Friedrich Gerstäcker
Java
Friedrich Gerstäcker

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2. Das chinesische Viertel.

Dem Fremden auf Java fallen besonders die Masse Chinesen auf, die überall als Krämer die Straßen durchziehen, in kleinen Kaufläden sitzen, in allen offenen Werkstätten hämmern und feilen, schneidern und schustern, ja auch in ihren Cabriolets, mit Malayischen Kutschern und Bedienten, reich aber stets in ihre Nationaltracht gekleidet, durch die Straßen fahren. Diese Nationaltracht ist übrigens bei ihnen nicht etwa, wie der Zopf, eine Nationaltugend, der sie sich nicht aus eigenem Willen entschlagen möchten, sondern sie sind von der Holländischen Regierung genöthigt, dieselbe beizubehalten. Vor einigen Jahren hatten sie sich nämlich einmal europäisiren wollen, es war ihnen das aber nicht gestattet worden; den Frack und Zopf haben sich die Europäer als ausschließliche Vorrechte vorbehalten.

Die Chinesen sind nun allerdings durch die ganze Stadt zerstreut – was nämlich den Geschäftstheil derselben betrifft, und wo des ungesunden Klimas wegen, gar keine Europäer oder doch nur sehr wenige wohnen und schlafen – ihren Hauptsitz haben sie aber in dem sogenannten Chinesischen Viertel, das ausschließlich von ihnen bewohnt wird, und das wahrlich eher einem Bienenkorbe, als irgend etwas anderem gleicht. Sobald man nur, vom kali besaar aus über die Brücke tritt, beginnen schon die Chinesischen Kaufläden, und dicht gedrängt, in kleinen niedrigen, schmutzigen Buden, jede mit ihrem Götzenbild und mit Lampen und Weihrauchgefäßen verziert, kauert Händler an Händler. Besondere Theile dieses Viertels sind dabei wieder besonderen Handwerken gewidmet; in einem Theile sind die Färber, in einem andern die Lakirer, hier die Korbflechter, da die Schmiede, dort die Zimmerleute. Nur die Schuster und Schneider, wie auch Kunstfeuerwerker, die bei den Chinesen eine sehr bedeutende Rolle spielen, sind überall herum zerstreut, da sie auch zugleich mit ihrem Geschäft gewöhnlich einen kleinen Laden verbinden.

In diesen Läden findet man Alles, was man sich nur denken kann, und die Chinesen sind auch in der That, einige sehr wenige Europäische Handlungen in der Stadt selber ausgenommen, die einzigen Detailhändler, Mäkler, Krämer etc. Kurze und lange Waaren, Eisen- und Flechtwerk, Produkte, Ausschnitt- und Modewaaren, Schuhe und Schirme, Tabak- und Theehandlungen, Apotheken und Droguerien etc., eins steht im bunten Gemisch neben dem anderen. In eben dieser Art durchkreuzen sich die winkligen engen Straßen, die überall von schmutzigen Canälen durchschnitten werden, und sich einander so gleich sehen, daß sich der Fremde leicht in ihnen verirren kann; und dazwischen wimmelt und schwärmt ein geschäftiges, fleißiges, unermüdliches Volk, und es summt und schwirrt, hämmert, schmiedet, rasselt, saust und klingt vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein, über dem fleißigen, unermüdlichen Viertel dieser wunderlichen Stadt, in einer Stadt, dem lautern Räderwerke menschlichen Fleißes und Schaffens.

Die Chinesen sind jedenfalls das industriöseste Volk das ich je gesehen, und sie haben, was ihren Handel und ihr Handeln anbetrifft, ungemeine Aehnlichkeit mit unseren europäischen Juden. Ein chinesischer Krämer ist nie außer Fassung zu bringen, und wer ihm einmal ein Gebot gethan, muß auch von ihm kaufen. Dabei schlagen sie entsetzlich vor – es ist äußerst gefährlich selbst die Hälfte des Geforderten zu bieten, denn der Bietende setzt sich dem aus, daß er sich auf einmal und zwar ganz unerwartet als überraschter Eigenthümer einer Sache findet, die zu kaufen er vor wenigen Augenblicken noch kaum einen Gedanken hatte. Ich habe Sachen, die ich nicht haben wollte, und auf die ich, um nur mein Umherschauen im Laden in etwas zu entschuldigen, ein Drittheil des Geforderten bot, wohl oder übel mit fortnehmen müssen, und glaube ich bin doch noch geprellt worden.

