Friedrich Gerstäcker
Java
Friedrich Gerstäcker

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9. Leben in Batavia.

Es war allerdings im Anfang meine Absicht gewesen von Batavia aus nach dem Cap der guten Hoffnung zu gehn, und von dort aus hatte ich dann ebenfalls noch die großartigsten Reisepläne; erstens aber ist Indien ein sehr theures Pflaster, und dann waren schon viele viele Monate über die Zeit verflossen die ich mir, bis zu meiner Rückkehr nach Deutschland, selber gestattet hatte. Ich mochte nicht länger von der Heimath, von den Meinen fern bleiben, von denen ich, meines unsteten Umherstreifens wegen, ja nicht einmal regelmäßige Nachricht bekommen konnte. Zu Haus – der Gedanke war es jetzt der mich mit einem ganz neuen frohen Gefühl belebte, und einmal erst damit vertraut, dachte ich auch gar nicht mehr an weitere Reisen.

Nun hätte ich allerdings gleich schon mit einem Bremer Schiff die Rückreise nach Bremen direkt antreten können, so rasch mochte ich Java aber auch noch nicht verlassen, denn erstens wollt' ich noch mehr von der Stadt und ihrem Treiben selber sehen, und dann auch noch einen kleinen Abstecher nach einem andern Distrikt, nach Tjipamingis hinauf machen, wo ebenfalls ein Deutscher die Oberaufsicht hatte.

Um Gelegenheit nach Deutschland brauchte ich übrigens nicht ängstlich zu seyn, denn es lagen gerade in damaliger Zeit sechs Schiffe auf der Rhede von Batavia, die alle nach Bremen und Hamburg bestimmt waren, also sitzen blieb ich unter den Umständen nicht.

Am anderen Tag zog ich noch einmal mit dem Steuermann der Wilhelmine, der sich einige chinesische Kleinigkeiten kaufen wollte, durch das Chinesische Viertel. In einem Winkel desselben fanden wir eben wieder eines ihrer Theater in vollem Gang – dasselbe Geschrei, dieselben Gestikulationen, nur die Garderobe schien, für das Tageslicht berechnet, etwas besser zu seyn, denn zwei der Burschen besonders trugen wirklich prachtvoll gestickte Talare von lebendigen, rothen und grünen Farben.

In den verschiedenen Boutiquen herumstöbernd, kamen wir auch an einen der bis an den Gürtel nackten Verkäufer, der ruhig aus seiner Pfefferrohrpfeife rauchend vor seiner Thür saß, und uns mit einem freundlich wohlmeinenden tabe, tabe zunickte. Es schien dieß ein Buchhändler seines Gewerbes nach, d. h. er handelte wohl auch noch außerdem mit irdenem Geschirr, Flechtwerk, Tabak etc.; sein Haupthandel war aber den aufgeschichteten Büchermassen nach, die »Literatur fremder Welttheile« und ich konnte natürlich hier nicht vorübergehen, ohne einen Blick auf seine Sammlung zu werfen.

Die ersten zwei Bücher, die auf einem vom Boden aufgeschichteten Berg den Gipfel bildeten und die ich herunternahm, waren der Euripides und Robert Hellers zweiter Band seiner »Sieben Winterabende.« Welcher böse Stern die »Winterabende« nach Java geführt hatte, weiß ich in der That nicht, aber ihre Existenz ließ sich nicht bezweifeln – waren ja doch auch Eisele und Beisele herübergedrungen. Die Hauptmasse der Bücher, die der Chinese auf Auktionen zusammengekauft, bestanden in alten holländischen und französischen Reisebeschreibungen, einigen englischen Gebetbüchern (worin die Engländer starkes leisten), dann alten deutschen Grammatiken, lateinischen Lehrbüchern und einigen holländischen alten Jahrgängen verschiedener Zeitschriften. Außerdem hatte er aber auch noch ein malayisch-holländisch-französisches und holländisch-französisch-malayisches Wörterbuch – zwei große Quartbände, das ich ihm für einen Gulden abkaufte. Der Mann schien dabei auch überzeugt zu seyn, daß er ein sehr gutes Geschäft gemacht habe. Für Robert Hellers zweiten Band der Winterabende forderte er zwei Gulden, wollte sie mir aber auch für einen lassen, und ich kaufte sie ihm ab, alter Anhänglichkeit wegen.

Einer der Vororte Bataviens – man könnte es Vorstadt nennen, denn die ganze Stadt besteht doch nur, das batavische Handelsviertel abgerechnet, aus lauter Gärten, heißt Meester Cornieles oder Meester, wie es gewöhnlich kurzweg genannt wird. Es liegt dort eine Kaserne und wird auch allwöchentlich ein Markt gehalten. Gerade hier sollte aber auch das Opiumrauchen am stärksten betrieben werden, und lange schon hatte ich gewünscht, das einmal selber mit ansehen zu können, aber auch nicht allein gehen mögen. Endlich erbot sich ein junger Mann von einem der Geschäfte in Batavia, mich am Mittwoch Abend, dem Abend vor dem Pasar, wo das eigentliche Leben dort herrscht, hinzuführen, bat mich aber, wenn ich die Sache beschriebe, seinen Namen nicht zu nennen. Das versprach ich Herrn Stecker denn auch, und er und ich fuhren um neun Uhr etwa, denn eher hat sich die rechte Menschenmasse dort noch nicht versammelt, dahin und erreichten nach kurzer, in der wunderschönen Abendluft herrlichen Fahrt, den allerdings etwas verrufenen Ort, wo es schon bunt und lustig genug zuging.

Es war ein ziemlich offener, mit Bambusschuppen überbauter und von schmutzigen Kanälen durchschnittener freier Platz, um den herum die verschiedenen kleinen Kaufläden, fast ausschließlich von Chinesen gehalten, lagen. Der Platz selber war großentheils von Frucht- und Eßwaarenverkäufern eingenommen, die mit einem Bananenblatt um ihre Lampen geschlagen, daß sie der frische Luftzug, der durch die Straßen strich, nicht auswehte, in bunt erleuchteter Reihe dasaßen und ihre Waaren feilboten. Ein Drittel dieser Schuppen wurde aber auf andere und zwar sehr von dieser verschiedene Weise benutzt. – Dieß war nämlich von vier verschiedenen Gruppen chinesischer und auch javanischer Tänzerinnen eingenommen, die hier, um die niederhängende Cocosnußöllampe und jede nach einem besonderen Musikchor, das auf die schauerlichste Weise mit dem Nachbarchor durch einander tönte, ihre Tänze ausführten.

Wenn man in der Mitte zwischen diesen verschiedenen Gruppen stand, und das monoton quiekende Dudeln dieser Instrumente, die durchdringenden Töne der Gongs und das grelle Schreien, denn Singen kann ich das nicht nennen, der Tanzenden so zu gleicher Zeit und von allen Seiten auf einmal über das arme Trommelfell herfallend, mit anhörte, dann war es einem manchmal ordentlich zu Muthe, als ob man wahnsinnig geworden wäre und nur eben noch an zu fühlen fing, wie Einem die Gehirnfasern mit entsetzlichen Zangen angegriffen und einzeln abgerissen würden. Ein paar Mal lief ich in der That fort, um nur erst einmal wieder frische Luft zu athmen und meine Ohren auszuruhen, den Genuß zu ertragen – das Gehör gewöhnte sich aber daran, oder wurde wenigstens abgestumpft, denn zuletzt hörte ich gar nichts mehr und sah förmlich nur das Schreien und Toben.

Die Tracht der Tänzerinnen war genau die, wie ich sie schon oben auf dem Weg nach Bandong gesehen und beschrieben hatte – dieselben weißgemalten Gesichter, dieselben Fächer hinter denen sie vorkreischten, als ob man aus einem Sprachrohr singt – dieselben Verdrehungen der Hände und Arme und des ganzen Körpers. Die Sache war eigenthümlich aber gewiß nicht schön – nichtsdestoweniger freute es mich doch, das so einmal mit ansehen zu können.

