und hatte er nicht recht? –
Eine entsetzliche Confusion entstand aber beim Bezahlen, denn natürlich hatte keiner von uns von dem nichtswürdigen javanischen Papier oder Kupfergeld mitgenommen (von Silber habe ich in den Monaten die ich auf Java war, auch nicht ein Stück gesehn) und englisches Geld und englische Schillinge kannten sie wohl recht gut, weigerten sich aber hartnäckig sie zu ihrem vollen Werth zu nehmen, und versuchten erst das Aeußerste noch daran zu mäkeln und zu dingen, bis sie denn endlich sahen daß es gar nicht anders ging. Eine andere Schwierigkeit bestand in den javanischen Kupfer- und Silbergulden, roepiah recepis, von denen der Silbergulden 120, der Kupfergulden nur 100 der elendesten Münzsorte hat, die außer dem Heller vielleicht in der Welt existirt. Das kleine Silbergeld das sie dabei zuletzt in Wechsel brachten, bestand theils aus schlechten Vierteldollarn, einzelnen Schillingen und amerikanischen 10 Centstücken, das man nachher an sie selber kaum wieder los werden konnte. Da der Wind indessen total eingeschlafen war, bekamen wir vollkommen Zeit, unsere überaus schwierige Rechnung mit ihnen in Ordnung zu bringen, und die Boote ruderten nach Tisch, mit dem Verkauf ihrer Artikel, wie es schien, ziemlich zufrieden (und nachdem die Matrosen noch beiläufig Früchte, Stöcke und Muscheln für alte Wäsche und Kleider eingehandelt hatten) dem Lande wieder zu.
Gegen Abend erhob sich ein frischer Wind, uns aber gerade in die Zähne und so unmöglich wurde es zuletzt, in dem engen Fahrwasser gegen diesen Wind und die Strömung in der dunklen Nacht anzukreuzen, daß wir um neun Uhr etwa wieder ein Stück vor dem Wind zurücklaufen mußten, in sichereres Fahrwasser zu kommen. In der Nacht räumte der Wind aber noch etwas auf, und wir konnten wieder, mit freierem Seeraume, der Mündung der Sundastraße zuhalten. Morgens waren wir an der Insel Krakatou – kein Schiff weiter in Sicht, und das Wetter trüb und regnerisch. Noch einen Tag jetzt hoffentlich und wir sind in offener See, und dann ziehen wir fröhlich der Heimath entgegen.
Den 31. Beim Hinauskreuzen aus der Straße fiel heute einer von des Steuermanns Affen über Bord – der arme Kerl versuchte noch lange hinter dem Schiff herzuschwimmen, wir liefen ihm aber zu schnell. Auch eins von den kleinen Zwerghirschchen segnete das Zeitliche. –
Den 1. Februar arbeiteten wir uns, mit ziemlich guter Brise, glücklich aus der Straße hinaus, wir hatten all die anderen Schiffe, die selbst drei und vier Tage vor uns ausgelaufen waren, überholt, und keins von allen mehr in Sicht. Der Herder bewies sich bis dahin als ein vortreffliches Fahrzeug, und was noch besser ist, er hielt auch so aus.
Schiffe steuern von hier aus, und in dieser Jahreszeit, im Westmonsoon, soviel südlich als möglich, um bald fünfzehn bis achtzehn Grad Süder Breite zu erreichen, wo der Süd-Ost-Passat vorherrscht und sie dann einen trefflichen Wind bis zum Cap haben.
Den 6. Februar. Bis jetzt macht sich unsere Reise vortrefflich – heut schon, und noch auf dem 12. Grad Süder Breite, 102. östlicher Länge, bekamen wir den Süd-Ost-Passat, und laufen jetzt oft bis neun Knoten (oder englische Meilen) die Stunde. Es weht eine unbezahlbare Brise.
Den 14. Was für ein herrliches Gefühl es doch ist, mit gutem Wind auf einem guten Schiff über die wogende tiefblaue See zu gleiten! Das Meer ist dann nicht mehr todt und langweilig wie bei einer Windstille, wo es sich, einem schläfrigen Wallfisch gleich, nur eben faul wälzt und dehnt, und keine Veränderung seiner spiegelglatten Oberfläche zeigt als eben das ewige Heben und Steigen – o eine Windstille ist etwas Entsetzliches; – wenn die Segel schlaff und schwer gegen die Masten schlagen, und das Schiff auf der langsamen Dünung herumtaumelt und sich wie ein Betrunkener, der zu müde ist ein Bein vor das andere zu setzen, eben nur im Kreise dreht.
Wie anders ist da das Gefühl, der ganze Anblick einer scharfen Brise – alle Segel gespannt und gebläht, die Taue straff, das Schiff nur eben, zum wackeren Lauf, ein klein wenig auf die Seite gelegt, wie ein flüchtiger Renner und gerade wie ein Pfeil vom Bogen seine Richtung verfolgend, das Meer voll Kraft und Leben – die Wogen dunkelblau mit den schneeweißen Kronen einander jagend, und toll und jubelnd hinter dem ihnen immer und immer wieder entgehenden Schiffe drein stürmend – die Luft frisch und kühl, selbst der Himmel mit den jagenden Wolken ein Spiegelbild unseres fröhlichen Treibens hier unten.
Gott gebe uns nur immer eine gute Brise – nicht zu stark und nicht zu schwach – wenn aber denn doch einmal ein oder das andere seyn müßte – dann lieber ein Bischen zu stark.
Am 8. Morgens überholten wir eine holländische Barke, sie hatte ihre Vorbram- und Oberbramraae an Deck und wir liefen rasch zu ihr auf, als wir aber nicht mehr weit von ihr entfernt waren, bekam sie die Raaen wieder nach oben, setzte die Segel und es begann nun ein Wettlauf zwischen den beiden Schiffen.
Bis jetzt hatten wir Alles überholt, was uns in den Weg gekommen, dieß Schiff schien aber ebenfalls ein guter Renner und es gab tüchtige Arbeit hinanzukommen. Gegen Abend überholten wir den Holländer, sey es aber, daß unsere Leute in der Nacht nicht recht aufgepaßt und den Wind vielleicht nicht nach besten Kräften benutzt hatten, kurz, am nächsten Morgen war der Holländer wieder voraus, und zwar ein weit größeres Stück als wir je über ihn weggekommen waren.
Am Abend vorher hatten wir uns die Flaggen gezeigt, und mit Sonnenuntergang einander freundlich gegrüßt (was auf See durch dreimaliges Auf- und Niederziehen der Flagge geschieht), jetzt aber hörte die Freundschaft auf und es galt ihn wiederzukriegen. Die Raaen, von denen einige ein wenig zu tief standen, daß die Segel mehr bauschten als nöthig war, wurden fester angezogen, die Segel genau nach dem Wind gerichtet und fort ging's mit acht, neun, ja manchmal zehn Meils Fahrt. Gegen Abend waren wir wieder mit ihm gleich. Ich hätte aber nie im Leben geglaubt, daß zwei Schiffe so egal mitsammen segeln können, während beide ihr Bestes thun, wie wir es in der letzten Woche gethan haben, denn bis gestern, am 13., waren wir noch ziemlich in einer Linie mit einander – bald er ein wenig vor, bald wir, und erst seit gestern Abend haben wir ihn etwas zurückgelassen, es ist aber darum gar nicht gesagt, daß er uns bis Morgen doch nicht am Ende wieder aufkommt.