Sie lassen sich keine Mühe verdrießen ihre Waaren an den Mann zu bringen, und laufen mit ihren Lasten bis in die entferntesten Theile der Stadt. Dabei haben sie aber das, als unendlichen Vorzug vor unseren Juden voraus, daß sie sich keiner Arbeit scheuen, und da wo sie nicht mit Handeln durchkommen, mit eben solchem Eifer, eben solcher Ausdauer zu Hammer, und Ambos, zu Nadel oder Ahle greifen, – worin sie eine Geschicklichkeit entwickeln, in der sie sicherlich von keinem Volke der Welt übertroffen worden. Das thut der Jude, besonders der deutsche, nicht. Auf dem Schiffe auf welchem ich zum ersten Mal nach Nordamerika überfuhr, befanden sich eine große Menge auswandernder Juden, und die meisten von diesen hatten in Deutschland, wahrscheinlich durch Verhältnisse gezwungen, ein Handwerk gelernt – Handwerke bei deren Ausübung sie sich dabei in Amerika, mit nur mäßigem Fleiß hätten eine sichere Existenz gründen können; aber ich weiß von allen denen auch nicht einen einzigen, der bei seinem Handwerk geblieben wäre, und nicht die erste sich ihm bietende Gelegenheit benutzt hätte, zum ewigen Handel und Schacher zu greifen. Sie ließen sich dabei keine Mühe verdrießen, das muß man ihnen lassen, und ich bin Manchem von ihnen begegnet, der ein schweres schweres Bündel auf dem Rücken durch's Land keuchte, aber lieber das, als die leichteste und nur stete Arbeit thun, und dabei dem unwiderstehlichen Reiz des »Profitchens« entsagen.

– Es ist das eine eigene Naturgabe. –

Mir lag besonders daran, in dem chinesischen Viertel einige chinesische Eigenthümlichkeiten aufzufinden; nichts war aber, wunderbarer Weise, gerade schwieriger als das, denn in fast allen chinesischen Läden fand man nur sehr wenige chinesische Waaren und das meiste bestand aus eingeführten europäischen Gütern. Europäische Porcellanfiguren, Nippsachen, Schirme, Schmuck, Tücher, Kästchen, Lithographien, Cattunen etc. Sogar Eisele und Beisele, wie sie sich über die Leipziger Butterbemmen freuen, standen einsam und trostlos in einer dieser chinesischen Buden und über ihnen hingen chinesische Papierschirme und neben ihnen standen Theekisten und Tuschkästchen – armer Eisele und Beisele, wo seyd ihr nicht überall hingekommen. Das Komischste von der Sache war, daß sie dem Chinesen, der sie mit Wohlgefallen betrachtete, keineswegs Fremde waren, und auf meine, anscheinend unschuldige Frage nach ihnen – ich verleugnete den Baron mit seinem Hofmeister, und der Hahn krähte nicht – antwortete er freundlich – »Eisele – Beisele.« »Bagoes« setzte er dann empfehlend und mit gutmüthiger Zopfbewegung hinzu.

Chinesisches Steingut, Thee, Tusche, Papier, Papierschirme, weiße Schminke und einige chinesische Hausmittel sind fast das einzige, was man wirklich ächt in diesen Läden bekommt, alles andere ist europäisch oder im Lande selbst gefertigt.

Interessant für den Fremden sollten die chinesischen Pasar oder Marktabende seyn, und einer der jungen Deutschen in Batavia war freundlich genug, mich dorthin zu führen, da ich im Anfang noch nicht bekannt genug war, meinen Weg in dem Gewirr von Straßen Nachts allein zu finden. Wir fuhren etwa um neun Uhr vom Hotel fort, und ließen den Wagen, im chinesischen Viertel angekommen, am Marktplatz halten, von wo uns schon wüste lärmende Musik und Singen und Schreien, Cymbel-, Pauken- und Gongschlagen und das wunderbar ängstliche Kreischen der Spielenden entgegentönte.