An diesem selben Platz lag auch das sogenannte Opiumzimmer, was ich mir hauptsächlich zu beschauen wünschte. In der Reihe Gebäude oder Wohnungen, die, an der schmalen und oberen Seite des ganzen Platzes gebaut waren und diesen gewissermaßen beherrschten, stand zuerst ein kleines niederes »Comptoir« mit einst weiß gewesenen Wänden und Bambusbänken und einem ordinären sehr schmutzigen Holztisch, dessen eine Seite eine alte qualmende Lampe, ein Tuschnäpfchen mit Pinsel zum Anschreiben und einige Contobücher zierten, dessen andere Hälfte aber auch zum Laden- und Verkaufstisch benutzt war, den Opiumrauchern ihr Quantum, für das sie theuer genug bezahlen müssen, abzuwiegen. Opium, Tabak und noch einige andere Ingredienzien, die sie zusammen mischen, lagen auf Blättern umher und dahinter aufgeschichtet die aus Halmen geflochtenen Deutsäcke mit der kleinen Kupfermünze – der Ertrag des heutigen Abends wahrscheinlich.

Gerade als wir darin standen und dem Abwiegen des Giftes zusahen, kam ein kleiner Javane, ein förmliches Skelett, dem selbst die Haut noch angespannt über den Knochen saß und dessen tiefliegende Augen ganz in ihren Höhlen versunken schienen, herein, um sich etwas Opium zu holen. Er hatte nicht mehr Geld genug eine volle Portion zu kaufen und wollte weniger haben, der Verkäufer wollte ihm aber nicht weniger geben. Seine Hände zitterten wie in Fieberfrost und die ganze Gestalt glich eher einer erst dem Grabe entstiegenen Leiche, als einem noch lebenden menschlichen Wesen. Der Alte ließ auch nicht eher mit Drängen nach, bis ihm der Chinese endlich für seine Deute den Werth in Opium reichte und damit zog er in gieriger Lust ab, dem nächsten Zimmer zu, sich dort ganz dem verderblichen Genuß hinzugeben.

Wir folgten ihm, und kamen zwei Thüren weiter an eine schmale Kammer, die eher einem engen Durchgang glich, so beschränkt war der innere Raum. Am Tage mußte es hier vollkommen dunkel seyn, denn nur am andern Ende des etwa sechzehn Schritt langen und vielleicht vier Schritt breiten Nestes befand sich ein kleines, niederes, jetzt mit geflochtenem Bambus bedecktes Fenster. An der linken Seite war, die volle Länge des Raumes, eine Art Bett oder eine breite, etwa zwei Fuß vom Boden befindliche Bambusbank angebracht, auf der eine Art kleine Fußbänke standen, den Kopf darauf zu ruhen, und auch ein paar äußerst schmutzige mit Kapas gestopfte Kopfkissen lagen. Der Raum der zwischen dieser Bank und der andern Wand noch blieb, war kaum zwei Fuß breit.

Hier lagerten die Opiumraucher, mit dem Gift, das sie auf Stücken von Bananenblättern vor sich liegen hatten, und ihren kurzen, dicken, schmutzigen Pfeifen, Jeder eine kleine Lampe vor sich, und ausgestreckt, soweit es eben der Raum und der Nachbar gestatteten. Die Pfeife lag ihnen mehr in der Hand als daß sie sie hielten, und nur nach kurzer Rast richteten sie sich halb auf, stopften sie wieder und zogen den betäubenden Duft ein.

Das Opiumrauchen ist übrigens von dem Tabakrauchen himmelweit unterschieden, denn man darf sich nicht denken, daß sich die Leute ordentlich eine Pfeife stopfen und nun ruhig eine Viertelstunde damit wegqualmen. Die Pfeife hat nur eine sehr kleine, kaum größer als eine Erbse gebohrte Oeffnung; um in diese hinein zu passen, wird das Opium in ein Kügelchen gedreht und eingedrückt, der Rauchende bringt diese Kugel dann, während er selbst die Spitze schon zwischen den Lippen hat, an's Licht und thut nur einen scharfen, fast pfeifenden langsamen Zug. Hiermit hat sich das Opium verzehrt und die Pfeife muß wieder neu gefüllt werden. Den Dampf behalten sie eine Zeitlang im Mund und blasen ihn dann durch die Nase wieder aus. Einzelne mischen sich auch wohl ihren Opium mit Tabak an, ich habe das aber doch nur weniger gesehen.

Nach dem Rauchen fallen sie wieder in ihre lässige, schläfrige Stellung oder Lage zurück und starren, ohne viel mit einander zu sprechen, mit halbgeschlossenen Augen zur Decke hinauf. Mir schien es aber, als ob gar solch unbedeutende Quantität nicht dazu gehöre, sie einzuschläfern, denn so lange ich darin stehen blieb, und das war doch wenigstens eine halbe Stunde, sah ich nicht einen einzigen von ihnen einschlafen.

Der Alte, mit dem wir hierher gekommen waren, hatte sich gleich auf das vorderste Ende der Bank, in die eine Ecke niedergekauert, und er nahm sich nicht einmal erst Zeit, seinen Platz ordentlich herzurichten, seinen Opium auszubreiten, sondern stopfte nur gleich mit zitternden Händen seine Pfeife und fing an zu rauchen. Allmählich hörte jetzt das Zittern auf, er wurde ruhiger, seine Augen aber auch gläsern und starr vor sich hinstierend, saß er da, und zog nur in kurzen Zwischenräumen an dem kurzen, schmutzigen Rohr der Pfeife, die, soweit es eine förmliche, darumsitzende Kruste erkennen ließ, unter dieser einmal mit kleinen Messingnägeln beschlagen gewesen seyn mußte.

Als wir nach etwa einer halben Stunde dorthin zurückkamen – und es hatten sich indessen noch mehrere Deutsche, unter diesen auch einige Schiffskapitäne, mit hier oben eingefunden, die dieß Leben ebenfalls einmal zu sehen wünschten – kauerte der Alte noch in derselben Stellung, aber eine seltsame Unruhe zuckte durch all seine Glieder. Wie bewußtlos und unwillkürlich hob er die Pfeife in kurzen Zwischenräumen zur Lampe auf – aber er rauchte nicht – er stöhnte und ächzte, schloß die Augen und öffnete sie wieder und sank dann für kurze Momente in seine alte Stellung zurück.

Wir frugen einen der neben ihm sitzenden jungen Leute, was dem alten Burschen fehle, dieser aber lachte und meinte, er hätte bloß keinen Opium mehr und auch keine Deute sich welchen zu kaufen, und nun sey er erst halb im Rausch drinnen und könne nicht wieder heraus- und auch nicht recht hineinkommen.

Der eine Kapitän gab ihm darauf eine Handvoll Kupfergeld und kaum hörte er das Klingen der Münze vor sich auf dem Bambus, als seine Augen an zu leuchten fingen – er taumelte in die Höhe und zur Thür hinaus und kam schon nach wenigen Minuten mit einem unheimlich frohen Zug in der Todtenlarve zu seinem alten Platz – er schien hier Stammgast zu seyn – zurück, wo er sich dann bald in den vollkommenen Zustand seiner so gierig erstrebten Glückseligkeit hineingearbeitet hatte.

Seine Stellung veränderte er aber selbst im festen Opiumrausch nicht, zusammengeklappt wie ein Taschenmesser, den Kopf fest auf die Knie gesenkt und die Arme schlaff herunterfallend, saß er da, jeder seiner Knochen am ganzen Rücken und den Schultern, jede seiner Sehnen und Adern auf das peinlichste sichtbar und das leise Zucken seiner Fibern den unnatürlichen Zustand seines Geistes verrathend. Es war ein entsetzliches Bild, der Körper dieses alten Opiumrauchers.