Heute ist die Brise ein wenig leichter und wir haben am großen Mast noch ein Skysail und Oberbramleesegel angebracht. Das Skysail (das sich die Deutschen merkwürdiger Weise mit Scheisail übersetzen) kommt eigentlich nur wenig, und dann nur bei großen Schiffen vor. Es steht über dem großen Ober-Bramsegel, fast in der äußersten Spitze des »Tops« und ist das fünfte von unten. Unten nämlich kommt zuerst das »große Segel,« über diesem das Marssegel, dann das Bram-, dann das Oberbram- und nun noch über diesem das Skysail oder Himmelssegel, wie es der Engländer nennt, was wir doch eigentlich unmöglich mit Scheisail übersetzen können. Auf Kriegsschiffen besonders haben oft sehr große Schiffe noch manchmal zwei Segel selbst über diesem Skysail – den moonraker und starscraper, wie sie glaub' ich heißen (Mondstreifer und Sternkratzer), diese, die natürlich nur bei ganz leichtem Winde aufkommen können, dienen aber mehr zum Zierrath als wirklichen Nutzen, und kommen daher auch nur sehr selten vor.
Den 9. März. – Tüchtiger Sprung das vom 14. Februar auf den 9. März für ein Tagebuch, aber lieber Gott, die Zeit der Romantik auf der See – die der Piraten und anderer Ungeheuer – ist vorbei, kein Meerweibchen macht ihre Toilette mehr in den schaukelnden Wogen und lockt den »träumerischen Fischer« zu sich herab – nicht einmal »träumerische« Fischer gibt's mehr, höchstens noch schläfrige, und selbst der fliegende Holländer ist irgendwo eingelaufen, oder endlich einmal leck geworden und gesunken, da gibts nachher nicht einmal mehr etwas zu notiren, viel weniger zu beschreiben.
Heute ist freilich einmal ein bischen Abwechselung draußen – wir sind am Cap der guten Hoffnung, und obgleich dies ist, was sie die »gute Jahreszeit« nennen – das Cap von Osten nach Westen zu umsegeln, peitschen wir doch wieder, mit doppeltgereeften Segeln gegen einen scharfen West-Nord-Wester an, der genau aus der Gegend herweht, wo wir hinwollen und uns immer wieder nichtsnutziger Weise nach Süden hinunter aus unserem Cours schlägt.
Es ist ein förmliches Vergnügen, bei solchem Wetter am Tisch zu sitzen und zu schreiben, vor die Brust habe ich ein Rückenkissen gestopft – verkehrte Welt! – denn der ganze Brustknochen ist mir schon, von dem ewigen gegen den Tisch werfen, blau geworden – und bald links, bald rechts hinüberfahrend, mit dem Stampfen des Schiffs, muß man in ordentlicher Balance sitzen.
Da wir sehr tief geladen liegen, schlägt fortwährend eine Masse Wasser über Deck, verhältnißmäßig segelt der Herder aber doch ziemlich ruhig – es ist ein ausgezeichnetes Schiff und jedenfalls das beste, in dem ich noch gefahren bin, die Jane Remorino ausgenommen.
Bis jetzt war unsere Reise vortrefflich. Am 28. verloren wir erst die holländische Barke aus Sicht, mit der wir fast drei Wochen zusammengeblieben waren; sie mußte aber doch zuletzt zurückbleiben. So verging die Zeit ziemlich monoton, denn zum Verzweifeln wirds, wenn man von weiter nichts als Wind reden hört und sich auch für weiter auf der Welt nichts interessirt, als von welcher Seite der Wind her bläst und ob er einen Strich aufräumt oder wegschrahlt. Aber gesund befindet sich der Körper in der frischen Seebrise – der Mensch hat einen Appetit, daß er sich selber drüber freut.
Den 5. März, etwa auf 30° Süder Breite und 41° östlicher Länge, also nicht weit mehr von der Küste entfernt, kriegten wir den ersten Gruß vom Cap – einen tüchtigen Südwester, vor dem wir vierundzwanzig Stunden mit dicht gereeften Segeln lagen.
Am 6. Abends um 11 Uhr bekamen wir die Küste von Afrika in Sicht und liefen am 6. darin hin. Eine niedere dunkle Hügelkette zog sich am Lande hin – die Hänge schienen meistens mit braunem Gras bewachsen, und nur hie und da traten düstere Waldflecken deutlicher von dem helleren Grunde ab. Die ganze Küste schien übrigens in Brand zu stehen; überall stieg dicker Qualm empor, und von einer Stelle glaubte ich sogar durch das Fernrohr einen viereckigen Kraal zu erkennen, in dessen einer Ecke eine Partie dunkler Gegenstände, wie Häuser, in Flammen standen; es war übrigens zu weit, irgend etwas deutlich unterscheiden zu können.
Es mag ein gotteslästerlicher Gedanke gewesen seyn, aber wahr ist's, daß beim Anblick der fremden geheimnißvollen Küste, die ich nicht betreten sollte, allerhand nichtsnutzige Wünsche in mir emporstiegen. Ich wäre in dem Augenblick vollkommen damit einverstanden gewesen, wenn wir irgend ein paar Masten über Bord gejagt hätten oder so aus Versehen einmal auf die Küste aufgelaufen wären. Nachher eine prächtige Wanderung durch's Land nach dem Cap – einige aufgeregte Kaffernhorden allerdings, die uns hätten im Weg seyn können, aber das wäre das wenigste gewesen. Leider segelten wir schlank und gut vorbei, ja am 8. bekamen wir eine Ost-Brise, die uns, acht und neun Meilen die Stunde, unserem Ziel entgegenjagte. Auch gut, desto früher kommen wir nach Hause, aber – die Hoffnung habe ich deßhalb doch noch nicht aufgegeben; es bläst jetzt draußen, was das Zeug halten will, das Schiff stampft mit Riesenmacht in die höher und höher wachsende See, und es kann am Ende noch eine ganz freundliche Nacht werden.
Eine herrliche See steht jetzt draußen – das Wasser ist hier, so in der Nähe der Küste, tief dunkelgrün, und wenn sich die Wellen mit ihren glasigen Nacken und weiß schäumenden Kronen im Sonnenlicht überstürzen, ist der Anblick wirklich groß. Am 5. hatten wir ebenfalls sehr hohe und eine wahrhaft wundervolle See, auf die der gefüllte Mond sein magisches Licht mit einem feenhaften Glanz niedergoß. Ich konnte mich erst von dem Anblick gar nicht losreißen, und als ich mich endlich abwendete, um nach unten zu Bette zu gehen, gab mir die See eine Probe mit – ich bekam eine solche Welle über den Kopf, daß ich mich augenblicklich wieder trocken anziehen mußte.
Am 12. März. Spaß ist Spaß, aber dießmal haben wir wirklich etwas auf die Mütze gekriegt, das wir uns vor wenigen Tagen nicht hätten träumen lassen, und es scheint fast, als ob wir nicht so ganz ungeschoren um's Cap herumsollten. Am 9. hatte ich mein Buch kaum zur Seite gelegt, als sich das Blatt wendete. Bis dahin von einem wundervollen Ostwind acht und neun Meilen die Stunde dahinschießend, schrahlte plötzlich der Wind ab, d. h. er kam mehr von der Seite und wurde ungünstiger – die Leesegel mußten eingenommen, die Raaen scharf angebraßt werden. Noch liefen wir Cours, aber mehr und mehr nach Westen zu ging der Wind. Jetzt Süd-West – West-Süd-West, Westen, und zuletzt gar West-Nord-West; genau der Strich, auf den wir bisher gesteuert hatten, und sowie Boreas erst einmal den Punkt gewonnen, nahm er die Backen voll und nun ging's los.