Mitten auf dem Marktplatz war ein hohes bedecktes Bambusgerüst, eine Art großen offenen Taubenschlags, errichtet, der von einigen stammenden Oellampen – d. h. Schalen voll Oel, in denen breitmächtige Dochte flackerten – erleuchtet wurde. Das Orchester – eine wunderliche Bande von Spektakelmachern – saß oben mit darin, an den Seitenwänden des Theaters, das sich keiner Coulissen, sondern hinten nur zweier »Abgänge« erfreute, und auf der Bühne selbst stand eine Art Tisch oder Altar und ein paar Kästen mit alten Kostümen und Bärten, aus denen die Schauspieler, den Rücken dem Publikum zugewendet, und oft noch immer in dem Geist ihrer letztgehaltenen Reden fortgesticulirend, während dem Spiele selbst ihre Kleider wechselten; eine ungeheuere Zeitersparniß, die wirklich auf deutschen Bühnen nachgeahmt zu werden verdiente, wo die Damen besonders manchmal oft unverhältnißmäßig viel Zeit zum Umkleiden brauchen.

Den Raum zwischen den einzelnen Musikern, den Wänden des Theaters, dem Hintergrund und den Lampen füllte eine staunende glückliche Masse jugendlichen Publikums aus, das an den Pfosten hinaufgeklettert seyn mußte, um den vollen Genuß der selbst in der Ferne betäubenden Musik und des ohrenzerreißenden Gekreisches in nächster Nähe zu haben.

Die Schauspieler, von denen ich noch bis auf den heutigen Tag nicht weiß, ob es Männer oder Frauen waren, denn die Gestalten verriethen das erste und die Stimmen das zweite Geschlecht, figurirten in altchinesischen und tartarischen Trachten auf dem Gestell herum, schlugen mit Stöcken und hölzernen Schwertern auf eine höchst leichtsinnige und armverdrehende Weise um sich, und schrien sich dabei die unglaublichsten Dinge und zwar mit einer Stimme in die Ohren, als ob sie über den Niagarafall hätten hinüberbrüllen wollen. Fast alle waren weiß geschminkt, und ihre Hauptkunst schien in einem fortwährenden ununterbrochenen Armverdrehen und in der Grundbedingung zu bestehen, ihre Körper wie Glieder auch nicht für eine Sekunde ruhig zu halten. Man wurde förmlich seekrank, wenn man sich die abenteuerlichen Gestalten, an denen man weder Geschlecht noch Form erkennen konnte, wie trunkene Kreisel unaufhörlich herumdrehen und bewegen sah, und die Musik – o Apollo verzeihe mir den Ausdruck – diente wahrhaftig nicht dazu sich wieder zu sich selber zu bringen.

Eine eigenthümliche Bewegung haben sie dabei, die ich in allen diesen wie malayischen Tänzen wiederholt fand, und zwar mit den offenen Händen, die sie soweit wie möglich zurückzudrehen und dabei das Handgelenk und die Arme in alle nur mögliche Verrenkungen zu bringen suchen. Ich als civilisirter Europäer hätte mich aber über diese unnatürlichen Bewegungen am allerwenigsten wundern sollen, da dieselben ja gerade auf unseren Theatern ebenso und vielleicht in noch höherem Grabe zu Hause sind. Wer einmal ein deutsches Ballet und dabei gesehen hat, wie die süßlächelnden Tänzerinnen und Tänzer ihre Füße drehen und biegen, auf den Zehen stehen und die Beine dann auf 45° in die Luft hineinstrecken, der sollte auch gewiß gegen eine verkehrte Handbewegung von Chinesen gefühllos und abgestumpft seyn.