Es sind hier auch noch andere Orte wo geraucht wird, verrufene Plätze, die ebenfalls von Chinesen gehalten werden und wohin die Raucher mit ihren Pfeifen kommen, denn der Opium ist nur auf dem einen Punkt zu haben; diese sah ich aber, wenn das irgend möglich ist, noch großartiger und entsetzlicher in der Stadt selber, auf dem sogenannten pasar snin oder Montagsmarkt, den ich eines Abends mit einem der batavischen Aerzte besuchte.

Das Opiumcomptoir war hier in ähnlicher Art gelegen, und die Portion kostete, wenn ich nicht irre, einen halben Gulden – dafür gab es aber nur ein sehr kleines Quantum, was dem richtigen Raucher lange nicht genug seyn konnte, den Weg in sein Traumreich zu finden. Eine eigentliche Rauchstube existirte aber in diesem Quartier nicht, wenigstens konnten wir keine solche finden, und auf unsere Frage wo denn eigentlich geraucht werde, führte uns ein junger Bursche durch einen schmalen Gang in ein Gebäude hinein, das in dieser Art wohl Alles übertrifft, was sich die kühnste Phantasie nur ausmalen könnte. Der Leser denke sich ein niederes Gebäude allein von gespaltenen Bambusstäben, wie ein grober Korb geflochten. Die Größe oder der ganze Umfang desselben ließ sich dabei gar nicht genau bestimmen, denn ein Gang führte in und aus dem anderen, ein Winkel drückte sich an den Nachbar an, und wie in einem Bienenstock die Zellen, so stand hier Kammer an Kammer, oder eigentlich Korb an Korb dicht gedrängt an einander – keiner länger als etwa sechs, breiter als fünf und höher vielleicht als sieben Fuß, denn das Dach lag dicht darauf und das ganze Hausgeräth der einzelnen ein Bett und eine Matte und einen zurückgeschlagenen schmutzigen Vorhang, und auf dem Bett eine kleine Lampe und ein dampat sirih oder Betelkörbchen, worin die Eingeborenen gewöhnlich ihre Sirihblätter und Arekanüsse und ihren Kalk und Tabak zum Kauen aufbewahren, und der hier möglicher Weise auch mit zu dem kostbareren Opium benutzt wurde.

Die Wände hatte kein Tropfen Wasser berührt seit sie errichtet wurden, und überall war der weiße Kalk, den sie zum Kauen benutzen, mit den Fingern in einzelnen Streifen und Flecken angeschmiert; in den Gängen selbst, in denen Tümpel mit Wasser standen, wimmelte es von jungen weißgeschminkten und mit Blumen geschmückten Mädchen und die wunderlichsten und in der That nicht zu beschreibenden Gruppen von Rauchern lagen wild zerstreut durch diese Höhlen – ich weiß keinen andern Namen dafür. Rede mir keiner von den five points in New-York oder den seven dials in London – sie können den pasar snin Batavias an Scheußlichkeit nicht übertreffen.

Der Opiumhandel ist alleiniges Monopol der Regierung, und sie verpachtet den Einzelverkauf zu einem enormen Preis an die Chinesen. Die Summe ist nur für Batavia viele tausend Gulden, ich habe vergessen wie viele, doch das thut auch nichts zur Sache – und dabei müssen dann die Pächter noch den Opium zu einem bestimmten, sehr hohen Preis bezahlen. Nun ist aber der Pacht nicht so eingerichtet, daß der Pächter nur eben so viel kauft als er verbraucht, nein der Pacht wird an den Meistbietenden abgelassen, und zwar nicht an den Meistbietenden in Geld, sondern an den, der sich erbietet, die größte Quantität Opium, die er sich dabei zugleich verpflichtet aufzukaufen, abzusetzen. Diese Zahl steht scheinbar mit der Bevölkerung von Batavia in gar keinem Verhältniß, man hält es kaum für möglich, daß er alle consumirt werden könnte, und doch ist es so. In des Opiumpächters Nutzen liegt es nun aber natürlich, den Gebrauch so viel zu verbreiten als nur irgend in seinen Kräften steht, ja er muß das thun, wenn er nicht zu Schaden kommen will. Ich gebe zu, daß es eine ausgezeichnete Revenue für den Staat ist, und schwer durch etwas anderes in dem Maaße ausgefüllt werden könnte, aber ist es so gehandelt als wir erwarten, daß uns Andere thun sollen? – Ich prahle wahrhaftig nicht mit meinem Christenthum, aber ich möchte das nicht auf meinem Gewissen haben.

Unsere gebildeten und so äußerst civilisirten europäischen Staaten sollen sich aber um Gotteswillen nicht dabei an die Brust schlagen und ausrufen: »Herr ich danke dir, daß ich nicht bin wie jene da; so lange Deutschlands Fürsten nicht jene Spielbanken und Lotterien aufheben, für die sie jährlich das Honorar in die Tasche stecken, so lange England seine licensed Ginhouses nicht aufhebt, die fast eben so viel Verderben anrichten als der Opium (und England betreibt ja auch überhaupt dasselbe humane Princip in China), so lange können wir den Holländern wahrlich nichts vorwerfen. – Es ist nur, weil man gerade davon spricht.

Es ist schon sehr viel über Java, besonders aber über Batavia geschrieben worden und manches Richtige wohl mit dazwischen, aber doch so viel Uebertriebenes, so viel Entstelltes, daß man sich zuletzt ganz falsche Begriffe über Leben und Aufenthalt dort macht. Ich wenigstens, der ich besonders im letzten Jahr meines Aufenthalts in Deutschland, Alles las was ich nur über fremde Welttheile Neues bekommen konnte, und darunter sehr viel über Batavia fand, glaubte, ehe ich hierher kam, ich müsse Stadt und Leben dort durch und durch kennen und sah zu meinem Erstaunen, daß ich mich noch mit keinem Orte so viel getäuscht hatte, wie gerade mit Java.

Zuerst wird einem schon einmal von Kindesbeinen an vorgepredigt, was für ein entsetzlich ungesunder Ort Batavia wäre – ungesund? Lieber Gott das ist noch gar kein Ausdruck dafür – eine Pesthöhle, wo Nachts die giftigen Schwaden Daumensdick aus der Erde kämen. Batavia ohne gelbes Fieber und Cholera kann man sich in Deutschland kaum zusammendenken, und ich war nicht wenig erstaunt, nicht allein als ich hier ankam Alles gesund zu treffen, sondern auch zu sehen wie Alles gesund blieb und ich, meinestheils, habe mich in keinem Land besser und wohler befunden, als gerade auf Java.

Die alte Stadt Batavia, wo in früheren Zeiten die Holländer nicht allein ihre Geschäfte hatten, sondern auch wohnten, ist allerdings schon ihrer ganzen Lage nach, nicht besonders gesund, vorzüglich in der Nacht, wenn die den Tag über sonngebrannte Erde in der kühlem Nachtluft ihre bis dahin eingesogenen heißen Dünste wieder ausstößt. Das Land dort herum ist überall sumpfig und von Kanälen durchschnitten – weit hinaus in die See reichen noch die Schlammbänke und die Ebbe legt sie Meilenweit trocken. Das Alles in einem Klima, wo der Körper das ganze Jahr über nicht einen einzigen kühlen Monat hat, in dem er ausruhen könnte, muß wohl mit dem weichlichen, fast nicht die geringste körperliche Anstrengung gestattenden Leben der Europäer, deren Sehnen dadurch nur immer mehr erschlaffen, auch die festeste Constitution nach und nach untergraben. In der Stadt selber wohnt aber auch Niemand mehr als Malayen und Chinesen und vielleicht einige wenige Europäer, die sich mit in dem chinesischen Viertel herumtreiben; alle Kaufleute, alle Beamte, selbst das ganze Militär wohnt »auf dem Land,« d. h. außer der Stadt.