Das Skysail war schon mit den Leesegeln eingenommen, Oberbramsegel jetzt auch, zunächst folgten die Bramsegel – nun ein Reef in die Marssegel, jetzt zwei – und Abends trieben wir mit dicht gereeften Besahn- und Sturmsegel daß es eine Lust war nach Norden hinauf. Die ganze Nacht heulte der Sturm und am nächsten Morgen wurde es eher ärger. – Wenden konnten wir nicht mehr, also halsten wir, vor dem Wind, nach Süden herum, damit wir der Küste nicht zu nahe kämen – die See stieg höher und höher und das Cap der guten Hoffnung sollte für uns noch immer eine gute Hoffnung bleiben.
Am 11. hatten wir eine wundervolle See – so hoch und gewaltig hab' ich die Wellen noch nicht gesehen, und wenn auch vielleicht so hoch, doch noch nie in so ungeheueren Massen heranstürmend. Unser Schiff ist ungemein schwer geladen – wir gehen 17 Fuß tief, und es ist natürlich daß sich der arme Herder etwas schwerfällig durch die Wasserberge hinarbeiten muß – und was für Stöße er gegen den Kopf bekommt, und mit welcher Gewalt er sich hinten aufsetzt – er ächzt und stöhnt dabei, hält sich aber tapfer und läßt keinen Tropfen Wasser mehr ein als gewöhnlich.
Am schlechtesten geht's mit meinem Schreiben – natürlich schwanken wir auf eine schauerliche Art hin und her, und bei den wenigen Segeln kann sich das Schiff auch nicht auf einer Seite festhalten, sondern geht bei entsetzlichem Auf- und Niederstampfen, fortwährend herüber und hinüber; es ist keine Kleinigkeit sich dabei festzuhalten und zu schreiben, wo das erste schon allein manchmal unmöglich wird. Legt man einmal den Stift mit dem man arbeitet einen Augenblick in Gedanken neben sich nieder, so ist er im nächsten Moment schon, nicht allein vom Tisch herunter, sondern auch in der andern Ecke der Kajüte und steht man auf, ihn wieder zu holen, so geht indessen Papier und Mappe nach der andern Richtung hin unter Wegs.
Eine andere Annehmlichkeit ist die Kälte – ich bin das dicke Rock-Klima gar nicht mehr gewöhnt und sich nun auf so sträfliche Art hier auf dem 35. Grad Süder Breite herumtreiben zu müssen, wo man mit vollen Segeln – nur bei etwas anderem Winde – dem Sommer, der Heimath zueilen könnte, ist wahrhaftig zu ärgerlich.
Ich muß aber für heute meinen Grimm herunterschlucken und das Schreiben aufgeben, vielleicht wird's morgen besser, auf keinen Fall kann's schlimmer werden.
Den 14. Bis gestern Mittag wüthete der West-Nord-Weststurm, der auch wahrscheinlich in der Capstadt viel Unheil angerichtet hat. Tafelbai soll diesem Winde offen liegen und den Schiffen darin wenig Schutz bieten können. Die dort vor Anker waren, werden unbequem genug gelegen haben. Das war aber doch einmal eine Probe vom Capwetter, und nun's vorbei ist freu' ich mich allerdings diese wundervolle großartige See gesehen zu haben, wären wir nur nicht auch zu gleicher Zeit so entsetzlich dadurch aufgehalten worden.
Am herrlichsten war die See am Abend des 11., wo der Schaum der riesigen Wogen wie Feuer leuchtete und wirklich einen großartigen Anblick bot. In dunklen Massen kamen die Wasser herangewälzt, den feurigen Kamm – der weit durch die Nacht glänzte und ihr Kommen verrieth – auf ihren Schultern tragend, bis sie sich überstürzten und die Stelle in einen förmlichen Crater verwandelten. Soweit das Auge trug, wälzten die, weit durch die Nacht schimmernden weißglühenden Wogen heran, und besonders oben von den Raaen aus war der Anblick entsetzlich schön. Der Wind heulte dabei durch die Blöcke und Tauen und jagte den feinen Staub der Wellen wie einen Feuerregen über die See hinweg. Das arme Schiff ächzte aber hindurch, manchmal grub es sich tief mit seiner Nase in die schäumende Fluth ein, dann aber stieg es auch wieder triefend und sich ordentlich schüttelnd, in die Höh, und sprang auf die nächste Woge, als ob es den Kampfplatz erst einmal selber überschauen wolle, ehe es den Kampf gegen die unermüdlichen Feinde auf's Neue beginne.
Die merkwürdigste Farbe die ich je am Himmel gesehen habe, hatten Wolken und Firmament an diesem Abend mit Sonnenuntergang. Einzelne Wolken und ein Theil der Luft waren förmlich grün – wirklich hellgrün und schatteten nach Osten zu schwächer und schwächer ab, während die südlich und nördlich davon stehenden Wolken die herrlichste strahlende Lilafarbe annahmen, die als die Sonne tiefer und tiefer sank in ein mattgraues Rosa übergingen und im Westen noch grellrothe Wolkenstreifen zurückließen. Ich habe nie herrlichere, aber auch nie unnatürlichere Farben bei einem Sonnenuntergang gesehen, und wäre es nicht des herrlichen Farbenspiels wegen gewesen, ich hätte geglaubt die ganze Decoration wäre in Nürnberg gemalt worden.
Bis zum 13. Mittags dauerte das Wetter mit nicht der mindesten Unterbrechung, und heute sieht das Meer auf einmal aus, als ob es kaum drei zählen könnte. Mit förmlicher Windstille liegen wir wieder da, kaum daß noch ein etwas hoher Seegang, eine außergewöhnlich starke Dünung im Wasser steht, sonst flappen die Segel wieder faul gegen die Masten an, und die Luft weht kaum genug, uns eine einzige Meile Fortgang zu geben.
Das ist ein Sommer hier, wo Ostwinde vorherrschen sollen, und seit dem 9. haben wir jetzt ununterbrochen West und West-Nord-West Wind – selbst das bischen Luft was uns bis diesen Augenblick noch geblieben, kommt aus West-Nord-West, und wenn der Barometer auch schon seit gestern bedeutend gestiegen ist, scheint sich der Westwind daran ungemein wenig zu kehren.
So liegen wir nun hier und vergeuden die schöne Zeit – es ist zu verzweifeln; überhaupt sind diese langen Seereisen nichts weniger als angenehm; die Zeit, die man sich auf dem Wasser herumtreibt, ist förmlich verloren, der Wind der Gegenstand um den sich das Gespräch fortwährend dreht – während er ein gleiches thut; – von der Welt total abgeschnitten hört und sieht man nichts von ihr als die Gestirne, die wir gemeinsam mit ihr haben; was drauf vorfällt könnte ebenso gut im Monde passiren – Rede mir Keiner mehr von der Abgeschlossenheit des Land- oder vielmehr Dorflebens – hier kommt ja nicht einmal eine Botenfrau her.