Ein besonderer Vortheil für diese Schauspieler ist der Mangel an Gasbeleuchtung, die an ihren Costümen sonst sicherlich manchen Flecken aufdecken könnte, aber Flecken hat ja selbst die Sonne, warum nicht also auch ein alter chinesischer Rock; überdieß können das die entfernt und unten Stehenden gar nicht so genau beurtheilen, und die sich oben und in nächster Nähe der Schauspieler befinden, haben viel zu viel zu thun, auf die stets schwingenden Stöcke und hölzerne Schwerter und Lanzen zu passen, die ihnen unaufhörlich um die Köpfe stiegen, als daß sie groß auf die Kleider sehen könnten. Es muß dieß fortwährende Pariren und Aufpassen einen ungemeinen Reiz, ein bedeutendes Interesse haben, denn es hält gewiß den Geist in einer fortwährenden angenehmen Aufregung. – Ich blieb aber doch unten.

Ihre Dialoge, die mitten zwischen diesen Körperverdrehungen, natürlich chinesisch, geführt wurden, müssen oft pikant seyn, denn die chinesischen Zuschauer folgen ihnen anscheinend mit vielem Interesse, und oft kündet lautes schallendes Gelächter ein glücklich gelungenes Wortspiel, einen schlagenden Witz an, und unter einander erzählen sie sich dann auf das eifrigste, und mit den breit glänzenden lachenden platten Gesichtern, was der eine Theil vielleicht nicht verstanden, oder neu Hinzukommende noch nicht gehört hatten.

Die Bühne steht nämlich, wie schon gesagt, ganz allein und einzeln im Freien; Eintrittsgeld kann dabei natürlich gar nicht bezahlt oder verlangt werden, denn Jeder, der nur auf den Marktplatz kommt, ist eingetreten. Sitze sind ebenfalls nicht angebracht, sondern die Leute, die dort herumschlendern, bleiben nur eben, wie sie Laune oder Zufall treibt, kürzere oder längere Zeit vor dem erleuchteten lärmenden theatralischen Taubenhaus stehn, in dem Schauspieler wie Musici unermüdlich schienen, den stets wechselnden Zuschauern eine unermüdliche, ununterbrochene Kette von Genüssen zu bieten.

Das Orchester, um dem Leser nur einen kleinen Begriff davon zu geben – denn mir klingen die Ohren, wenn ich nur daran zurückdenke – besteht aus mehreren metallenen Gongs, von denen schon einer hinlänglich ist, ein ganzes Stadtviertel taub zu machen – aus einer unbestimmten Anzahl zwei- und einsaitiger Violinen, bei denen von Zusammenstimmen gar keine Rede ist, aus ein paar Holzharmonika's und dann diversen Stücken Holz und Metall, die mit allen nur möglichen und erdenkbaren Gegenständen so lange gestoßen und geschlagen werden, bis sie endlich Musik machen müssen.

Kaum minder interessant als die Spielenden beiderlei Art war aber für mich selber das Publikum, die bezopften, dicht geschorenen vergnügten Söhne China's, Gestalten, die wir in Europa nur aus Theekistbildern kennen, und die mich hier lebendig und lachend umstanden. Theater? – was brauchte ich noch ein Theater, mich zu amüsiren? – jede einzelne Figur um mich her spielte Comödie; die Scenerie dabei, Palme und Bambusdächer, der südliche Himmel über mir, mit seinem geheimnißvollen Kreuz, die Verkäufer, Spieler und Schreier – wohin ich den Fuß setzte, saß ich auf einem Sperrsitz, mitten drin in dem Wunderbaren. Was hätte ich darum gegeben, wär' ich in dem Augenblick im Stande gewesen, meine ganze Umgebung, wie sie da stand, mit Bambushütte und Cocosölflammen, mit Schauspielern und Musikanten, mit all' ihren Zuschauern oben und unten – mit Gongs und Violinen – in Spiritus zu setzen und sie so, unversehrt, unverändert, mit all ihrer Lebendigkeit, ihrer wunderlichen Beleuchtung, dem vollen eigenthümlichen Charakter des Ganzen, vor meinen deutschen Landsleuten auf einmal wieder auspacken zu können.

Woher aber hier diese Uneigennützigkeit des Schauspielwesens? weßhalb nicht das mindeste Entrée, selbst nicht für »Honoratioren,« auf deren »eigenes Belieben« die europäischen Winkelbühnen soviel geben, weil sie hoffen, daß diese dasselbe thun sollen? – Wer unterhielt diese Leute, denn ich konnte doch unmöglich glauben, daß sie mit unter den »Vögeln des Himmels« und den »Lilien des Feldes« einbegriffen seyen. Mein Begleiter löste aber, während er mich einigen dicht dabei lodernden hellen Cocosnußölflammen zuführte, bald diesen Zweifel, und zwar auf die vollständigste Art.