Die Wohnungen der Europäer fangen schon in einer englischen Meile von Batavia an, und erstrecken sich bis in neun und zehn Meilen von dem Weichbild. Man kann auch eigentlich gar nicht sagen, wo die Stadt eigentlich genau aufhört oder das Land anfängt, Landhäuser und kleine chinesische Budenviertel mischen sich überall durch einander und reichen so bis zu den entferntesten Grenzen der »Vorstädte.«

Darauf kann man sich aber verlassen, daß man von Abends fünf Uhr, bis Morgens um neun, schwerlich einen Europäer in dem Geschäftstheil Batavias zu sehen bekommt, es müßte denn einer der Schiffskapitäne seyn (die ebenfalls sämmtlich auf dem Lande wohnen), der früh an Bord gehend, rasch durch die stillen Straßen fährt. Alle Läden sind geschlossen, die Kuli's schlendern müßig am Ufer des Kali besaar herum, oder lehnen an den verschiedenen Ecken mit ihren Bambus-Laststöcken neben sich – man kennt den Platz gar nicht wieder, wenn man ihn bis dahin nur in der Geschäftszeit gesehen hatte.

Um neun Uhr verwandelt sich das alles wie durch einen Zauberschlag; Cabriolet nach Cabriolet kommt eins hinter dem andern angefahren; die Kaufleute mit ihrer Blechbüchse mit Papieren und ihrem kleinen Fouragekorb, den Lunch enthaltend, steigen aus; die weiten Lagerthüren werden geöffnet, die Wagen fahren in den Schatten der Bäume oder im Schuh einzelner Waarenschuppen auf, selbst die Kuli's bekommen Leben, und Batavia ist erwacht.

Den ganzen Monat hindurch bleibt sich das ziemlich gleich, nur gegen Ende desselben erleidet die letzte Woche eine Ausnahme. Monatlich zweimal kommt nämlich oder geht das Dampfschiff über Singapore und Ostindien nach Europa – die doppelte Monatfahrt ist erst in dein letzten Jahre eingerichtet worden und das ist die Zeit, vor der es den Frauen der Kaufleute schon die übrigen Wochen bangt. Die ganze Correspondenz muß in diesen wenigen Tagen besorgt werden und mit dem Mann ist es dann nicht mehr auszuhalten. Er steht erstlich ungesetzlich früh auf, um auch nicht einen Augenblick der Tageszeit im Comptoir zu versäumen, und kommt Abends nie vor stockfinster wieder zu Hause, ja er bringt sich am Ende Abends gar noch Bücher und Briefe mit zu Hause und setzt sich, anstatt die der Frau gehörende Zeit auch der Frau zu widmen – der Unmensch – an seinen Schreibtisch. Fragt ihn die Frau etwas, so bekommt sie kurze und oft sogar verkehrte Antworten, was auch nicht zu verwundern ist, denn er hat den ganzen Kopf voll Pfeffer, Kaffee, Kanehl, Zucker und Gott weiß was alles – ja mir sind sogar einzelne Fälle zu Ohren gekommen, wo er Nachts davon träumen soll – aber ich hoffe, daß das nur Gerücht ist.

»Wenn nur die mail erst fort wäre,« ist in dieser Zeit der stete Stoßseufzer der armen hintangesetzten Frauen, aber wie bei Allem in der Welt, so kommt auch endlich der Tag, und der abgehetzte Geschäftsmann kann wieder auf volle acht Tage Athem schöpfen.

So angenehm nun aber auch das weit draußen vor der Stadt und in Gärten Wohnen der Kaufleute und Beamten seyn mag, so hindert es doch auch wieder, wie sich leicht denken läßt, das gesellige Leben ziemlich bedeutend. Wohnt man auch wirklich in ein und demselben Viertel mit seinen Bekannten, was aber selten der Fall ist, so muß man doch fast immer den Wagen anspannen lassen, wenn man sie besuchen will. Nimmt man aber einen Miethswagen, so ist das jedesmal drei Gulden, und hat man eigene Pferde, wie fast alle, so ist es fast ebenso schlimm, denn bald ist dieß, bald das mit ein oder dem andern Pferd; bald müssen die Thiere, die überdieß nicht sehr viel aushalten können, geschont werden u.s.w. Ebenso hat man, was das Ungezwungene des Besuchs ebenfalls hindert, fast in allen Häuser »Receptions«- Abende, gewisse Abende, an denen die Familien sicher zu Hause bleiben und von allen, die sie besuchen wollen, getroffen werden können. Es ist dieß gewiß in mancher Hinsicht sehr angenehm, und eben durch das weitläufige Wohnen nöthig geworden, legt aber gerade wieder, durch den bestimmten Abend, dem man die eigene Zeit auch wieder fügen muß, einen gewissen Zwang auf. Das läßt sich aber eben einmal nicht ändern, und die arme Frau hat es nur am schlimmsten, die den ganzen ausgeschlagenen Tag, sey ihr Mann nun Kaufmann oder Beamter, allein mit ihrer malayischen Dienerschaft zu Hause sitzen muß – sie ist einzig und allein auf den Abend angewiesen.

Im Ganzen herrscht in Batavia ein sehr großer Luxus, in Wohnung und Kleidung sowohl, als in Essen, Trinken und Dienerschaft. Mit diesem steht aber auch der Gewinn der Kaufleute, der Gehalt der Beamten natürlich im Verhältniß und das heiße erschlaffende Klima verführt den Europäer nur zu leicht, sich den Reizen eines bequemen üppigen Lebens hinzugeben.

An Vergnügungsörtern kann Batavia nur sehr wenige aufweisen. Das einzige fast, ist ein ziemlich gutes französisches Theater, in dem zweimal die Woche Oper oder auch manchmal Concert ist. Das Theater selber gleicht fast einem Concertsaal in seiner inneren Einrichtung. Gallerien existiren gar nicht; nur ein Parterre mit rings umlaufender offener Logenreihe. Ueberall gilt nur ein Entree, das sich ebenfalls wieder nach den hiesigen Verhältnissen richtet. Der Preis eines einzelnen Billets für den Fremden ist fünf Gulden, der Abonnementspreis dagegen nur zwanzig Gulden den Monat. Durch diesen Unterschied in den einzelnen und Abonnementspreisen werden fast alle batavischen Theatergänger (und für die in Batavia Ansäßigen ist der Preis eines Einzelbillets sogar 10 Gulden) gezwungen zu abonniren, was auch hier, wenigstens unter den Holländern, zum guten Ton gehört, und die Sänger sichern sich dadurch eine feste bestimmte Einnahme.

Das Haus ist einfach, aber sehr geschmackvoll hergerichtet und dadurch, daß gar keine höhern Gallerien angebracht sind, die den untern Raum sehr beengen würden, auch dem heißen Klima angemessen, luftig. Außerdem stehen die Eingangsthüren fortwährend auf. Nur der Kronleuchter kommt uns, durch die herrliche Gasbeleuchtung in Europa vielleicht etwas verwöhnten Fremden, ein wenig sonderbar vor, denn er besteht aus einer unbestimmten Quantität von Nachtlichtern, deren Flammen durch die frische Zugluft bewegt, fortwährend hin und her und an die Gläser schlagen, und mich das Schicksal derer bedauern ließ, die, wenn einmal ein Glas droben springen sollte, gerade darunter saßen. Die Damen sitzen übrigens nur in den gallerieartigen Logenplätzen ringsum, und haben also von dem etwaigen Explodiren eines Nachtlichts nichts zu fürchten.