Eine höchst eigenthümliche Erscheinung oder vielmehr Wolkenbildung hatten wir am 12. Abends, wo der Wind gerade am tollsten durch die alten Blöcke und Taue heulte. Als die Sonne wohl schon eine Stunde untergegangen und im Westen, wo riesige Wolkenschichten lagerten, Alles tief dunkel geworden war, erschien plötzlich am Himmel wieder eine zwar glanzlose, aber roth glühende Sonne dicht über dem Horizont, und stand wohl zehn Minuten lang fest und unbeweglich, scheinbar auf dem rabenschwarzen Hintergrund. Die Beleuchtung war schauerlich schön mit den düsteren Wolkenstreifen, die wie von einandergerissene Schleier über das Firmament hingeworfen lagen; den aufgeregten fast glatten riesigen Wogen, von denen der heulende Wind die dünnen Kämme wie im tollen Spiele abriß, weit mit sich hin über die Wogen stäubte, und dem an Deck des mühsam gegen die Sturzsee ankämpfenden Schiffes Stehenden in's Gesicht peitschte; dem fahlen Grau des dämmernden Abends über der kochenden See – diese entsetzlich wilde Einsamkeit und Oede die das Menschenherz schon bei stillen heiteren Abenden ergreift, wenn sich die sternenhelle Nacht mit leichten Schwingen auf die bleigraue Meeresfläche legt, wie viel mehr dann, wenn im wilden Aufruhr der Elemente das schlummernde Meer erwacht ist, und in jeder einzelnen Welle, von denen tausende und tausende in riesigen Heeresmassen heranrollen, dem kecken Menschenzwerg, der sich in seinen Bereich hineingewagt, und in seine Macht gegeben, den Tod vorüberwälzt. Und dazu von diesem drohenden Horizont das unheimliche kalte Bild des längst gesunkenen Taggestirns – es war ein Anblick von dem ich mich, so lange er dauerte, nicht losreißen konnte, und der damals einen höchst merkwürdigen tiefen Eindruck auf mich machte.
Die Seeleute nennen dies wunderbare Wolkenspiel eine »fremde Sonne« und die Erklärung ist leicht genug. Von dem noch von der vollen Abendröthe übergossenen, aber mit schwarzen Wolken dicht überdeckten Himmel öffnet sich in eben diesen Wolkenmassen, vielleicht von dem daherbrausenden Wind gelöst, eine kleine Spalte, und das dahinter liegende lichtüberströmte Firmament muß natürlich durch diese kleine runderscheinendc Oeffnung, die jetzt an sich die Gestalt eines besonders dastehenden Lichtkörpers annimmt, hervorleuchten.
Den 16. Endlich dem schlechten Wetter entgangen, das uns nun hoffentlich, wenigstens nicht mehr in Süderbreite, erwischen soll. Gestern setzte ein kräftiger Südwind ein und mit vollen Segeln streben wir, wieder nach langer Zeit einmal richtigen Cours haltend, dem Norden, dem lieben, lieben Norden entgegen.
Wir haben das Cap passirt – am 15. Abends spät, waren wir etwa in einer Breite damit, bekamen es aber in der Nacht nicht zu sehen – lagen auch etwas zu weit westlich dafür. Der Wind scheint anzuhalten, und nur noch ein Paar Tage sofort, dann weht er uns in den Süd-Ost-Passat hinein. Unser Cours liegt jetzt gerade auf St. Helena zu, wo wir aber leider nicht anlegen werden, denn wir haben Wasser genug an Bord.
Es ist etwas verwünscht langweiliges so eine Seereise von drei, vier Monaten ohne einmal in der Zwischenzeit festen Grund und Boden zu betreten, und wenn's auch nur im Fluge wäre. Wie gut würde es selbst klingen wenn uns ein Condukteur plötzlich die Thüre öffnete und uns mit seinem monotonen »Station St. Helena, zehn Minuten Aufenthalt!« einmal wieder auf festen Grund und Boden hinausließ und Gelegenheit gäbe frische saftige Früchte für die Weiterreise einzulegen, und nachher einen Punkt zu haben an den man mit Vergnügen wieder ein Paar Tage zurückdenken könnte.
Auf der Ausfahrt hätt' ich's auch nicht ausgehalten, und mich jedenfalls irgendwo absetzen lassen, aber jetzt ist's die Heimfahrt, und da bringt mich ja auch jeder Tag dem Vaterland wieder näher; daß ich schon nicht murren und unzufrieden werden darf.
»Sail ho!« rief heute Morgen Einer der Leute der oben auf den Raaen etwas zu thun hatte, herunter – es war eine Barke die vor dicht gereeften Segeln, wie wir im Anfang glaubten, beim Winde lag. Es wehte eine herrliche Brise, die See ging hoch, aber die Wogen wälzten hinter uns drein, und jede half uns mit freundlichem Stoß unserem Ziele entgegen – wir hatten Leesegel an beiden Seiten, alle die leichten Segel, bis zum Oberbramsegel, ja selbst Bramleesegel bei und sahen bald zu unserem Erstaunen, daß das fremde Fahrzeug mit seinen dichtgereeften Marssegeln und wirklich wie auf einen Sturm vorbereitet, keineswegs gegen den Wind anpeitschte, wo seine kleinen Segel bei hoher See dann wohl gerechtfertigt gewesen wären, sondern mit uns ein und denselben Cours hielt, und vor dem Winde ging. Wir hatten die Barke, die sich als eine englische auswies, bald eingeholt, der Engländer mochte sich aber doch wohl schämen als er uns, unter einer solchen Wolke von Segeln herankommen sah und nahm wenigstens ein Reef aus den Marssegeln, blieb aber sonst wie er war, und zwei Stunden später hatten wir ihn weit hinter uns gelassen und aus Sicht verloren. Die Barke war von London, London stand wenigstens mit dem andern Schiffsnamen, der mir wie Marianne vorkam, hinten auf dem Spiegel, der eigentliche Name ließ sich aber nicht deutlich erkennen, wir blieben doch noch zu weit davon ab.
Der arme englische Capitän muß gar Niemanden zu Hause haben nach dem er sich sehnt, er hätte sonst wahrlich mehr Segel geführt – die Matrosen sahen uns gewiß neidisch nach.
Den 16. Morgens etwa waren wir auf einer Breite mit dem Cap der guten Hoffnung, aber mehrere Grad westlich davon entfernt, so daß wir es leider nicht zu sehen bekamen.
Seit dreizehn Monaten nun hatte ich keine Briefe von zu Haus – dort lagen sie für mich, und hier fuhren wir vorüber und ließen sie liegen – war das nicht zum Verzweifeln? – Ich verzweifelte aber nicht, denn mit einer herrlichen Brise liefen wir jetzt Nordwesten Norden fort, gerade der Heimath zu, wo ich mir bessere Nachrichten holen konnte als Briefe.
Von hier aus schien es der Wind ordentlich abgesehen zu haben, das was er in der letzten Woche versäumt, wieder gut zu machen und uns vorwärts zu bringen. Die Wellen jagten sich hinter uns her, daß sie uns manchmal ihre weißen Kämme hinten auf's Deck warfen, und das Schiff lief seine acht und neun, ja manchmal sogar zehn Meilen die Stunde.
Den zehnten Tag waren wir in Sicht von St. Helena – Mittags bekamen wir es zu sehen, aber die Brise hatte die zwei letzten Tage schon mehr und mehr nachgelassen – wir kamen in schön Wetter, und machten nicht mehr so raschen Fortgang, so daß wir es erst mit Dunkelwerden aufliefen.