Wir traten zu fünf oder sechs, Spiel tischen kann ich nicht gut sagen, besser Spiel matten, von denen einige auch auf der Erde ausgebreitet waren, und um die wir eine dichtgedrängte Schaar von Chinesen wie auch Malayen herumstehend fanden. Ein Chinese hatte diese Spielbanken von der indischen Regierung zu einem enormen Preis gepachtet und mußte nun auch sein Möglichstes thun, das Geld und seinen Nutzen wieder aus seinen heidnischen wie muhamedanischen Mitmenschen herauszupressen – das war nicht mehr als christlich. Diese aber heranzulocken, dazu diente das Theater, und derselbe Chinese unterhielt deßhalb auch Künstler wie Bühne und Beleuchtung, zum »Besten des Publikums« aus seiner eigenen Tasche – er rechnete das natürlich mit auf den Pacht.

Im Anfang wunderte es mich, daß der Pacht so hoch seyn sollte, da ich nur meistens um Kupferdeute spielen sah, und viele von diesen dazu gehören, um einen einzelnen Gulden zu machen, ich hatte aber noch nicht lange gestanden, als auch Papier an die Reihe kam, und ich sah, daß im Allgemeinen ziemlich hoch, ja für die geringen Bedürfnisse eines so mäßigen Volkes, rasend hoch gespielt wurde; zehn und zwanzig Gulden wurden auf eine Karte gesetzt, und es sollen oft hundert und mehr daraus werden.

Ich hätte gern auf die holländische Regierung raisonnirt, daß sie einen solchen häßlichen Weg eingeschlagen, Taxen von den armen, so schon genug gedrückten Eingeborenen zu erpressen – aber ich durfte es nicht. So lange in unserem civilisirten Europa, in dem intelligenten Deutschland, von dem so viele menschenfreundliche Missionen ausgehen, fremde heidnische Völker mit dem Segen der christlichen Religion und wollenen Unterröcken zu beglücken, noch selbst die Lotterien und Hazardspiele wüthen und jedes Jahr ihre gesetzlichen Opfer fordern, so lange hat der Deutsche wahrhaftig nicht das Recht, über etwas derartiges unter heidnischen Völkern zu schimpfen.

Ich glaubte übrigens, ich hätte in Californien schon alle möglichen Arten von Hazardspielen gesehen, denn die Mannigfaltigkeit derselben grenzt dort wirklich ans Unglaubliche, hier scheinen sie aber doch noch wieder, wenigstens Abarten derselben zu haben, denn einige von ihnen begriff ich gar nicht, während die gewöhnlichsten einigen unserer eigenen Hazardspiele ziemlich gleichkamen.

Die am häufigsten gespielten waren dreierlei Art. Das erste hatte am meisten mit unserem Pharo Aehnlichkeit – jeder der Spielenden legte ein kleines Paket Karten vor sich, von dem er, wie es ihm gut dünkte, einzelne entweder zog oder aussuchte und besetzte. Der Bankier legte links und rechts ab.

Die chinesischen Karten sind dabei eigenthümlicher Art – sehr klein, kaum dritthalb Zoll lang und verhältnißmäßig breit und dabei schwarz und roth, aber sonst mit solchen unergründlichen Zeichen versehen, daß ich natürlich gern unterließ in die Geheimnisse dieser Hieroglyphen einzudringen.

Das zweite Spiel hatten sie auf besonders dazu gewebten Matten, auf denen die verschiedenen Vierecke auch wieder ihre verschiedenen Bedeutungen haben und verhältnißmäßig besetzt und bezahlt werden. Es scheint dabei ebenfalls viel darauf anzukommen, ob man auf einen Strich oder daneben oder in die verschiedenen Ecken der Felder setzt.