Wie vorerwähnt, hat im ganzen Saal das Entrée nur einen Preis, und wer ein Billet gelöst hat, kann sich hinsetzen wohin er will – nur der Gouverneur hat, wenn man hineintritt, rechts eine Prosceniumsloge und die »vier Räthe von Indien,« gewöhnlich die »vier Räder« genannt, eine andere in der Mitte, die aber nicht so scharf respektirt werden soll. Diese Gleichheit im Theater rührt natürlich davon her, daß es kein europäisches Proletariat oder Volk in Batavia gibt, es sind nur Kaufleute, Beamte, Militär und Aerzte, selbst Detaillisten existiren nur sehr wenige und ein Rangunterschied konnte deßhalb bis in letzter Zeit gar nicht stattfinden (der gemeine europäische Soldat, der hier allerdings eine Ausnahme machen würde, ist nämlich gar nicht so gestellt, daß er das hohe Theaterentrée bezahlen könnte). In den letzten Jahren haben sich aber die Verhältnisse solcher Art geändert, daß auch eine ziemliche Zahl von europäischen Handwerkern hierher gezogen ist, und obgleich viele von diesen ebenfalls sehr bedeutenden Luxus treiben, steckt zwischen ihnen und den anderen doch Mephistopheles schon den Kopf durch, und es bildet sich langsam aber allmählig eine Aristokratie und ein Volk heran.

Spaß machte es mir, dieß aufkeimende Wesen auch schon jetzt im Theater zu finden, wo man doch, des gleichen Platzes wegen, kaum glauben sollte, daß sich eine Absonderung möglich machen ließe; und doch geschieht es. Ein Theil der handwerktreibenden Bevölkerung, zum großen Theil, ja fast ausschließlich Franzosen, hatte, wie sich Bekannte denn häufig zu Bekannten finden, im Theater gewöhnlich auf der rechten Seite vom Eingang an, gerade hinter der Gouverneursloge, ihren Platz genommen. Das merkte sich bald die »bessere Klasse,« wie man es im Leben zu nennen pflegt, und zog sich von der Seite zurück, der sie nun auch noch den vernichtenden Namen »Frikkedellenboord« gaben. (Frikkedellenboord nannten sie auch schon früher einen kleinen Theil von Weltevreden, wo mehrere Handwerker und Sergeanten wohnten.) Diese Seite ist dadurch total unnobel geworden und die haute volée hält sich wohl davon zurück.

Sonderbarer Weise waren die meisten dieser Handwerker früher Schauspieler, und ein alter hier seit langen Jahren ansäßiger Herr sagte mir einmal darüber: die Leutchen kamen hier mit irgend einer Gesellschaft nach Batavia und fingen an Komödie zu spielen – man glaubte, sie könnten im Leben nichts anderes getrieben haben als die Kunst, kaum ist aber ihr Engagement abgelaufen und sie haben unter der Zeit die hiesigen Verhältnisse etwas genauer kennen gelernt, dann erfährt man erst ganz plötzlich, was sie eigentlich früher gewesen sind – dann entwickelt sich der eine als Uhrmacher, der andere als Wagenbauer, der dritte als Schneider, der vierte als dieß, der fünfte als das, die Damen fangen ein Putzgeschäft an, oder verheiraten sich auch, und auf einmal ist die ganze Gesellschaft versorgt und untergebracht, und eine neue muß von Europa verschrieben werden.

So weit haben wir's in Deutschland noch nicht mit der Kunst gebracht.

Ich sah, an dem einen Abend wo ich das Theater besuchte, eine italienische Oper, und kann wohl sagen, daß es mir wohl that, einmal wieder gute Musik zu hören. Die Sänger und Sängerinnen hätten auf unsern bessern deutschen Bühnen mit Glück auftreten können, und die Stimme Einzelner, besonders der Prima Donna, war vortrefflich. Der Saal läßt übrigens in akustischer Hinsicht manches zu wünschen übrig, denn der Schall dringt nicht gut zu den entfernten Theilen.

Außer diesem etwas kostspieligen Vergnügen des Theaters (denn es sind nicht allein die fünf Gulden Entree, sondern der Wagen kostet ebenfalls wieder drei Gulden extra) hat der Fremde aber auch gar Nichts in Batavia, und ist einzig und allein auf das häusliche Leben, oder wenn er im Hotel wohnt, auf das Hotel beschränkt. Der Batavier selber hat dagegen noch zwei Clubs, den einen für Civil, den andern für Militär, Harmonia und Concordia, in denen auch zu Zeiten Bälle gegeben werden.

Neben der Harmonia befindet sich ein Museum, das früher besonders reichhaltig an ausgestopften Vögeln und Thieren gewesen seyn soll. Diese hat man jetzt aber sämmtlich verkauft, und das Museum beschränkt sich in diesem Augenblick fast nur auf Eigenthümlichkeiten des ostindischen Archipels, als Waffen, Schmuck, Musikinstrumente, Götzenbilder, Modelle der Häuser und Fahrzeuge etc. der verschiedenen Inselgruppen. An Waffen und Schmuck kamen dabei sehr interessante Sachen von Borneo vor, Khrise und Schilde mit buschigen Menschenscalpen geschmückt, Halscorallen von Menschenzähnen gemacht (die Kinnbacken thun einem ordentlich weh, wenn man sie nur ansieht), Blasröhre, aus denen vergiftete Pfeile geblasen werden, und die zu gleicher Zeit eine Lanzenspitze haben, Büchsenläufe und Säbelklingen, wunderschön damascirt von Palembang etc. Die ganze Sache sieht übrigens wie eine Privatsammlung aus, und ist keineswegs bedeutend.

Auch einen Leseclub hat Batavia, in dem all die bedeutendsten französischen, englischen, amerikanischen und holländischen Zeitungen gehalten werden – aber keine deutsche – nicht ein einziges deutsches Blatt ist zwischen all den Blättern, aus den verschiedensten Theilen der Erde zusammengeschneit, zu finden, und doch sind eine Menge Deutsche, Mitglieder des Vereins. Es ist hier dieselbe Geschichte wie in Valparaiso; der Deutsche in seiner grenzenlosen Gutmüthigkeit läßt sich Alles gefallen, und weil die Holländer, Engländer und Franzosen seine Sprache nicht lesen können und sich daher d'rum wegdrücken, solche Blätter anzuschaffen, indem ja andere Zeitungen doch Notizen von Deutschland bringen, geben sich unsere Landsleute auch ganz gern damit zufrieden und lesen, was sie lesen müssen, verstückelt und verstümmelt in holländisch, französisch oder englisch, oder halten sich lieber selber ein oder das andere deutsche Blatt, während sie dort doch ebenfalls ihr Geld bezahlen. Zum Henker auch, es ist nicht der paar Thaler – es ist des Princips wegen.

In diesen Tagen machte ich auch eine mir sehr liebe und angenehme Bekanntschaft in Herrn v. Schierbrand, Obristlieutenant beim Geniecorps, und von Dresden stammend, einem alten leidenschaftlichen Jäger, der sich schon viele lange Jahre hier auf Java im Dienste der holländischen Regierung aufgehalten und das Land nach allen Kanten und Richtungen hin durchstöbert hat. Schon sein Zimmer, nach deutscher Waidmannsart und außerdem mit manchen indischen Jagdtrophäen ausgeschmückt, verrieth den Jäger, und manchen angenehmen und interessanten Abend verbrachte ich in seiner lieben Gesellschaft. –

Wenn zwei Jagdliebhaber zusammen kommen, fehlt es wahrhaftig nie an Stoff zur Unterhaltung, noch dazu hier, wo wir Beide einander Manches von fremden Himmelsstrichen mitzutheilen hatten.

Den Tag über lebte ich meistens in der Stadt, ich machte allerdings mehrmals den Versuch, zu Hause zu bleiben und etwas zu schreiben, aber es war mir nicht möglich, sobald ich zu dem alten Waringibaum, der dicht vor meinem Fenster stand, hinausschaute, verloren sich die Gedanken in den niederhängenden Zweigwurzeln des alten Baumriesen; zu neu, zu rasch wechselnd stürmten noch die fremdartigsten Eindrücke auf mich ein und ließen mir nimmer Zeit, meinen Geist auf einen und denselben Punkt länger als fünf Minuten zu richten, und ausgenommen Nachts, wo ich es manchmal eine halbe Stunde erzwang, bei der Fahne zu bleiben, mußte ich immer, so oft ich auch den Ansatz dazu wieder nehmen mochte, die Feder wegwerfen. Dann litts mich aber auch nicht mehr im Zimmer, und ich mußte wieder hinaus ins Freie, in das drängende Leben der Stadt und ihrer Umgebung, und so umherstreifend, sah ich denn auch Manches, was viele Leute bei jahrelangem Aufenthalt in Batavia und geregeltem Geschäftsleben nicht zu sehen bekommen.