St. Helena liegt etwa auf 16° Süder Breite und 5° westlicher Länge – Abends waren wir so nah' an der langen Felseninsel, daß wir nach Dunkelwerden die Lichter erkennen konnten; das sollte aber, außer den Umrissen der Insel selber, Alles seyn was ich von ihr zu sehen bekam, aber lange noch lag ich an Deck und schaute träumend nach den dunklen Umrissen der Insel, nach der hellen Mondessichel hinüber die gerade darüber stand, und zu der jener gefangene Adler wohl auch manchmal, und o mit wie brennender Ungeduld in der Seele, hinaufgeblickt hatte, während das hier fast immer ruhige Meer so blau und still um ihn lag – keine Brücke für ihn das Land seines Ruhmes wieder zu erreichen, und die weißen schwellenden Segel fast alle, alle gen Norden strebten.
O gäbe uns Gott doch für Deutschland einmal einen solchen Mann!
Am nächsten Morgen lag das Land nur noch wie ein dunkler Streifen hinter uns, und gegen Mittag war es ganz verschwunden. –
Von hier an bis zur Linie, oder ein bis zwei Grad nördlich von der Linie, herrscht ein so regelmäßiger und schwacher Passat daß die See immer glatt und ruhig ist, und da hier auch sehr wenig Regen fällt, so benutzen die Schiffe gewöhnlich diese kurze, ihnen vergönnte Rast, ihre Fahrzeuge und Alles was d'rin und d'ran ist zu firnissen und zu malen.
Lieber Leser! weißt Du wie hübsch und freundlich es bei Dir zu Hause ist wenn gescheuert oder gar große Wäsche gehalten wird? kein Winkel, keine Ecke wo man Ruhe hat, keine Treppenbiegung, keine Stubenthür wo nicht ein Scheuertubben steht, kein Zimmer aus dem Einen nicht feuchte fatale Luft entgegendrängt oder gar – wenn auch draußen nasses Wetter ist – irgend ein Aermel oder eine sonstige Extremität hier aufgehangener naßkalter Wäsche in's Gesicht schlägt. Mittags kalte Küche oder gar nichts und des Abends aufgewärmt; unheimliche, unbekannte Gesichter mit grauleinenen nassen Schürzen vor, den einen Zipfel in die Höh gesteckt mit aufgestreiften Aermeln und unnatürlich weißen Händen, ich möchte Fäusten sagen, durch's ganze Haus – so etwa ist es auf einem Schiff wenn gemalt wird – und womöglich noch schlimmer – nein doch nicht – nicht schlimmer.
Das Deck liegt mit Firniß, Oel und Terpentin geschmiert da – schmale Bretter führen wie Brücken über einen Abgrund hin – tritt man zufällig daneben, so klebt die Masse so entsetzlich daß man sich nur gleich kann eine Talje anschlagen lassen, wieder »ausgerissen« zu werden. Wo man außerdem hintreten könnte steht ein Farbentopf, Alles ist bemalt und man darf nirgends anfassen, sich nirgends hinsetzen, selbst nicht – am Sonntag ist Ruhe und Frieden.
Dabei sind alle Treppen von ihren gewöhnlichen Stellen weggenommen, wo man hinuntertreten will muß man erst mit dem einen Fuß zufühlen, und darf sich indessen mit den Händen nirgends anhalten, – stürzt man aber solche Absätze hinunter, so liegt man unfehlbar in einem Farbeneimer, oder auf einem Reibstein in noch unvollendeter Mischung, und kann von Glück sagen, wenn man nicht Hals und Beine dazu bricht.
Man gewöhnt sich zuletzt so daran, Alles was man sieht und berühren könnte für frisch angestrichen zu halten, daß man selbst bei Tisch vorsichtig mit Messern und Gabeln umgeht, und manchmal sogar mißtrauisch das gebratene Huhn oder Stück Rauchfleisch betrachtet.
Die Schiffe laufen gewöhnlich bis zwanzig und zweiundzwanzig Grab West-Länge hinüber, um nachher dem, nördlich von der Linie wehenden Nord-Ost-Passat wie den häufigen Windstillen soviel als möglich aus dem Weg zu gehen.
Wir passirten jedoch schon am 3. April unter 13° Westlänge die Linie, und hatten bis zum 14. Abends noch leidliche Brise – von da bis zum 13. Morgens aber gar nichts. Weil wir uns übrigens gelangweilt haben, ist nicht auch gesagt, daß sich der Leser ebenfalls langweilen soll, und ich übergehe die ganze Zeit, zwei einzelne Fälle ausgenommen.
Am 5., bei totaler Windstille, besuchte uns die Familie Haifisch – Herr, Madam und sieben allerliebste Kinder, den Eltern wie aus den Augen geschnitten – sie spielten eine ganze Weile um das Schiff herum, und der Herr Gemahl ließ sich – wahrscheinlich durch seine Frau verführt – dazu bewegen, einige Erfrischungen zu sich zu nehmen, viz. ein Stück Speck nebst Haken. Wir bekamen ihn richtig an Deck und am nächsten Tag wurde sein Fleisch in, was der Kapitän beef steaks nennt, verwandelt und gegessen. Die Wittwe zog sich darauf mit den armen unschuldigen Waisen wieder in die Stille ihres Privatlebens zurück.
Am 10. Abends leuchtete das Meerwasser mit einer Pracht, wie ich es noch in keinem Theile der Welt gesehen habe. Die See war vollkommen ruhig, spiegelglatt und dunkel wie die Nacht, und von tausend und tausend matten kleinen funkelnden Pünktchen durchzogen; wo das Schiff aber durch das langsame Schwellen der See, manchmal ein wenig arbeitete und niedersetzte, so daß das Wasser in leichtem Schaum zurückgeschlagen und fortgespritzt wurde, da leuchtete und glänzte es in einer Pracht, die das Auge förmlich blendete, und die ich mir umsonst Mühe geben würde vollkommen zu beschreiben. Es war ein grün goldenes, leuchtendes blitzendes Licht – wie Diamanten und Smaragden auf dunkelblauem Sammt ausgeschüttet. So weich und sanft und knisternd glitt und quoll es darüber hin, als ob es ein Lufthauch zerstören könne, und förmliche Schaaren von kleinen Fischen strichen durch die dunkle Fluth wie schmale Feuerstreifen durch die Nacht. Ich ließ das Ende eines starken Taus vom Heck ins Wasser, schlug es dann auf und nieder, und konnte mich wahrhaftig nicht satt sehn an den herrlichen Farben und Lichtern. Ich habe das Meer schon oft leuchten sehen, und weit heller, als es an diesem Abend der Fall war, denn die Helle wird nur durch die stärkere Bewegung des Wassers bedingt, aber ich hätte es nie für möglich gehalten, daß Licht und Wasser im Stande wären ein so wundervolles Farbenspiel hervorzubringen.
Ich kann den Schmelz dieser Farben mit nichts anderem fast so passend vergleichen, als mit jenem herrlichen Federschmuck, den die brasilianischen Mädchen aus den goldglänzenden Colibrifedern auf schwarzen Grund flechten.
Nicht weit von uns spielte eine Schaar von Schweinefischen in der ruhigen Fluth, und es war förmlich, als ob sie sich in Feuer wälzten. Das sonderbarste zeigte sich aber als ein lichter Schein am Horizont, der genau einer fernen Feuersbrunst am festen Lande glich. – Weder Kapitän, noch Steuermann, noch einer der Leute hatte je etwas derartiges gesehen, und wir zerbrachen uns alle den Kopf darüber, was es wohl seyn könne. Es schien etwa fünf bis sechs Grad hoch und verhältnißmäßig schmal zu seyn. Der erste, solcher Feuersbrunst ähnliche Fleck, den wir bemerkten, bewegte sich langsam von Norden nach Westen und später tauchte ein anderer auf, der nach und nach näher kam. – Es waren Regenschauer – die großen, auf das Wasser niederschlagenden Tropfen machten dieses in tausend und tausend Funken aufspritzen und erhellten die Luft, als sie endlich herankamen, wohl bis auf 45° hinauf mit der Helle eines Feuers.