Das dritte Spiel ist mit einer grünen Art großer Bohnen, und unserem Paar oder Unpaar vollkommen ähnlich. Der Bankier läßt erst setzen, dann thut sein Gehülfe eine Hand voll Bohnen aufs gerathewohl in ein dazu bestimmtes hölzernes oder irdenes Gefäß, und der erste stülpt dieses dann – mit aufgestreiften Aermeln, damit nicht so leicht ein Betrug vorfallen kann – auf die Matte und zählt die Bohnen, indem er immer vier und vier, mit fast unglaublicher Schnelle und Geschicklichkeit auf ein Häufchen rückt, und so fortfährt, bis alle gehäufelt sind, und nur die letzten entscheidenden ein, zwei, drei oder vier übrig bleiben, wobei die Setzenden natürlich mit einem Blick sehen können, ob das Gefäß gleiche oder ungleiche Bohnen enthalten hatte.

Die Gleichen sind für den Bankier, die Ungleichen für die Spielenden.

Gleicher Fertigkeit wie beim Bohnenhäufeln, das ebenso schnell geht, als man mit der Hand mäßig rasch über die Decke fahren kann, beweisen die Chinesen beim Zählen des Kupfergeldes, wo jeder Gulden, wie schon gesagt, aus hundert und zwanzig einzelnen Deuten, etwa von der Größe unserer Pfennige, oder aus sechzig Doppeldeuten – die beiden einzigen Kupfermünzen – besteht. Natürlich haben sie es einzig und allein am Gefühl, und es würde einer deutschen Apfelfrau in der Seele wohlthun, die Kupfermünzen in solch wahrhaft zauberähnlicher Art fliegen zu sehen. Die Chinesen werden übrigens auch, eben wegen ihrer Geschicklichkeit, mit dem Geld umzugehen, von den Holländern sehr häufig und an den meisten öffentlichen Stellen zu Kassieren benutzt.

Das Bohnenspiel und das mit den Karten schienen das beliebteste, jedenfalls am meisten frequentirte von allen zu seyn.

An eben diesem Pasar oder Markt sollten auch noch Opiumhäuser bestehen, wir konnten aber an diesem Abend keines geöffnet finden, und ich verschob das auf eine spätere Gelegenheit.

Bei dem chinesischen Viertel kann ich übrigens eine Eigenthümlichkeit nicht unerwähnt lassen, die mir von vielen Seiten als wahr verbürgt wurde. Wo nämlich ein heirathsfähiges oder mannbares Mädchen im Hause ist, legen die Chinesen einen großen irdenen Topf auf das, vorn gewöhnlich etwas flach auslaufende Dach. Der Topf ist rund und gleicht einer Art Blumenscherbe – die Stellung des Topfes soll dabei noch die näheren Umstände genauer angeben, doch schien mir das zu unbestimmt, mich hierin auf eine Wiederholung des Gehörten einzulassen. So viel ist gewiß, den Topf sah ich auf sehr vielen Häusern, und wenn das Mädchen sich verheirathet oder stirbt, so wird er zerschlagen. Viele von diesen Töpfen sahen aber alt aus, und mußten schon viele Jahre der Witterung preisgegeben gewesen seyn; aus manchen wuchsen, trotz ihrer umgekehrten Lage, Caktus heraus, wie bei uns ja auch der Hauslauch auf den Dächern wächst. Diese alten Töpfe schienen mir nun keine besondere Empfehlung, und bezeugten jedenfalls, wenn sie in der That als solche höchst wichtige irdene Telegraphen in Haus- und Herzensangelegenheiten zu betrachten waren, eine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, wie wir sie, herrschte bei uns ein ähnlicher Gebrauch, wohl schwerlich finden möchten. Ich bin fest überzeugt, in Deutschland würde man stets Mittel und Wege finden, die alten Töpfe, auf gerade nicht zu auffällige Weise, mit neueren zu vertauschen – keinenfalls würde man Caktus darin wachsen lassen – oder Hauslauch.

Etwas gleiches soll, wenn ich nicht irre, in Norwegen, aber im Inneren der Häuser, mit aufgehangenen kupfernen Kesseln vorkommen, durch deren Zahl sogar noch auf höchst prosaische Weise die Größe der Mitgift angegeben wird. Vielleicht ist das aber nur ein Märchen.