So traf ich eines Tags ganz zufällig, in einem total abgelegenen Winkel des chinesischen Viertels, in dem ich zu Fuß, mit einem der papiernen chinesischen Sonnenschirme herumschlenderte, einen alten Burschen mit einem kleinen Packet unter dem linken Arm, und einem Vogelbauer mit zwei Reisvögeln in der rechten Hand, dem eine ganze Menge Volk nachstrich, bis er sich endlich unter einem der dort hier und da angepflanzten Warrubäume niederließ.

Er trug eine kleine schwarze Kappe mit einem schwarzen Knopf, unter dem ein entsetzlich langer Zopf vorhing, eine braunrothe Ueberjacke und weite hellblaue Hosen. In alledem war nun freilich nichts Auffälliges, denn die Chinesen lieben solche helle Farben; an dem Mann mußte aber sonst auch noch irgend etwas Merkwürdiges seyn, und ich drängte mich deßhalb in den Kreis, der sich schon rasch von den rings Hinzutretenden gebildet hatte.

Der kleine Mann saß in der Mitte auf einer Schicht Planken, die hier zur Ausbesserung einer der zahlreichen Brücken hergebracht waren, und der Vogelkäfig mit den beiden kleinen Reisvögeln stand dicht neben ihm. Die armen Dinger hatten aber nichts drinnen zu fressen und piepten ängstlich und liefen in ihrem kahlen Bauer, in dem nur ein Wassertöpfchen stand, hin und wieder. Das Packet, das er vorher unter dem Arm gehalten, nahm er jetzt auf die Knie – es war ein Futteral mit einer Anzahl zusammengelegter Papiere, die er ein wenig auseinandergeschoben vor sich hielt. Es dauerte auch gar nicht lange, so trat eine junge Frau, die wahrscheinlich aus dem Gebirge herunter gekommen war, den Sarong fest um die Hüften, das Schultertuch nur lose über die volle Brust geschlagen, zu dem Mann und frug ihn etwas auf malayisch, das ich aber nicht verstand. Der Alte blieb einen Augenblick wie in tiefe Gedanken versenkt sitzen; er hatte den Zeigefinger an die Nase gelegt und schaute still vor sich nieder, die Menge aber unterbrach auch mit keinem Laut das Nachdenken des weisen Mannes, denn für einen solchen mußte ich ihn doch jetzt halten, und sah ihn scheu und ehrfurchtsvoll an. Nur ein paar junge ungläubige Chinesen – leichtsinnige Menschen, wie die meisten unserer jungen Leute jetzt sind – winkten und blinzten sich einander mit den Augen zu und lachten. Endlich hob er leise den einen Arm auf, und öffnete den einen Theil des Käfigs (der Käfig war nämlich durch ein kleines Zwischengitter in zwei gleiche aber von einander abgetrennte Bauer getheilt) und ließ den darin sitzenden Reisvogel heraus, der auch ohne weiters auf die etwas auseinandergeschobenen Karten sprang. Sein Meister sagte ihm ein paar Worte, wahrscheinlich auf chinesisch, und das kleine gelehrige Thier pickte zweimal schnell zu, und zog aus verschiedenen Stellen des Packets zwei verschiedene Tafeln, etwa einen Zoll hoch über die anderen, heraus.

Die Frau bot indessen ein Bild der peinlichst gespannten Aufmerksamkeit, und schaute rasch und ängstlich bald auf die Karten, die noch zusammengefaltet in des Propheten Hand lagen, bald auf die Augen des Mannes, der ihrer aber gar nicht zu achten schien, sondern zuerst ein paar freundliche Worte zu dem Reisvogel sprach, ihm einige Kerne Futter gab, und dann erst die geheimnißvollen Sprüche öffnete. Es waren kleine, auf dickem zusammengelegten Papier gemalte, ziemlich ordinäre Bilder, von denen eines eine düstere Gegend mit einer abgebrochenen Cocospalme in der Mitte darstellte, und das andere einen Mann zeigte, der von einem Tiger angefallen wird. Der Tiger stand auf den Hintertatzen und schien eben, mit offenem Rachen, im Begriff den Mann zu fassen, der seinen Khris in der rechten Hand hielt und den linken Arm, wie abwehrend, vorstreckte.

Die Frau schaute mit einem unbeschreibbaren Ausdruck in den Zügen auf die Bilder nieder, die auch der Weise allem Anschein nach mit besonderer Aufmerksamkeit und tiefen Nachdenken betrachtete.

Matjan – matjan – ein Tiger, ein Tiger, murmelten indessen die Umstehenden, die sich soviel nur irgend anging vorwärts drängten, die Bilder genau zu sehen und der Chinese zog endlich ein kleines langes und ziemlich vergriffenes Buch mit chinesischen Charakteren aus der Tasche, blätterte eine Weile darin, während das Auge der Frau an seinen Lippen hing, und las dann mit leiser monotoner Stimme etwas ab. Es kamen aber, obgleich es malayisch war, soviel mir fremde Ausdrücke darin vor, daß ich ebenfalls nichts davon verstand – übrigens mußte es eine traurige Prophezeihung gewesen seyn, denn hie und da tönte ein leises bedauerndes »kassiang« (ein ungemein viel sagendes und stets großes Bedauern ausdrückendes Wort) aus dem Kreis. Die Frau sprach aber kein Wort weiter, nur mit rascher unruhiger Hand reichte sie dem Chinesen, der die Stücke sehr sorgfältig überzählte, eine ganze Hand voll Kupfergeld, und drängte sich dann durch die ihr bereitwillig Bahn machende Menge in's Freie. – Als ich aus dem Kreis trat ihr nachzusehen, war sie schon in eine der überall abzweigenden Straßen verschwunden; der Lump von Chinesen aber, der hier ein armes Herz mit Sorge und Kummer erfüllt hatte, einer Handvoll lumpiger Deute wegen, nahm seine Bilder und Vögel wieder auf, und schlenderte langsam und behäbig die Straße hinunter.

Der Missionär Bingham erzählt in seinem Werk über die Sandwichsinseln mit triumphirendem an die Brust Schlagen folgende kleine Geschichte – als Beweis zum Sieg des Christenthums über die Götzenwelt.

Ein Indianer predigte in voller Zerknirschung zu seinen rothen Landsleuten: »Ihr habt von der Sündhaftigkeit der Juden gehört – aber ich war es der die Nägel durch seine Hände und Füße trieb – ich war es der Jesus kreuzigte – ich der seine Seite mit einem Speer durchbohrte. Durch meine Sünde habe ich Alles gutgeheißen, was die Juden dem Messias gethan. – Früher glaubte ich daß ich gut, so gut als andere wäre, jetzt aber seh ich ein, daß ich jedes Gebot des Decalogs (10 Gebote) verletzt habe. Ich bin zu Schanden gemacht durch meine Sünden und nur Christus kann mich begnadigen.«

»Früher glaubte ich daß ich gut wäre,« rief der Unglückliche – o wer die guten Menschen in ihrer Herzenseinfalt, gastfrei und freundlich, gutmüthig, kindlich unter ihren Palmen gesehen hat, und denkt sich dann den armen durch einen orthodoxen Priester zum Wahnsinn fast getriebenen Menschen. Hier ging mit gesenktem Haupt die Frau, der ein toller Chinese mit seinem Unsinn das Herz gebrochen – tausende von Meilen entfernt warf sich der Indianer klagend und verzweifelnd vor seinen Gott nieder, den er nicht beleidigt hatte – und ist ein Unterschied zwischen den beiden Fällen?