Im Norden war der Himmel bis jetzt immer bewölkt gewesen, erst am 12. klärte er sich dort auf, und ich begrüßte zum ersten Mal wieder einen alten lieben, und solange nicht gesehenen Freund, den Nordstern. Er war mir der erste Bote freudigen Wiedersehns daheim, und wenn die Trennung von Allem was uns lieb und theuer auf der Welt gewesen, doch wohl etwas recht unendlich schmerzliches ist, so wiegt ja das Wiedersehn endlich das Alles zehntausendmal auf. –
Den 13. hatten wir frische Brise, aber immer noch total schlechten Wind, Nord zu West, gerade von dorther wo wir hin müssen. Gegen Abend nahm der Schaum des Wassers schon einen eigenthümlichen lichtgrünen Schein an, und mit einbrechender Dunkelheit leuchtete es so stark, daß ein förmlicher Feuerstreifen hinter dem Schiff herquoll und die Segel vollkommen hell waren. Die ganze See schien mit glühenden Wellen bedeckt; aber es war zu hell, das Licht verlor dadurch den milden Glanz, der es vor einigen Abenden mit solch feenhaftem Zauber übergossen hatte.
Den 14. Heute und gestern bekamen wir mehrere Schiffe in Sicht – eins das vor dem Wind nach Süden ging, passirte uns rasch, ein anderes, ein Leidensgefährte, der mit uns auf kreuzte, überholten wir; von beiden waren wir aber zu weit entfernt, die Flaggen erkennen zu können. Jetzt wird bei uns hier am Bord das Quarter oder Hinterdeck kalfatert und gescheuert, um gefirnißt zu werden, und ich wollte ich könnte meinen Lesern von meiner ganzen Reise einen so klaren und deutlichen Begriff beibringen, als gerade von diesem Kalfatern. Willst du, lieber und wißbegieriger Leser, gern genau erfahren, wie ein solches Kalfatern sich eigentlich zu dem unglücklichen Menschen, den es betrifft, verhält, so sey so gut und setze dich unter den ersten vierbeinigen Tisch von Tannenholz – du wirst den nächsten wohl in deiner eigenen Küche haben – den du erreichen kannst, und stelle einen gesunden kräftigen Mann mit einem schweren hölzernen Hammer daneben. Du hast noch keine Ahnung was er vorhat – du hörst nur, wie er oben ein klein wenig herumkratzt und schabt, oder du hörst es auch wohl nicht, wenn du gerade liesest oder schreibst; aber auf einmal – plautz – schlägt er mit aller Gewalt oben darauf und du fährst in die Höh, als ob du den Schlag auf den Kopf gekriegt hättest – plautz noch einmal – plautz – plautz.
»Was um Gottes Willen ist denn da oben los – warum lassen Sie denn das Deck einschlagen, Kapitän?«
»Oh, es wird bloß ein klein wenig dicht gemacht, daß wir's »schmieren« können.«
Der Zimmermann oben schiert sich indessen den Henker darum, wer darunter sitzt – plautz, plautz, plautz geht es in regelmäßigen Schlägen fort – jetzt plötzlich Alles ruhig – du horchst eine Weile. – nichts mehr zu hören und zu sehen. Gott sey Dank, er ist fertig – aber du bist noch unruhig – er könnte ja doch wieder anfangen – und mit der Arbeit ist's für eine ganze Weile vorbei. Endlich hast du's vergessen, du nimmst dein Buch wieder in die Hand – plautz – wie ein Blitz aus heiterem Himmel fährt dir der Schlag wieder durch alle Glieder. Nein, das ist nicht auszuhalten, und du thust jetzt, was du gleich nach dem ersten Schlag hättest thun sollen, du gehst vorn auf die Back, wo du das Donnern nur aus der Ferne hörst, und spielst indessen mit den dort angebundenen Affen. – Ach du sitzst ja nur unter dem Tisch – ja da kann ich dir nicht helfen.
Am 20. passirten wir die Sonne – d. h. wir hatten sie gerade über dem Kopf – es war aber schmählich kalt trotz dem, und mich fror's, Abends besonders, wie am Cap der guten Hoffnung – der frische Nordost mochte das machen. – Den frischen Nordost sollten wir aber nicht lange behalten; am 27. ging unser Elend mit Windstille wieder an, und in der Zeit, wo ich bei der Abfahrt von Batavia gehofft hatte den deutschen Boden wieder zu betreten, trieben wir noch unter dem 24. und 25. Grad Norder Breite im blauen Wasser und zwischen wahren Feldern von Seetang herum.
Es war wahrhaftig nicht zum aushalten, und unsere Affen hielten es auch nicht aus – sie starben sämmtlich nach und nach auf die kläglichste Weise, unter Krämpfen und Zuckungen. Mit unserer ganzen Menagerie hat es überhaupt ein trauriges Ende genommen, und der ganze Rest sind einige Reisvögel und zwei Zwerghirsche, die auch schon betrübt genug aussehen.
Erst am 5. Mai bekamen wir wieder mehr Brise und jetzt zwar, aus dem Nord-Ost-Passat heraus unter 32° Norder Breite, West-Wind, aber noch liegt eine lange Strecke Weges vor uns, und wir müssen die Rockschöße tüchtig unter die Arme nehmen, wenn wir in 14 Tagen zu Hause seyn wollen.
Bis 32° Norder Breite sah ich auch noch die oberen Sterne des südlichen Kreuzes und der höchste und hellste Stern ist gewiß bei heiterem klarem Himmel bis 36° sichtbar, mit der Westbrise umwölkte sich aber auch der Himmel und mit der Astronomie war's vorbei.
Wir treffen jetzt ungemein viel Schiffe – lauter Mitsegler – die nach Süden zulaufenden halten sich nicht soweit westlich.
Den 9. Mai waren wir zwischen den Azoren und bekamen Flores und Corvo, den 10. Fajal in Sicht. Vom 13. ab liefen wir mit herrlicher Brise bis hin vor den Kanal und jetzt nimmt der Süd-Ost wieder die Backen voll und, bläst uns seinen Willkomm mit einer Lunge entgegen, die auf jedem Hoftheater Deutschlands sein Glück machen und ein lebenslängliches Engagement mit Pension zur Folge haben müßte.
Ein Trost ist uns allerdings geblieben, wenn das überhaupt Trost genannt werden kann, daß wir eine Menge Leidensgefährten haben, die sich hier mit uns herumtreiben – Schooner, Barken, Briggs und volle Schiffe kreuzen ebenfalls und warten auf bessere Zeiten, und die Matrosen fluchen, daß sie jetzt wahrscheinlich Pfingsten auch noch in dem »alten Kasten,« wie das arme Schiff bei solcher Gelegenheit gewöhnlich geschimpft wird, herumfahren müssen.