Ich war so glücklich, später einmal einem chinesischen Hochzeitszuge zu begegnen, der eigenthümlich genug auftrat, mich etwa eine gute Stunde lang in eine dichtgedrängte Masse langzöpfiger Chinesen und Chineschen hineinzubannen, um der Braut ansichtig zu werden, was mir mit Geduld und Ausdauer auch gelang.

Durch eine der Straßen des chinesischen Viertels schlendernd sah ich plötzlich eine Masse Menschen in einem engen Durchzug halten, vor dem geputzte Chinesen mit bunten Lampen, immer von zwei und zwei gehaltenen rothen Festons und einer höchst interessanten Sammlung der wunderlichsten Musik und Lärminstrumente standen, die ich bis dahin noch auf einem Fleck zusammengesehen hatte.

Die Straße war dort gerade sehr schmutzig, und da ich nicht solche anderthalb Zoll dicke Sohlen als die Chinesen selber hatte, fing ich an mich schon sehr unbehaglich zu fühlen, als endlich das Zeichen zum Abgang gegeben wurde, und der Zug sich in Bewegung setzte. Zu gleicher Zeit kam ein mit rothen Federbüschen, Quasten und allen möglichen anderen Hängereien aufgeputzter Wagen an, der sich nur in seinen lebhaften Farben von unseren gewöhnlichen Leichenkutschen mit Federbüscheln unterschied. Fünf Minuten nachher erschien die Braut von einer Zahl Brautjungfern begleitet – o daß meine schönen Leserinnen sie gesehen haben könnten. Ich bin nämlich ein gar schlechter Anzugbeschreiber, weil ich die üble Angewohnheit habe, den Leuten immer mehr in die Augen zu sehen als auf den Rock – was in diesem Fall noch besonders zu entschuldigen war – doch will ich es versuchen.

Sie trug ein bunt und kleingeblümtes Seidenkleid, das bis auf die kleinen, nur dann und wann vorkommenden Füßchen hinunter ging und oben den Hals dicht umschloß, die Aermel waren so weit, daß sie die Hände vollständig verbargen. Ein ziemlich breiter Gürtel mit goldener Spange hielt das Ganze zusammen, das eigentlich mehr einem Talar, als einem Kleid glich, und zahlreiche Perl- und Steinschnüre hingen ihr um Brust und Nacken. Das Interessanteste aber war der Kopf– sie hatte sich weiß, oder vielmehr aschgrau geschminkt und ging mit stets niedergeschlagenen Augen (sie darf die Augen nicht erheben, bis sie mit dem Bräutigam verbunden ist) in Viertelschrittchen, wobei sie noch von zwei ihrer Brautjungfern unterstützt wurde, dem Wagen zu. Die Haare waren sehr natürlich à la chinoise frisirt, auf diesen aber trug sie eine Art Diadem, das kronenartig auslief, und von dessen äußersten Zacken drei bis fünf Zoll lange seidene Schnürchen nieder hingen, an deren unteren Enden Perlen, Korallen und bunte Steinchen, vielleicht Juwelen, befestigt waren, und also von allen Seiten, auch vorn über Stirn und Augen herunter, in ihr Gesicht, oder vielmehr, da sie den Kopf etwas nach vorn gebeugt hielt, auch vorn herüberhingen, und manchmal klappernd zusammenschlugen.

Zoll für Zoll bewegten sie sich nach der nicht fernstehenden Kutsche hin, und die Musikanten fingen unterdessen an, jeder nach eigenem Geschmack und Takt, ein Lied zu spielen, über dessen Melodie sie sich vielleicht im Anfang in etwas verständigt haben mochten, dessen Ausführung aber Alles übertraf, was ich bis dahin an Naivetät der Harmonie nur gehört hatte. Die zweisaitigen Violinen spielten eine Hauptrolle bei diesem Scandal, große Trommel und Cymbeln, Gongs und Klapperkasten fielen aber immer zu einer Zeit ein, wo man sie am allerwenigsten erwartete, und ich hätte wer weiß was darum gegeben diese Töne stenographiren zu können.