Mich über Wahrsager und all derartiges Gelichter ärgernd bog ich aus dem Chinesischen Viertel hinaus, dem Kali besaar zu, wo ich vor einem der Schiffsmäcklerladen wieder eine zahlreiche Menschengruppe versammelt fand. Ich glaubte erst der Chinese habe sich hier schon vor mir ebenfalls nocheinmal eingefunden, dießmal war es aber etwas anderes, was die Kulis neugierig auf dem einen Punkt versammelt hielt, und zwar eine ziemlich große Boa constrictor die sie in einem von der Schlange vollkommen ausgefüllten Bambuskäfig aus dem Innern hereingebracht hatten. Das Thier mochte am stärksten Theil des Körpers zwischen vier und fünf Zoll im Durchmesser haben, und lag eng ineinander gerollt, wie verpackt in seinem schmalen Gefängniß. Sie boten sie für zehn Gulden zum Verkauf an.

Hier war überhaupt der Platz, wo solche Sachen fortwährend hergebracht wurden, denn die Schiffscapitäne oder mit Schiffen Fortgehenden sind meist die einzigen die derlei Sachen kaufen, und der Schiffsmäcklerladen bildet dafür einen zweckmäßigen Mittelpunkt. Heute Morgen schien hier überhaupt eine ganze Menagerie versammelt; mehre Körbe mit großen Affen, eine kleine Tigerkatze, Kaninchen, Tauben und besonders Reisvögel in all' ihren verschiedenen und wirklich wunderschönen Arten und Farben. Es ist nur, daß der Transport dieser kleinen Vögel so schwierig und beschwerlich ist, und der größte Theil fast stets unterwegs sterben soll, denn billig sind sie an Ort und Stelle genug. Für einen einzigen Gulden kann man große, ganz gut gearbeitete Käfige mit circa 20–30 Reisvögeln bekommen.

Die Schiffscapitäne führen hier eigentlich das beste Leben, ihr Aufenthalt auf Batavia kostet aber auch den Rhedern ziemlich viel Geld, denn unter 15 Gulden per Tag können sie schon gar nicht auskommen, und da ist noch kein Glas Wein bei Tisch, nicht die geringste von sonstigen andern Nebenausgaben gerechnet. Fünf Gulden das Hotel, vier Gulden das Boot und sechs Gulden für Fuhrlohn, Morgens und Abends, denn nach Tisch ist es allgemein Sitte daß man ein Stündchen spazieren fährt. An Bord können sie aber nicht bleiben, die Schiffe liegen zu weit auf der Rhede und sie haben, während ihres Aufenthalts hier, natürlich mehr an Land als an Bord zu thun, wo der Steuermann das Einstauen der mit Prauen ankommenden Waaren leicht allein besorgen kann.

Alle Güter die von hier verschifft werden, müssen nämlich erst im Kali besaar auf die leichten inländischen Prauen, geladen, und zu ihren bestimmten Schiffen auf die Rhede hinausgenommen werden. Diese Prauen sind von verschiedener Größe und nehmen von 3 bis 10 Coyangs – der Coyang etwa 27 Picol oder zwei Tonns. Hierauf hält aber wiederum die Regierung die Hand – es kann sich allerdings Jeder dem das Spaß macht, eine solche Prau bauen oder kaufen, damit ist aber nicht gesagt daß er dann auch damit thun könnte was er wolle, sondern die Regierung beansprucht die Verfügung über diese Fahrzeuge einzig und allein für sich selber. Der Eigenthümer der Prau bekommt sein Gewisses für jede Ladung, und die Regierung läßt sich dann von den Kaufleuten einen von ihr bestimmten Preis dafür wiedergeben. Der Kaufmann ist also gezwungen von ihr diese Fahrzeuge zu miethen, und kann sich nicht einmal seine eigenen dafür halten.

Diese Sicherheit, daß ihr doch keine Ladung entgehen kann, bringt aber auch wieder einen für den Handel manchmal beträchtlichen Uebelstand mit sich – die Ueberwachung dieser Prauen wird nämlich sehr nachlässig betrieben, und es soll häufig vorkommen, daß sie Tagelang geladen liegen bleiben, weil sich die dazu angestellten Beamten eben nicht etwas außerordentliche Mühe geben wollten, sie zu befördern. Der Kaufmann und das Schiff das darauf warten muß haben natürlich den einzigen Schaden dabei, und können auf eine Vergütung keinen Anspruch machen; läßt hingegen das Schiff eine Prau warten – hat es z. B. an zu laden gefangen und es kommt nachher ein anhaltender Regen, bei dem natürlich all diese Colonialwaaren nicht an Bord genommen werden können, und bleibt nur noch ein Theil der Fracht in der Prau zurück, dann fährt diese Abends ruhig wieder an Land, und kommt am nächsten Morgen, wieder den vollen Preis rechnend, mit dem Rest an Bord. – Nur wenn sie gleich im Regen ankommt, ist das Schiff nicht verpflichtet die Ladung überzunehmen.

Ein anderer Brauch findet zu Gunsten der Regierung mit den Booten statt; die ankommenden Capitäne können allerdings, wenn sie das wollen, mit ihren eigenen Booten die Zwischenfahrten zwischen Land und Schiff besorgen, dann müssen sie aber auch ihre eigene Mannschaft (die das in der Sonnenhitze gar nicht aushält) dazu nehmen, denn Malayen auf eigene Hand dürfen sie nicht miethen, wenn sie dieselben auch billiger bekommen könnten als zu dem Preis, den sie als feste Taxe der Regierung dafür zahlen müssen. Doch ist diese Taxe auch wieder mäßig genug und es läßt sich nichts dagegen sagen – nur daß es ein Zwang ist. In der letzten Zeit sollen in all diesen Sachen übrigens bedeutende Verbesserungen vorgefallen seyn, denn mehre Capitäne haben mich versichert, vor mehren Jahren hätten sie fremde Schiffe mit all ihren Umständen und Gesetzen fast wieder zum Hafen hinaus getrieben. Der Holländer lernt einsehen, daß der fremde Handel nicht allein dem fremden sondern auch dem eigenen Lande Vortheil bringt, und sogar die Maatschappey, die sich bis jetzt so streng davon absonderte, scheint sich nun selber daran betheiligen zu wollen, da sie beabsichtigt in Zukunft selber Schiffe nach den deutschen Häfen zu befrachten.

Einen Uebelstand hat Batavia als Hafen – es können hier selber keine Schiffe reparirt oder nachgesehn werden. Es existirt allerdings ein Platz für diesen Zweck auf der Insel Unrust, es soll aber dort erstlich so entsetzlich ungesund und dann so theuer seyn, daß es keinem Schiff mehr einfällt dort aufzulegen, und fällt etwas vor, das Schiffe zwingen sollte hier in Indien auszubessern, so bleibt ihnen weiter nichts übrig als nach dem fast acht Längengrade entfernten Surabaya, an der nordöstlichen Küste Javas zu gehen.

Für Schiffe die von Indien fort zu Hause wollen, hat sich aber noch in neuerer Zeit, und auf einer sehr zweckmäßigen Stelle, ein anderer Hafen zum Ausbessern der Schiffe gefunden, und zwar auf den Keelings oder Cocos-Inseln, die etwa 97° östlicher Länge und 12° Süder-Breite und sehr wenig aus der Bahn von der Sundastraße nach dem Cap der guten Hoffnung liegen. Der Platz ist von einem Engländer in Besitz genommen, der ein Schiffswerft dort gebaut hat und mit Allem was Fahrzeuge in solchen Verhältnissen gebrauchen vollkommen und zu mäßigen Preisen ausgerüstet seyn soll. Es ist das besonders für solche Schiffe ein vortrefflicher Platz, die selbst nicht mehr so recht rippenfest, in Indien vielleicht eine volle schwere Ladung eingenommen haben und dann draußen, wenn sie in hohe See und den heftigen Monsoon hineinkommen, wo die alten Kasten tüchtig durcheinander gerüttelt werden, an zu lecken fangen.