Den 31. Mai. Der Leser kann Gott danken daß er vom 18. bis 28. Mai nicht bei uns war. Der Ostwind hatte uns gepackt, und was er wehen konnte trieb er uns, die meiste Zeit von dicht gereeften Segeln von einer Seite des Kanals zur andern. Morgens frühstückten wir bei Frankreich, Abends tranken wir unseren Thee bei England, und ein Wetter dabei, daß man keinen Hund hätte hinausjagen mögen – es soll mir noch einmal Einer was von »Mailüftchen« sagen – die hab' ich satt bekommen. Morgens wehte es gewöhnlich einen förmlichen Sturm und ruhte sich ein paar Mal nur gegen Abend etwas aus, um am nächsten Tag wieder aus vollen Backen blasen zu können, und jeden Tag dasselbe Elend, jeden Tag den Wind von Ost-Nord-Ost, Ost oder Ost-Süd-Ost, so schlecht wie er nur möglicher Weise seyn konnte. Dabei eine Kälte, daß ich zwei Röcke anzog und Frost in den rechten Fuß bekam, so waren unsere Tage vor Pfingsten.
In zehn Tagen arbeiteten wir uns eben bis Startpoint, gar nicht weit vom Eingang des Kanals, entfernt, empor, und das Wetter war so fürchterlich, daß natürlich nicht einmal ein Fischerfahrzeug oder Lootsencutter zu uns am Bord kommen konnte, wenigstens einen Brief an Land zu schicken.
Erst am 29. Mittags wurde es etwas leidlicher und ein Plymouther Lootse kam zu uns heraus, mit dem der Kapitän einen Report und ich einen Brief nach Plymouth schickte.
Die Lootsen rufen fremde Fahrzeuge gewöhnlich an, um derartige Documente an Land zu schaffen, und haben dann gewöhnlich etwas Fische und Gemüse bei sich, wofür sie sich »Provisionen« vom Schiff ausbitten. Daß sie dabei nicht zu kurz kommen, versteht sich von selbst. Unser Kapitän fragte den Lootsen was er am liebsten haben möchte, und der alte Bursche sagte schmunzelnd: »es ginge ihm wie dem Mann der an das Haus gekommen wäre und um etwas zu trinken gebeten hätte, weil er so hungrig wäre, daß er gar nicht wüßte, wo er die Nacht s chlafen sollte.« Was ungefähr so viel bedeutete, als »er brauche ein Bischen von Allem.« Er bekam auch Fleisch, Speck, etwas Kaffee und Thee, und als ihn der Kapitän frug: ob er auch etwas Brandy haben wollte, meinte er wieder: »da er ihm so viel zu essen gegeben habe, werde er ihm doch auch wohl etwas dazulegen, es hinunter zu spühlen.«
Der alte Bursche war jedenfalls ein Humorist, und zwar kein unbedeutender, denn er wog wenigstens seine 250 Pfund und mußte in seinem kleinen Boot, worin er an Bord kam, ganz genau in der Mitte sitzen, daß er es nicht hinten in's Wasser drückte.
Ich hatte selber große Lust mit an Bord zu gehen, denn die Möglichkeit war da, daß der Ostwind noch lange anhalten könne und Freund Lootse merkte das kaum, als er mir auf das dringendste zuredete, diese herrliche Gelegenheit ja nicht zu versäumen und mit nach Plymouth zu gehen, von wo aus ich noch dieselbe Nacht nach London kommen könne. – Der Ostwind dauerte hier jedenfalls noch, wie er fest überzeugt war – wenigstens sechs Wochen, ja er ließ einen Zweifel einfließen, ob wir diesen Sommer noch einmal Westwind bekommen würden, denn die Sonne habe während einem Ostwind die Linie passirt – und an dem nämlichen Abend sollten wir, wenn nicht jedes Zeichen trüge, wieder ein furchtbares Wetter aus Osten bekommen. Er erbot sich dabei gewiß zehn Mal, seinen rechten Arm zu opfern, den er jeden Augenblick zum Abschneiden preisgeben wollte, ehe wir glauben sollten, daß er uns eine Unwahrheit sagen würde, oder aus eigennützigen Absichten handle (die Lootsen bekommen gewöhnlich ein Pf. Sterl. einen Passagier mit an Land zu nehmen, manchmal auch mehr). Aber gerade während er an Bord war, klärte es sich mehr und mehr auf, und ich hatte Hoffnung daß der Wind doch einmal herumgehen würde. Der Lootse stieg endlich, als alle Vorstellungen fruchtlos blieben, mit einem höchst mißtrauischen Blick gegen den Himmel und einem ominösen Kopfschütteln in sein Boot zurück; aber denselben Abend bekamen wir noch Windstille, das Wetter klärte sich auf und der Wind setzte erst nach Norden und dann so stark nach Westen um, trotz der Prophezeiung, daß wir gestern und heute, mit Leesegeln an beiden Seiten und von einer herrlichen Brise, in dem glatten Wasser wahrhaft dahinflogen.
Natürlich war ich jetzt froh, der allerdings starken Versuchung der Heimath per Dampf zuzueilen, widerstanden zu haben, aber ich muß auch gestehen daß mich mein eigener Geldbeutel bei dieser Festigkeit wesentlich unterstützt hatte, denn die Fahrt hätte mich schweres Geld gekostet, und ich würde dabei wenig oder gar nichts von England gesehen haben.
Heute wurden wir übrigens für alles Ueberstandene reichlich entschädigt – mit dem herrlichsten Wetter liefen wir vor einer Pracht-Brise dicht an der englischen Küste hin, Massen von Fahrzeugen waren nach allen Seiten hin über das Wasser zerstreut, denn der zehntägige Ostwind hatte eine förmlich Flotte im Kanal zusammengehalten, die jetzt, vor dem Wind, mit Leesegeln an beiden Seiten einen wirklich großartigen Anblick bot. Und zwischen den heimstrebenden Schiffen kreuzten kleine Lootsencutter – Engländer, Hamburger und Holländer herüber und hinüber, Fischer lagen mit ihren Netzen auf der stillen klaren Fluth und hart beim Wind liegende und ausgehende Schiffe schnitten quer durch die Colonnen der stolzen »Vor de Winders.«
Morgens acht Uhr waren wir dicht unter den weißen schroffen Kreidefelsen von Beachyhead, um vier Uhr hatten wir schon Brighton und Dover, um sechs Uhr Süd-Foreland, die letzte Spitze des Kanals, und als die Feuer von Süd- und Nord-Foreland, von Goodwinsands und Calais dicht herüber durch die tief einbrechende Dämmerung blitzten, schäumten wir förmlich durch die grünen Fluthen der Nordsee – des vaterländischen Meeres.
Von da an fand ich mich wie in einer Art von Traum; keine zwei zusammenhängende Gedanken konnte ich mehr fassen, fünfzig Mal den Tag stieg ich an Deck hinauf und in die Cajüte wieder hinunter, und dennoch hatte sich von diesem Augenblick, merkwürdiger Weise, meine ganze Ungeduld gegeben. Ich fing an zu fühlen, welche Seligkeit eigentlich in diesen ersten Momenten der Rückkehr lag – wie jede Kleinigkeit die mit ihnen in noch so schwacher Verbindung stand, mir erst in der Erinnerung daran theuer werden würde – und ich begann mit ihnen zu geizen.
Zuerst fesselten die kleinen vaterländischen Fahrzeuge, die hier draußen herumschwärmten, meine Aufmerksamkeit; da wurde der erste Kirchthurm – es ist das erste was man von Deutschland zu sehen bekommt – in der Ferne sichtbar – dort noch einer und jetzt – was kümmerten mich von da an die Schiffe, tauchte der weiße Sandstreifen der Dünen aus der schimmernden Fläche des Meeres auf. – Das war das Vaterland und – ich weiß wahrhaftig nicht mehr, was ich in dem Augenblick gedachte, geträumt – empfunden habe.