Was den beiden jungen Mädchen fehlte, die neben der Braut hergingen, und von denen die Eine mit einem Fächer ihr fortwährend Kühlung zufächelte, während die Andere mit einem prachtvollen seidenen Schirme die Strahlen der Sonne von ihr abhielt, weiß ich nicht, sie schüttelten aber fortwährend mit dem Kopf, und schienen mit der ganzen Geschichte nicht im geringsten einverstanden zu seyn.

Dicht vor den Wagen, als die Braut eben im Begriff war einzusteigen, oder vielmehr hineingehoben zu werden, traten jetzt zwei, wahrscheinlich von ihren Verwandten, und hielten ein altes, wenigstens schon gebrauchtes, aus Bambus geflochtenes Reissieb verkehrt über sie. Unter diesem hin stieg sie ein, der Bräutigam, eine verlegen aussehende etwas magere aber sonst schlanke und jugendliche Gestalt folgte, und der Zug setzte sich, unter dem rasenden Gekreisch der Violinen und der andern Mordinstrumente, langsam in Bewegung, den Nachbarn ebenfalls die Wohlthat der hochzeitlichen Musik zukommen zu lassen.

Hintennach kamen noch eine ganze Menge Wagen, Mandarinen und Geistliche wahrscheinlich, und die Verwandten der Braut, bis in die kleinsten Geschwister hinunter.

Ein Blick den ich in das Haus zurückwarf zeigte mir ihre Götzen, oder besser gesagt Heiligenbilder, festlich beleuchtet – ihr guter Geist sah noch einmal so dick und behäbig, ihr böser noch einmal so listig und verschmitzt aus mit dem dunkelgrünen dennoch gutmüthigen Gesicht und den rothen Augen, und auf den Tischen standen allerlei Confituren und eingemachte Leckerbissen, die die Chinesen vortrefflich zu bereiten wissen.

Vor der Thür, oder doch in etwa zehn Schritt Entfernung davon, standen drei holländische Soldaten Wache – weßhalb? weiß nur Gott und die drei Soldaten, die ich zu fragen vergaß, da sie gleich, nachdem die Wagen abgefahren waren, mit ihren Gewehren friedlich nach verschiedenen Richtungen auseinander gingen. Sie standen während der Feierlichkeit ordentlich aufmarschirt, und gehörten für mich mit zu den chinesischen Geheimnissen.

Was mich übrigens bei der Braut, jedenfalls einem der besseren Klasse angehörenden jungen Mädchen, am meisten interessirte, die Füßchen, bekam ich gar nicht, oder doch nur höchst unvollständig zu sehen, nur die aufgestülpten Fußspitzen der kleinen breiten Schuhe kamen manchmal, unter dem langen faltigen Gewand, auf Momente zum Vorschein. Ihre Begleiterinnen waren dagegen mit der Ausstellung der ihrigen desto freigebiger; an ihnen sah ich aber in dieser Hinsicht, als Deutscher, gar nichts ungewöhnliches, keinenfalls etwas chinesisches – sie hatten richtig rheinländisch Maaß (ich spreche hier aber natürlich einzig und allein von dem Maaß der Rheinländer) und konnten Staat damit machen.

Des Bräutigams Füße gefielen mir am allerwenigsten, denn er trat mich damit, als er an mir dicht vorüberging, in seinen verwünschten Holzsohlen auf die Zehen.

Es hatte sich indessen dabei eine zahlreiche Menge gesammelt, und eine Masse Schwärmer und Frösche wurden abgebrannt, denn die Chinesen lieben Feuerwerk ungemein, und lassen gewiß mit ihrer Schuld keine Gelegenheit vorübergehen, ein paar Pfund Pulver abzublitzen, so daß mir manchmal um die, bis zum Selbstentzünden ausgedörrten Bambus- und Schilfhütten angst und bange wurde. Es soll aber nur höchst selten oder nie Feuer entstehen und das ist wahrlich ein Glück, denn ein einziges Feuer, mit nur dem geringsten Windzug, würde unvermeidlich ganze Stadtviertel in Asche legen. Eine richtige Feuersbrunst in diesem chinesischen, dicht gedrängten und mit Menschen und Waaren vollgepfropften Viertel, müßte von fürchterlich verheerender Wirkung seyn.


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