Die Engländer nehmen sich Land, wo sie's nur immer kriegen können, aber das muß man ihnen dafür lassen, sie sind auch die Nation, die auf der ganzen Welt am meisten für die Schifffahrt, und nicht nur für sich allein, nein damit auch zugleich für alle anderen Völker gethan haben. Ich will gar nicht sagen, daß sie ihren eigenen Nutzen nicht hauptsächlich dabei im Auge haben, wer könnte es ihnen verdenken – würde es nicht ebenso machen? aber wohin sie auch nur immer die Hand ausgestreckt und selbst an Stellen, die sie gar nicht in Besitz nahmen, haben sie die Beweise ihres praktischen Unternehmungsgeistes zurückgelassen. Ihre Leuchtthürme stehen über die ganze Welt, ihre Karten, nautischen Handbücher und Instrumente werden von keinem andern Land übertroffen, von allen aber benützt, und welche andere Nation hat sich schon die Mühe gegeben, an einem wild fremden Platz Landmarken zu errichten und für Schiffbrüchige zu sorgen, wie es die englische Regierung und englische Seefahrer in der Torresstrait gethan haben. Doch ich komme von Batavia ab.

Merkwürdig ist der Abstand, wenn man von einem andern Hafen, wie z. B. Sidney in der letzten Goldaufregung, hierher kommt und diese ungeheure Ruhe sieht, mit der alle derartige Nachrichten von fremden Welttheilen und Entdeckungen von den hiesigen Einwohnern aufgenommen werden. In Sidney sagten mir die Leute, »ha, in Batavia werden die Holländer Feuer und Flammen seyn, wenn sie von unserem Gold hören, sie werden alle herüberkommen wollen« – lieber Gott, kein Mensch dachte daran, sprach davon; es wurde vielleicht einmal hie und da erwähnt, aber gerade ungefähr mit derselben Aufregung, als man bei der Nachricht empfinden würde, daß sich der Kaiser von China einen Zoll von seinem Zopf abgeschnitten hätte.

Die Geschäfte wie das ganze Leben der holländischen und fremden Bewohner Batavia's sind alle auf eine viel zu solide Basis gegründet, als daß ein derartiges Gerücht, möchte es noch so sehr vergoldet seyn, großen Eindruck auf sie machen könnte, ja ich glaube, sie würden eben so ruhig bleiben, wäre das Gold auf ihrer eigenen Insel entdeckt worden. Es existiren aber auch hier gar keine Abenteurer, wie in andern Colonien, die sich eben nur an einem Orte herumtreiben, und die erste beste Gelegenheit, das erste Gerücht erwarten, um augenblicklich ihre paar Sachen auf den Rücken zu werfen und dorthin weiter zu marschiren. Die Zeit, wo sich die Leute hier nur bloß zu zeigen brauchten, ihr Glück zu machen, ist vorüber, Alles geht seinen bestimmten geregelten Gang, wie in einer wohlaufgestellten und gut eingeölten Maschine; die Räder sehen alle neu und blank aus und greifen vortrefflich in einander, verarbeiten aber auch Alles, was ihnen vortreibt, und wer hierher kommt, und keine Lust hat der Zahn eines solchen Rades zu werden, der muß sich entweder mit verarbeiten lassen, oder er wird, wie Spreu, wieder ausgeblasen.

Deutsche gibt es ziemlich viel hier auf Batavia und ich habe liebe Freunde unter ihnen gefunden, ja ich kann wohl sagen, ich bin auf das Herzlichste von allen aufgenommen – untereinander leiden sie aber auch leider an dem Erbfehler der Deutschen, den wir nun einmal von zu Hause mitgebracht zu haben scheinen und sorgsam, in welchen Welttheil, in welches Klima das Schicksal uns auch wirft, mitverpflanzen – die Uneinigkeit untereinander – und es ist nur Schade, daß dieß Unkraut eben in allen Welttheilen, unter allen Himmelsstrichen so vortrefflich gedeiht und wuchert. Nimmt man die Leute allein und für sich selber, so sind es liebe brave Menschen, die mit Willen gewiß keinem ein Unrecht zufügen würden, und aus kleinen Klatschereien groß wachsend häkelt einer auf den andern los und es entstehen auf einmal Feindschaften unter ihnen, die, geht man der Sache richtig auf den Grund, von den erbärmlichsten, nicht der Rede werthen Kleinigkeiten herrühren, und doch mit allergrößter Mühe und Sorgfalt von beiden Theilen genährt und unterhalten werden. Daß wir Deutsche eben diese Kleinigkeitskrämerei nicht ablegen können, denn sie nur ist es, die uns unser Parlament, unsere ganze Einigung vernichtete, und wie sie dort im Großen wirkte, bohrt sie sich auch in die einzelnen Familien ein, und stiftet Haß und Unfrieden.

Den 29. Dezember sollte das nach Singapore bestimmte Dampfschiff, die Mail für Europa, abgehen, und auf diesem hatte auch Se. Hoheit, der Herzog Bernhard von Weimar, Passage nach Cairo genommen; am Sonntag machte ich ihm noch meine Aufwartung, Abschied von ihm zu nehmen, und fand ihn zu meiner Freude rüstiger, als ich ihn das letzte Mal getroffen und es wohl erwartet hatte. Dem ihm nicht mehr zusagenden Klima entzogen, sollte er sich in der heimischen Luft die neuen Kräfte holen und der europäische Frühling dann auch schon das seinige dazu beitragen. – Lieber Gott, nur der Gedanke an einen solchen europäischen Frühling, mit seinen Lerchen und Veilchen, knospenden Rosen und grünen Birkenzweigen schießt Einem ja schon wie mit neuer Lebenskraft durch alle Adern, und es war mir manchmal ja wie ein Traum, daß ich mich jetzt gerade selber im Begriff fand, mit schwellenden Segeln eben diesem Frühling, der Heimath, entgegenzueilen.

Der Herzog war heute nicht allein weit kräftiger, als ich ihn noch gesehen, sondern auch selbst lebhaft und wir unterhielten uns wohl eine Stunde zusammen. Er zeigte mir aber auch noch etwas in seinem Garten, was mich besonders interessirte, und was ich mir umsonst Mühe gegeben hatte, im Innern des Landes zu sehen zu bekommen, und zwar den berühmten, oder vielmehr berüchtigten Upasbaum von Java, ein sehr unschuldiges Gewächs, dem man, mit den Verleumdungen seiner Furchtbarkeit, entsetzliches Unrecht gethan hat.

Das ganze Mährchen von den tödtlichen Wirkungen dieses Baumes gründet sich bekanntlich auf einen Spaß, den sich ein früherer Reisender einmal gemacht seinen Lesern aufzubinden, denn ich kann mir nicht denken, daß er es selbst geglaubt hat. Upas heißt im Malayischen Gift, und der Saft des Baums wird allerdings, theils allein, meistens aber mit noch einigen anderen Ingredienzien vermischt, von den Eingeborenen benutzt, ihre Pfeiler zu vergiften. Eingetrocknet scheint der Saft übrigens gar keinen oder nur sehr wenig schädliche Wirkung zu haben. Der Baum, der in dem Garten des Herzogs steht, ist noch jung, schlank und mit ziemlich gerad am Stamm abgehenden Zweigen – die Blätter ähneln in ihrer Form denen unserer Kastanie, nur sind sie ziemlich rauh, nicht ganz so lang, und sitzen einzeln an den Zweigen.

Am nächsten Morgen um sieben Uhr verließ das Dampfschiff die Rhede, und der Herzog mit ihm. Seine Abreise von hier wurde aber von allen, die nur in einiger Verbindung mit ihm oder unter ihm gestanden hatten, auf das innigste bedauert. Er hatte sich durch sein leutseliges, rechtliches und offenes Betragen hier alle zu Freunden gemacht, und es war – in solchem Fall gewiß selten – nur eine – die günstigste Stimme über ihn.


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