Am nächsten Tag erreichten wir die ersten Wesertonnen – am Abend senkte sich ein leichter Duft auf das Wasser nieder, und ich hatte das Glück, unsere nordische fata morgana bewundern zu können. Schon an der zweiten Tonne lag uns das ziemlich ferne Helgoland, umgedreht in der Luft hängend, über dem Wasserspiegel klar vor Augen, und die flachen niedern Küsten von Wanger-Oog und dem Festland, sahen aus wie die hohen Kreidefelsen bei Beachyhead. Die Nacht gingen wir vor Anker, auf deutschem Grund und Boden und am andern Morgen, immer aber jetzt gegen ungünstigen Wind aufkreuzend, liefen wir in die festen Ufer der Weser ein.
Wieder einmal, nach einer Fahrt von 129 Tagen (ohne ein einziges Mal einzukehren) begrüßte uns das grüne lachende Land – es war Sommer – die Schwalben, alte liebe Bekannte, kamen herüber uns zu begrüßen. Der Strom war von einer Menge einlaufender Fahrzeuge belebt, und Bremerhafen zeigte sein breites Mastengitter.
Unser Lootse hoffte, wir würden noch zeitig genug einkommen mit dem um drei Uhr abgehenden Dampfboot nach Bremen hinauf zu laufen; der Wind schlief aber fast ein und die Fluthzeit war auch schon fast abgelaufen. Nichtsdestoweniger packte ich all meine Sachen zusammen und hatte es nicht zu bereuen, denn eben als wir über Bremerhafen Anker geworfen, kam ein Boot von dort heraus, das den Kapitän noch zum Dampfer zu bringen versprach; meine Sachen wurden rasch mit hineingehoben und – wir ruderten zwischen dem Ueberrest der deutschen Flotte hindurch, die mit den flatternden schwarz-roth-goldenen Fahnen wie ein gefangener zum Opfertod verdammter Krieger auf dem Wasser lag.
Mit welchen frohen Hoffnungen hatte ich damals, als wir vor 39 Monaten ausfuhren, das erste dieser Schiffe, das mit derselben Flagge in unseren Hafen lief, begrüßt, und heute? – Es war das ein schmerzlicher Willkommen im alten lieben Vaterland – es war mir etwa als ob ich einen theuren, lieben Freund auf dem Sterbebette – oder im Zuchthaus wieder gefunden hätte und als ich schon lange am Bord des Dampfboots war, das rasch und fröhlich den sonnigen Strom hinauffuhr und Bremerhafen mit seinen Schiffen und Masten und Flaggen lange lange in den Biegungen des Flusses verschwunden war, sah ich noch immer die schwarz-roth-goldene Flagge vom Heck der armen Schiffe wehen, und die Mündungen der Kanonen – ein grimmer Spott – aus ihren Schießlucken drohen. – Aber fort, fort mit den Gedanken, sie tödten! –
Wunderlich genug kam es mir vor, als ich wieder einmal ein neues Land betretend, nur deutsch reden hörte, und ich mußte mich im Anfang wirklich in das Gefühl hineinzwingen, daß die Küste die ich jetzt betreten habe, auch endlich und in der That die deutsche sey. Mit dem Bewußtseyn kam aber auch eine unendliche freudige Ruhe über mich – wie dem Schiffer, der sein seemüdes Boot aus stürmischer See glücklich im sicheren Hafen geborgen – und als ich vom Bord an Land, zum ersten Mal wieder auf Straßenpflaster sprang, war es mir ordentlich, als ob ich Flügel an den Füßen hätte.
Vor jedem Fenster, in denen sie jetzt die Lichter entzündeten und sich im traulichen Familienkreise sammelten, hätte ich stehen bleiben und dem heimischen, so wohl bekannten, so lang entbehrten Treiben lauschen und horchen mögen.
Die Gruppen die sich plaudernd in den Hausthüren sammelten, waren mir alte liebe Bekannte, die Kinder auf der Straße die sich jagten und hetzten – die ersten Glockenschläge der Uhr wieder, die tief und voll zu mir niederschallten – das erste Geläute – o es weckte eine Schaar von Erinnerungen die alle fest und fast vergessen im Herzen geschlummert hatten, und jetzt wie mit dem einen Schlage plötzlich und gewaltig wieder auf und ins Leben sprangen.
Und als ich dann endlich im »Lindenhof« im warmen weichen Bette lag, und mit einem nicht zu beschreibenden Gefühl mir zum ersten Mal erst sagen konnte: »vorbei! Du hast jetzt Alles, Alles überstanden, und bist gesund und lebensfrisch zurückgekehrt ins Vaterland« und wie bestätigend der Nachtwächter, der erste lebendige Nachtwächter wieder nach jahrelanger Trennung, sein ernst wehmüthig Horn dazwischen blies, da hätt' ich aufspringen und dem stillen friedlichen Nachtwandler unten um den Hals fallen mögen in Glück und Seligkeit. – Doch ich bin nicht im Stande, liebster Leser, Dir das Alles jetzt einzeln aufzuzählen, im Einzelnen zu schildern, aber die folgenden Tage vergingen mir in einem förmlichen Taumel, wo mir fast jeder Augenblick das Alte neu zurückbrachte zu Leben und Wirklichkeit, und das Neue eben seinen Zauber fand in der Erinnerung.
Die lieben Menschen dazu, die mich überall so herzlich aufnahmen und begrüßten, mir vergingen die Stunden, die Tage wie im Flug, und ich kam wirklich eigentlich erst zu mir selber, als mich der erste preußische Constabler oder Grenzwächter nach meinem Passe fragte. In Batavia war der zum letzten Mal visirt – unterwegs hatte ich das überhaupt größtentheils selber besorgt, denn in englischen wie amerikanischen Colonien fragt keine Seele danach. Der preußische Beamte zog aber ein sehr bedenkliches Gesicht, als er das vernachläßigte Dokument überblickte, aber er nahm es humaner auf, als ich selber erwartet hatte, und sagte nur kopfschüttelnd, indem er es mir zurückgab –
»Lieber Herr, Sie reisen da in der ganzen Welt herum, und lassen nirgends visiren.«
Ungehindert ließ man mich jedoch weiter ziehn; mein Paß lautete auf Leipzig und ich ging dorthin zurück; was ich aber früher versäumt, konnte ich jetzt recht gut wieder nachholen. Es ist nämlich eine wunderliche Thatsache, daß mir einige Tage später mein Paß von Sachsen nach Wien, und wieder zurück nach Sachsen, gerade einmal mehr visirt wurde, als um die ganze Welt.
Doch das gehört Alles nicht mehr nach Java, nicht zur wirklichen Reise, und wenn ich mich nicht schon lange, wenigstens seit der Einfahrt in die Weser, von dem nachsichtigen Leser verabschiedete, geschah das nur weil wir eine so lange, lange Strecke – hoffentlich als gute Freunde – miteinander durchlaufen haben, und man sich immer doch nur so spät als möglich von einem lieben Reisegefährten trennt.
So jetzt noch ein herzliches Lebewohl, und bist Du, lieber Leser, wirklich nicht müde geworden – hast Du sogar noch Lust weiter zu streifen durch die Welt so – wünsche ich Dir eine recht glückliche Reise, werde Dich aber müssen allein ziehen lassen, denn mit den Schwalben habe auch ich mein altes Nest wiedergefunden, und der Wandervogel steckt seine Flügel in die Taschen und ist jetzt fest entschlossen in der Heimath zu bleiben.